LG Bamberg – Az.: 3 S 72/20 – Beschluss vom 08.01.2021
1. Die Kammer beabsichtigt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Amtsgerichts Forchheim vom 17.07.2020, Az. 70 C 231/20, gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen, weil sie einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, der Rechtssache auch keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung über die Berufung nicht geboten ist.
2. Da die Berufung mithin keine Aussicht auf Erfolg hat, legt das Gericht aus Kostengründen die Rücknahme der Berufung nahe. Im Falle der Berufungsrücknahme ermäßigen sich vorliegend die Gerichtsgebühren von 4,0 auf 2,0 Gebühren (vgl. Nr. 1222 des Kostenverzeichnisses zum GKG).
3. Die Kammer beabsichtigt weiterhin, den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 1.625,76 EUR festzusetzen (entsprechend der im Mahnverfahren geltend gemachten Hauptforderung).
4. Hierzu besteht Gelegenheit zur Stellungnahme binnen zwei Wochen nach Zustellung dieses Hinweises.
Gründe
Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen der Beklagtenseite in der Berufungsbegründung ist eine Abänderung der amtsgerichtlichen Entscheidung nicht veranlasst, da ihr ein Rechtsfehler zum Nachteil der Beklagten nicht zu entnehmen ist.
Das Amtsgericht hat zu Recht den am 04.05.2020 erstmals eingegangenen Einspruch der Beklagten gegen den gegen sie ergangenen Vollstreckungsbescheid vom 05.05.2010 als unzulässig verworfen. Zur Vermeidung unnötiger Wiederholungen wird insoweit zunächst vollumfänglich auf die zutreffenden Erwägungen in der angegriffenen Entscheidung des Amtsgerichts vom 17.07.2020 Bezug genommen. Ergänzend ist zu bemerken:
1.
Zunächst ist von einer wirksamen Zustellung des Vollstreckungsbescheides vom 05.05.2010 unter der Anschrift … und unter der Adressierung „…“ am 07.05.2010 an die Beklagte auszugehen.
Laut des in den Akten befindlichen maschinell erstellten Aktenausdrucks aus dem gegenständlichen Mahnverfahren (Bl. 2 bis 9 d.A.) wurde der Beklagten der Mahnbescheid vom 02.02.2010 am 31.03.2010 und der Vollstreckungsbescheid vom 05.05.2020 am 07.05.2010 jeweils ausweislich Postzustellungsurkunde unter der vorbezeichneten Anschrift (…) und der vorbezeichneten Adressierung („…“) im Sinne des § 180 ZPO durch Einlegung in den Briefkasten rechtswirksam zugestellt. Dabei gelten die dem maschinellen Aktenausdruck zu entnehmenden Zustellungsnachweise via Postzustellungsurkunden als öffentliche Urkunden im Sinne des § 415 ZPO (i.V.m. §§ 696 Abs. 2 Satz 1 und Satz 2, 700 Abs. 3 Satz 2 ZPO) mit der Beweiskraft des § 418 ZPO, so dass diese die Tatsache des Einlegens des Schriftstücks in den Briefkasten des Empfängers seitens des Zustellers bezeugen (vgl. dazu § 182 Abs. 1 ZPO sowie Schultzky, in: Zöller, ZPO, 32. Aufl. 2018, 182 Rn. 14 m.w.N.). Mit dem Einlegen des Schriftstücks in den Briefkasten gilt dieses gemäß § 180 Satz 2 ZPO als zugestellt, wobei eine Kenntnisnahme durch den Zustellungsadressaten hierfür nicht erforderlich ist. Unerheblich für die Wirksamkeit der Zustellung ist es insbesondere, wenn ein Dritter die Sendung dem Briefkasten entnommen und nicht an den Adressaten weitergeleitet hat (vgl. dazu Schultzky, a.a.O., § 180 Rn. 8 m.w.N.). Weiterhin wird die Wirksamkeit einer Zustellung durch etwaige Schreibfehler oder sonstige Unrichtigkeiten im Vor- und Nachnamen des Zustellungsadressaten nicht tangiert, sofern an der Identität des Adressaten nicht gezweifelt werden kann und keine Verwechslungsgefahr besteht (vgl. Häublein/Müller, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 182 Rn. 5 m.w.N.; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 21. Mai 2003 – 5 U 375/02 – 45 –, Rn. 17 m.w.N.; juris = MDR 2004, 51 f.).
Den Gegenbeweis, dass die aus der Zustellungsurkunde mit der Beweiskraft des § 418 Abs. 1 ZPO hervorgehenden Tatsachen (Einlegung des Schriftstücks in den Briefkasten der Beklagten) unrichtig sind, vermag die Beklagte nicht zu führen. Die Kammer verkennt dabei nicht, dass die an den Gegenbeweis des § 418 Abs. 2 ZPO zu stellenden Anforderungen nicht überspannt werden dürfen (vgl. Schultzky, a.a.O., § 182 Rn. 15 m.w.N.). Die Beklagte stellt indessen in der Berufungsbegründung nicht in Abrede, dass sie seinerzeit unter der vorgenannten Anschrift wohnte und unter dieser Anschrift Postzustellungen an sie erfolgen konnten. Sie beruft sich ohne Erfolg allein darauf, dass eine Zustellung des Vollstreckungsbescheides unter dem 07.05.2010, der ihr bis zur Akteneinsicht im laufenden Verfahren nicht bekannt gewesen sei, nicht erfolgt sei, da die Beklagte damals nicht mehr den Namen …, sondern (wieder) ihren Mädchennamen … geführt und es daher damals eine Person mit dem Namen „…“ nicht gegeben habe. Vorliegend steht jedoch die Identität der Beklagten (seinerzeit mit dem amtlichen Namen …, vormals …) als die Person, an die der Vollstreckungsbescheid gerichtet war und auftragsgemäß zugestellt werden sollte (und konnte), zweifelsfrei fest, d.h. es blieb keineswegs unklar, für wenn die Postsendung bestimmt war und wer diese erhalten sollte. Hinzu kommt, dass ausweislich des Aktenausdrucks (sowie selbst nach dem eigenen Vorbringen der Beklagten) auch der dem gegenständlichen Vollstreckungsbescheid vorangegangene Mahnbescheid (am 31.03.2010) unter der nämlichen Anschrift (…) und der nämlichen Adressierung („…“) an die Beklagte wirksam zugestellt werden konnte, was bereits aus der diesbezüglichen Widerspruchserhebung seitens der Beklagten folgt. Ausweislich des Aktenausdrucks ging überdies die Rücknahme des Widerspruchs am 04.05.2010 beim Mahngericht ein.
Der beklagtenseits in der Berufungsbegründung beantragten Einholung einer amtlichen Auskunft zur Frage der Namensführung durch die Beklagte im Zeitpunkt der bestrittenen Zustellung des Vollstreckungsbescheids im Mai 2010 bedarf es daher mangels Entscheidungserheblichkeit dieses Umstandes aus Rechtsgründen nicht.
Zudem kommt es in Ansehung der vorstehenden Erwägungen nicht darauf an, dass die Beklagte mit ihrem neuen, erstmals in der Berufungsinstanz vorgebrachten Tatsachenvortrag (die Beklagte habe bis zur Akteneinsicht im Berufungsverfahren nichts von einer Zustellung des Vollstreckungsbescheides am 07.05.2010 gewusst, zumal eine Zustellung infolge der unrichtigen Bezeichnung des Nachnamens der Beklagten nicht erfolgt sei) ausgeschlossen ist, da die Beklagte die entsprechenden Erkundigungen (qua Akteneinsicht) unschwer auch bereits im Rahmen des erstinstanzlichen Verfahrens einholen und sich insofern verteidigen hätte können, vgl. dazu §§ 529 Abs. 1 Nr. 1, 531 ZPO.
2.
Schließlich kommt auch eine etwaige – gemäß § 236 Abs. 2 Satz 2 Hs. 2 ZPO auch ohne ausdrücklichen Antrag bei Vorliegen der Voraussetzungen, denkbare – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bezüglich der Einspruchsfrist von vornherein nicht in Betracht. Zum einen ist ein fehlendes Verschulden der Beklagten an der Versäumung der Einspruchsfrist im Sinne des § 233 ZPO in Ansehung der vorstehenden Ausführungen nicht ansatzweise dargetan, geschweige denn glaubhaft gemacht, § 236 Abs. 2 ZPO. Zum anderen steht der Wiedereinsetzung vorliegend in jedem Fall der Ablauf der Jahresfrist nach § 234 Abs. 3 ZPO entgegen.
Nach § 234 Abs. 3 ZPO kann die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach Ablauf eines Jahres, von dem Ende der versäumten Frist an gerechnet, nicht mehr beantragt werden. Demnach endete die Jahresfrist des § 234 Abs. 3 ZPO vorliegend Ende Mai 2011 ein Jahr nach Ablauf der Einspruchsfrist Ende Mai 2010.
Die absolute Ausschlussfrist des § 234 Abs. 3 ZPO soll eine unangemessene Verzögerung des Rechtsstreits verhindern und den Eintritt der Rechtskraft gewährleisten. Die Ausschlussfrist schützt insbesondere das Vertrauen des Gegners auf den Eintritt der materiellen Rechtskraft einer Entscheidung. Sie ist mit dem Grundgesetz vereinbar (vgl. zum Komplex BGH, Beschluss vom 21. Januar 2016 – IX ZA 24/15 – Rn. 7/8 = NJW-RR 2016, 638/639; Grandel, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Auflage 2020, § 234 Rn. 6; Stackmann, in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Auflage 2020, § 234 Rn. 23/24 – jeweils mit weiteren Nachweisen).
3.
Nach alledem entspricht die Verwerfung des verspätet erst im Mai 2020 eingegangenen Einspruchs der Beklagten gegen den Vollstreckungsbescheid vom 05.05.2010 als unzulässig der Sach- und Rechtslage, auch wenn dieses Ergebnis aus Sicht der Beklagten nachvollziehbar bedauerlich ist.
Ihre Berufung erweist sich mithin als in der Sache aussichtslos.