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Auffahrunfall unter Berücksichtigung einer Vollbremsung des Vorausfahrenden

H2. Auffahrunfall: Die Rolle von Vorschäden und Reparaturen im Schadensersatzanspruch

Der Fall dreht sich um einen Kläger, der seine Forderungen im Zusammenhang mit einem Auffahrunfall weiterhin verfolgt, obwohl das Landgericht seine Klage abgewiesen hat. Das Herzstück des Problems ist die Frage, inwieweit vor dem Unfall vorhandene Schäden (Vorschäden) an dem Fahrzeug des Klägers und die durch diese verursachten Reparaturkosten auf die Höhe des Schadensersatzanspruchs nach dem Unfall Einfluss haben.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 U 47/18 >>>

Klägerliche Rügen und Sachverständigengutachten

Der Kläger behauptet, dass das Landgericht unzulässig hohe Anforderungen an die Darstellung und Nachweise der vollständigen, sach- und fachgerechten Reparatur des Vorschadens gestellt hat. Laut Kläger hatte er bis zur Vorlage des Sachverständigengutachtens keine Kenntnis vom Umfang der Vorschäden, die vor seiner Besitzzeit entstanden waren. Folglich sei er nicht in der Lage, seinen Schadensersatzanspruch zu beziffern. Des Weiteren, argumentiert der Kläger, hätte das Gericht ihm keine Rechtsverfolgungskosten und sonstige Nebenkosten auferlegen dürfen.

Fahrzeuglaufleistung und Schadensschätzung

Eine weitere strittige Frage betrifft die Laufleistung des Fahrzeugs, die laut Kläger nicht feststeht. Dies führt zu Schwierigkeiten bei der Bestimmung des Wiederbeschaffungsaufwands und der Schadensschätzung. Laut Kläger wäre eine Schadensschätzung ohne genaue Kenntnis der Laufleistung des Fahrzeugs nicht möglich.

Beweisanforderungen und Unfallmanipulation

Das Berufungsgericht muss seiner Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde legen, sofern keine konkreten Anhaltspunkte Zweifel an deren Richtigkeit oder Vollständigkeit begründen. Dies beinhaltet auch Fragen nach der Beweisführung und dem Grad der erforderlichen Überzeugung. In diesem Kontext werden auch Anhaltspunkte für eine mögliche Unfallmanipulation erörtert.

Vorschäden und ihre Bedeutung

Der Fall hebt die Bedeutung von Vorschäden und deren Behandlung bei der Schadensberechnung hervor. Es wird deutlich, dass die Umstände, der Umfang und die Schwere der Vorschäden, sowie die Verfügbarkeit von Schadensgutachten, Lichtbildern über den Vorschaden oder Rechnungen über die Reparatur eine entscheidende Rolle spielen. Diese Elemente tragen zur Gesamtbewertung des Schadensersatzanspruchs bei.


Das vorliegende Urteil

OLG Düsseldorf – Az.: 1 U 47/18 – Urteil vom 30.06.2020

Auf die Berufungen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil der 2. Zivilkammer – Einzelrichter – des Landgerichts Kleve vom 21.02.2018 zum Az. 2 O 303/16 unter Zurückweisung der Rechtsmittel im Übrigen abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an den Kläger 2.799,11 EUR nebst Zinsen i. H. v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 16.12.2016 zu zahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger 85 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 15 % zu tragen. Von den Kosten des Rechtsstreits zweiter Instanz haben der Kläger 81 % und die Beklagten als Gesamtschuldner 19 % zu tragen.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche des Klägers aus einem Verkehrsunfall, der sich 08.09.2016 gegen 12:15 Uhr an der Kreuzung A…/ B… in C… ereignete.

Auffahrunfall: Vollbremsung des Vorausfahrenden
Auffahrunfall und Schadensersatz: Rolle von Vorschäden und Reparaturen (Symbolfoto: Southworks /Shutterstock.com)

Der Zeuge D… befuhr mit einem Mercedes-Benz E 350 die A… in C…. An der Kreuzung mit der B.. musste er zunächst hinter mehreren anderen Fahrzeugen an einer roten Ampel halten. Hinter ihm fuhr der Beklagte zu 1) in seinem Renault Megane, der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert ist. Während der nächsten Grünphase fuhr der Zeuge D… weiter und bremste schließlich. Im Kreuzungsbereich fuhr der Beklagte zu 1) auf das Heck des Mercedes auf. Der Unfallverlauf ist im Einzelnen streitig. Durch den Unfall wurden der Mercedes im Heckbereich und der Renault im Frontbereich beschädigt.

Der Kläger hat zum Unfallhergang behauptet, der Zeuge D… sei in einer Grünphase mit relativ geringer Geschwindigkeit – etwa 10 km/h – auf die Ampel zugefahren. Als das vor ihm fahrende, vom Zeugen E… geführte Fahrzeug die Ampel passiert habe, sei die Ampel auf gelb gesprungen, der Zeuge D… habe gebremst und sei an der Haltelinie zum Stehen gekommen. Der Beklagte zu 1) sei aus Unachtsamkeit ungebremst aufgefahren und habe den Mercedes-Benz etwa drei Meter nach vorne in den Kreuzungsbereich geschoben. Noch beim Eintreffen der Polizei hätten die Autos wie nach dem Zusammenstoß gestanden.

Der Kläger hat erstinstanzlich die Erstattung von Reparaturkosten, Wertminderung, Sachverständigenkosten und Kostenpauschale begehrt.

Er hat beantragt, die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an ihn 18.491,23 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben die Aktivlegitimation des Klägers bestritten und behauptet, ein vom Kläger vorgelegter Kaufvertrag sei gefälscht. Außerdem sei der Mercedes nicht dem Privat- sondern dem Betriebsvermögen des Klägers zuzurechnen. Der Wagen habe im Heckbereich einen Vorschaden aufgewiesen. Ansprüche des Klägers seien auch deshalb ausgeschlossen, weil der Unfall provoziert sei.

Zum Unfallhergang haben sie behauptet, der Zeuge D… sei zunächst angefahren, habe dann leicht auf die Bremse getippt – ebenso der Beklagte zu 1) -, sodann wieder beschleunigt und als die Ampel auf gelb umgesprungen und er bereits halb über den Ampelbereich gefahren sei, eine Vollbremsung eingeleitet. Der Beklagte zu 1) habe nur noch so bremsen können, dass es zu einem Aufprall bei niedriger Geschwindigkeit gekommen sei. Er habe nicht ausweichen können. Er sei davon ausgegangen, er könne hinter dem Zeugen D… die Ampel noch rechtzeitig überfahren. Der Zeuge D… habe nach dem Unfall versucht, den Mercedes-Benz wegzufahren, sei dabei zurückgesetzt und habe den Renault des Beklagten zu 1) erneut angestoßen.

Das Landgericht hat den Kläger sowie den Beklagten zu 1) persönlich angehört und Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen D… und E…. Dann hat es der Klage bezüglich der Sachverständigenkosten und der Kostenpauschale stattgegeben, sie aber im Hinblick auf den Fahrzeugschaden und die Wertminderung abgewiesen. Zur Überzeugung des Gerichts stehe fest, dass der Kläger aktivlegitimiert sei, weil er den Kaufvertrag vorgelegt sowie das Haftpflichtgutachten, eine Inspektion im Jahr 2015 und eine Hauptuntersuchung im Jahr 2016 in Auftrag gegeben habe. Da gegen den Beklagten zu 1) als Auffahrenden ein nicht erschütterter Anscheinsbeweis spreche, würden die Beklagten alleine haften. Der Schaden am Fahrzeug und dessen Wertminderung seien jedoch nicht ersatzfähig, weil der Kläger nicht dargelegt und unter Beweis gestellt habe, inwieweit Vorschäden am Heck seines Fahrzeugs repariert worden seien.

Gegen dieses Urteil richten sich die Berufungen der Parteien.

Der Kläger begehrt (nur noch) die Zahlung der Netto-Reparaturkosten i. H. v. 12.344,96 EUR und einer Wertminderung i. H. v. 500,00 EUR. Die Beklagten verfolgen ihren Klageabweisungsantrag insgesamt weiter.

Der Kläger rügt, das Landgericht habe zu hohe Anforderungen an die Substantiierung seines Vortrags zur vollständigen sach- und fachgerechten Reparatur des Vorschadens gestellt und sei daher verfahrensfehlerhaft seinen Beweisangeboten nicht nachgegangen. Bis zur Vorlage des F… Gutachtens habe er keine Kenntnis vom angeblichen Umfang des Vorschadens, die vor seiner Besitzzeit eingetreten seien, gehabt. Der Vorschaden sei sach- und fachgerecht repariert worden.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Kleve vom 21.02.2018, Az. 2 O 303/16, die Beklagten gesamtschuldnerisch zu verurteilen, an ihn weitere 12.844,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen,

Die Beklagten beantragen,

1. die Berufung des Klägers zurückzuweisen,

2. unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils vom 21.02.2018 die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagten sind der Ansicht, der Kläger habe nicht bewiesen, dass er Eigentümer des beschädigten Fahrzeugs sei. Eigentum werde nicht durch einen Kaufvertragsabschluss erworben. Da der Kläger wegen der Vorschäden seinen Schadensersatzanspruch nicht beziffern könne, sei es dem Landgericht verwehrt gewesen, dem Kläger Rechtsverfolgungskosten und sonstige Nebenkosten zuzusprechen. Der Kläger habe es unterlassen, seinen Sachverständigen unter Berücksichtigung des Vorschadenseinwands erneut zu beauftragen. Deswegen stellten die bisherigen Kosten des Sachverständigen keine notwendigen Kosten der Rechtsverfolgung dar. Zudem stehe die Laufleistung des Wagens nicht fest. Folglich könne der Wiederbeschaffungsaufwand nicht bestimmt werden und damit sei eine Schadensschätzung nicht möglich.

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Der Senat hat den Beklagten zu 1) ergänzend angehört und Beweis erhoben durch eine ergänzende Vernehmung der Zeugen D… und E…. sowie die Einholung eines unfallanalytischen Gutachtens des Sachverständigen G….

II.

Beide Berufungen sind zulässig und teilweise begründet.

Der Kläger hat Anspruch auf Ersatz eines Teils des geltend gemachten Sachschadens sowie der Sachverständigengebühren und der Kostenpauschale nach einem Haftungsanteil der Beklagten von zwei Dritteln aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG. Ein Anspruch auf Zahlung einer Wertminderung besteht nicht. Im Einzelnen:

1.

Der Senat ist an die Feststellung des Landgerichts, dass der Kläger Eigentümer des Mercedes-Benz E 350 war, gem. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden.

Gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO hat das Berufungsgericht seiner Verhandlung und Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte reichen für konkrete Zweifel nicht (BGH, Urteil vom 18.10.2005, VI ZR 270/04, juris Rn. 9 mit Hinweis auf BGH, Urteil vom 08.06.2004, VI ZR 230/03, juris Rn. 15 ff.).

Derartige Anhaltspunkte für konkrete Zweifel an den Feststellungen bestehen nicht. Das Landgericht hat in seinem Urteil ausgeführt, die Aktivlegitimation stehe bei Anwendung der Überzeugungsanforderungen aus § 286 ZPO fest. Seine Überzeugung stützt das Gericht auf die Vorlage des Kaufvertrags im Original sowie auf die Umstände, dass der Kläger das Gutachten beim TÜV Rheinland in Auftrag gegeben hat und in den Rechnungen zur Inspektion im Jahr 2015 und zur Hauptuntersuchung im Jahr 2016 als Auftraggeber genannt ist. Im Zusammenhang mit der Indizkraft des Kaufvertrags für den Erwerb der Eigentümerstellung führt das Landgericht weiter aus, diese sei nicht dadurch beeinträchtigt, dass die Angaben zu den Laufleistungen – nach dem Kaufvertrag vom 08.07.2015 waren es 88.000 km, nach dem Gutachtem vom 20.05.2015 waren es zu diesem früheren Zeitpunkt bereits 137.843 km – widersprüchlich seien. Es sei nicht ersichtlich, inwieweit diese Angaben einer Eigentumsübertragung an den Kläger hinderlich gewesen sein sollten. Zudem sei der Einwand der Beklagten, das Fahrzeug gehöre zum Betriebsvermögen des Klägers, durch die Vorlage der Bestätigung des Steuerberaters ausreichend widerlegt. Denn danach sei der Mercedes weder im Anlage- noch im Umlaufvermögen als Betriebsvermögen ausgewiesen.

Die Angriffe der Berufung der Beklagten vermögen keine konkreten Anhaltspunkte für Zweifel im Sinne des § 529 ZPO zu begründen. Anders als die Beklagten meinen, hat das Landgericht seine Überzeugung ausdrücklich am Maßstab des § 286 ZPO gebildet. Im Rahmen dieser Überzeugungsbildung hatte das Gericht nach Vorlage des Kaufvertrags im Original keine Zweifel daran, dass die Unterschrift echt war. Konkrete Umstände, die daran Zweifel begründen könnten, haben die Beklagten nicht vorgebracht. Zweifel an den Feststellungen bestehen auch nicht aufgrund der Erwägung des Landgerichts, aus den Widersprüchen in den Laufleistungen folgten keine Bedenken im Hinblick auf die Echtheit. Auch der Senat teilt die Bedenken aufgrund der Widersprüchlichkeit der Angaben zur Laufleistung nicht. Der Abschluss des schuldrechtlichen Vertrags ist ein Indiz für die sich daran anschließende Durchführung der dinglichen Rechtsgeschäfte. Der Umstand, dass das Fahrzeug im Zeitpunkt der Übergabe des Voreigentümers an den Kläger eine niedrigere Laufleistung auswies, als das Fahrzeug vorher bereits hatte, mag eine Äquivalenzstörung im Verhältnis des Klägers zu Verkäufer begründen (s. hierzu auch die plausiblen Ausführungen des Klägers bei seiner mündlichen Anhörung am 18.05.2017, Bl. 118R d. A.). An der Indizkraft für das Bestehen der davon abstrakten dinglichen Erklärungen vermag dieser Umstand aber nichts zu ändern. Denn der Kläger als Käufer kannte den Umstand, dass möglicherweise eine Manipulation des Tachometers vorliegt, nicht. Damit konnte der Umstand auch seinen Willen zum dinglichen Erwerb des Fahrzeugs nicht beeinflussen. Seiner Äußerung „das ist jetzt, wie es ist“ kann zudem entnommen werden, dass er keine gerichtlichen Schritte gegen den Verkäufer unternommen und folglich auch nachträglich nichts an der dingliche n Rechtslage geändert hat.

Zudem enthält der Kaufvertrag weitere Umstände, die auch gewichtige Indizien für die Übertragung des Eigentums darstellen. Es ist darin nicht nur erklärt, dass der Mercedes-Benz in H… an einem bestimmten Ort übergeben und bezahlt werden soll, sondern auch, dass der Betrag in bar übergeben worden ist. Das lässt im Rahmen der Beweiswürdigung den Schluss zu, dass im Gegenzug auch das Eigentum am Mercedes-Benz an den Kläger übertragen worden ist. Dies wird dadurch gestützt, dass der Kläger auch mit dem Mercedes umging, indem er eine Wartung/Inspektion und eine Hauptuntersuchung in Auftrag gab. Ausweislich des Kaufvertrags hat der Kläger auch selbst den Mercedes-Benz erworben. Damit greift der Einwand der Beklagten nicht, der Mercedes-Benz gehöre zum Firmenvermögen des Klägers. Im Übrigen hat der Kläger auch durch das Schreiben seines Steuerberaters – wie bereits das Landgericht erörtert hat – substantiiert vorgetragen, dass der Mercedes-Benz auch nicht (steuerlich) zum Firmenvermögen gehörte.

2.

Die Ansprüche scheiden auch nicht aufgrund einer Einwilligung des Klägers in die Schädigung seines Fahrzeugs aus. Es ergeben sich zur Überzeugung des Senats keinerlei Anhaltspunkte dafür, dass der Unfall provoziert war.

a) Die Einwendung der Beklagten, der Kläger sei mit der Verletzung seines Rechtsguts einverstanden gewesen, ist beim provozierten Unfall wie beim gestellten Unfall vom Schädiger bzw. dessen Haftpflichtversicherer nach dem strengen Beweismaß des § 286 ZPO zu beweisen. Der Bundesgerichtshof hat in diesem Zusammenhang zwar darauf hingewiesen, dass die Überzeugungsbildung nach § 286 ZPO nicht immer eine mathematisch lückenlose Gewissheit voraussetzt. Es bedarf auch keines naturwissenschaftlichen Kausalitätsnachweises und keiner an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit, vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der verbleibenden Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Doch liegt in dieser Aufforderung zu lebensnahen Würdigung einer Häufung von Beweisanzeichen für eine Unfallmanipulation keine Absenkung des erforderlichen Beweismaßstabes der vollen Überzeugung. Der Tatrichter darf sich nicht mit einer bloßen, wenn auch erheblichen Wahrscheinlichkeit begnügen. Denn nach § 286 ZPO muss der Tatrichter aufgrund der Beweisaufnahme entscheiden, ob er eine Behauptung für wahr oder unwahr hält. Er darf sich also gerade nicht mit einer bloßen Wahrscheinlichkeit beruhigen. § 286 ZPO stellt nur darauf ab, ob der Tatrichter selbst die Überzeugung von der Wahrheit einer Behauptung gewonnen hat. Diese persönliche Gewissheit ist für die Entscheidung notwendig, und allein der Tatrichter hat die Entscheidung zu treffen, ob er die an sich möglichen Zweifel überwinden und sich von einem bestimmten Sachverhalt überzeugen kann (BGH, Urteil vom 01.10.2019 – VI ZR 164/18, VerkMitt 2020, 1f m. w. N.).

b) Im Streitfall bestehen keine Hinweise darauf, dass der Kläger in die Beschädigung seines Fahrzeugs gegenüber dem Beklagten zu 1) eingewilligt hätte.

Die Beklagten haben insoweit in der Berufungserwiderung lediglich Bezug auf die Klageerwiderung genommen. Darin haben sie vorgetragen, vieles spreche für einen provozierten Unfall, insbesondere habe die Zweitkollision zu einer Schadenserweiterung geführt. Die Beschädigungsbilder an den Fahrzeugen seien nicht miteinander in Einklang zu bringen, weil das Beklagtenfahrzeug nur leichte Schäden aufgewiesen habe. (Bl. 297, 61 d. A.).

Aufgrund des Gutachtens des Sachverständigen G… steht zur Überzeugung des Senats fest, dass die Schäden miteinander kompatibel sind, wenn auch das Klägerfahrzeug bereits vorgeschädigt war (dazu im Einzelnen unten), und dass eine Zweitkollision schon nicht feststellbar ist. Weiterhin hat eine Zweitkollision, als Hypothese vorausgesetzt, dass sie stattgefunden hat, nicht zu einer spürbaren Schadenserweiterung geführt (Bl. 13, 17 des Gutachtens des Sachverständigen G… vom 10.03.2020, Bl. 446, 450 d. A.).

Es fehlt auch an sonstigen Anhaltspunkten für eine Unfallprovokation. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass der Kläger den Zeugen D… beauftragt hätte, für ihn einen Unfall zu provozieren. Diese Absprache müsste im Übrigen auch den Zeugen E… einbeziehen und der Zeuge E… müsste falsch ausgesagt haben, weil er angegeben hat, dass er vom Kläger angesprochen wurde, ob er dessen Auto bei der Werkstatt abholen könne und er, der Zeuge E…, erst den Zeugen D… gebeten habe, ihn zu begleiten und das Auto des Klägers zu fahren (Bl. 147 d. A.). Anzeichen für dieses Maß an krimineller Energie hat der Senat bei seiner ergänzenden Beweisaufnahme nicht feststellen können.

3.

Der Kläger hat jedoch lediglich zu zwei Dritteln einen Anspruch auf Ersatz seines Sachschadens gegen die Beklagten aus §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1, Abs. 2, 18 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG.

a) Der Unfall ereignete sich unstreitig bei dem Betrieb beider Fahrzeuge.

b) Den Unabwendbarkeitsbeweis hat keine der Parteien führen können. Ein Idealfahrer in der Situation des Beklagten zu 1) hätte vor einer Ampel einen so großen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug eingehalten, dass er auch bei Fahrfehlern, etwa unsicherem Fahrverhalten bei Gelbphasen, hätte reagieren und bei plötzlichem starken Bremsen hinter dem Fahrzeug zum Stillstand hätte kommen können. Ein Idealfahrer in der Situation des Zeugen D… hätte auf den nachfolgenden Verkehr Rücksicht genommen und hätte keine Vollbremsung durchgeführt, wenn dadurch der nachfolgende Verkehr gefährdet wird, wenn er problemlos hätte weiterfahren können, ohne den Querverkehr zu gefährden.

c) Die Abwägung gem. §§ 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG ergibt eine Haftung des Klägers zu einem Drittel und der Beklagten zu zwei Dritteln.

aa) Die jeweiligen Verursachungsbeiträge der Beteiligten sind gem. §§ 17, 18 Abs. 3 StVG gegeneinander abzuwägen. Bei dieser Abwägung kommt es insbesondere darauf an, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. In jedem Fall sind in ihrem Rahmen nur unstreitige bzw. zugestandene oder bewiesene Umstände zu berücksichtigen (vgl. nur BGH, Urteil vom 10.01.1995 – VI ZR 247/94, juris; Senat, Urteil vom 08.10.2011 – I-1 U 17/11). Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er die nach der Abwägung für sich günstigen Rechtsfolgen herleiten will (BGH, Urteile vom 15.11.1960 – VI ZR 30/60, VersR 1961, 249, 250; vom 08.01.1963 – VI ZR 35/62, VersR 1963, 285, 286; vom 23.11.1965 a. a. O. S. 165; vom 29.11.1977 – VI ZR 51/76, VersR 1978, 183, 185).

bb) Dem Beklagten zu 1) fällt ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO zur Last, weil er den erforderlichen Sicherheitsabstand nicht eingehalten hat.

Auf der Grundlage des Gutachtens des Sachverständigen G… lässt sich der Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 1 StVO positiv feststellen und quantifizieren, sodass es auf die Frage, ob gegen den Beklagten zu 1) der Beweis des ersten Anscheins eingreift (s. dazu BGH, Urteil vom 13.12.2016 – VI ZR 32/16 -, juris, Rn. 10 m. w. N.; Senat, Urteil vom 13.06.2017 – I-1 U 117/16 m. w. N.), nicht ankommt.

Nach § 4 Abs. 1 S. 1 StVO muss ein Fahrzeugführer zum Vorausfahrenden einen so großen Abstand einhalten, dass er auch dann hinter ihm halten kann, wenn er plötzlich bremst. Der danach einzuhaltende Abstand ist nicht mit dem Anhalteweg identisch, weil der Nachfolgende davon ausgehen darf, dass der Vorausfahrende auch einen Anhalteweg hat (vgl. jurisPK-Straßenverkehrsrecht/Helle, § 4 StVO, Rn. 13 m. w. N.). Abzustellen ist als Faustregel nicht auf den „halben Tachowert“, sondern auf die Wegstrecke, die der Nachfolgende bei der von ihm gefahrenen Geschwindigkeit in 1,5 s zurücklegt (König in Hentschel/König/Dauer, StVR, 44. Aufl. 2017, § 4, Rn. 7 m. w. N.; Helle a. a. O., Rn. 16 m. w. N.; zur Gesetzesbegründung s. a. König a. a. O., Rn. 1 a. E.).

Der Sachverständige G… hat in seinem unfallanalytischen Gutachten aus technisch-sachverständiger Sicht feststellen können, dass der Beklagte zu 1) sich im Reaktionszeitpunkt 9 m hinter dem Klägerfahrzeug befunden habe. Dies leitet der Sachverständige im Rahmen seiner Weg-Zeit-Betrachtungen nachvollziehbar aus den Angaben der Beteiligten zu ihren Ausgangsgeschwindigkeiten, dem Unfallort, dem Schadensbild an den Fahrzeugen, der daraus zu schließenden Kollisionsgeschwindigkeit des Beklagtenfahrzeugs, der aus dem Höhenversatz an den Fahrzeugen abgeleiteten starken Abbremsung beider Fahrzeuge im Kollisionszeitpunkt sowie normaler Reaktions- und Bremsanschwellzeit her.

Bei einer Fahrgeschwindigkeit von 45 km/h legte der Beklagte zu 1) in seinem Fahrzeug in 1,5 s (1,5 s x 45 : 3,6 m/s =) 18,75 m zurück. Sein Abstand zum vorausfahrenden Zeugen D… in seinem Mercedes von 9 m war damit um mehr als die Hälfte verkürzt.

cc) Dem Zeugen D… fällt ein dem Kläger zurechenbarer Verstoß gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO, aber keiner gegen § 1 Abs. 2 StVO zur Last.

(1) Der Verstoß des Zeugen D… gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO folgt daraus, dass er ohne zwingenden Grund stark gebremst hat.

(a) Der Zeuge D… hat im Streitfall stark gebremst, weil er eine Vollbremsung durchgeführt hat.

(b) Dies geschah auch ohne zwingenden Grund. Denn er hat in einer frühen Phase des Gelblichts an der Ampel eine Vollbremsung durchgeführt, und dies aus einer Position mit nur geringem Abstand zur Haltelinie heraus bei einer Geschwindigkeit, die ausgereicht hätte, um am Ende der Gelbphase das Kreuzungsviereck durchfahren und weitere etwa 20 m jenseits der Kreuzung zurückgelegt zu haben.

§ 37 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StVO ordnet bei einem Gelblicht an einer Lichtzeichenanlage an: „Vor der Kreuzung auf das nächste Zeichen warten“. Allerdings gilt dieses Gebot nicht uneingeschränkt. Steht Rot bevor, so muss nur derjenige Kraftfahrer anhalten, der dies noch mit einer mittleren, das heißt normalen Betriebsbremsung kann (BGH, Urteil vom 26.04.2005 – VI ZR 228/03, juris Rn. 11 m. w. N., NJW 2005, 1940). Reicht dagegen der Bremsweg bei mittlerem Bremsen nicht aus, ist vielmehr starkes oder sogar gewaltsames Bremsen mit Blockierspur nötig, entfällt grundsätzlich die Wartepflicht. Der Kraftfahrer darf dann zügig und vorsichtig unter Beachtung des Querverkehrs durchfahren. Die Weiterfahrt begründet in diesem Fall nicht den Vorwurf des Verschuldens (BGH a. a. O. m. w. N.). Darüber hinausgehend kann in Abhängigkeit der Umstände des Einzelfalls im Rahmen des § 4 Abs. 1 S. 2 StVO sogar die Pflicht des Verkehrsteilnehmers, der sich bei Gelblicht einer Wechsellichtzeichenanlage nähert, bestehen, nicht anzuhalten, sondern zügig weiterzufahren und ein starkes Bremsen vor der Haltelinie zu vermeiden (KG, Urteil vom 13.10.1988 – 22 U 693/88, VM 89, Nr. 44, S. 37; Koehl in Haus/Krumm/Quarch, Gesamtes Verkehrsrecht, 2. Aufl. 2017, § 37 StVO, Rn. 21; Hühnermann in Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, StVR, 26. Aufl. 2020, § 37 StVO, Rn. 14). Dabei kommt es entscheidend darauf an, ob der Verkehrsteilnehmer das Bremsmanöver zu Beginn der Gelblichtphase oder an deren Ende einleitet (OLG Düsseldorf, Urteil vom 13.03.1975 – 12 U 9/74, DAR 1975, 303; KG, Urteil vom 25.03.1982 – 22 U 3618/71, VM 83, Nr. 13, S. 14, s. a. König in Hentschel/König/Dauer, StVR, 44. Aufl. 2017, § 37 StVO, Rn. 24). Leitet der Vorausfahrende sein Bremsmanöver gegen Ende der Gelblichtphase ein, so verfährt er dergestalt in einer Situation, in der er jederzeit mit Rotlicht rechnen muss. Eine Einfahrt be i Rotlicht in die Kreuzung bedeutet dabei eine erhebliche Gefahr für den Einfahrenden und dort befindlichen oder gleichzeitig einfahrenden Verkehr. Diese Gefahr stellt den zwingenden Grund im Rahmen des § 4 Abs. 1 S. 2 StVO dar. Je früher innerhalb der Gelblichtphase der Verkehrsteilnehmer bremst, desto weniger droht die entsprechende Gefahr und desto weniger ist ein starkes Bremsen gerechtfertigt und tritt die Gefährdung nachfolgenden Verkehrs in den Blick.

Im Streitfall hat der Zeuge D… bei Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls keinen zwingenden Grund für ein Bremsmanöver gehabt.

Es steht zur Überzeugung des Senats bei Anlegung des strengen Beweismaßstabs des § 286 ZPO fest, dass der Zeuge D… das Klägerfahrzeug bei Eintritt der Gelbphase vollgebremst hat. Die Aussage des Zeugen lässt sich auch mit der Aussage des Zeugen E…, der vor dem Zeugen D… fuhr, in Einklang bringen. Denn der Zeuge E… hat angegeben, er habe die Ampel gerade überfahren, als sie Gelb gezeigt habe. Dieser Punkt liegt etwa 17 m hinter dem Punkt, an dem der Zeuge D… das Bremsmanöver eingeleitet hat. Dies entspricht der von den Zeugen D… und E… geschilderten Situation, dass der Zeuge D… mit etwas Abstand hinter dem Zeugen E… gefahren ist und der Zeuge E… die Kreuzung schon verlassen hatte, als der Zeugen D… zum Stillstand kam (Bl. 117 R d. A.). Die Aussage des Zeugen deckt sich mit den Angaben des Beklagten zu 1), auch wenn dieser angegeben hat, der Zeuge D… habe vor der Vollbremsung zunächst kurz gebremst und dann nochmals beschleunigt.

Darauf aufbauend hat der Sachverständige G… aus dem Kollisionsort, den gefahrenen Geschwindigkeiten und dem Bremsverhalten geschlussfolgert, dass der Zeuge D… zu Beginn der Gelbphase sein Fahrzeug vollgebremst hat. Wie der Sachverständige auf der Grundlage der von ihm angestellten Weg-Zeit-Betrachtungen nachvollziehbar dargelegt hat, war der Zeuge D… in seinem Mercedes 9 m vor der Haltelinie und etwa 17 m vor der Fußgängerfurt bzw. der Ampel entfernt, als er sich zu der Vollbremsung entschloss (S. 14 des Gutachtens vom 10.03.2020, Bl. 447 d. A.). Obwohl die Haltelinie der Wechsellichtzeichenanlage und dem Kreuzungsviereck deutlich vorgelagert ist, wäre es dem Zeugen D… auch ohne die Kollision nicht möglich gewesen, sein Fahrzeug vor dem Kreuzungsbereich anzuhalten (vgl. Anl. A 48 zum Gutachten vom 10.03.2020, Bl. 501 d. A.). Bei der am Unfallort zulässigen Höchstgeschwindigkeit von 70 km/h dauerte die Gelbphase 5 s (s. hierzu auch König a. a. O., § 27 StVO, Rn. 24 m. w. N.). Bei Weiterfahrt mit 45 km/h hätte der Zeuge D… bis zum Ende der Gelbphase (5 s x 45 : 3,6 m/s =) 62,50 m zurückgelegt und wäre damit im Zeitpunkt des Umspringens von Gelblicht auf Rotlicht 53,50 m jenseits der Haltelinie und 45,50 m jenseits des Beginns des Kreuzungsvierecks gewesen. Damit hätte er das ca. 20 m breite Kreuzungsviereck (s. hierzu Anl. A 34) bei weitem wieder verlassen.

(2) Ein weiterer Verstoß gegen § 1 Abs. 2 StVO fällt dem Zeugen D… nicht zur Last, weil der Senat nach dem strengen Beweismaßstab des § 286 ZPO nicht feststellen kann, dass der Zeuge zunächst kurz gebremst, dann aber wieder beschleunigt und erst in einem dritten Schritt das Fahrzeug vollgebremst hat. Dies hat zwar der Beklagte zu 1) so angegeben, der Zeuge D… hat es aber verneint und der Zeuge E… hat hierzu keine Aussagen tätigen können. Auf dieser Grundlage vermag der Senat sich nicht mit einem Grad der Überzeugung, der berechtigten Zweifeln Schweigen gebietet, die Überzeugung von diesem Fahrverhalten des Zeugen D… zu bilden.

dd) Die Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 2, Abs. 1 StVO führt im Streitfall dazu, dass die Beklagten für die Unfallfolgen zu 2/3 und der Kläger zu 1/3 haftet.

Zwar ist die Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs erheblich durch den Verstoß des Zeugen D… gegen § 4 Abs. 1 S. 2 StVO erhöht. Bei der Bewertung der Schwere des Pflichtverstoßes ist zu berücksichtigen, dass die Bremsung in der konkreten Verkehrssituation nicht nachvollziehbar erscheint, weil dem Zeugen D… mehr als ausreichend Zeit verblieb, nicht nur in die Kreuzung einzufahren, sondern diese vollständig zu durchfahren, bevor die Wechsellichtzeichenanlage Rotlicht zeigte. Allerdings fällt dem Beklagten zu 1) ein schwerwiegender Verstoß gegen das Abstandsgebot zur Last. Er hat den gebotenen Abstand um mehr als 50 % unterschritten und so ganz maßgeblich durch seinen Pflichtverstoß zur Entstehung des Schadens beigetragen. Ausgehend von gleich hohen Betriebsgefahren der Fahrzeuge bemisst der Senat den Verursachungsbeitrag der Beklagten mit dem Doppelten des klägerischen Beitrags.

4.

Der Schadensersatzanspruch des Klägers aus § 249 Abs. 2 BGB beläuft sich auf insgesamt 2.799,11 EUR.

a) Der Mindestschaden, der aufgrund des Unfalls an dem Fahrzeug des Klägers entstanden ist, kann vom Senat bei Anwendung des § 287 ZPO auf 2.655,93 EUR netto geschätzt werden. Hiervon kann der Kläger zwei Drittel, also 1.770,62 EUR ersetzt verlangen.

aa) Der Kläger muss beweisen, dass durch den Unfall die von ihm behaupteten Schäden an dem Fahrzeug entstanden sind. War ein unfallbeteiligtes Fahrzeug bereits vor dem Unfall beschädigt, so ist die Vortragslast des Geschädigten gegenüber dem Fall der Beschädigung eines vorher unbeschädigten Fahrzeugs erhöht. Der Umfang der erweiterten Darlegung des Schadens richtet sich zunächst danach, ob es sich hierbei um einen Vorschaden in einem Bereich handelt, der durch den neuen Schaden überlagert wird oder ob es sich hierbei um einen solchen handelt, der noch nicht von einem anderen Schadensereignis betroffen war. Aber auch die Gesamtumstände, der Umfang und die Schwere des Vorschadens sowie die Tatsache, ob Schadensgutachten und Lichtbilder über den Vorschaden oder Rechnungen über die Reparatur vorliegen, sind in die Bewertung einzubeziehen (Senat, Urteil vom 27.06.2019 – I-1 U 154/18; Urteil vom 17.12.2019 – I-1 U 89/18).

Insoweit gilt grundsätzlich Folgendes: Ist ein unfallgeschädigtes Fahrzeug von massiven Vorschäden betroffen, die den geltend gemachten Schaden überlagern, muss der Kläger zur Begründung seines vollständigen Ersatzbegehrens nicht nur den Umfang der Vorschäden nachvollziehbar darlegen, sondern auch spezifiziert vortragen, welche Reparaturmaßnahmen in der Vergangenheit zur vollständigen und ordnungsgemäßen Beseitigung der Vorbeeinträchtigungen durchgeführt worden sind und ob eventuelle Reparaturmaßnahmen jeweils in Übereinstimmung mit den gutachterlichen Instandsetzungsvorgaben standen (vgl. Senat, Urteil vom 10.02.2015 – I-1 U 32/14, juris Rn. 4). Soweit ein solch umfassender Nachweis der Schadensbeseitigung nicht gelingt, muss dies jedoch nicht zu einer vollständigen Abweisung der geltend gemachten Ansprüche führen. Vielmehr ist in jedem Fall zu prüfen, ob ein Teil- oder Mindestschaden schätzbar ist. Die vorgenannte Entscheidung des Senats beinhaltet nicht, dass nur ein entsprechend detaillierter Vortrag zur vollständigen und fachgerechten Reparatur der Vorschäden einen Schadenersatzanspruch überhaupt begründen kann. Vielmehr muss der Geschädigte durch seinen Vortrag geeignete Schätzgrundlagen, welche Anhaltspunkte für die Einschätzung des Schadens und seine Höhe bieten, beibringen (Senat, Urteil vom 27.06.2019, I-1 U 154/18). Eine Schätzung ist nur unzulässig, wenn sie mangels greifbarer, vom Kläger vorzutragender Anhaltspunkte völlig in der Luft hängen würde (BGH, Urteil vom 22.10.1987 – III ZR 197/86, juris = NJW 1987, 909; Senat, Urteil vom 02.03.2010 – I-1 U 111/09, juris Rn. 52 = Schaden-Praxis 2011, 114). Ist der geltend gemachte Schaden technisch und rechnerisch eindeutig von den Vorschäden abgrenzbar, besteht jedenfalls in dieser Höhe ein Ersatzanspruch des Geschädigten (Senat, Beschluss vom 13.07.2015 – I -1 U 164/14,juris Rn. 4; vgl. auch OLG München, Urteil vom 27.01.2006 – 10 U 4904/05, NZV 2006, 261; Anschluss durch Senat, Urteil vom 11.02.2008 – I-1 U 181/07, juris). Der genaue Umfang der Vortrags- und Substantiierungslast hängt vom Einzelfall ab (s. hierzu Senat, Urteil vom 27.06.2019, I-1 U 154/18).

bb) An dem Klägerfahrzeug bestand ein überlagernder Vorschaden im Heckbereich. Dieser wurde, wie der Sachverständigen G… in seinem Gutachten vom 10.03.2020 dezidiert ausgeführt hat, nicht sach- und fachgerecht repariert. Der Sachverständige hat bei seiner intensiven Begutachtung der Schäden, die den Vergleich mit einem zuvor beschafften baugleichen Fahrzeug einschloss, herausgearbeitet, dass das Heckabschlussbleck und die Reserveradwanne vorgeschädigt waren (Bl. 8, 9 des Gutachtens). Angesichts des Ausmaßes der Schäden war das nicht sach- und fachgerecht. Gleiches gilt, wie der Sachverständige plastisch anhand einer Fotodokumentation herausgearbeitet hat, für die Verklebung des Übergangs zwischen der Reserveradwanne und dem Heckabschlussblech mit einer Dämmmatte. Weiter ließen sich die Beschädigungen am rechten Endtopf und am innenliegenden Querträger, die deutlich über die Heckmitte nach rechts verliefen, nicht aus dem hiesigen Unfall ableiten. Zudem bestand unmittelbar nach dem Unfall noch keine deutliche Fehlstellung der Heckklappe, wie sie auf späteren Lichtbildern ersichtlich ist (s. hierzu Bl. 7 des Gutachtens). Es ließen sich jedoch die Schäden an der Stoßstangenverkleidung und dem dahinter befindlichen Querträger eindeutig auf den Unfall zurückführen (Bl. 15 des Gutachtens). Für die Beseitigung dieser Schäden wäre ein Aufwand i. H. v. 2.799,11 EUR erforderlich. Hierin besteht der Schaden, der dem Unfall mit dem Beklagtenfahrzeug zuzuordnen ist.

b) Ein merkantiler Minderwert ist an dem Mercedes durch den Unfall nicht entstanden.

Bei dem merkantilen Minderwert handelt es sich um eine Minderung des Verkaufswerts, die trotz vollständiger und ordnungsgemäßer Instandsetzung allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht. Der merkantile Minderwert besteht in der Wertdifferenz zwischen dem unfallfreien und unfallbemakelten Fahrzeug und stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar (BGH, Urteil vom 23.11.2004 – VI ZR 357/03, juris Rn. 16). Den Ausgangspunkt für die Erwägung, ob ein merkantiler Minderwert eingetreten ist, bildet § 251 Abs. 1 Alt. 1 BGB, weil insoweit die Herstellung gerade nicht möglich ist. Ob ein merkantiler Minderwert verbleibt und wie hoch er gegebenenfalls ist, kann nach § 287 ZPO beurteilt werden.

Im Streitfall ist kein merkantiler Minderwert an dem Mercedes entstanden. Diese Überzeugung vermag der Senat sich aufgrund des auch insoweit überzeugenden Gutachtens des Sachverständigen G… zu bilden. Dieser hat dezidiert herausgearbeitet, dass wegen des überlagernden Vorschadens an dem Mercedes lediglich eine Erneuerung der Stoßstangenverkleidung und des Querträgers als Reparaturaufwand dem Unfall zugeordnet werden kann. Weiter hat er nachvollziehbar ausgeführt, dass diese Teile bereits aufgrund des Vorunfalls hätten erneuert werden müssen. Folgerichtig kann dadurch, dass diese Teile nach einer gedachten vollständigen Reparatur aufgrund des hiesigen Unfalls nicht mehr dem Werkszustand entsprechen, kein merkantiler Minderwert verblieben sein, weil die am Kauf des Fahrzeugs interessierten Verkehrskreise auch ohne den hiesigen Unfall ein Fahrzeug mit ausgetauschten Teilen erworben hätten und sich an den nochmaligen Austausch keine weitere Besorgnis unentdeckter Schäden knüpft.

c) Die unstreitigen Gutachterkosten i. H. v. 1.517,73 EUR kann der Kläger nach § 249 Abs. 2 BGB zu zwei Drittel, mithin 1.011,82 EUR, ersetzt verlangen.

Die Kosten eines vom Geschädigten eingeholten Schadensgutachtens gehören zu den nach § 249 Abs. 1 BGB auszugleichenden Vermögensnachteilen und können zum nach § 249 Abs. 2 BGB erforderlichen Herstellungsaufwand gehören, wenn die Begutachtung erforderlich war. Die Sachverständigenkosten sind Bestandteil der Hauptforderung und nehmen damit an der Quotierung nach § 17 Abs. 2 Abs. 1 StVG teil (BGH, Urteil vom 07.02.2012 – VI ZR 133/11, NZV 2012, 217, 219, Rn. 15; Senat, Urteil vom 15.03.2011 – I-1 U 152/10, r + s 2011, 268, 269).

d) Die Kostenpauschale i. H. v. 25,00 EUR kann der Kläger ebenfalls zu zwei Dritteln, ersetzt verlangen. Der Anspruch beläuft sich damit insoweit auf 16,67 EUR.

e) Insgesamt besteht damit ein Schadensersatzanspruch i. H. v. 2.799,11 EUR, zusammengesetzt aus

Nettoreparaturkosten  1.770,62 EUR,

Sachverständigengebühren 1.011,82 EUR,

Kostenpauschale    16,67 EUR.

f) Der Zinsanspruch folgt aus §§ 286 Abs. 1 S. 2, 288 Abs. 1 BGB.

5.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO.

Die Revision war nicht zuzulassen, weil Gründe nach § 543 Abs. 2 ZPO nicht vorliegen.

Der Berufungsstreitwert ist auf 14.387,69 EUR festzusetzen, davon entfallen auf die Berufung des Klägers 12.844,96 EUR und auf die Berufung der Beklagten 1.542,73 EUR.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Verkehrsrecht (§ 37 Abs. 2 Satz 2 StVO): Das Verkehrsrecht bezieht sich auf die Rechtsvorschriften, die den Straßenverkehr regulieren. In diesem Fall ist die StVO (Straßenverkehrs-Ordnung) relevant, insbesondere § 37 Abs. 2 Satz 2, der die Anforderungen an das Verhalten an Lichtsignalanlagen regelt. In dem vorliegenden Fall ist ein Auffahrunfall geschehen, bei dem die Vollbremsung des vorausfahrenden Fahrzeugs eine Rolle spielt. Die Vollbremsung wurde in einer frühen Phase des Gelblichts an einer Ampel durchgeführt, was für den Unfall relevant ist. Es geht hier also um die Frage der Haftungsverteilung bei einem Verkehrsunfall und damit um das Verkehrsrecht.
  2. Zivilprozessrecht (§ 1 Nr. 1 ZPO, § 286 ZPO): Das Zivilprozessrecht regelt den Ablauf von zivilrechtlichen Streitigkeiten vor den Gerichten. In diesem Fall sind vor allem zwei Normen relevant. § 1Nr. 1 ZPO betrifft die Feststellungen des Gerichts des ersten Rechtszuges und ob diese vom Berufungsgericht übernommen werden müssen. Hier geht es um die Frage, ob das Berufungsgericht die vom Landgericht festgestellten Tatsachen anzweifeln und erneut feststellen muss. § 286 ZPO betrifft die Frage der Beweislast und der Überzeugung des Gerichts. In diesem Fall bezieht sich die Norm auf die Überzeugung des Gerichts hinsichtlich der Aktivlegitimation des Klägers, die auf der Vorlage des Kaufvertrags und anderen Umständen beruht.
  3. Schadensrecht: Das Schadensrecht bezieht sich auf die rechtlichen Fragen, die sich im Zusammenhang mit der Entstehung und Regulierung von Schäden stellen. In diesem Fall geht es um die Frage, ob der Kläger aufgrund von Vorschäden an seinem Fahrzeug seinen Schadensersatzanspruch beziffern kann und ob die Kosten des Sachverständigen notwendige Kosten der Rechtsverfolgung darstellen. Es geht auch um die Frage, ob der Kläger seinen Sachverständigen erneut beauftragen hätte müssen und ob die Laufleistung des Fahrzeugs feststeht.
  4. Versicherungsrecht: Das Versicherungsrecht betrifft die rechtlichen Beziehungen zwischen Versicherungsnehmern und Versicherungsunternehmen. In diesem Fall könnte es relevant sein, weil es um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geht, die in der Regel durch eine Kfz-Haftpflichtversicherung gedeckt sind. Die Frage der Vorschäden und ihrer Auswirkungen auf den Schadensersatzanspruch könnte auch Aspekte des Versicherungsrechts berühren.

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