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Altlasten – Hinweispflicht auf mögliche Kontamination

 Bundesgerichtshof

Az.: V ZR 218/98

Urteil vom 01.10.1999

Vorinstanzen: OLG Zweibrücken, LG Kaiserslautern


Leitsatz:

Das Liegenschaftsamt einer kommunalen Selbstverwaltungskörperschaft ist als Verkäufer eines Grundstücks selbst auf die gezielte Frage nach Altlasten ohne dahingehende Anhaltspunkte nicht verpflichtet, sämtliche die Nachbargrundstücke betreffenden Akten auf – bis zu 30 Jahre zurückliegende – Hinweise auf eine mögliche Kontamination des Vertragsobjekts durchzusehen.


Der V. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat auf die mündliche Verhandlung vom 1. Oktober 1999 für Recht erkannt:

Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des 7. Zivilsenats des Pfälzischen Oberlandesgerichts Zweibrücken vom 25. Mai 1998 aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweiten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Revisionsverfahrens, an das Berufungsgericht zurückverwiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Mit notariellem Vertrag vom 20. Dezember 1991 kaufte die Klägerin von der Beklagten ein innerstädtisches Grundstück von 2.402 qm, um eine Wohnanlage zu errichten. Das Kaufgrundstück, das der Beklagten im Rahmen eines Umlegungsverfahrens 1989 zugeteilt worden war, war früher, wie beiden Parteien bekannt war, als Fabrikgelände für eine Kleiderfabrik genutzt worden. Im Rahmen einer Maßnahme nach dem Städtebauförderungsgesetz wurde das ehemalige Fabrikgebäude 1986 abgerissen und das Gelände danach als Parkplatz benutzt. Das Grundstück ist nicht als altlastenverdächtig im Altlastenkataster aufgenommen. Im Kaufvertrag heißt es unter V 2:

„Für die angegebene Flächengröße sowie die Beschaffenheit des Grund und Bodens, insbesondere im Hinblick auf dessen Eignung als Baugrund, leistet der Verkäufer keine Gewähr. Besondere Eigenschaften sind nicht zugesichert.

Der Verkäufer versichert, dass ihm im Hinblick auf die Bodenbeschaffenheit keinerlei Altlasten (Kontaminationen) bekannt sind. Der Verkäufer leistet jedoch keine Gewähr, dass keinerlei solcher Altlasten bestehen. Der Verkäufer hat den Käufer darauf hingewiesen, dass der Käufer auf eigene Kosten gutachtliche Bodenuntersuchungen veranlassen konnte.“

Nach Beginn der Aushubarbeiten für die Tiefgarage stieß die Beklagte im Februar 1993 an vier Stellen des gesamten Baugrundstücks auf kontaminiertes Erdreich; die Kontaminationsstellen „Lagertank“ und „Tanksäulen“ befinden sich auf dem von der Beklagten erworbenen Grundstücksteil; sie beruhen auf einer Nutzung des Geländes durch ein Omnibusunternehmen mit Eigenbetankungsanlage aus der Zeit um 1960 herum.

Die Klägerin hat zunächst die Feststellung begehrt, dass die Beklagte ihr wegen arglistigen Verschweigens des möglichen Altlastenverdachtes zum Schadensersatz wegen der Mehrkosten für die Müllablagerung verpflichtet sei. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat der Klage, mit der die Klägerin nunmehr Zahlung von 927.513,27 DM fordert, dem Grunde nach stattgegeben.

Mit ihrer Revision erstrebt die Beklagte weiterhin die Abweisung der Klage. Die Klägerin beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Entscheidungsgründe:

I.

Das Berufungsgericht hält die Schadensersatzklage gemäß § 463 Satz 2 BGB dem Grunde nach für gerechtfertigt. Die Beklagte habe der Klägerin die durch Nachfrage leicht zu ermittelnde Möglichkeit einer Bodenverunreinigung des Grundstücks durch den früheren Tankstellenbetrieb auf dem verkauften Gelände arglistig verschwiegen. Denn beim Bauamt der Beklagten sei Aktenwissen über ein solches Bodenrisiko vorhanden gewesen. In der Eingabe eines Nachbarn an das Stadtbauamt vom 12. Oktober 1959 sei von der Errichtung einer „Tankstellenanlage“ die Rede, und in einem auf den 20. November 1962 datierten Lageplan seien „Tanksäulen“ auf dem später an die Klägerin verkauften Gelände ausgewiesen. Zudem belege eine Aktennotiz der Beklagten vom 1. November 1993, dass alsbald nach Feststellung der Bodenverunreinigungen „wieder gegenwärtiges Wissen um eine Vornutzung“ der an die Klägerin verkauften Grundstücksflächen durch ein „Busunternehmen mit Eigenbetankungsanlage“ vorhanden gewesen sei. Der Erhebung der angebotenen Beweise zum Wissen der Beklagten bedürfe es deshalb nicht mehr.

Dagegen wendet sich die Revision mit Erfolg.

1.

Ohne Rechtsfehler geht das Berufungsgericht zwar von einem Mangel des Grundstücks durch Bodenverunreinigungen im Bereich der früheren Zapfsäulen und Tankanlagen und davon aus, dass die Beklagte die Klägerin – bei entsprechender Kenntnis – auch über einen früheren Tankbetrieb aufzuklären hatte, weil sich eine Offenbarungspflicht schon aus der bloßen Möglichkeit einer Bodenverunreinigung mit Schadstoffen ergibt (Senatsurt. v. 3. März 1995, V ZR 43/94, WM 1995, 849). Die Revision wendet sich dagegen nicht.

Richtig geht das Berufungsgericht auch davon aus, dass eine Zurechnung in Betracht kommt, wenn – bei nur aktenmäßig vorhandenem Wissen aus früherer Zeit – die Gemeinde entweder einer ihr obliegenden Pflicht, Wissen zu speichern, nicht nachgekommen ist oder trotz einer aus konkretem Anlass gebotenen Pflicht, eine solche Information von dem Verhandlungsführer beim Bauamt nicht abgefragt hat (Senat, BGHZ 132, 30, 37).

2.

Zu Recht macht die Revision jedoch geltend, dass die vom Berufungsgericht BU 14 hervorgehobenen Anhaltspunkte weder einzeln noch zusammengenommen eine Wissenszurechnung zulassen.

a) Es fehlt schon an einem ausreichenden Vortrag der Klägerin dazu, dass der Verhandlungsführer für die Gemeinde, der Vermessungsdirektor H…, seine zwar grundsätzlich bestehende Informationsabfragepflicht nicht hinreichend wahrgenommen hat. Die Klägerin hat dazu keine Tatsachen vorgetragen, sondern eine Pflichtverletzung lediglich daraus gefolgert, dass H… bei einer Abfrage die bei der Gemeinde vorhandenen zwei Unterlagen aus den Jahren 1959 und 1962 hätten bekannt werden müssen. Dieser Vortrag reicht jedoch nicht aus. Eine Nachfrage des Liegenschaftsamtes das Kaufgrundstück betreffend beim Bau- und beim Umweltamt konnte zu keinen Erkenntnissen über eine mögliche Bodenbelastung führen, weil das Grundstück weder im Altlastenkataster registriert noch beim Bauordnungsamt Unterlagen oder gar eine Genehmigung für die Errichtung einer Tank- und Zapfanlage vorhanden waren. Das Liegenschaftsamt war – auch auf eine gezielte Frage nach Altlasten hin – nicht verpflichtet, sämtliche die Nachbargrundstücke betreffenden Akten nach Zufallsinformationen abzufragen. Der Senat hat ausdrücklich darauf abgehoben, dass die Informationssuche am Zeitablauf, der Bedeutung des Anlasses und der Schwierigkeit der Suche zu messen sei (BGHZ 132, 30, 39). Die Suche kann danach nur bei besonderen – hier nicht einmal behaupteten – Umständen auch die Durchsicht nicht das fragliche Grundstück selbst betreffender Akten umfassen; hier ist zudem zu berücksichtigen, dass die Informationen rund 30 Jahre zurückliegen und nur bei gezielter Durchsicht zahlreicher, andere Gegenstände betreffender, Schreiben herausgearbeitet werden konnten. Die Auferlegung einer derart weit reichenden Nachforschungspflicht geht über die vom Senat herausgearbeiteten Kriterien hinaus, die bezwecken, den Vertragspartner einer fiskalisch handelnden politischen Gemeinde nicht schlechter aber auch nicht besser zu stellen, als eine Privatperson. Die Gemeinde würde jedoch schlechter gestellt, wenn man jedes theoretisch verfügbare Wissen des einen Amtes mit der Begründung, es habe eine Nachforschungspflicht bestanden, dem anderen Amt zurechnen wollte (vgl. Senat aaO S. 36 und BGH, Urt. v. 1. Januar 1989, III ZR 261/87 und IM ZR 277/87, NJW 1987, 2897 und 2881).

Es trifft auch nicht zu, dieses Wissen sei bei einer gezielten Nachsuche „ohne weiteres“ abzufragen gewesen. Soweit das Berufungsgericht dies allein daraus folgert, das im Februar von der Beklagten bei der ICP in Auftrag gegebene Gutachten sei bereits am 12. März fertig gestellt gewesen, übergeht es, dass ausweislich der Erläuterungen in dem umfänglichen Gutachten lediglich die zwei vom Berufungsgericht genannten Dokumente von 1959 und 1962 nach „intensiven Recherchen“ und dann auch nur „an versteckter Stelle“ zutage gefördert werden konnten. Derartige intensive Recherchen an versteckter Stelle verlangt die Informationsabfragepflicht nicht.

b) Die Beklagte war auch nicht verpflichtet, die in den beiden Dokumenten enthaltenen Informationen gesondert zu speichern mit der Folge, dass eine Informationssuche ohne weiteres zu einer Wissensvermittlung geführt hätte. Hierzu bestand nicht nur deshalb keine Veranlassung, weil es sich um Angaben aus dem Jahre 1959 und 1962 handelte; eine Speicherung war auch deshalb nicht veranlasst, weil es sich lediglich um vage Hinweise in anderen Vorgängen handelte. Es ging nicht um Informationen, „die typischerweise aktenmäßig festgehalten werden“ (Senat BGHZ 109, 327, 332). Letzteres wird für Informationen aus der Zeit vor der allgemeinen Einführung der elektronischen Datenverarbeitung ohnehin nur eingeschränkt der Fall sein (vgl. Senat BGHZ 117, 104, 108) und trifft nicht auf Vorgänge zu, die in einer anderen Angelegenheit versteckte Hinweise auf die mögliche Kontamination eines dritten Grundstücks enthalten. So liegt es aber hier; bei dem Schreiben vom 12. Oktober 1959 handelt es sich um einen langen Beschwerdebrief, in dem der Nachbar mit der -unrichtigen – Behauptung, dass im gleichen Gebiet u. a. eine Tankstelle genehmigt worden sei, Rechte gegen eine Abrissverfügung eines von ihm ohne Genehmigung errichteten Gebäudeteils herzuleiten sucht. Ein Anlass, diese wenig bestimmte Information zu speichern, ist nicht ersichtlich. Soweit es um den mit dem Baugesuch Nr. 742/62 vom 20. November 1962 eingereichten Übersichtsplan geht, ist nicht einmal nahe liegend, dass der Sachbearbeiter die in dem Plan eingezeichneten Tanksäulen überhaupt bemerkt hat, da sie in keinem Zusammenhang mit dem das Baugesuch betreffende Grundstück standen. Jedenfalls war auch hier kein Anlass gegeben nachzuforschen, ob die Tankanlage überhaupt genehmigt sei oder ob der Hinweis gespeichert werden müsse. Zudem ergab sich in beiden Fällen zu dieser Zeit (vgl. Senat BGHZ 132, 30, 38) keine Wahrscheinlichkeit, dass die Hinweise später rechtserheblich werden könnten. Denn um die Wende der sechziger Jahre existierte ein Problembewusstsein einer möglichen Bodenkontamination durch Tankanlagen jedenfalls nicht in einer Art, die eine Speicherung geboten erscheinen ließ.

c) Nicht tragfähig ist auch die Annahme des Berufungsgerichts, die Aktennotiz vom 1. März 1993 belege ein alsbald nach Feststellung der Bodenverunreinigungen „wieder gegenwärtiges Wissen“ der Beklagten um die frühere Nutzung des Grundstücks durch ein „Busunternehmen mit Eigenbetankungsanlage“. Denn die Notiz ist auf der Grundlage einer eingehenden Erörterung der Kontaminierungssituation, bei der auch die von der Klägerin mit den Nachforschungen beauftragte Firma ICP teilnahm, gefertigt worden, worauf die Revision zu Recht hinweist. Da die Firma ICP die beiden Informationen bei ihren nutzungshistorischen Nachforschungen zutage gefördert hat, liegt es nahe, dass sie die gefundenen Unterlagen in die Besprechung einbrachte. Denn es ist nicht ersichtlich und wird vom Berufungsgericht auch nicht dargelegt, welche weiteren Erkenntnismöglichkeiten der Beklagten bei der Besprechung ein „wieder gegenwärtiges Wissen“ vermittelt haben sollten. Selbst wenn jedoch die Beklagte nach der Aufdeckung der Bodenkontamination rund 14 Monate nach dem Kauf bei ihren deshalb angestellten Nachforschungen in den Unterlagen des Bauamtes auf die zwei Schreiben gestoßen sein sollte, handelt es sich nicht um ein bei Vertragsschluss gegenwärtiges, sondern um später ermitteltes Wissen. Darauf kommt es aber für Arglist zum Vertragszeitpunkt nicht an.

Mit der gegebenen Begründung kann das Urteil danach nicht von Bestand sein.

III.

Der Rechtsstreit ist nicht zur Entscheidung reif. Denn das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob dem Verhandlungsvertreter der Beklagten zum Zeitpunkt des Abschlusses des notariellen Kaufvertrages die Kontamination des Kaufgrundstücks bekannt gewesen ist. Dies wird noch aufzuklären sein.

 

 

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