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Anbringung einer Rankhilfe für Efeu an der Wand des Nachbarhauses – Beseitigungsanspruch

LG Berlin, Az.: 55 S 372/11, Urteil vom 09.07.2013

des Eigentümers und Anspruch auf Befreiung von naturschutzrechtlichem Verbot

1. Die Berufung der Beklagten gegen das am 11. Oktober 2011 verkündete Urteil des Amtsgerichts Tiergarten – 5 C 392/10 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten der Berufung zu tragen.

3. Das Urteil und das unter 1. genannte Urteil des Amtsgerichts Tiergarten sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von der Darstellung der tatsächlichen Feststellungen wird gemäß §§ 313a Absatz 1, 540 Absatz 2 ZPO abgesehen.

II.

1.

Die Berufung ist zulässig. Sie ist insbesondere nach § 511 Absatz 2 ZPO statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden, §§ 517, 519, 520 ZPO.

2.

Anbringung einer Rankhilfe für Efeu an der Wand des Nachbarhauses - Beseitigungsanspruch
Symbolfoto:taraki/Bigstock

Sie ist jedoch unbegründet. Das Amtsgericht hat der Klage zu Recht stattgegeben. Der Kläger hat einen Anspruch auf Beseitigung von Efeu und Rankgitter an der parallel zur Straße … verlaufenden, zu seinem Eigentum gehörenden Wand zwischen den Grundstücken … und … aus § 1004 Absatz 1 Satz 1 BGB.

a) Die Klage ist zulässig. Insbesondere hat der Kläger auch das notwendige Rechtsschutzbedürfnis. Auch für den Fall, dass die notwendige Befreiung zur Beseitigung des Efeus durch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt nur mit der Nebenbestimmung erteilt würde, Rankgitter und Efeu wieder in der ursprünglichen Form anzubringen, besteht aufgrund des Sanierungsbedarfs an der dem Kläger gehörenden Wand ein Rechtsschutzbedürfnis für die gegebenenfalls nur zwischenzeitliche Entfernung des Efeus zum Zwecke der Durchführung der Sanierung. Zudem ist die Frage, ob eine Befreiung notwendig ist, Gegenstand einer umfangreichen Güterabwägung. Kann aber die Schützwürdigkeit der klägerischen Position erst nach näherer Prüfung der materiellen Rechtslage beurteilt werden, darf das Rechtsschutzbedürfnis nicht verneint werden (Zöller/Greger ZPO, 29. Aufl. Vor § 253 Rn. 18).

b) Entgegen der im Termin vom 6. Juli 2012 geäußerten Rechtsansicht war der Tenor des mit der Berufung angegriffenen Urteils des Amtsgerichts Tiergarten nicht von Amts wegen zu ändern. Der Tenor des Urteils des Amtsgerichts vom 11. Oktober 2011 hat einen vollstreckungsfähigen Inhalt und ist nicht zu beanstanden. Für die Beseitigungsanordnung ist unerheblich, ob die Mieter oder die Beklagte selbst das zu beseitigende Efeu bzw. das Rankgitter angebracht haben. Die Beklagte ist passivlegitimiert (dazu unten d) und hat als Eigentümerin des Grundstücks auch die Verfügungsgewalt über das Efeu und damit die Möglichkeit, dieses samt Rankgitter zu beseitigen.

c) Das Anbringen des Rankgitters und des Efeus an der zu seinem Eigentum gehörenden Wand stellt einen Eingriff in das Eigentum des Klägers dar. Eigentumsbeeinträchtigung im Sinne von § 1004 Absatz 1 Satz 1 BGB ist jeder dem Inhalt des Eigentums in Sinne von § 903 BGB widersprechende Eingriff in die rechtliche oder tatsächliche Herrschaftsmacht des Eigentümers, wobei es auf einen konkreten Schaden oder eine tatsächliche Einwirkung auf die Sachsubstanz nicht ankommt (Palandt/Bassenge BGB 71. Aufl. § 1004 Rn. 6). In negativer Hinsicht gewährt § 903 BGB das Recht des Eigentümers, Einwirkungen Fremder auf die Sache auszuschließen. Das Anbringen des Rankgitters ist mit einem Eingriff in die Substanz der Wand des Klägers verbunden, weil es in dieser mit Schrauben o.ä. fixiert ist. Aber auch die Anpflanzung des rankenden Efeus ohne Einwilligung des Klägers greift in dessen tatsächliche Herrschaftsmacht über seine Wand ein und damit in sein Recht, Einwirkungen seitens Dritter zu verhindern. Der Kläger muss unabhängig von der Frage, ob mit der Einwirkung Schäden verbunden sind, einen solchen Eingriff nicht dulden.

d) Die Beklagte ist auch Störerin im Sinne von § 1004 BGB und damit passivlegitimiert. Hierbei kann dahinstehen, ob die Beklagte selbst Efeu und Rankgitter angebracht hat oder ob ihre Mieter dies im Jahre 2001 taten. Die Beklagte ist jedenfalls mittelbare Störerin und damit neben den unmittelbar handelnden Mietern aus § 1004 BGB passivlegitimiert. Dies folgt aus ihrer Eigenschaft als Eigentümerin und Vermieterin des Grundstücks … , in dessen Garten der Efeu an der Wand des Klägers gepflanzt wurde. Bereits das Reichsgericht ist in ständiger Rechtsprechung davon ausgegangen, dass der Eigentümer eines Grundstücks für Störungshandlungen seines Mieters verantwortlich gemacht werden kann, wenn er sein Grundstück dem Mieter mit der Erlaubnis zu jenen Handlungen überlassen hat oder wenn er es unterlässt, den Mieter von dem nach dem Mietvertrag unerlaubten, fremdes Eigentum beeinträchtigenden Gebrauch der Mietsache abzuhalten (vgl. RGZ 47, 162, 164; RGZ 97, 359, 363 f.; RGZ 134, 231, 234). Anknüpfungspunkt für die Zurechnung ist damit, dass der Vermieter die Verletzung des Nachbarrechts untätig duldet (Staudinger/Gursky BGB, 2006, § 1004 BGB Rn. 122). Dem hat sich die neuere Rechtsprechung angeschlossen (BGH NJW 2006, 992; NJW 1985, 2823; NJW 1959, 2013). Unterstellt, die Mieter der Beklagten hätten Efeu und Rankgitter angebracht, muss sich die Beklagte deren Verhalten nach den genannten Grundsätzen zurechnen lassen. Die Mieter haben das Efeu im Hof der Mietsache angepflanzt, d.h. an einem für den Vermieter zugänglichen Ort. Die Beklagte hätte daher Kenntnis von dem das Eigentum des Klägers beeinträchtigenden und unbestritten vertragswidrigem Verhalten haben können. Damit hatte sie auch die konkrete Möglichkeit, dieses Verhalten zu unterbinden, indem sie die Mieter zur Entfernung von Efeu und Rankgitter angewiesen hätte und dies gegebenenfalls gerichtlich durchsetzen hätte müssen. Auch ist nicht vorgetragen, dass die Beklagte zur Beseitigung der Störung – etwa aufgrund mietvertraglicher Verpflichtungen gegenüber ihren Mietern – nicht in der Lage ist. Dem ist die Beklagte nicht nachgekommen.

Nach § 265 ZPO ebenfalls ohne Belang für die Passivlegitimation der Beklagten ist die im Termin vom 6. Juli 2012 mitgeteilte Veräußerung des Grundstücks … an die … GmbH.

e) Der Kläger ist nicht aufgrund öffentlich-rechtlicher Vorschriften zur Duldung von Efeu und Rankgitter verpflichtet.

Der Anspruch aus § 1004 BGB setzt die Rechtwidrigkeit des Beeinträchtigungszustandes voraus und entfällt daher, wenn der Eigentümer ihn dulden muss. Dabei kann sich eine Duldungspflicht auch aus öffentlich-rechtlichen Vorschriften ergeben, so auch aus dem Naturschutzrecht (BGH NJW 1993, 925; LG Hechingen NJW 1995, 971).

aa) Ob sich eine Duldungspflicht hinsichtlich des Efeus und in der Folge des dieses stützenden Rankgitters aus § 44 Absatz 1 Nummer 3 des Bundesnaturschutzgesetzes (BNatSchG) und damit einer öffentlich-rechtlichen Vorschrift ergibt, die ein Verbot der Entnahme, Beschädigung oder Zerstörung von Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten enthält, kann vorliegend offen bleiben.

Zwischen den Parteien ist streitig, ob ein unter Umständen ganzjähriges Verbot des Entfernens des Efeus nach § 44 Absatz 1 Nummer 3 BNatSchG besteht. Gemäß § 44 Absatz 1 Nummer 3 BNatSchG ist es verboten, Fortpflanzungs- oder Ruhestätten der wild lebenden Tiere der besonders geschützten Arten aus der Natur zu entnehmen, zu beschädigen oder zu zerstören. Gemäß dem Schreiben des Bezirksamtes Mitte vom 8. Juli 2010, das nach einem Vororttermin mit der zuständigen Sachbearbeiterin Frau … erstellt wurde, stelle die seit 2001 begrünte Mauer inzwischen eine „Lebensstätte für Vögel“ dar, die „ganzjährigen Schutz“ genieße. Der Efeu an der Mauer berühre den besonderen Artenschutz, da dort Sperlinge und Rotschwanz brüten würden, die ihre Niststätten über mehrere Jahre hinweg nutzen würden und daher unter ganzjährigem Schutz stünden. Danach hätte an dem Tag des Vororttermins am 1. Juli 2010 „Anflug von Vögeln in den Efeu beobachtet werden“ können. Weiterhin beruft sich Frau … auf die Aussage „mehrerer Mietparteien des Hauses …“, nach deren Auskunft sich Vögel ganzjährig „auch außerhalb der Brutperiode“ im Efeu aufhielten. Gemäß § 7 Absatz 2 Nummer 13 Buchstabe b), bb), Nummer 12 BNatSchG i.V.m. Artikel 1 der Richtlinie 79/409/EWG stellen Haussperling und Hausrotschwanz besonders geschützte Arten i.S.v. § 44 BNatSchG dar (vgl. Artenschutz-Information Nr. 5 der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung – Sachgebiet Artenschutz – 1 zu § 10 Absatz 2 Nummer 10 b), bb) BNatSchG a.F., der jedoch inhaltsgleich mit § 7 Absatz 2 Nummer 12 Buchstabe. b), bb) ist). Zu den Fortpflanzungsstätten zählen insbesondere Neststandorte und Brutplätze. Zu den Ruhestätten zählen insbesondere Schlafplätze, Sommer- und Winterquartiere sowie Rast- und Sonnplätze. Hierbei umfasst der Schutz auch nicht ständig genutzte Bereiche und endet erst, wenn die Nutzung endgültig aufgegeben wurde (Lütkes/Ewer/Heugel, BNatSchG, 2011, § 44 Rn. 17). Durch die Beseitigung von Rankgitter und Efeu würden etwaig vorhandene Fortpflanzungs- oder Ruhestätten von ihrem Standort entfernt werden. Dies würde nicht nur ein Entfernen i.S.v. § 44 Absatz 1 Nummer 3 BNatSchG darstellen, sondern auch eine Zerstörung i.S.d. § 44 Absatz 1 Nummer 3 BNatSchG (Lütkes/Ewer/Heugel, BNatSchG, 2011, § 44 Rn. 18). Hierbei ist jedoch zu beachten, dass ein Verbot nach § 44 Absatz 1 BNatSchG nur dann in Betracht kommt, wenn die Fortpflanzungs- und Ruhestätten ganzjährig und damit dauerhaft von der geschützten Art genutzt wird. Wie dargelegt, endet der Schutz erst mit der endgültigen Aufgabe der Nutzung. So könnte der Schutzstatus grundsätzlich nach Ablauf einer Brutsaison oder nach Aufgabe der Ruhestätte enden, da manche Vögel im Folgejahr neue Nester bauen oder neue Ruhestätten aufsuchen. Bei einem solchen zeitlich befristeten Verbot könnte eine Entfernung des Efeus z.B. in den Wintermonaten erfolgen. Gemäß dem vom Beklagten eingereichten Schreiben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt vom 1. Februar 2012 (Bl. 144 ff. d. A.) kommt vorliegend ein dauerhaftes Verbot jedoch in Betracht, falls tatsächlich Haussperlingsnester in dem Bewuchs angelegt wurden. Diese Vögel sind nach der Mitteilung der Senatsverwaltung typische Gebäudebrüter, die ihre Nester mitunter auch in einem dichten Wandbewuchs in den baulichen Strukturen (Öffnungen/Spalten) anlegen, wie sie insbesondere bei sanierungsbedürftigen Fassaden zu finden seien. Haussperlinge weisen danach eine angestammte Bindung an ihre bestehenden Nistplätze auf und würden diese über Jahre hinweg nutzen. Wenn also zusammen mit der Efeubeseitigung zwangsläufig in dem Gehölz befindliche Haussperlingsnester entfallen, so wird wegen des dauerhaften Schutzstatus dieser Nester das Zugriffsverbot des § 44 Absatz 1 Nummer 3 BNatSchG auch außerhalb der Brutsaison berührt. Dieser dauerhafte Schutzstatus gilt gemäß der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt auch für Nistplätze des Hausrotschwanzes (Bl. 146 d.A.). Folglich stünde der Entfernung von Rankgitter und Efeu ein dauerhaftes Verbot entgegen, wenn sich tatsächlich Sperling- und/oder Rotschwanznester im Efeu befinden. Soweit sich die Beklagte daher auf ein entgegenstehendes naturschutzrechtliches Verbot wegen vorhandener Haussperlings- oder Hausrotschwanznester beruft, hat sie schlüssig und substantiiert die tatsächlichen Voraussetzungen dargelegt, aus denen sich ein Verbot nach § 44 Absatz 1 Nummer 3 BNatSchG ergeben könnte.

Diesem Vortrag ist der Kläger jedoch auch substantiiert entgegengetreten, indem er darlegte, dass sich die von der unteren Naturschutzbehörde, dem Amt für Umwelt und Natur, gewonnenen Erkenntnisse vor allem auf Aussagen der bei dem Vororttermin anwesenden Mieter der Beklagten stützen. Dies bestätigt auch die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt in ihrem Schreiben vom 1. Februar 2012, indem sie darauf verweist, dass die im Schreiben vom 8. Juli 2010 schriftlich dokumentierten Feststellungen nicht geeignet seien, den Schutzstatus nach § 67 Absatz 2 BNatSchG zu belegen. Es seien weder direkte Beobachtungen gemacht noch Anzeichen dokumentiert, anhand derer ein solcher Nachweis unmittelbar geführt werden könnte oder aus denen ohne jeglichen Rechtszweifel auf eine geschützte Funktion mittelbar schlussgefolgert werden könnte. Zwar könne, wie durch die untere Naturschutzbehörde geschehen, durch die Beobachtung von Vogeleinflug auf das Vorhandensein von Nestern mit Gelege geschlussfolgert werden, jedoch würden diese Umstände noch nicht die Dauerhaftigkeit der Fortpflanzungs- oder Ruhestätte belegen, da diese Schlussfolgerung durch weitere Beobachtungen und Anzeichen hätte konkretisiert werden müssen.

Die Frage, ob ein überhaupt ein Verbot nach § 44 Absatz 1 Nummer 3 BNatSchG vorliegt, kann für die Berufungsinstanz offen bleiben. Da Verbot ist zum einen zu unterstellen, denn der Kläger hat die entsprechenden Feststellungen des Amtsgerichts nicht angegriffen und die Beklagte als Berufungsführerin beruft sich auf das Verbot. Selbst wenn das Bestehen eines Verbots für die Zwecke des hiesigen Verfahrens lediglich unterstellt wird, kann die Beklagte jedenfalls von der zuständigen Behörde die Erteilung einer Befreiung nach § 67 Absatz 2 BNatSchG verlangen.

cc) Nach § 67 Absatz 2 BNatSchG kann von den Verboten des § 44 BNatSchG auf Antrag Befreiung gewährt werden, wenn die Durchführung der Vorschriften im Einzelfall zu einer unzumutbaren Belastung führen würde. Dieser Befreiungstatbestand ist Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und Ausdruck des Umstandes, dass aufgrund der Eigentumsgarantie von Artikel 14 des Grundgesetzes eine unverhältnismäßige Belastung des Eigentümers durch die Gebote und Verbote des BNatSchG real vermieden werden sollen (BT-Drs. 16/12274 S. 76 f.). Die betroffene Grundrechtsposition, hier das Eigentum, ist mit den öffentlichen Interessen, die mit dem jeweiligen naturschutzrechtlichen Gebot oder Verbot verfolgt werden, dahingehend abzuwägen, ob die Beeinträchtigung wegen der Besonderheit der Situation und der Schwere des Eingriffs, den das Verbot darstellen würde, unangemessen erscheint (Gassner/Heugel, Das neue Naturschutzrecht 2010, Rn. 656). Eine unzumutbare Belastung liegt vor, wenn sie sich im Rahmen einer Abwägung mit den vom BNatSchG geschützten öffentlichen Interessen wegen ihrer Besonderheit und Schwere als unangemessen erweist. Aus der Funktion der Befreiung und der ausdrücklichen Einschränkung auf den Einzelfall ergibt sich, dass die genannten öffentlichen Interessen in der Regel die mit ihnen verbundenen Belastungen für den Einzelnen rechtfertigen. Die Befreiung ist daher auf Sonderfälle begrenzt (Lütkes/Ewer/Heugel, Bundesnaturschutzgesetz 2011, § 67 Rn. 12).

Ob eine solche Ausnahme vom öffentlich-rechtlichen Verbot einschlägig ist, haben die Zivilgerichte – was das Amtsgericht verkannt hat – in Ermangelung einer behördlichen Entscheidung selbständig zu prüfen, dieser Prüfung dürfen sie sich nicht entziehen (Vgl. BGH NJW 1993, 925, 926; NZM 2005, 318). Dem steht auch nicht entgegen, dass es insoweit um die Anwendung öffentlich-rechtlicher Normen geht und die Ausnahmegenehmigung nur von bestimmten Behörden erteilt werden kann. Liegt ein von den Verwaltungsgerichten bestätigter ablehnender Bescheid nicht vor, dann können und müssen die Zivilgerichte die entsprechende Vorfrage selbständig prüfen (BGH NJW 1993, 925; NZM 2005, 318). Das Amtsgericht hat dies übersehen, als es die abstrakte Möglichkeit einer Ausnahme vom grundsätzlich anzunehmenden Verbot des § 44 BNatSchG als ausreichend für die Stattgabe der Klage erachtete. Es hätte vielmehr eine materiell-rechtliche Güterabwägung durchführen müssen, um zu bestimmen, ob eine Ausnahme auch im konkreten Fall einschlägig ist und einen Befreiungstatbestand begründet. Dem Umstand, dass nur die Naturschutzbehörden, nicht aber die Zivilgerichte, ein generelles Verbot nach § 44 BNatSchG aufheben können, hat das Amtsgericht hingegen zutreffend dadurch Rechnung getragen, dass es die Verurteilung zur Beseitigung unter den Vorbehalt der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gestellt hat (vgl. BGH NJW 1993, 925, 927) und die Beklagte gleichzeitig verpflichtet hat, diese zu beantragen (BGH NJW 1993, 925, 927).

Ein solcher Einzelfall ist vorliegend jedoch gegeben, so dass die Berufung keinen Erfolg hat. Die Beklagte hat einen Anspruch auf Erteilung einer Befreiung nach § 67 Absatz 2 BNatSchG. Nach Einholung eines Sachverständigengutachtens zum Zustand der Wand und den Ursachen der darin befindlichen Feuchtigkeit steht zur vollen Überzeugung des Gerichts fest, dass eine Entfernung des Efeus und des Rankgitters zur Schadensbeseitigung unabdingbar ist.

Das Gutachten des Sachverständigen … hat zweifelsfrei festgestellt, dass die streitgegenständliche Wand des Klägers sehr feucht ist und sich Putz vor allem im unteren Bereich großflächig ablöst. Ursache dieser Feuchtigkeit ist zwar nicht der Efeu, sondern die nicht ausreichende Abdichtung der Wand gegen Feuchtigkeit im Baugrund. Die Feuchtigkeit der Wand ist erheblich. Dies hat die Untersuchung der vom Sachverständigen genommenen Putzprobe ebenso ergeben wie die Messungen mit der Gann-Hydromette. Die Probe wurde als sehr feucht bezeichnet. Die Messwerte an der Außenwand wie auch im Inneren der Räumlichkeiten waren sehr hoch, auch noch in großer Höhe vom Boden entfernt. Um die Feuchtigkeit zu beseitigen, sind nach den Feststellungen des Sachverständigen eine Horizontalabdichtung als auch eine Vertikalabdichtung sowie eine umlaufende Dränanlage mit Anschluss an die Entwässerung notwendig. Zur Durchführung der Feuchtigkeitssanierung der Wand ist es nach den sachverständigen Feststellungen alternativlos, die erdberührten Bauteilbereiche, d.h. die Außenwände unterhalb des Terrains, freizulegen. Dies führt zwangsläufig zu einer Zerstörung der Wurzeln des Efeus und damit der Pflanzen insgesamt. Zudem ist es notwendig, einen Teil der oberirdischen Pflanzenteile zu entfernen, um den beschädigten Putz zu erneuern. Ohne die Entfernung der Pflanzen ist demnach eine Schadensbeseitigung und Abdichtung des Gebäudes unmöglich. Ohne Herstellung einer ordnungsgemäßen Abdichtung der Wand werden die bereits vom Sachverständigen festgestellten Schäden zunehmen. Die Feststellungen des Sachverständigen wurden von der Beklagten nicht angegriffen. Es ist angesichts der dringenden Notwendigkeit einer Sanierung unerheblich für den Anspruch des Klägers, dass die Feuchtigkeit nicht vom Efeu selbst herrührt, denn die Sanierung kann nicht erfolgen, ohne das der Efeu beseitigt wird.

Aus der vom Sachverständigen danach überzeugend und nachvollziehbar dargelegten Notwendigkeit der Sanierung der Wand folgt, dass die Nichterteilung einer Befreiung nach § 67 Absatz 2 BNatSchG für den Kläger eine unzumutbare Härte darstellen würde. In diesem Fall wäre sein Eigentum nicht sanierbar. Die festgestellte Feuchtigkeit in der Wand würde aufgrund der dann weiterhin fehlenden vertikalen und horizontalen Abdichtung weiter zunehmen und den Zustand der Wand wie auch der dahintergelegenen vermieteten Räume weiter beeinträchtigen. Dies würde im Ergebnis zu einer Zerstörung des Eigentums des Klägers führen. Dies ist ihm auch unter Berücksichtigung der naturschutzrechtlichen Belange nicht zuzumuten, denn die genannte Belastung geht über die Belastung hinaus, die typischerweise mit dem Vorhandensein von Efeu, in dem geschützte Vögel nisten, besteht. Wie auch der Gutachter festgestellt hat, führt die Anwesenheit von Efeu für sich genommen nämlich in der Regel nicht zu einer Beschädigung der Wand durch Feuchtigkeit, so dass üblicherweise das Vorhandensein von Efeu, in dem geschützte Arten leben, keine maßgeblichen Schäden für das Eigentum eines Privaten verursacht. Anders liegt es aber vorliegend aufgrund der fehlenden Dichtung der Wand gegen Feuchtigkeit. Die Durchsetzung des Verbots würde damit letztendlich zu einer Zerstörung des Eigentums des Klägers führen. Dies wäre ein Ausmaß der Beeinträchtigung, das von den Belangen des Naturschutzes nicht gedeckt ist und damit unverhältnismäßig wäre.

Der notwendige Antrag für die Erlangung von einer Befreiung ist auch von der Beklagten und nicht dem Kläger zu stellen, da die Beklagte und nicht der Kläger Besitzer und – nach § 94 BGB – auch Eigentümer jedenfalls des Efeus, wenn auch nicht des Rankgitters ist und ihr als Störerin die Beseitigung des Efeus obliegt. Anderes folgt auch nicht aus § 67 Absatz 2 BNatSchG, denn dort ist nicht geregelt, wer einen Antrag auf Erteilung der Befreiung stellen kann.

cc) Hingegen ist entgegen der Ansicht des Klägers der Befreiungstatbestand des § 45 Absatz 7 BNatSchG nicht einschlägig, denn dort sind lediglich die möglichen Befreiungen von Verboten nach dem BNatSchG aus öffentlich-rechtlichen Interessen geregelt. Vorliegend geht es aber um das aus dem Eigentum des Klägers folgende Privatinteresse an der Beseitigung des Efeus. Dies wird vom Befreiungstatbestand des § 67 BNatSchG erfasst.

f) Ohne Belang für die Entscheidung über den Anspruch des Klägers ist die Frage, ob einer Beseitigung von Efeu und Rankgitter eine mögliche Pflicht zur Wiederbepflanzung der Wand entgegensteht. Selbst wenn die zuständige Naturschutzbehörde die zu erteilende Befreiung nach § 67 BNatSchG mit einer entsprechenden Nebenbestimmung versieht, die sodann den Kläger zur Duldung der Anpflanzung einer neuen Hecke verpflichten würde, bedeutet dies nicht, dass ihm nach Treu und Glauben verwehrt ist, sich auf eine zwischenzeitliche Beseitigung des Efeus zu berufen. Die Befreiung ist zu erteilen, um eine Sanierung der durchfeuchteten Wand durch den Kläger zu ermöglichen. Aus diesem Grund steht eine mögliche künftige Duldungspflicht dem klägerischen Anspruch nicht entgegen, da sein Rechtsschutzziel, die Sanierung der Wand, auch erreicht wird, wenn die Beseitigung der Bepflanzung nur vorübergehender Natur ist. Ob und ggf. in welchem Umfang er nach Durchführung dieser Sanierung zur Duldung von Neuanpflanzungen verpflichtet ist, ist nach Erteilung der Befreiung zu prüfen. Die Frage ist für den vorliegenden Rechtsstreit nicht relevant.

g) Der Anspruch des Klägers ist auch nicht verjährt. Der Anspruch aus § 1004 BGB verjährt in drei Jahren, § 195 BGB. Die Verjährung beginnt frühstens mit der Entstehung des Anspruchs, hier im Jahr 2001 mit der Anpflanzung des Efeus und Anbringung des Rankgitters. Sie beginnt jedoch nicht, bevor nicht der Gläubiger erstmals Kenntnis von den seinen Anspruch begründenden Umständen und dem Anspruchsgegner erlangt hat, § 199 Absatz 1 Nummer 2 BGB. Der Kläger hat unwidersprochen vorgetragen, Efeu und Rankgitter erstmals im Jahr 2009 bemerkt zu haben. Zuvor habe er davon keine Kenntnis gehabt, da die bewachsene Wand weder von der Straße aus noch von seinem Grundstück aus einsehbar gewesen sei. Die Verjährung des Beseitigungsanspruchs begann somit erst mit Ablauf des Jahres 2009 zu laufen und wurde durch die Erhebung der Klage, die der Beklagten am 22. September 2010 zu Händen ihrer Rechtsanwälte zugestellt wurde, rechtzeitig unterbrochen.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 708 Nr. 10 ZPO.

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