Arbeitsgericht Marburg
Az: 2 Ca 9/08
Urteil vom 25.04.2008
1. Endet das Arbeitsverhältnis einer geringfügig beschäftigten Person nicht exakt zum Monatsende, sondern schon zu einem früheren Zeitpunkt im Monat oder währt es kürzer als einen Monat, so ist das im letzten Monat erzielte geringfügige Entgelt nicht auf eine fiktive Monatsvergütung hoch zu rechnen und entsprechend voll zu versteuern und zu versichern. Der Gesetzgeber hat vielmehr für die Definition des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses in § 8 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IV und die daraus folgende Versicherungsfreiheit alleine auf die Verdienstgrenze von 400,– €/Monat abgehoben.
2. Nach Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung gelten deshalb die privilegierten Abgabenpauschalen für alle Arbeitsverhältnisse, in denen der Arbeitnehmer nicht mehr als 400,– € im Monat erzielt, unabhängig von der Zahl der Arbeitstage im Monat und vom Beendigungszeitpunkt.
3. Die zum Teil von Sozialversicherungsträgern geforderte Hochrechnung der Vergütung auf ein fiktives Monatseinkommen bei Teilmonaten widerspricht dem gesetzgeberischen Willen, der bei der Prüfung der Geringbeschäftigung als alleiniges Kriterium die Höhe des Arbeitsentgeltes, nicht aber die Dauer des Arbeitsverhältnisses innerhalb eines Kalendermonats berücksichtigt wissen wollte.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin begehrt von der Beklagten restliche Vergütung. Die Parteien streiten um die Frage, wie die Abrechnung einer Geringbeschäftigung bei Ausscheiden während des laufenden Monats vorzunehmen ist.
Die Klägerin war bei der Beklagten als Aushilfsverkäuferin auf der Basis einer geringfügigen Beschäftigung seit dem 01.12.2006 beschäftigt.
Ihr Gehalt belief sich auf 400,00 € monatlich. Die Beklagte zahlte für die Klägerin die im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung zu erbringenden Pauschalen für die Krankenversicherung, die Rentenversicherung und die Steuer.
Unter dem 04.06.2007 vereinbarten die Parteien im Wege eines außergerichtlichen Vergleiches die Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund betriebsbedingter ordentlicher Kündigung zum 15.06.2007.
In Ziffer 4 des Vergleiches vereinbarten die Parteien, dass die Beklagte den Monat Juni 2007 auf der Grundlage eines Gehaltes in Höhe von 344,86 € brutto abrechnet.
Die Beklagte zahlte sodann an die Klägerin für die Zeit vom 01.06. bis 15.06.2007 ein Gehalt in Höhe von 219,64 € netto aus. Dabei ging die Beklagte davon aus, dass der Vergütungsanspruch der geringfügig beschäftigten Mitarbeiterin bei einem Ausscheiden während des laufenden Monats fiktiv auf ein volles Monatsgehalt hochzurechnen sei. Diese Berechnung führte nach Ansicht der Beklagten zu einem fiktiven Monatsgehalt von 689,72 € brutto. Aus diesem Grunde hatte die Beklagte den Lohnanspruch der Klägerin nicht als geringfügiges Entgelt, sondern als voll sozialversicherungspflichtiges und zu versteuerndes Bruttoentgelt abgerechnet. Daraus ergab sich dann der Betrag von 219,64 € netto.
Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen diese Vorgehensweise. Sie ist der Ansicht, dass die von der Beklagten vorgenommene fiktive Berechnungs-weise gesetzeswidrig sei. Die Beklagte habe zu hohe Abgaben abgeführt. Tatsächlich sei das Monatseinkommen von 400,00 € im Juni 2007 nicht überschritten worden.
Die Klägerin verweist darauf, dass von einer fiktiven Berechnung im Gesetz nichts stehe. Entscheidend sei nicht, auf wie viel Arbeitstage sich die geringfügige Beschäftigung im Monat verteile. Vielmehr sei lediglich darauf abzuheben, ob das gesamte Entgelt im Monat 400,00 € übersteigt oder nicht. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze sei die Beklagte verpflichtet gewesen, unter Übernahme der Pauschalen der Klägerin den vollen Bruttobetrag als Nettobetrag auszuzahlen.
Die Klägerin macht deshalb mit ihrer Klage den Differenzbetrag geltend und beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 125,22 EUR netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.07.2007 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass die Vergütung der Klägerin für Juni 2007 voll steuer- und sozialversicherungspflichtig gewesen sei, da ihr Gehalt unter Berücksichtigung des vollen Monats über der Geringfügigkeitsgrenze gelegen habe.
Die Beklagte ist der Ansicht, dass bei einem Ausscheiden der geringfügig beschäftigten Mitarbeiter während des laufenden Monats die Vergütung stets auf den vollen Monat fiktiv hochzurechnen sei.
Die Beklagte verweist darauf, dass auch die zuständige BKK Taunus diese Rechtsansicht teile. Nach Auskunft der Krankenkasse sei bei einem vorzeitigen Ausscheiden der Mitarbeiterin fiktiv auf den vollen Monats hochzurechnen. Liege die Vergütung dann über der Geringfügigkeitsgrenze, so sei entsprechend voll zu versichern und zu versteuern.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der von den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie auf die Sitzungsniederschriften vom 05. Februar 2008 (Bl. 17 d.A.) und vom 25. April 2008 (Bl. 36 d.A.) Bezug genommen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist zulässig und begründet.
An der Zulässigkeit der Klage bestehen keine Bedenken. Die Klägerin hat Anspruch auf die eingeklagte restliche Vergütung. Der Klage war deshalb stattzugeben.
I.
Im Vergleich vom 04.06.2007 haben die Parteien unter Ziffer 4 geregelt, dass die Beklagte an die Klägerin für Juni 2007 Vergütung auf der Grundlage eines Gehalts in Höhe von 344,86 € brutto zahlt.
In diesem Vergleich ist der Zahlungsbetrag zwar als Brutto-Betrag ausgewiesen. Zwischen den Parteien war jedoch nicht vereinbart worden, dass die Beklagte diesen Zahlungsbetrag zur Versteuerung und Versicherung wegen des Ausscheidens der Klägerin in der Monatsmitte fiktiv auf einen vollen Monatsbetrag hochrechnet und dann entsprechend versteuert und versichert.
Vielmehr ist die Vereinbarung jedenfalls für die Klägerin so zu verstehen, dass der dort geregelte Zahlungsbetrag wie bisher abgerechnet, von der Beklagten die Pauschalbeträge erbracht und der Betrag dann an die Klägerin ausgezahlt wird.
Dies ergibt sich auch daraus, dass im Vergleich unter Ziffer 4 auch das Gehalt für den Monat Mai 2007 als Bruttobetrag mit 329,72 € aufgeführt ist, dieser Betrag dann aber von der Beklagten entsprechend der bisherigen vertraglichen Gestaltung an die Klägerin voll ausgezahlt worden ist.
II.
Aus den gesetzlichen Regelungen folgt die von der Beklagten vorgenommene und von der Krankenversicherung geforderte fiktive Hochrechnung der Bezüge auf einen vollen Monat nicht. Der Wortlaut des Gesetzes gibt keine Handhabe für eine solche Berechnung. Vielmehr ist nach dem Wortlaut des Gesetzes stets von einer geringfügigen Beschäftigung auszugehen, wenn die Vergütung im Monat 400,00 € nicht übersteigt.
In § 7 Abs. 1 SGB V ist für die Krankenversicherung, in § 5 Abs. 2 Ziff. 1 SGB VI für die Rentenversicherung und in § 27 Abs. 2 SGB III für die Arbeitsförderung geregelt, dass diejenigen Personen in ihrer Beschäftigung versicherungsfrei sind, die eine geringfügige Beschäftigung nach § 8 SGB IV ausüben.
Nach § 8 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IV liegt eine solche geringfügige Beschäftigung unter anderem dann vor, wenn das Arbeitsentgelt aus dieser Beschäftigung regelmäßig im Monat 400,00 € nicht übersteigt.
Auch die Definition der Beschäftigung in nichtselbständiger Arbeit während einer Freistellung nach § 7 Abs. 1 a Ziff. 2 SGB IV stellt darauf ab, dass das monatlich fällige Arbeitsentgelt 400,00 € übersteigt.
Der Wortlaut des Gesetzes stellt damit lediglich darauf ab, ob im Monat ein Gesetzverdienst bis zur Höhe von 400,00 € oder ein Verdienst über diese Höhe hinaus vom Beschäftigten bzw. Arbeitnehmer erzielt worden ist. Der Wortlaut des Gesetzes hebt nicht darauf ab, ob die Arbeitnehmerin den ganzen Monat oder nur einen Teil gearbeitet hat. Eine fiktive Hochrechnung der Vergütung bei einer Teilbeschäftigung ist vom Gesetz nicht vorgesehen.
III.
Die von der Beklagten herangezogene Auskunft der Krankenkasse BKK Taunus ist zur Entscheidung des Rechtsstreits weder maßgeblich, noch hilfreich. Die Krankenkasse hat das Gesetz zu ihren Gunsten interpretiert, ohne eine schlüssige Begründung dafür abzugeben.
Das Gericht hat aus Interesse um eine telefonische Stellungnahme der Deutschen Rentenversicherung zu dieser Frage gebeten. Die Deutsche Rentenversicherung kommt zum gegenteiligen Ergebnis. Danach liege Versicherungsfreiheit bis zu einem Entgelt von 400,00 € vor, unabhängig von der Dauer des Arbeitsverhältnisses im Monat.
Solche emperischen Ergebnisse sind jedoch zur Entscheidung des Rechtsstreits nicht von Bedeutung.
IV.
Das Gericht kommt auch unter Auslegung der Vorschrift des § 8 Abs. 1 Ziff. 1 SGB IV nach Sinn und Zweck zum Ergebnis, dass für die Frage der Versicherungsfreiheit einzig und allein entscheidend ist, ob die Vergütung im Monat 400,00 € übersteigt oder nicht. Dabei spielt es keine Rolle, ob das Arbeitsverhältnis zum Monatsende oder zu einem früheren Zeitpunkt während des Monats geendet hat.
Das Gesetz hat für die Berechnung der 400,00 € – Grenze keine Zeiträume gesetzt und gewollt. Nach Sinn und Zweck auch des § 27 Abs. 2 SGB III, des § 5 Abs. 2 Nr. 1 SGB VI und des § 7 SGB V soll allein entscheidend sein, ob die Verdienstgrenze von 400,00 € im Monat überschritten ist oder nicht. Der Gesetzgeber wollte mit der Versicherungsfreiheit für Einkünfte bis 400,00 € im Monat eine Privilegierung der Geringverdiener einerseits und eine Vereinfachung für alle Beteiligten andererseits erreichen. Mit der Geringverdienstgrenze wollte der Gesetzgeber außerdem einen Anreiz zur Schaffung zusätzlicher Beschäftigung geben. Zudem ist der Gesetzgeber dem Drängen verschiedener Gewerbezweige gefolgt, kostengünstige Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen, die auch Arbeitslosen und Arbeitnehmern einen Anreiz bieten, den zusätzlichen Erwerb zu tätigen. Deshalb hat es der Gesetzgeber mittlerweile auch sozialversicherungspflichtig tätigen Arbeitnehmern ermöglicht, zusätzlich eine privilegierte Geringbeschäftigung durchzuführen.
Diese Maßnahmen und das zugrundeliegende Bündel an Motivationen lässt nach Ansicht des Gerichts nur den Schluss zu, dass der Gesetzgeber die Privilegierung der geringfügigen Beschäftigung alleine von der Höhe des Arbeitsentgeltes im Monat abhängig gemacht hat, unabhängig vom Umfang und Dauer der Beschäftigung innerhalb des Monats.
Es ist deshalb auch unerheblich, ob das Arbeitsverhältnis der gering beschäftigten Personen exakt zum Monatsende oder schon zu einem früheren Zeitpunkt im Monat endete. Entscheidend ist einzig und allein die Frage, ob der Mitarbeiter in dem betreffenden Monat in dem geringfügigen Beschäftigungsverhältnis eine Vergütung von 400,00 € übersteigt oder nicht. Der Beendigungszeitpunkt z.B. in der Monatsmitte oder am Monatsende war für die Frage der Versicherungsfreiheit sowohl im gesetzgeberischen Verfahren wie auch bei den Motiven des Gesetzgebers ohne Bedeutung.
Die Beklagte übersieht, dass bei bestimmten Ausformungen der Teilzeitarbeit, wie beim Abrufarbeitsverhältnis aufgrund des geringen Bedarfs des abrufenden Arbeitgebers ein kurzes Teilzeitarbeitsverhältnis typischerweise auch mitten im Monat endet. Es ist aber nicht erkennbar, dass gerade diese kurzen Arbeitsverhältnisse mit ihrer in der Regel sehr geringen Verdiensten nicht unter die Privilegierung und Versicherungsfreiheit der gesetzlichen Vorschriften fallen sollen. Gerade hier zeigt sich, dass der Gesetzgeber nicht die Dauer des Arbeitsverhältnisses, sondern die Höhe des Arbeitsentgeltes als alleiniges Kriterium berücksichtigt sehen wollte.
Im Ergebnis ist somit festzuhalten, dass die Klage begründet ist. Der Gesetzgeber hat in seiner Definition des geringfügigen Beschäftigungsverhältnisses in § 8 Abs. 1 Nr. 1 SGB IV alleine nur auf die Verdienstgrenze von 400,00 € abgehoben. Diese Regelung gilt auch dann, wenn das Arbeitsverhältnis nicht einen vollen Monat gedauert oder im Laufe eines Monats geendet hat. Die Hochrechnung auf eine fiktive Monatsvergütung ist vom Gesetzgeber nicht gewollt und nach Sinn und Zweck der Vorschrift abzulehnen.
Der Klage war deshalb stattzugeben.
V.
Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen, da sie unterlegen ist, § 91 ZPO.
Die gem. § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil vorzunehmende Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 3 ZPO und ist an der Höhe des Klagebetrags orientiert.
Die Berufung war wegen grundsätzlicher Bedeutung nach § 64 Abs. 2 a, Abs. 3 Ziff. 1 ArbGG zuzulassen.