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Handelsvertreterausgleichsanspruch bei Vertragsbeendigung – entgangene Provisionen

OLG München – Az.: 7 U 2586/13 – Urteil vom 14.05.2014

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 22.5.2013 (Az.: 30 O 25944/11) im Kostenpunkt aufgehoben und im übrigen neu gefasst wie folgt:

„Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger netto 64.002,73 € (= brutto 76.163,25 €) nebst 8 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20.7.2011 zu zahlen. Die Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger netto 1.560,- € außergerichtliche Anwaltsgebühren nebst 5 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 20.7.2011 zu zahlen. Die weitergehende Klage wird abgewiesen.“

2. Die weitergehende Berufung der Beklagten wird zurückgewiesen.

3. Von den Kosten der ersten Instanz haben der Kläger 43 Prozent und die Beklagte 57 Prozent zu tragen. Von den Kosten des Berufungsverfahrens haben der Kläger 53 Prozent und die Beklagte 47 Prozent zu tragen.

4. Dieses Urteil und das angegriffene Urteil sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Jeder Vollstreckungsschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des gegen ihn vollstreckbaren Betrages abwenden, sofern nicht der jeweilige Vollstreckungsgläubiger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

5. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Handelsvertreterausgleichsanspruch bei Vertragsbeendigung - entgangene Provisionen
Symbolfoto: Von Freedomz /Shutterstock.com

Die Parteien streiten um Ansprüche im Zusammenhang mit der Beendigung eines Handelsvertreterverhältnisses.

Die Beklagte handelt mit DVDs und Blue Rays für den Bereich des Home Entertainments. Diese werden in Videotheken und Handelsketten angeboten. Der Kläger war kraft Vertrags mit der Beklagten vom 1.6.2006 als freier Handelsvertreter für die Beklagte tätig. Die Beklagte hat den Handelsvertretervertrag am 30.12.2010 ordentlich zum 31.3.2011 gekündigt.

Der Handelsvertretervertrag zwischen den Parteien hat auszugsweise den folgenden Wortlaut:

1. Vorbemerkung.

1.1. S.film [unter dieser Bezeichnung firmierte die Beklagte seinerzeit; Anmerkung des Senats] verleiht und verkauft Spielfilme auf Videokassetten und DVDs.

1.2. Der Handelsvertreter vertreibt Spielfilme auf Videokassetten und DVDs an den Handel.

2. Vertragsgegenstand.

2.1. Der Handelsvertreter übernimmt für S.film den Verleih- und Kaufvertrieb von Spielfilmen auf Videokassetten und DVDs sowie sonstigen von S.film zur Verfügung gestellten Tonträgern.

2.2. Die in Anlage 1 genannten Kunden sind vom Handelsvertreter für S.film geworben worden. …

6. Vergütung.

6.1. Der Handelsvertreter erhält für seine Vertriebsleistung eine Provision von S.film in folgender Höhe:

6.1.1. Vertrieb an Videothekenhandel 10 % des fakturierten Nettoumsatzes. Die Provisionsberechnung für Vertrieb an e. e. m. p. GmbH & Co. KG (…) und Thomas L., H. E. P. GmbH (…) erfolgt nach Abzug der WKZ-Rechnungen, die nicht auf tatsächlich erbrachten Leistungen der Rechnungssteller beruhen.

6.1.2. Vertrieb an Kaufkunden: 10 % des fakturierten Nettoumsatzes; Vertrieb an Key account Kaufkunden: 5 % des fakturierten Nettoumsatzes.

6.2. Die Provision versteht sich zusätzlich der gesetzlichen Umsatzsteuer. …

7. Vorbehalt.

7.1. Inkasso, Rücknahmen, Retouren sowie die Gewährung von Sonderkonditionen bedürfen der vorherigen Zustimmung seitens S.film. Diese sind bei der Provisionsberechnung zu berücksichtigen. …

8. Wettbewerb.

8.1. Der Handelsvertreter verpflichtet sich für S.film exklusiv tätig zu sein und jeglichen Wettbewerb bezüglich der vertragsgegenständlichen Produkte zu unterlassen. Hiervon ausgenommen sind Tätigkeiten des Handelsvertreters für die m. d. c. GbR betreffend Produkte der M. C. O. GmbH, I.straße 2, S.

9. Schlussbestimmungen.

9.2. Abänderungen dieses Vertrages bedürfen der Schriftform. Mündliche Abreden sind nicht getroffen. Bei Abbedingung der Schriftform zur Änderung dieses Vertrags ist ebenfalls Schriftform erforderlich. …

Der Kläger ist der Meinung, ihm stünden neben einem Handelsvertreterausgleich weitere Provisionsansprüche wegen einer unberechtigt abgezogenen Retoure und unberechtigt abgezogener Werbungskostenzuschüsse sowie die Erstattung vorgerichtlicher Kosten zu.

Der Kläger hat beantragt,

(1) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger eine Ausgleichszahlung gemäß § 89 b HGB in Höhe von 100.718,10 € netto, mithin 119.854,53 € brutto, nebst 8 % Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit dem 13.7.2011 zu zahlen;

(2) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 4.976,97 € netto, mithin 5.922,59 € brutto, für den unrechtmäßigen Abzug von Provisionen in Sachen M. nebst 8 % Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 13.7.2011 zu zahlen;

(3) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 23.078,89 € netto, mithin 27.463,88 € brutto für den unrechtmäßigen Abzug von Werbekostenzuschüssen für Kaufkunden in den Jahren 2008, 2009 und 2010 sowie 2011 nebst 8 % Punkten Zinsen seit Rechtshängigkeit zu zahlen;

(4) die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 1.980,40 € netto nebst 8 % Punkten Zinsen über dem Basiszinssatz seit 13.7.2011 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat hilfsweise die Aufrechnung mit einem Betrag von 22.611.49 € netto (= 26.907,67 € brutto) wegen behaupteter weiterer Retouren erklärt. Ferner hat sie für den Fall, dass das Landgericht die Klage ohne Entscheidung über die Hilfsaufrechnung abweise, Widerklage mit dem Antrag erhoben, den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von € 22.611,49 zuzüglich Umsatzsteuer, mithin € 26.907,67 inklusive Umsatzsteuer [nebst gestaffelten Zinsen] zu bezahlen.

Der Kläger hat beantragt, die Hilfswiderklage abzuweisen.

Das Landgericht hat einen Handelsvertreterausgleich in Höhe von 100.718,10 € netto (= 119.854,53 € brutto) zuerkannt, ferner eine weitere Provisionsforderung von 19.411,06 € netto (= 23.099,16 € brutto) wegen unberechtigten Abzugs von Werbekostenzuschüssen. Die weitergehende Forderung wegen der Werbekostenzuschüsse hat es für verjährt erachtet. Die weitergehende Forderung wegen der Retoure Müller hat das Landgericht für unbegründet erachtet. Die Hilfsaufrechnung wegen weiterer Retouren hat das Landgericht durchgreifen lassen. Über die Hilfswiderklage hat das Landgericht mangels Bedingungseintritts nicht entschieden. Ferner hat es anteilig die geltend gemachten vorgerichtlichen Kosten zuerkannt.

Das Landgericht hat die Beklagte daher verurteilt, an die Klägerin netto 97.517,67 € (= brutto 116.046,02 €) nebst 8 Prozentpunkten Zinsen über dem Basiszinssatz sowie weitere 1.760,20 € nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 20.7.2011 zu bezahlen, und die weitergehende Klage abgewiesen. Auf Tatbestand und Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils wird Bezug genommen.

Mit ihrer zulässigen, insbesondere form- und fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung verfolgt die Beklagte ihr erstinstanzliches Begehren, soweit ihm nicht entsprochen wurde weiter. Mit Schriftsatz vom 7.2.2014 hat der Kläger Anschlussberufung eingelegt, diese aber mit Schriftsatz vom 17.3.2014 zurückgenommen.

Die Beklagte beantragt:

(1) Das Urteil des Landgerichts München I vom 22.5.2013 (Az.: 30 O 25944/11) wird aufgehoben, soweit die Klage nicht bereits in Höhe von € 3.557,83 zuzüglich Umsatzsteuer, mithin € 4.364,71 brutto (verjährte Werbekostenzuschüsse) und in Höhe von € 4.976,97 zuzüglich Umsatzsteuer, mithin € 5.922,59 brutto (Retoure M.) abgewiesen wurde.

(2) Die Klage wird abgewiesen.

(3) Die von der Beklagten hilfsweise erklärte Aufrechnung mit einer Forderung aus Retouren in Höhe von € 22.611,49 zuzüglich Umsatzsteuer, mithin € 26.907,67 inklusive Umsatzsteuer, wird aufrechterhalten.

(4) Die von der Beklagten hilfsweise für den Fall erhobene Widerklage, dass das Gericht die Klageforderung abweist, ohne dass die hilfsweise Prozessaufrechnung zu Tragen kommt oder die im Wege der hilfsweisen Prozessaufrechnung geltend gemachte Aufrechnungsforderung nicht verbraucht ist, wird aufrechterhalten mit dem Antrag, den Kläger zu verurteilen, an die Beklagte einen Betrag in Höhe von 22.611,49 € zuzüglich Umsatzsteuer, mithin € 26.907,67 inklusive Umsatzsteuer [nebst gestaffelten Zinsen] zu bezahlen.

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Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

B.

Die Berufung erweist sich in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang als begründet. Im übrigen war sie als unbegründet zurückzuweisen.

I.

In der Hauptsache steht dem Kläger ein Betrag von 64.003,15 € netto (= 76.163,25 € brutto) zu.

1. Der Kläger hat Anspruch auf einen billigen Handelsvertreterausgleich gemäß § 89 b HGB in Höhe von 67.203,16 netto (= 79.971,76 € brutto).

a) Ein Anspruch auf Handelsvertreterausgleich steht dem Kläger dem Grunde nach zu, weil der Beklagte aus den vom Kläger geworbenen Kunden nach Beendigung des Vertragsverhältnisses zwischen den Parteien nach wie vor erhebliche Vorteile hat (§ 89 b Abs. 1 Nr. 1 HGB).

Die Parteien haben in Ziff. 2.2. des Handelsvertretervertrags zwischen ihnen geregelt, dass die in Anlage 1 zum Vertrag genannten Kunden vom Kläger für die Beklagte geworben worden sind. Mit dem Landgericht kann dies nur so verstanden werden, dass es sich dabei nach den Vorstellungen der Parteien bei Vertragsschluss um die für die Berechnung eines Handelsvertreterausgleichs relevanten Kunden handeln soll. Dies folgt zum einen daraus, dass sich der Wortlaut der Ziff. 2.2. am gesetzlichen Wortlaut des § 89 b Abs. 1 Nr. 1 HGB orientiert. Zum anderen handelt es sich – wie gerichtsbekannt ist – um eine in gleicher oder ähnlicher Form häufig in Handelsvertreterverträgen verwendete Klausel, die primär den Streit nach Beendigung des Vertrags vermeiden soll, welche Kunden der Handelsvertreter neu geworben hat. Die in Anlage 1 zum Handelsvertretervertrag genannten Kunden gelten daher nach dem übereinstimmenden Willen der Parteien bei Vertragsschluss als vom Kläger geworben im Sinne von § 89 b Abs. 1 Nr. 1 HGB.

b) Bei der Berechnung des Rohausgleichs zur Abschätzung der dem Kläger entgehenden Provisionen bzw. der der Beklagten aufgrund der früheren Tätigkeit des Klägers verbleibenden Vorteile geht der Senat von einer vom Kläger im letzten Jahr seiner Tätigkeit erzielten Provision von 59.781,64 € netto aus.

aa) Zu berücksichtigen sind nur Provisionen, die der Kläger für Geschäfte mit Kunden, die er (rechtlich gesehen) geworben hat, erzielt hat. Dies sind die in Anlage 1 zum Vertrag zwischen den Parteien genannten Kunden. Hiernach ergeben sich nach dem im Detail unwidersprochenen Beklagtenvortrag Nettoprovisionen in Höhe von 82.393,13 €.

Hinsichtlich der für Geschäfte mit anderen Kunden im letzten Jahr der Tätigkeit des Klägers erzielten Provisionen ist zwischen den Parteien streitig, ob diese Kunden vom Kläger geworben wurden. Dies muss im Ergebnis zu Lasten des hierfür darlegungs- und beweispflichtigen Klägers gehen. Die Beklagte beruft sich darauf, diese Kunden aufgrund von Zentrallistungsvereinbarungen schon gekannt zu haben, während der Kläger einwendet, seine Tätigkeit sei zumindest mitursächlich gewesen, weil auch ein zentral gelisteter Kunde nur dann Bestellungen tätige, wenn er im Einzelfall aufgesucht und angesprochen werde. Letzteres Argument greift zu kurz. Zwar trifft wohl zu, dass der Kunde ein konkretes Geschäft trotz Zentrallistung nur tätigt, wenn er im Einzelfall angesprochen wird. Dies führt aber nicht zu der Annahme, dass damit der Kläger den zentral gelisteten Kunden für die Beklagte geworben habe.

Insoweit liegt der Fall nicht anders, wie wenn ein Handelsvertreter ein Geschäft mit einem Kunden aus einem übernommenen Bestand tätigt; dieser Kunde ist kein Neukunde und wird bei der Berechnung des Handelsvertreterausgleichs nicht berücksichtigt.

bb) Im Ausgangspunkt zu Recht führt der Kläger aus, dass bei der Berechnung der Provision des letzten Jahres der Tätigkeit des Klägers an sich die vom Beklagten zu Unrecht (dazu unten I.2.) abgezogenen Werbekostenzuschüsse berücksichtigt werden müssten. Dies gilt jedoch wiederum nur für die Werbekostenzuschüsse an vom Kläger geworbene Kunden. Der Kläger hat unwidersprochen schon mit der Klageschrift einen Abzug von Werbekosten für das letzte Jahr seiner Tätigkeit von insgesamt 7.320,07 € vorgetragen. Er schlüsselt jedoch nicht auf, für welche Kunden (Kunden aus Anlage 1 bzw. sonstige, nach den vorstehenden Ausführungen nicht berücksichtigungsfähige Kunden) diese Werbekostenzuschüsse jeweils gewährt wurden. Der Senat vermag dies auch aufgrund der von den Parteien vorgelegten Anlagen nicht abschließend zu beurteilen. Die zu Unrecht abgezogenen Werbekostenzuschüsse müssen daher bei der Berechnung des Rohausgleichs im Ergebnis außer Betracht bleiben.

cc) Abzuziehen waren Retouren in Höhe von netto 22.611,49 €. Dass dem Kläger insoweit kein Provisionsanspruch zustand, steht rechtskräftig fest (vgl. unten I.4.). Zu Recht hat das Landgericht bei der Ermittlung des Rohausgleichs diese Retouren voll im letzten Jahr der Tätigkeit des Klägers berücksichtigt. Nicht maßgeblich ist entgegen der Auffassung des Klägers das Jahr der Bestellung der später retournierten Ware, weil die Parteien die angefallenen Provisionen offensichtlich im Sinne eines Kontokorrents abrechneten, also je Periode die darin angefallenen Provisionen und Retouren gegenrechneten, so dass sich über die Jahre letztlich ein Ausgleich von Bestellungen und Retouren und damit allenfalls ein minimaler Einfluss auf die Ermittlung eines billigen Handelsvertreterausgleichs ergibt.

Von den genannten 82.393,13 € waren daher 22.611,49 € abzuziehen. Damit ergeben sich berücksichtigungsfähige Provisionseinnahmen des Klägers für das letzte Jahr seiner Tätigkeit von 59.781,64 €.

c) Zur Abschätzung der dem Kläger durch die Kündigung entgehenden Provisionen und korrespondierend der der Beklagten durch die bisherige Tätigkeit des Klägers verbleibenden Vorteile geht der Senat von einem Prognosezeitraum von drei Jahren und einer jährlichen Abwanderungsquote von 20 Prozent aus.

Üblich ist ein Prognosezeitraum von zwei bis fünf Jahren, der nach den Umständen des Einzelfalls zu bemessen ist. Im vorliegenden Fall wäre – darin ist dem Landgericht zuzustimmen – die Obergrenze bei vier Jahren zu ziehen, da im Jahr 2015 (also vier Jahre nach Ende des Handelsvertretervertrags) mit einer Umstellung des Sortiments der Beklagten auf „Video on demand“ und damit mit einer Änderung des Vertriebskonzepts der Beklagten zu rechnen ist.

Dem Senat erscheint es dabei nicht angemessen, diesen Maximalzeitraum voll auszuschöpfen, zumal es sich bei den von der Beklagten derzeit vertriebenen Produkten (insbesondere Spielfilme auf CDs) nicht um langlebige Wirtschaftsgüter handelt. Angemessen und realistisch erscheint vielmehr ein Prognosezeitraum von drei Jahren, der sich in der Mitte zwischen dem Mindestzeitraum von zwei Jahren und dem Maximalzeitraum von vier Jahren bewegt.

Ebenso erscheint die Annahme einer jährlichen Abwanderungsquote von 20 Prozent realistisch. Die Beklagte beliefert hauptsächlich Stamm- und Großkunden, so dass eine Abwanderung tendenziell eher unwahrscheinlich erscheint, aber auch nicht ausgeschlossen ist. Umgekehrt würde die Abwanderung auch nur eines dieser Großkunden sogleich massiv ins Gewicht fallen. Der Senat schätzt (§ 287 ZPO) daher die voraussichtliche Abwanderungsquote auf 20 Prozent.

Auf dieser Basis ergibt sich für das erste Prognosejahr ein voraussichtlicher Handelsvertreterausgleich (netto) von (59.781,64 € abzüglich 20 % =) 47.825,31 €, für das zweite Prognosejahr ein voraussichtlicher Handelsvertreterausgleich von (47.825,31 € abzüglich 20 % =) 38.260,25 € und für das dritte Prognosejahr von (38.260,25 € abzüglich 20 % =) 30.608,20 €. In Summa entgehen dem Kläger für den Prognosezeitraum voraussichtliche Provisionen von 116.693,76 € netto.

d) Dieser Betrag ist nach allgemeinen finanzmathematischen Regeln für die Dauer von drei Jahren abzuzinsen. Der Senat folgt dem Landgericht in der Einschätzung, dass angesichts der niedrigen Inflationsrate ein Abzinsungssatz von jährlich 5 Prozent angemessen erscheint. Dabei ergibt sich nach der auch vom Kläger herangezogenen Formel (nicht abgezinster Betrag mal [1 geteilt durch [1 + 0,05] hoch 3]) ein Abzinsungsfaktor von 0,86384 und mithin ein abgezinster Betrag von 100.804,73 € (netto).

e) Unter Gesamtwürdigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere der im nachfolgenden darzustellenden, erscheint dem Senat hiervon ein Billigkeitsabschlag von einem Drittel angemessen. Dies ergibt einen Rohausgleichsbetrag von 67.203,16 € (netto).

Zu berücksichtigen war dabei, dass der Kläger vor allem Großkunden betreute, was ihm seine Tätigkeit im Vergleich zu vielen anderen Handelsvertretern massiv erleichterte. Hinzu kommt, dass die Beklagte hinsichtlich der von ihr vertriebenen Filme exklusive Vertriebsrechte hatte, was die Tätigkeit des Klägers ebenfalls erleichterte.

Unter dem Gesichtspunkt der Erleichterung der Tätigkeit des Klägers spricht für einen (insoweit allerdings moderaten) Billigkeitsabschlag weiterhin, dass der Kläger für ein weiteres Unternehmen, nämlich eine Firma Ascot, die ähnliche Produkte wie die der Beklagten vertreibt, als Handelsvertreter tätig war. Dabei kann letztlich dahin stehen, ob die Beklagte damit gegen die Wettbewerbsklausel in Ziff. 8 des Vertrages zwischen den Parteien verstoßen hat. Denn jedenfalls wusste die Beklagte von der Konkurrenztätigkeit und hat sie nicht zum Anlass für eine Abmahnung oder gar außerordentliche Kündigung genommen. Damit liegt ein allenfalls geringer Vertragsverstoß des Klägers vor. Die Berücksichtigung der Konkurrenztätigkeit beim Billigkeitsabschlag resultiert daher nicht so sehr aus einer Vertragsverletzung des Klägers, sondern aus der Tatsache, dass die Konkurrenztätigkeit dem Kläger, auch soweit er für die Beklagte tätig war, die Arbeit erleichterte, weil er bei jedem Kundenbesuch sowohl Produkte der Beklagten als auch solche von Ascot anbieten konnte und damit jeweils einen zweiten Kundenbesuch erspart hat.

Mit diesem Ansatz sind aber nach Ansicht des Senats eventuell ersparte Aufwendungen des Klägers nach Kündigung mit abgegolten, so dass insoweit kein weiterer Abschlag geboten erscheint.

Ebenso wenig rechtfertigt die Zentrallistung von Großkunden einen weitergehenden Billigkeitsabschlag, als er mit Blick auf die Großkundeneigenschaft als solche schon vorgenommen wurde. Dem Senat erscheint – wie bereits angedeutet – plausibel, dass der Kläger auch die zentral gelisteten Kunden besuchen musste, um Umsätze zu erzielen. Im übrigen fließen zentral gelistete, aber nicht in Anlage 1 zum Vertrag zwischen den Parteien genannte Kunden wie dargestellt ohnehin nicht in die Rohausgleichsberechnung ein.

Auch einen Abschlag wegen einer sog. „Sogwirkung der Marke“ hält der Senat vorliegend angesichts des relativ geringen Marktanteils der Beklagten (mag sie insoweit auch Exklusivvertriebsrechte gehabt haben) und der aus den vorgelegten Anlagen ersichtlichen Tatsache, dass die von der Beklagten vertriebenen Spielfilme großenteils nicht eben „Blockbuster“ waren, nicht für gerechtfertigt.

Nach alledem erscheint dem Senat unter nochmaliger Abwägung aller Umstände des Einzelfalls ein Netto-Rohausgleich in Höhe der errechneten 67.203,16 € billig im Sinne von § 89 b Abs. 1 Nr. 2 HGB. Dieser Betrag erreicht nicht den Höchstbetrag im Sinne von § 89 b Abs. 2 HGB. Gründe, die den Anspruch nach § 89 b Abs. 3 HGB ausschließen würden, sind nicht ersichtlich.

f) Da nach Ziff. 6.2. des Vertrages zwischen den Parteien Provisionen zuzüglich gesetzlicher Umsatzsteuer geschuldet sind, muss dies auch für den Handelsvertreterausgleich gelten. Damit ergibt sich ein Handelsvertreterausgleich von brutto 79.971,76 €.

2. Zu Recht hat das Landgericht dem Kläger einen weiteren Provisionsanspruch in Höhe von netto 19.411,06 € (= brutto 23.099,16 €) wegen unberechtigt abgezogener Werbekostenzuschüsse zuerkannt. Die Klageforderung erhöht sich damit auf 86.614,22 € netto (= 103.070,92 € brutto).

a) Als nicht tragfähig erachtet der Senat den Einwand der Beklagten, wonach sich aus Ziff. 7.1. des Vertrages zwischen den Parteien ergebe, dass Werbungskostenzuschüsse bei der Provisionsberechnung zu berücksichtigen seien. Dabei kann unterstellt werden, dass Werbekostenzuschüsse Sonderkonditionen im Sinne der genannten Vertragsklausel sind (so dass das hierzu angebotene Sachverständigengutachten nicht zu erholen war). Ziff. 7.1. des Vertrages regelt nämlich Sonderkonditionen, die der vorherigen Zustimmung der Beklagten bedürfen. Gemeint können also nur Sonderkonditionen sein, die der Handelsvertreter/Kläger den Kunden gewährt. Gegenständlich sind dem gegenüber Werbekostenzuschüsse die die Beklagte ihren Kunden gewährt. Solche sind nach dem eindeutigen Wortlaut von Ziff. 7.1. nicht erfasst. Dass sie entgegen dem Wortlaut gemeint gewesen sein sollen, erschließt sich dem Senat nicht. Die Regelung ist bestenfalls unklar, was zu Lasten der Beklagten als Erstellerin des Vertragswerks gehen muss.

Auch ist plausibel, dass der Kläger Sonderkonditionen, die er selbst ausgehandelt hat, bei der Provisionsberechnung berücksichtigen muss. Über Sonderkonditionen, die die Beklagte ohne Zutun des Klägers ihren Kunden gewährt, ist damit noch nichts ausgesagt.

b) Ein starkes Indiz für die Nichtberücksichtigung derartige Werbekostenzuschüsse bei der Provisionsberechnung ergibt sich – wie das Landgericht im Ansatz zutreffend annimmt – aus der Zusammenschau der Regelungen der Ziffern 6.1.1. und 6.1.2. des Vertrages zwischen den Parteien. In Ziff. 6.1.1. ist geregelt, dass bei zwei Kunden (emp entertainment; Thomas L.) die Provisionsberechnung „nach Abzug der WKZ-Rechnungen“ erfolgt. Die Tatsache, dass die Parteien dies bei zwei Kunden für regelungsbedürftig hielten, legt die Annahme nahe, dass Entsprechendes bei anderen Kunden nicht gewollt war.

Dass die Parteien dies so verstanden haben (also im Normalfall Provisionsberechnung ohne Berücksichtigung von Werbekostenzuschüssen) wird auch illustriert durch die Tatsache, dass die Provisionsberechnung im ersten Jahr der Laufzeit des Vertrages zwischen den Parteien ohne Abzug von Werbekostenzuschüssen erfolgte, ferner dadurch, dass die Beklagte im Rahmen des Vertriebsmeetings vom 19.7.2007 die Zustimmung ihrer Handelsvertreter zur künftigen Berücksichtigung der Werbekostenzuschüsse bei der Provisionsberechnung zu erlangen suchte. Nach allem ist der Senat davon überzeugt, dass nach dem ursprünglichen Vertrag zwischen den Parteien Werbekostenzuschüsse (außer bezüglich der in Ziff. 6.1.1. des Vertrages genannten Kunden) bei der Provisionsberechnung nicht zu berücksichtigen sind.

c) Zu einer wirksamen Änderung dieser ursprünglichen Regelung ist es nicht gekommen. Eine schriftliche Änderungsvereinbarung ist nicht ersichtlich. Eventuellen mündlichen Vereinbarungen stünde die doppelte Schriftformklausel in Ziff. 9.2. des Vertrages zwischen den Parteien entgegen. Auf die Frage, ob auf dem genannten Vertragsmeeting eine derartige Vereinbarung getroffen wurde, und auf die vom Landgericht hierzu vernommenen Zeugen kommt es somit nicht an.

3. Aufgrund der Rücknahme der (ohnehin verfristeten) Anschlussberufung ist die Klage hinsichtlich eines weiteren Provisionsanspruchs wegen des Abzugs der Retoure M. rechtskräftig abgewiesen. Der Senat hat hierüber nicht mehr zu entscheiden.

4. Aus dem selben Grund ist das angegriffene Urteil auch rechtskräftig, soweit es die Klage wegen Durchgreifens der Hilfsaufrechnung abgewiesen hat. Die zur Aufrechnung gestellte Forderung von 22.611,49 € netto (= 26.907,67 € brutto) ist daher ohne weitere Sachprüfung von dem oben ermittelten Betrag von 86.614,22 € netto (= 103.070.61 brutto) abzuziehen, so dass sich der in der Hauptsache zuzuerkennende Betrag von 64.002,73 € netto (= 76.163,25 € brutto) ergibt.

Zu Unrecht beanstandet der Kläger, dass in der vorstehenden Berechnung die Retouren doppelt abgezogen wurden. Dies entspricht vielmehr der Sach- und Rechtslage. Bei der Berechnung des Rohausgleichs sind die Retouren zu berücksichtigen, weil sie im Ergebnis zu niedrigeren Provisionen führen. Bei der insgesamt auf die Klage zuzusprechenden Summe sind die Retouren nochmals zu berücksichtigen, weil aufgrund der rechtskräftigen Entscheidung über die Aufrechnungsforderung eine diesbezügliche Überzahlung durch die Beklagte feststeht, die Beklagte insoweit also einen Anspruch auf Rückzahlung hatte, welchen sie durch die Erklärung der Aufrechnung geltend gemacht hat.

5. Hinsichtlich der Zinsentscheidung wird auf die Ausführungen im angegriffenen Urteil Bezug genommen.

II.

Die Erstattung vorgerichtlicher Kosten unter dem Gesichtspunkt des Verzuges steht dem Kläger hiernach nur aus einem Gegenstandswert von 76.163,25 € zu. Damit ergibt sich bei einem Ansatz von 1,3 Gebühren gemäß VV 2300 ein Betrag von 1.560,- €. Die Erstattung der Kommunikationspauschale (VV 7002) hat der Kläger nicht beantragt. Dies gilt auch für die Umsatzsteuer (VV 7008), zumal ohnehin Vorsteuerabzugsberechtigung vorliegen dürfte.

III.

Über die Hilfswiderklage war auch in der Berufungsinstanz nicht zu entscheiden. Die Bedingung, unter der sie erhoben wurde, ist nicht eingetreten, da die geltend gemachte Forderung durch die Hilfsaufrechnung verbraucht ist.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 92 Abs. 1, 97 Abs. 1, 516 Abs. 3 ZPO. Für die zweite Instanz war dabei insbesondere die zurückgenommene Anschlussberufung zu berücksichtigen, deren Kosten der Kläger zu tragen hat, die aber hinsichtlich der entstandenen Gebühren nicht so stark ins Gewicht fiel wie der streitig entschiedene Teil des Streitgegenstands.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat der Rechtsstreit grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalls, insbesondere die zwischen den Parteien getroffenen vertraglichen Regelungen und die Parameter zur Bemessung eines billigen Handelsvertreterausgleichs.

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