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Wiedereingliederung nach Hamburger Modell – krankheitsbedingte Absenkung der Anforderungen

OVG NRW – Az.: 6 B 822/14 –  Beschluss vom 06.08.2014

Die Beschwerde wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 2.500,00 Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

Aus den zu ihrer Begründung dargelegten Gründen, die der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfen hat, ergibt sich nicht, dass das Verwaltungsgericht dem erstinstanzlich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung hätte stattgeben müssen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag dahin ausgelegt, dass der Antragsgegner im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet werden solle, den Antragsteller wegen Dienstunfähigkeit vorläufig von der Dienstleistung freizustellen. Diesen Antrag hat es abgelehnt und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Antragsteller habe nicht glaubhaft gemacht, dass er gegenwärtig dienstunfähig sei und die ihm angebotene – schrittweise – Wiedereingliederung nicht annehmen könne. Es entspreche ständiger Rechtsprechung, dass amtsärztlichen Äußerungen gegenüber privatärztlichen Attesten regelmäßig ein größerer Beweiswert zukomme. Danach habe hier das vollzugsärztliche Gutachten vom 30. Dezember 2013, aktualisiert am 14. Februar 2014 aufgrund des fachpsychiatrischen Zusatzgutachtens vom 7. Februar 2014, Vorrang vor den privatärztlichen Stellungnahmen. Die privatärztlichen Bescheinigungen seien nicht geeignet, die vollzugsärztlichen Feststellungen in Frage zu stellen. Der beabsichtigten schrittweisen Wiedereingliederung des Antragstellers stehe nicht entgegen, dass er sowohl nach dem vollzugsärztlichen Gutachten als auch nach der Stellungnahme seines Orthopäden derzeit nicht in der Lage sei, in seinem Aufgabenbereich uneingeschränkt Dienst zu leisten. Auch die von der Psychologin diagnostizierte mittelschwere depressive Episode hindere den Antritt der Wiedereingliederung nach dem von der vollzugsärztlichen Begutachtung berücksichtigten psychiatrischen Zusatzgutachten nicht.

Die von dem Antragsteller im Beschwerdeverfahren hiergegen erhobenen Einwendungen greifen nicht durch.

Das Beschwerdevorbringen macht sinngemäß geltend, das vollzugsärztliche Gutachten sowie das psychiatrische Zusatzgutachten seien nicht plausibel und nachvollziehbar. Der Zusatzgutachter Dr. Z. habe die Bescheinigung der Psychologin I. -M. vom 28. Januar 2014 nicht hinreichend gewürdigt. Zudem sei im Nachgang zu der vollzugsärztlichen Begutachtung eine Änderung der Sach- und Rechtslage eingetreten, da sich der Gesundheitszustand des Antragstellers verschlechtert habe. Diese Einwände vermag der Senat nicht zu teilen.

1. Dr. Z. hat in seinem 40-seitigen Gutachten vom 7. Februar 2014 detailliert dargelegt, wieso er den Antragsteller für einsetzbar hält. Dabei hat er sich entgegen dem Beschwerdevorbringen auch mit den Stellungnahmen der Psychologin I. -M. vom 11. November 2013 und 28. Januar 2014 auseinandergesetzt, die bei dem Antragsteller zuletzt eine mittelschwere depressive Episode diagnostiziert hatte. Zutreffend erwähnt er (S. 32), dass nach dem Bericht der Psychologin sich die Symptomatik für die Diagnosen F 33.1 und F 43.1 (nach ICD-10) unter der Behandlung gebessert habe, jedoch eine erneute Verschlechterung der depressiven Symptomatik drohe. Den Vorwurf, dass der Vollzugsarzt die Auffassung der Psychologin nicht berücksichtigt habe, greift er auf (S. 35) und führt aus, die Psychologin habe eine Verschlechterung der posttraumatischen Belastungsstörung nicht berichtet (S. 37). Im Ergebnis lasse sich feststellen, dass gravierende Gesundheitsstörungen oder Erkrankungen aus psychiatrisch-psychologischem Fachgebiet, aus denen derzeit eine Aufhebung des beruflichen Leistungsvermögens oder der Dienstfähigkeit in einer Justizvollzugsanstalt abzuleiten wäre, nicht vorhanden seien (S. 39). Diese Ausführungen sind für den Senat nachvollziehbar. Vor diesem Hintergrund ist der Einwand des Beschwerdevorbringens verfehlt, es sei nicht erkennbar, wie der Vorschlag des Gutachters (S. 40), dem Antragsteller solle bei der Wiedereingliederung gelegentlich die Möglichkeit geboten werden, sich durch Sitzen auszuruhen, längere Gehstrecken sollten zunächst vermieden werden, mit einer mittelschweren depressiven Episode in Einklang zu bringen sei. Denn die psychische Erkrankung ist nach Ansicht des Gutachters gerade nicht so schwerwiegend, dass ihretwegen besondere Vorkehrungen erforderlich wären. Der Vorschlag trägt vielmehr den bei dem Antragsteller ebenfalls vorliegenden orthopädischen Einschränkungen Rechnung, ohne dass der Gutachter dabei – wie das Beschwerdevorbringen meint – eine besondere Sachkunde auf dem von ihm nicht vertretenen orthopädischen Fachgebiet in Anspruch genommen hätte.

Soweit die Beschwerde weiter die privatärztliche Bescheinigung des Orthopäden Dr. L. vom 28. Januar 2014 ins Feld führt, hat hierzu das Verwaltungsgericht zutreffend ausgeführt, dass sie sich allein zu der Frage verhält, ob der Antragsteller vollschichtig dienstfähig ist, aber keine Aussagen zu der angestrebten Wiedereingliederung macht. Dass der Antragsteller derzeit nicht in der Lage ist, in seinem Aufgabenbereich uneingeschränkt Dienst zu leisten, entspricht auch dem vollzugsärztlichen Gutachten, stellt aber – wie das Verwaltungsgericht mit Recht hervorhebt – die schrittweise Wiedereingliederung nicht in Frage.

2. Es ist auch in Würdigung des Beschwerdevorbringens nicht erkennbar, dass nach der vollzugsärztlichen Begutachtung bei dem Antragsteller eine Verschlechterung des Gesundheitszustandes eingetreten wäre, die nunmehr einem Beginn der Wiedereingliederungsmaßnahme entgegenstehen könnte.

Das Beschwerdevorbringen verweist insoweit auf die Stellungnahme des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie N. vom 18. März 2014. Danach bedarf der Antragsteller noch „2 bis 3 Monate einer Dienstunfähigkeit, mit der Hoffnung, dass sich sein psychopathologisches Zustandsbild und vor allem seine Beinbeschwerden verbessern“. Dieser Zeitraum ist jedoch mittlerweile abgelaufen.

Weiter verweist die Beschwerde auf eine weitere Stellungnahme desselben Arztes vom 18. Juli 2014, die weitgehend mit seiner Stellungnahme vom 18. März 2014 wörtlich übereinstimmt. Der soeben zitierte Satz ist indessen durch den Satz ersetzt worden, der Antragsteller bedürfe „wegen der von ihm beklagten Beschwerden einer leidensgerechten Beschäftigung“. Von nichts anderem ist bereits der Vollzugsarzt in seinem Gutachten vom 14. Februar 2014 ausgegangen. Er hat sich veranlasst gesehen, die schrittweise Wiedereingliederung („4 Wochen 4 Stunden Diensttätigkeit, 4 Wochen 6 Stunden Diensttätigkeit“) zu empfehlen und mögliche Tätigkeitsbereiche zu nennen.

Unter diesen Umständen ist nicht einzusehen, wieso der Antragsteller daran gehindert sein sollte, eine Wiedereingliederung wahrzunehmen, die ihn schrittweise wieder an eine volle Arbeitsleistung heranführen soll, bei der also in der ersten Zeit die Anforderungen deutlich reduziert sein werden. Hierzu erscheint der Hinweis angezeigt, dass die beabsichtigte Wiedereingliederung nach dem „Hamburger Modell“ vor sich gehen soll. Bei einer solchen Wiedereingliederung können nicht die üblichen Anforderungen an die Dienstausübung gestellt werden, auch nicht unter Berücksichtigung einer krankheitsbedingten Absenkung dieser Anforderungen. Der Beamte stünde anderenfalls unter einem Leistungsdruck, der mit dem Charakter der Wiedereingliederungsmaßnahme nicht in Einklang zu bringen und ihrem Erfolg abträglich wäre.

Vgl. OVG NRW, Urteil vom 23. Mai 2014 – 1 A 1946/12 -, juris, Rn. 23 f., unter Verweis auf VG Düsseldorf, Urteil vom 31. Oktober 2012 – 10 K 3029/12 -, juris, Rn. 26 ff.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs.1 und 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

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