BGH
Az: IV ZB 18/05
Beschluss vom 14.06.2006
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 14. Juni 2006 beschlossen:
Auf die Rechtsbeschwerde der Kläger wird der Beschluss des 10. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Dresden vom 3. März 2005 aufgehoben.
Den Klägern wird Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist gewährt.
Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen, das auch über die Kosten des Rechtsbeschwerdeverfahrens zu entscheiden hat.
Streitwert: 106.885,07 EUR
Gründe:
I. Die Kläger verlangen von der Beklagten die Rückzahlung eines Darlehens in Höhe von 106.885,07 EUR. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen das am 2. Dezember 2004 zugestellte Urteil wurde rechtzeitig Berufung eingelegt. Begründet wurde sie jedoch erst mit einem am 7. Februar 2005 eingegangenen Schriftsatz, in dem zugleich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die am 2. Februar 2005 abgelaufene Frist zur Berufungsbegründung beantragt wurde.
Die Kläger haben vorgetragen, in der Kanzlei ihres Prozessbevollmächtigten habe die erfahrene und bewährte Bürovorsteherin nach Zustellung des landgerichtlichen Urteils die Berufungs- und die Berufungsbegründungsfrist sowie die jeweils dazugehörigen Vorfristen zutreffend errechnet und auf einem an die Urteilsausfertigung gehefteten Zettel notiert. Diese Fristen seien zugleich in den Fristenkalender eingetragen worden mit Ausnahme der Berufungsbegründungsfrist, deren Eintragung aus unerklärlichen Gründen unterblieben sei. Auf dem Zettel, der an die Urteilsausfertigung in der Handakte geheftet war, sei jedoch die am 2. Februar 2005 ablaufende Berufungsbegründungsfrist zum Zeichen ihrer Eintragung in den Fristenkalender mit einem Haken und dem Zusatz „not.“ versehen worden. Diesen Sachverhalt hat die Bürovorsteherin an Eides statt versichert. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat weiter vorgetragen, er sei vom 24. bis 28. Januar 2005 in Urlaub gewesen; da die Vorfrist zur Berufungsbegründung am 26. Januar 2005 ablief, habe er die Berufung schon vor seinem Urlaub begründet und den Entwurf der Berufungsbegründung den Klägern zur Stellungnahme bis zum 31. Januar 2005 mit dem Hinweis übersandt, dass die Endfassung am 2. Februar 2005 bei Gericht sein müsse. Am 1. Februar sei die Antwort der Kläger in seiner Kanzlei eingegangen. Dass die Endfassung dann nicht am 2. Februar an das Berufungsgericht gefaxt worden sei, habe einzig daran gelegen, dass diese Frist nicht im Fristenbuch eingetragen gewesen sei. Das Fristversäumnis sei wegen der Aufarbeitung des urlaubsbedingten Arbeitsrückstaus erst am 7. Februar 2005 aufgefallen.
Das Berufungsgericht hat den Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zurückgewiesen und die Berufung der Kläger als unzulässig verworfen. Dagegen haben die Kläger rechtzeitig Rechtsbeschwerde eingelegt.
II. Die Rechtsbeschwerde ist gemäß § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 i.V. mit §§ 238 Abs. 2 Satz 1, 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthaft. Sie ist nach § 574 Abs. 2 Nr. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung zulässig.
1. Das Berufungsgericht hat offen gelassen, ob dem Prozessbevollmächtigten der Klägerin ein Verschulden bei der Überwachung seiner Bürovorsteherin vorzuwerfen sei. Jedenfalls habe er seine Pflicht zur eigenverantwortlichen Prüfung der richtigen Eintragung des Fristendes in Bezug auf die Berufungsbegründungsfrist verletzt. Die Handakte habe ihm aufgrund der zum 26. Januar 2005 notierten Vorfrist nach seiner Rückkehr aus dem Urlaub am Montag, dem 31. Januar 2005, vorgelegen. Wenn er die Bearbeitung bis zum Ablauf der Berufungsbegründungsfrist am Mittwoch, dem 2. Februar 2005, habe zurückstellen wollen, habe er die Eintragung dieser Frist durch seine Bürovorsteherin im Fristenkalender kontrollieren müssen. Hätte er dies getan, wäre ihm aufgefallen, dass das Ende der Berufungsbegründungsfrist überhaupt nicht im Kalender eingetragen war. Dadurch hätte die Fristversäumnis vermieden werden können.
2. Mit dieser Rechtsauffassung weicht das Berufungsgericht von der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ab. Danach hat der Rechtsanwalt zwar die Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist eigenverantwortlich zu prüfen, wenn ihm die Handakten zur Bearbeitung wegen einer fristgebundenen Prozesshandlung wie hier vorgelegt werden. Diese Pflicht erstreckt sich auch darauf, ob das (zutreffend errechnete) Fristende im Fristenkalender notiert worden ist. Dabei kann sich der Rechtsanwalt jedoch grundsätzlich auf eine Prüfung des Erledigungsvermerks in der Handakte beschränken. Ist die Erledigung der Eintragung im Fristenkalender wie hier ordnungsgemäß in der Handakte vermerkt und drängen sich insoweit keine Zweifel auf, braucht er nicht noch zu überprüfen, ob das Fristende auch tatsächlich im Fristenkalender eingetragen ist (vgl. BGH, Beschluss vom 22. September 1971 – V ZB 7/71 – VersR 1971, 1125 unter 1; Urteil vom 1. Juli 1976 – III ZR 88/75 – VersR 1976, 1154 unter II; Beschlüsse vom 14. Oktober 1987 – VIII ZB 16/87 – unter II 2 a und b, dokumentiert in juris; vom 22. Januar 1997 – XII ZB 195/96 – VersR 1997, 598 unter 1; vom 21. April 2004 – XII ZB 243/03 – FamRZ 2004, 1183 unter II 1 und 2; vom 1. Dezember 2004 – XII ZB 164/03 – FamRZ 2005, 435 unter II 3; Zöller/Greger, ZPO 25. Aufl. § 233 Rdn. 23 zum Stichwort Fristenbehandlung; Born, NJW 2005, 2042, 2046). Wollte man dem Berufungsgericht folgen, würde die zulässige Einschaltung von Bürokräften in die Fristenüberwachung weitgehend sinnlos, wie die Rechtsbeschwerde mit Recht hervorhebt.
3. Eine andere Rechtsauffassung ist auch dem Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 5. November 2002 (VI ZB 40/02 – NJW 2003, 437 unter II 3 b) nicht zu entnehmen, auf den sich das Berufungsgericht stützt. Soweit es dort heißt, dass dem Rechtsanwalt bei ordnungsgemäßer Erfüllung seiner Prüfungspflicht der Widerspruch zwischen dem von ihm persönlich bestimmten und in den Handakten notierten und dem im Fristenkalender festgehaltenen Fristende offenkundig geworden wäre, ergibt sich aus der Entscheidung nicht, dass sich in den Handakten neben dem vom Rechtsanwalt errechneten Fristende ein Vermerk befunden hätte, wonach die neue Frist auch im Fristenbuch notiert sei. Anders als im vorliegenden Fall kann es auch dann liegen, wenn der Rechtsanwalt die zur Vorfrist vorgelegte Akte nicht auf den Ablauf der Hauptfrist und deren Eintragung im Fristenbuch prüft, sondern mehrere Tage bis kurz vor dem Ende der Hauptfrist unbearbeitet lässt (vgl. BGH, Beschluss vom 17. Juni 1999 – IX ZB 32/99 – NJW 1999, 2680 unter II 2). Hier fiel der Ablauf der Vorfrist in die Urlaubszeit; der Prozessbevollmächtigte der Kläger hatte die Berufungsbegründung deshalb schon vor Antritt seines Urlaubs entworfen und den Klägern zur Stellungnahme mit dem Hinweis zugesandt, der Schriftsatz müsse in der Endfassung am 2. Februar 2005 bei Gericht sein. Darin kommt zum Ausdruck, dass er den Ablauf der Berufungsbegründungsfrist überprüft hatte, der ausweislich der Handakte auch im Fristenbuch vermerkt war.
III. Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die Bedenken des Berufungsgerichts gegen eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand greifen nicht durch. Es sind auch keine hinreichenden Anhaltspunkte für ein sonstiges Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Kläger erkennbar, insbesondere bei der Organisation der Fristenkontrolle (vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 – VIII ZB 115/02 – NJW 2003, 1815 unter II 3 a-c) oder bei der Überwachung der Bürovorsteherin. Der Prozessbevollmächtigte der Kläger hat ergänzend vorgetragen und eidesstattlich versichert, etwa zweimal pro Woche prüfe jeder in seiner Kanzlei tätige Anwalt stichprobenartig nach, ob die in den Handakten als notiert abgehakten Fristen auch tatsächlich im Fristenbuch eingetragen seien; Beanstandungen hätten sich bisher nie ergeben. Es fehlt danach jeder Anhalt dafür, dass die Bürovorsteherin die Erledigung in der Handakte etwa auch in anderen Fällen vor oder nicht in unmittelbarem Zusammenhang mit der Eintragung im Fristenbuch vermerkt hätte (dazu vgl. BGH, Beschluss vom 5. Februar 2003 aaO unter II 3 d).
Mithin haben die Kläger glaubhaft gemacht, dass die Frist zur Berufungsbegründung ohne eigenes oder ihnen nach § 85 Abs. 2 ZPO zuzurechnendes Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten versäumt worden ist. Daher war ihnen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. Damit wird der angegriffene Beschluss des Berufungsgerichts, soweit darin die Berufung als unzulässig verworfen wird, gegenstandslos.