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Berufung gegen Scheinurteil – Fehlen eines Verkündungsprotokolls – Zurückverweisung

OLG München – Az.: 10 U 425/11 – Urteil vom 29.07.2011

1. Auf die Berufungen der Klägerin vom 28.01.2011 und des Beklagten zu 1) vom 27.01.2011 wird das den Parteien am 29.12.2010 bzw. 30.12.2010 zugestellte Endurteil des LG München I (Az. 17 O 22286/05) aufgehoben und der Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das LG München I zurückverwiesen.

2. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens bleibt dem LG München I vorbehalten.

Gerichtsgebühren für die Berufungsinstanz sowie gerichtliche Gebühren und Auslagen, die durch das aufgehobene Urteil verursacht worden sind, werden nicht erhoben.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

A.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Rückzahlung eines Vorschusses in Höhe von 12.000 €, den sie als Haftpflichtversicherer des Drittwiderbeklagten an den Beklagten zu 1) wegen eines Verkehrsunfalls am 14.02.2004 gegen 13:45 Uhr auf der BAB A92 bei Kilometer 15,500 bezahlt hat. Der Beklagte zu 1) begehrt mit der Widerklage die Feststellung, dass der klägerische Vorschuss nicht zurückgefordert werden kann und die Widerbeklagten an ihn Euro 12.917,97 bezahlen.

Hinsichtlich des Parteivortrags und der tatsächlichen Feststellungen erster Instanz wird auf das angefochtene Urteil (Bl. 269/280 d. A.) Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

Das LG München I hat nach Beweisaufnahme der Klage weitgehend stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Hinsichtlich der Erwägungen des Landgerichts wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen dieses, den Parteien am 29.12.2010 bzw. 30.12.2010 zugestellte Urteil haben der Kläger mit einem beim Oberlandesgericht München am 31.01.2011 eingegangenen Schriftsatz (Blatt 286 d.A.), der Beklagte zu 2) mit einem beim Oberlandesgericht München am 02.02.2011 eingegangenen Schriftsatz (Blatt 287/288) und der Beklagte zu 1) mit einem beim Oberlandesgericht München am 27.01.2011 eingegangenen Schriftsatz (Blatt 284/285) Berufung eingelegt.

Der Beklagte zu 2) hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 09.02.2011 (Blatt 290/291) wieder zurückgenommen.

Der Beklagte zu 1) hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 21.02.2011 (Blatt 292/299 d.A.) begründet. Der Kläger begründete seine Berufung mit Schriftsatz vom 18.02.2011 (Blatt 300/304 d.A.).

Die Klägerin beantragt, unter teilweiser Aufhebung des angefochtenen Urteils auch der gegen den Beklagten zu 2) gerichteten Klage stattzugeben.

Der Beklagte zu 1) beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, die Klage vollständig abzuweisen und der Widerklage stattzugeben, hilfsweise das Endurteil des Landgerichts München I vom 20.12.2010 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht München zurückzuverweisen.

Der Beklagte zu 2) beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen, hilfsweise das Endurteil des Landgerichts München I vom 20.12.2010 aufzuheben und den Rechtsstreit zur erneuten Entscheidung an das Landgericht München zurückzuverweisen.

Ergänzend wird auf die vorgenannten Berufungsbegründungsschriften, die Berufungserwiderungen vom 10.03.2011 (Bl. 306/307 d. A.), vom 28.03.2011 (Blatt 318/319 d.A.), vom 07.04.2011 (Blatt 322 d.A.), vom 11.04.2011 (Blatt 324/328 d.A.) und vom 01.06.2011 (Blatt 337/341 d.A.) sowie die Sitzungsniederschrift vom 17.06.2011 (Bl. 342/345 d. A.) Bezug genommen.

B.

Die statthaften sowie form- und fristgerecht eingelegten und begründeten, somit zulässigen Berufungen haben in der Sache jedenfalls vorläufig Erfolg.

I. Dass Landgericht hat ein die Instanz nicht abschließendes so genanntes Scheinurteil erlassen.

Das den Parteien zugestellte Urteil ist nicht verkündet worden, so dass ein mit der Berufung angreifbares Scheinurteil (kein anfechtbares Urteil, nichtiges Urteil oder Nichturteil) vorliegt (Senat NJW 2011, 689; Doukoff, Zivilrechtliche Berufung, 4. Auflage 2010, Rz. 168), welches aufzuheben ist.

1) Das Landgericht München I hatte zunächst mit Beschluss vom 07.12.2010 (Blatt 265/267 d.A.) die Entscheidung im schriftlichen Verfahren mit Verkündungstermin am 20.12.2010 angeordnet. In der durchnummerierten Akte befindet sich sodann bereits auf Blatt 268-280 der Akten das schriftlich abgefasste Urteil. Danach folgt auf Blatt 281 eine Anfrage der Staatsanwaltschaft Landshut und auf den Blättern 282 ff. Vorgänge betreffend das Berufungsverfahren. Ein Verkündungsprotokoll findet sich in der Akte nicht.

2) Von einer Verkündung des den Parteivertretern am 29. bzw. 30.12.2010 zugestellten Urteils kann daher nicht ausgegangen werden. Der Nachweis der ordnungsgemäßen förmlichen Verkündung eines Urteils kann ausschließlich durch das Verkündungsprotokoll geführt werden. Der am Ende des angefochtenen Urteils angebrachte Verkündungsvermerk des Urkundsbeamten kann diesen Nachweis nicht erbringen. Die nicht förmlich feststellbare Verkündung des Urteils wird auch nicht durch die förmliche Zustellung des mit dem unrichtigen Verkündungsvermerk versehenen Urteils ersetzt (BGH VersR 1989,604; OLG Frankfurt NJW-RR 1995,511)

Als Folge der Nichtverkündung muss der Senat die Nichtexistenz des erstinstanzlichen Urteils durch Aufhebung der den Parteien zugegangenen Entscheidung klarstellen und die Sache an das erstinstanzliche Gericht zwecks Beendigung des noch nicht abgeschlossenen Verfahrens zurückverweisen (BGH MDR 1995,89; OLG Rostock NJW 1995,404; OLG Frankfurt a.a.O.).

3) Für das weitere Verfahren wird im Hinblick auf den zwischenzeitlichen Referatswechsel beim Erstgericht auf Folgendes hingewiesen:

Im Falle der Zurückverweisung eines Scheinurteils und eines zwischenzeitlichen Referatswechsels beim Erstgericht kann dieses das Urteil durch den Referatsnachfolger des ausgeschiedenen Richters – mit Wirkung für die Zukunft (Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, 31. Aufl. 2010, § 310 Rz. 4) – neu verkünden (BGHZ 61, 369 [370]; Senat NJW 2011, 689; vgl. aber auch OLG Frankfurt a. M. NJW-RR 1995, 511) und sodann neu zustellen, wenn dieser die getroffene Entscheidung für zutreffend hält. Ebenso kann das Erstgericht erneut zur Sache verhandeln und eine völlig eigenständige Entscheidung erlassen. Vorliegend ist es nahe liegend von der letzteren Möglichkeit Gebrauch zu machen, weil sich die angefochtene Entscheidung auf eine Glaubwürdigkeitsprüfung stützt (vergleiche Seite 7/8 EU), die der Referatsnachfolger, der die Zeugen nicht selbst angehört hat, nicht übernehmen kann (vgl. zum Richterwechsel in einem laufenden Verfahren: Senat, Hinweis vom 02.08.2006 – 10 U3189/06; OLG Bremen OLGR 2009,352).

II. Die Kostenentscheidung war dem Erstgericht vorzubehalten, da der endgültige Erfolg der Berufungen erst nach der abschließenden Entscheidung beurteilt werden kann (OLG Köln NJW-RR 1987, 1032; Senat in st. Rspr., zuletzt Urt. v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [Juris, dort Rz. 32 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]).

Die Gerichtskosten waren gem. § 21 I 1 GKG niederzuschlagen, weil ein wesentlicher Verfahrensmangel, welcher allein gem. § 538 II 1 Nr. 1 ZPO zur Aufhebung und Zurückverweisung führen kann, denknotwendig eine unrichtige Sachbehandlung i. S. des § 21 I 1 GKG darstellt; dies gilt jedenfalls bei einem hier gegebenen offensichtlichen Verstoß gegen eine klare gesetzliche Regelung (BGH NJW 1962, 2107 = MDR 1962, 45; BGHZ 98, 318 [320]; BGH, Beschl. v. 27.01.1994 – V ZR 7/92 [Juris]; NJW-RR 2003, 1294; Senat in st. Rspr., zuletzt Urt. v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [Juris, dort Rz. 34 = VA 2010, 92 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [Juris, dort Rz. 32 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]).

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10 ZPO. Auch im Falle einer Aufhebung und Zurückverweisung ist im Hinblick auf die §§ 775 Nr. 1, 776 ZPO ein Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit geboten (BGH JZ 1977, 232; Senat in st. Rspr., zuletzt Urt. v. 19.03.2010 – 10 U 3870/09 [Juris, dort Rz. 34 = VA 2010, 93 – red. Leitsatz, Kurzwiedergabe]; v. 05.11.2010 – 10 U 2401/10 [VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann] und v. 13.05.2011 – 10 U 3951/10 [Juris, dort Rz. 32 = BeckRS 2011, 12188 m. zust. Anm. Kääb FD-StrVR 2011, 318319]), allerdings ohne Abwendungsbefugnis (OLG Düsseldorf a.a.O. ; Senat a.a.O. ).

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gem. § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, daß die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

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