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Zusammenveranlagung – Wechsel auf getrennte Veranlagung

BUNDESFINANZHOF

AZ.: III R 48/03

Urteil vom 28.07.2005


Leitsätze:

1. Wird in dem Rechtsstreit zwischen FA und einem Ehegatten um die Zulässigkeit eines Antrags auf getrennte Veranlagung das FA gerichtlich verpflichtet, den Ehegatten getrennt zu veranlagen, erstreckt sich diese im Tenor des Urteils ausgesprochene Verpflichtung nur auf die Veranlagung des Ehegatten, der den Rechtsstreit geführt hat, nicht auf die Veranlagung des anderen Ehegatten, selbst wenn er zum Verfahren beigeladen war.

2. Der gegenüber dem beigeladenen Ehegatten ergangene Zusammenveranlagungsbescheid ist nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 aufzuheben und eine getrennte Veranlagung durchzuführen. Auf Festsetzungsverjährung kann sich der beigeladene Ehegatte nicht berufen. Der Ablauf der Festsetzungsfrist ist solange gehemmt, bis über den Antrag auf getrennte Veranlagung unanfechtbar entschieden worden ist (Fortführung des Senatsurteils vom 3. März 2005 III R 22/02, BFH/NV 2005, 1657).


Tatbestand:

I.

Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) wurde zunächst mit seiner Ehefrau, von der er seit 1986 geschieden ist, für die Streitjahre 1982 und 1983 antragsgemäß zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

Gegen die am 30. Mai 1988 nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 der Abgabenordnung (AO 1977) geänderten Einkommensteuerbescheide erhoben die Eheleute Einsprüche wegen der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung. Während des Einspruchsverfahrens beantragte die Ehefrau erstmals die getrennte Veranlagung. Am 10. August 1989 wurden die Einkommensteuerbescheide, ohne den Antrag der Ehefrau auf getrennte Veranlagung zu berücksichtigen, erneut geändert (Verlustrücktrag nach § 10d des Einkommensteuergesetzes –EStG–) und die Einkommensteuer auf 0 DM festgesetzt.

Durch Einspruchsentscheidung vom 5. April 1990 wies der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt –FA–) die Einsprüche als unbegründet zurück. Die Ehefrau sei nicht berechtigt gewesen, im Zusammenhang mit der Änderung der Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 ihr Wahlrecht erneut auszuüben. Wegen der geänderten Einkommensteuerfestsetzung auf 0 DM brauche über den Antrag hinsichtlich der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung nicht mehr entschieden zu werden.

Auf die Klage der Ehefrau hob das Finanzgericht (FG) die Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 auf und verpflichtete das FA, die Ehefrau für 1982 und 1983 getrennt zur Einkommensteuer zu veranlagen (Urteil des FG Nürnberg vom 13. Dezember 1995 III 98/90, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG– 1996, 710).

Sowohl das FA als auch der Kläger, den das FG zum Verfahren beigeladen hatte, legten gegen das FG-Urteil Revision ein, die der Bundesfinanzhof (BFH) durch Urteil vom 20. Januar 1999 XI R 31/96 (BFH/NV 1999, 1333) als unbegründet zurückwies.

Das FA führte daraufhin für die Jahre 1982 und 1983 getrennte Einkommensteuerveranlagungen durch. Für die geschiedene Ehefrau ergab sich jeweils eine Einkommensteuer von 0 DM (Einkommensteuerbescheide vom 29. Februar 2000). Für den Kläger setzte das FA durch Bescheide vom 1. März 2000 die Einkommensteuer 1982 auf 81 779 DM und die Einkommensteuer 1983 auf 121 122 DM fest.

Einspruch und Klage des Klägers waren erfolglos. Zu dem Einspruchsverfahren war die Ehefrau hinzugezogen und zu dem Klageverfahren beigeladen worden.

Das FG begründete seine Entscheidung im Wesentlichen damit, dass das FA nach §§ 101, 110 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) verpflichtet gewesen sei, das rechtskräftige Urteil des BFH zu vollziehen und die Beigeladene getrennt zu veranlagen. Die Durchführung der getrennten Veranlagung für die Beigeladene habe notwendigerweise auch eine Änderung der Einkommensteuerbescheide des Klägers für 1982 und 1983 zur Folge gehabt. Das Urteil des FG ist in Deutsches Steuerrecht/Entscheidungsdienst 2004, 231 veröffentlicht.

Mit der Revision rügt der Kläger die Verletzung materiellen Rechts. Zu Unrecht gehe das FG davon aus, dass sich eine Befugnis des FA zum Erlass der Änderungsbescheide aus der Rechtskraftwirkung des BFH-Urteils in BFH/NV 1999, 1333 ergeben habe. Selbst wenn aber die Rechtskraftwirkung des BFH-Urteils Grundlage für einen gegen ihn zu erlassenden Änderungsbescheid wäre, stünde dem die mit Ablauf des Jahres 1989 eingetretene Festsetzungsverjährung entgegen. Zu einer allenfalls in Betracht kommenden Änderung der Bescheide nach § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 sei das FA ebenfalls nicht berechtigt gewesen. Auch wenn der Antrag der Beigeladenen auf getrennte Veranlagung ein rückwirkendes Ereignis im Sinne dieser Regelung darstelle, seien die Ansprüche verjährt. Denn der Lauf der Festsetzungsfrist habe gemäß § 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 mit Ablauf des Kalenderjahres begonnen, in dem die Beigeladene den Antrag auf getrennte Veranlagung gestellt habe. Bei Erlass der angefochtenen Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 am 1. März 2000 sei daher die Festsetzungsfrist abgelaufen gewesen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des FG und die Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 i.d.F. der Einspruchsentscheidung aufzuheben.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

II.

Die Revision ist unbegründet.

1.

Allerdings war das FA entgegen der Auffassung des FG nicht durch das rechtskräftige FG-Urteil in EFG 1996, 710 nach §§ 101, 110 FGO verpflichtet, die Einkommensteuer des Klägers für die Jahre 1982 und 1983 im Wege der getrennten Veranlagung festzusetzen.

Nach § 110 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 FGO binden rechtskräftige Urteile die Beteiligten und ihre Rechtsnachfolger, soweit über den Streitgegenstand entschieden worden ist. Streitgegenstand des finanzgerichtlichen Urteils war das Begehren der Beigeladenen auf Durchführung der getrennten Veranlagung. Wird eine Änderung der Veranlagungsart beantragt, so ist das Begehren nicht als Anfechtung der Steuerfestsetzung zu verstehen, sondern als ein –auf Durchführung einer erneuten Veranlagung in einer bestimmten Veranlagungsart gerichtetes– Verpflichtungsbegehren (BFH-Urteil vom 19. Mai 2004 III R 18/02, BFHE 206, 201, BStBl II 2004, 980).

Dementsprechend hat das FG das FA verpflichtet, für die Beigeladene, die Klägerin jenes Verfahrens, die getrennte Veranlagung durchzuführen. Die an den Kläger gerichteten Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 vom 10. August 1989 waren nicht Gegenstand dieses Verfahrens und sind von der im Urteilstenor ausgesprochenen Verpflichtung unmittelbar nicht erfasst. Denn bei einem nach § 155 Abs. 3 AO 1977 zusammengefassten Bescheid, in dem Ehegatten zusammen zur Einkommensteuer veranlagt werden, handelt es sich um zwei (nur äußerlich verbundene) Steuerbescheide (ständige Rechtsprechung, vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 2003 X R 66/00, BFH/NV 2004, 19, unter B.I.2.b, m.w.N.), die verfahrensrechtlich jeweils ein eigenes Schicksal erleiden können (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 15. Dezember 1999 I R 114/98, BFH/NV 2000, 1243).

Durch die Beiladung des Klägers zum Verfahren seiner früheren Ehefrau hat sich an der Eigenständigkeit der ihm gegenüber ergangenen Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 nichts geändert. Durch die notwendige Beiladung eines Ehegatten zu dem auf Änderung der Veranlagungsart gerichteten Verfahren des anderen Ehegatten wird lediglich sichergestellt, dass die Entscheidung über die Veranlagungsart, die bei der Besteuerung beider Ehegatten nur einheitlich angewendet werden kann, für beide Ehegatten rechtsverbindlich ist (Senatsbeschluss vom 20. Mai 1992 III B 110/91, BFHE 168, 215, BStBl II 1992, 916). Die sich aus dieser Entscheidung ergebenden Folgerungen für die Einkommensteuerveranlagung des beigeladenen Ehegatten sind nach Maßgabe der Berichtigungs- und Änderungsvorschriften der AO 1977 zu ziehen.

2.

Die Entscheidung des FG erweist sich gleichwohl als im Ergebnis richtig, so dass die Revision gemäß § 126 Abs. 4 FGO zurückzuweisen ist. Das FA war gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zum Erlass der streitigen Bescheide berechtigt, um die materiell-rechtlich gebotene einheitliche Anwendung der Vorschriften des § 26 Abs. 1 EStG auf die Besteuerung der Ehegatten herbeizuführen.

a) Nach dieser Vorschrift ist ein Steuerbescheid zu erlassen, aufzuheben oder zu ändern, soweit ein Ereignis eintritt, das steuerliche Wirkung für die Vergangenheit hat.

Ein rückwirkendes Ereignis liegt vor, wenn sich nach Ergehen eines Steuerbescheids der rechtserhebliche Sachverhalt in der Weise ändert, dass nunmehr der veränderte anstelle des zuvor verwirklichten Sachverhalts der Besteuerung zugrunde zu legen ist (Beschluss des Großen Senates vom 19. Juli 1993 GrS 2/92, BFHE 172, 66, BStBl II 1993, 897). Ob ein Ereignis in die Vergangenheit zurückwirkt, ist den Normen des materiellen Steuerrechts zu entnehmen (so schon BFH-Urteil vom 9. August 1990 X R 5/88, BFHE 162, 355, BStBl II 1991, 55).

Nach dem Senatsurteil vom 3. März 2005 III R 22/02 (BFH/NV 2005, 1657) ist der zulässige Antrag eines Ehegatten, statt der bisherigen Zusammenveranlagung eine getrennte Veranlagung durchzuführen, als rückwirkendes Ereignis i.S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 AO 1977 zu beurteilen.

Der Senat hat seine Entscheidung darauf gestützt, dass Ehegatten, die beide unbeschränkt einkommensteuerpflichtig sind und nicht dauernd getrennt leben, zwar zwischen der getrennten Veranlagung (§ 26a EStG), der Zusammenveranlagung (§ 26b EStG) und ggf. der besonderen Veranlagung für das Jahr der Eheschließung (§ 26c EStG) wählen können (§ 26 Abs. 1 Satz 1 EStG), die Veranlagungsart aber für beide nur einheitlich angewendet werden kann. Da eine Zusammenveranlagung nur in Betracht kommt, wenn beide Ehegatten die Zusammenveranlagung beantragen (§ 26 Abs. 2 Satz 2 EStG) oder wenn sie keine Erklärungen abgeben (§ 26 Abs. 3 EStG), sind nach § 26 Abs. 2 Satz 1 EStG zwingend getrennte Veranlagungen für beide Ehegatten durchzuführen, wenn einer der Ehegatten die getrennte Veranlagung verlangt.

Wegen des Erfordernisses einer einheitlichen Veranlagung wirkt sich die Wahl einer bestimmten Veranlagungsart oder deren Änderung durch einen Ehegatten materiell-rechtlich auch auf die Einkommensteuerschuld des anderen Ehegatten aus, und zwar rückwirkend auf die Entstehung der Steuer nach § 36 Abs. 1 EStG. Mit der Ausübung des Veranlagungswahlrechts im Sinne der getrennten Veranlagung nach zuvor durchgeführter Zusammenveranlagung ändert sich der Sachverhalt in der Weise, dass nunmehr die gesetzlichen Voraussetzungen der Zusammenveranlagung entfallen und stattdessen die Merkmale der getrennten Veranlagung gegeben sind. Bei der Wahl der Veranlagungsart handelt es sich nicht nur um einen aus verfahrensrechtlichen Gründen erforderlichen Antrag mit Wirkung für die Zukunft, sondern um ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestands, das auf den Veranlagungszeitraum zurückwirkt. Wird die Wahl der Veranlagungsart nachträglich abweichend ausgeübt, wirkt sie rechtsgestaltend auf die Steuerschuld ein, da die Veranlagungsart unmittelbar die Höhe der Steuer beeinflusst (Senatsurteil in BFH/NV 2005, 1657).

b) Entgegen der Auffassung des Klägers war die Festsetzungsfrist bei Erlass der geänderten Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 am 1. März 2000 noch nicht abgelaufen.

Nach § 175 Abs. 1 Satz 2 AO 1977 hat zwar die vierjährige Festsetzungsfrist mit Ablauf des Kalenderjahres, in dem das Ereignis eintrat –hier der Antrag der Beigeladenen auf getrennte Veranlagung– zu laufen begonnen. Jedoch war der Ablauf der Festsetzungsfrist bis zur Unanfechtbarkeit der gegen die Beigeladene erlassenen Einkommensteuerbescheide 1982 und 1983 vom 29. Februar 2000 (getrennte Veranlagungen aufgrund der gerichtlichen Verpflichtung) gehemmt.

Gemäß § 171 Abs. 3 AO 1977 ist der Ablauf der Festsetzungsfrist solange gehemmt, bis über einen innerhalb der Festsetzungsfrist gestellten Antrag auf Steuerfestsetzung oder auf Aufhebung oder Änderung einer Steuerfestsetzung unanfechtbar entschieden worden ist. Zwar hat nicht der Kläger, sondern die Beigeladene den Antrag auf getrennte Veranlagung gestellt. Die Anwendung des § 171 Abs. 3 AO 1977 auf den Fall, dass nur einer der Ehegatten sein Wahlrecht abweichend ausübt, ist aber –auch wenn die geänderte Wahl im Ergebnis zu einer Änderung der Steuerfestsetzung zu Ungunsten des anderen Ehegatten führt– systemkonform.

Denn gemäß § 26b EStG werden die Ehegatten bei der Zusammenveranlagung als ein Steuerpflichtiger behandelt; es wird eine einheitliche Steuer festgesetzt. Der einheitliche Steueranspruch gegen die als ein Steuerpflichtiger geltenden Ehegatten kann dementsprechend nur einer Festsetzungsfrist unterliegen. Die durch den Antrag eines Ehegatten auf getrennte Veranlagung eintretende Ablaufhemmung des § 171 Abs. 3 AO 1977 muss sich der andere Ehegatte zurechnen lassen (vgl. zur steuerlichen Behandlung von Eheleuten bei der Zusammenveranlagung als ein Steuerpflichtiger BFH-Urteil vom 24. Juli 1996 I R 62/95, BFHE 181, 252, BStBl II 1997, 115, m.w.N.).

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