LG Heidelberg – Az.: 3 O 229/16 – Urteil vom 12.11.2018
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert wird auf 6.386,37 € festgesetzt.
Tatbestand
Die Parteien streiten um eine Regressforderungen infolge eines Wohnungsbrandes.
Die Beklagte besuchte gemeinsam mit ihrem damals ein Jahr und acht Monate alten Sohn ihre Mutter, die Zeugin C.. Nach dem Frühstück wollten sie gemeinsam einen Spielplatz aufsuchen. Als sie sich anzogen, um hinauszugehen, verließ der Sohn allein den Flurbereich. Er verschwand nicht einsehbar hinter einem Vorhang. Als er zurückkehrte, verließen alle drei die Wohnung. Es entwickelte sich ein Brand.
Die Parteien gehen übereinstimmend davon aus, dass das Kind den Brand verursachte, indem es unbemerkt in der Küche die Herdplatte einschaltete, auf der sich leichtbrennbare Gegenstände befanden.
Die Klägerin, eine Gebäudeversicherung, beglich die durch den Brand verursachten Schäden gegenüber den Wohnungseigentümern und der Hausverwaltung. Sie leistete Zahlungen in Höhe von insgesamt 9.697,49 €, wobei mit der Klage nur der Zeitwert bezüglich des geleisteten Schadensersatzes in Höhe von 6.386, 37 € geltend gemacht wird.
Die Klägerin behauptet, der Sohn der Beklagten habe sich während der Dauer des Anziehens mindestens eine Minute unbeaufsichtigt im nicht einsehbaren Bereich der Wohnung befunden. Sie ist deshalb der Ansicht, die Beklagte habe ihre elterliche Aufsichtspflicht verletzt. Hieraus folge deren Verpflichtung zum Ersatz der durch den Brand verursachten Schäden, die auf die Klägerin als Versicherungsgeber übergegangen seien.
Der Kläger beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 6.386,37 € nebst Verzugszinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz jährlich, seit dem 21.06.2016 zu bezahlen.
Die Beklagte beantragt: Die Klage wird abgewiesen.
Die Beklagte behauptet, ihr Sohn habe sein Lieblingsspielzeug, eine Lokomotive, dass er zur damaligen Zeit ständig mit sich führte, geholt, als er den Flurbereich verließ. Im Übrigen habe er auch noch nie am Herd herumgespielt. Es habe in dieser Hinsicht keine Auffälligkeiten gegeben. Sie ist der Ansicht, man müsse Kinder in diesem Alter jedenfalls für kürzeste Zeit nicht ständig im Blick haben. Sie habe ihre Aufsichtspflicht deshalb nicht verletzt.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin C.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll vom 05.10.2018, Blatt 119-125 der Akte, Bezug genommen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze, die von den Parteien eingereichten Urkunden, sowie die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
I.
Die Klage ist zulässig. Insbesondere ist das Landgericht Heidelberg örtlich und sachlich zuständig.
II.
Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht kein Anspruch aus § 832 Abs. 1 BGB i. V. m. 86 Abs. 1 S. 1 VVG zu.
Es fehlt an einer Aufsichtspflichtverletzung der Beklagten (§ 832 Abs. 1 S. 2 BGB). Maß und Umfang dieser Aufsichtspflicht bestimmen sich anhand des Einzelfalls in Anbetracht des Gefahrenpotentials, das von der unbeaufsichtigten Person ausgeht. Bei Kindern sind die Eigenheiten des jeweiligen Kindes maßgeblich. Dabei sind insbesondere Alter, Charakter und Gefahrenneigung des Kindes zu berücksichtigen. Der Umfang der elterlichen Aufsichtspflicht ergibt sich daraus, was verständige Eltern nach vernünftigen Anforderungen in der konkreten Situation an erforderlichen und zumutbaren Maßnahmen treffen (BGH NJW 1993, 1003). Diesen Anforderungen genügte die Beklagte.
a) Eine Aufsichtspflichtverletzung ist insbesondere nicht darin zu sehen, dass die Beklagte ihrem Sohn nicht gefolgt ist, sobald er außer ihrer Sichtweite war. Grundsätzlich bedürfen Kleinstkinder einer besonderen Überwachung durch die Aufsichtspflichtigen, weil sie impulsiv sind und Gefahrenlagen kaum einschätzen können. Doch bedingt dies nicht eine Überwachung auf Schritt und Tritt in dem Sinne, dass sich das Kind jederzeit im Blickfeld der aufsichtspflichtigen Person befinden muss. Dies gilt besonders, wenn sich das Kind innerhalb einer geschlossenen Wohnung befindet (vgl. AG Bonn, Urteil vom 01. März 2011 – 104 C 444/10 –, juris Rn. 16). Es genügt jedenfalls für kürzere Zeitabschnitte, dass der Aufenthaltsort des Kindes bekannt oder schnell erfassbar ist und die Kontrolle auch aufgrund akustischer Wahrnehmungen vorgenommen werden kann. Der Sohn der Beklagten befand sich in derselben Wohnung, wenige Meter entfernt. Nur für die Zeitdauer, in der sich die Beklagte und ihr Mutter anzogen, war er außerhalb ihres Blickfelds. Deshalb ist die konkrete Dauer der Abwesenheit des Kindes, die im Streit steht, unerheblich. Selbst bei einer Abwesenheit von mehr als einer Minute ist es von verständigen Elternteilen nicht zu verlangen, dass das Kind permanent beobachtet werden muss. Eine ununterbrochene Überwachung zu jedem Zeitpunkt würde sowohl der Entwicklung des Kindes schaden, ist aber auch für die Eltern praktisch nicht zumutbar.
b) Schärfere Anforderungen an die Aufsichtspflicht sind nur dann zu stellen, wenn das Kind zu gefahrträchtigen Handlungen neigt (OLG Düsseldorf, NJW-RR 2002, 235). Dann hat der Aufsichtspflichtige auf diese konkrete Gefahr zu achten. Ihn trifft dann eine besondere Nachforschungspflicht, dahingehend, dass die Situation auf die konkrete Gefahrenlage überprüft wird, indem dem Kind gefolgt wird. Für die Annahme von gefahrträchtigen Handlungen und Eigenschaften des Kindes, die die Anforderungen der Aufsichtspflichtigen verschärfen, trägt die Klägerin als Geschädigte die Darlegungs- und Beweislast (Staudinger/Bernau (2018) BGB § 832 Rn. 191 f.). Zur Überzeugung des Gerichts steht fest, dass eine solche Neigung des Kindes der Beklagten in Bezug auf Küchenherde nicht bestand. Dies ergibt sich übereinstimmend, aus den Angaben der informatorisch angehörten Beklagten, die glaubhaft den schriftsätzlichen Vortrag bestätigte und im Übrigen den Angaben der Zeugin C., die den Vortrag insoweit noch bekräftigte. Neigungen zu anderen Gefahren, die einen höheren Grad der Aufsichtspflicht in der konkreten Situation bedingen könnte, wurden nicht vorgetragen.
c) Eine Aufsichtspflichtverletzung ist ferner nicht darin zu sehen, dass die Beklagte es unterließ zu überprüfen, was ihr Sohn während seiner Abwesenheit tat, nachdem er zurückgekehrt war. Eine solche Ausformung der Aufsichtsplicht besteht nicht abstrakt, sondern erst dann, wenn sich konkrete Anhaltspunkte ergeben, die auch aus Sicht eines verständigen Elternteils eine nachträgliche Überprüfung gebieten. Die Beweisaufnahme hat zur Überzeugung des Gerichts ergeben, dass eben ein solcher, konkreter Anhaltspunkt nicht vorlag. Die Angaben der Zeugin C. stützten den Vortrag der Beklagten, dass der Sohn der Beklagten mit einer Spielzeug-Lokomotive zurück in den Flur kam. Der Umstand, dass sie im vorprozessualen Schriftverkehr auf die Lokomotive noch nicht explizit hinwies, entkräftet die Glaubhaftigkeit ihrer Angaben nicht. Bereits ihrer Stellungnahme vom 25.11.2015 (Anlage B1) war zu entnehmen, dass sich die Zeugin das „Entwischen“ ihres Enkelkindes damit erklärte, dass es noch etwas holen wollte, wie Kinder dies eben tun. Die Zeugin hat vielmehr ruhig, sachlich und in chronologischer Reihenfolge Angaben zu den Geschehnissen des streitgegenständlichen Morgens gemacht. Dass die Zeugin keine Angaben machen konnte, wo sich die Spielzeug-Lokomotive damals konkret befand, ist nach Überzeugung des Gerichts nachvollziehbar, da gerade Kleinkinder dazu neigen, Spielzeuge über die gesamte Wohnungsfläche zu verteilen. Nach alldem bot sich der Beklagten bei Rückkehr ihres Sohnes ein Bild, das sein kurzzeitiges Verschwinden plausibel aufklärte und ihr aus diesem Grund keinen Anlass bot, weiter nachzuforschen, was er sonst noch getan haben könnte.
d) Eine konkrete Überprüfungs- oder Nachforschungspflicht ergibt sich auch nicht daraus, dass die Beklagte beabsichtigte die Wohnung zu verlassen. Aufsichtspflichtige haben nicht die Pflicht ohne nähere Veranlassung, eine Wohnung auf potentielle Gefahren zu untersuchen, die die zu beaufsichtigende Person geschaffen haben könnte.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.
3. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 11 Alt. 2, 711 S. 1 und 2 ZPO.