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Bürgschaft für Bauvorhaben – Benachteiligung des Bürgen

LG Bonn – Az.: 1 O 18/17 – Urteil vom 28.06.2017

Die Beklagte wird verurteilt, die Bürgschaft der S AG vom 04.08.2015 Nr. … … …/… über 59.850,39 EUR betreffend die Leistung C, 120-Mio Programm, Rückbau/Dachabdichtung/Klempner an die Bürgin (S AG) zurückzugeben.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist hinsichtlich des Hauptsachetenors auf Herausgabe gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 60.000,00 EUR und im Übrigen ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

Die Beklagte erteilte der Klägerin mit Schreiben vom 03.07.2013 auf deren Angebot vom 27.05.2013 einen Auftrag für Rückbau-, Dachabdichtungs- und Klempnerarbeiten betreffend die Baumaßnahme „C 120-Mio. Programm“ hinsichtlich des Objekts S2-Platz … in … C2 im Wert von 1.673.491,88 EUR.

Dem Auftrag lagen u.a. die Besonderen Vertragsbedingungen 214 (BVB) des VHB-Bund-Ausgabe 2008 – Stand August 2012 zugrunde. Des Weiteren wurde die VOB/B in den Vertrag einbezogen.

Das Bauvorhaben wurde abgenommen und Schlussrechnung gestellt.

Die Besonderen Vertragsbedingungen (BVB) enthalten folgende Regelungen:

„5. Sicherungsleistung (§ 17 VOB/B)

5.1 Stellung der Sicherheit

Sicherheit für die Vertragserfüllung ist in Höhe von 5,00 v.H. der Auftragssumme zu leisten, sofern die Auftragssumme mindestens 25.000 Euro ohne Umsatzsteuer beträgt.

Die für Mängelansprüche zu leistende Sicherheit beträgt 3,00 v.H. der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge.

Rückgabezeitpunkt für eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche (§ 17 Abs. 8 Nr. 2 VOB/B):

6 Jahre

Stellt der Auftragnehmer die Sicherheit für die Vertragserfüllungsbürgschaft binnen 18 Werktagen nach Vertragsschluss (Zugang des Auftragsschreibens) weder durch Hinterlegung noch durch Vorlage einer Bürgschaft, so ist der Auftraggeber berechtigt, die Abschlagszahlungen einzubehalten, bis der Sicherheitsbetrag erreicht ist.

Nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz kann der Auftragnehmer verlangen, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird.

5.2 Art der Sicherheit

Für die Vertragserfüllung und die Mängelansprüche kann Sicherheit wahlweise durch Einbehalt oder Hinterlegung von Geld oder durch Bürgschaft geleistet werden.

Der Auftragnehmer kann die einmal von ihm gewählte Sicherheit durch eine andere der vorgenannten ersetzen.

Für vereinbarte Abschlagszahlungen (§ 16 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 VOB/B) und für vereinbarte Vorauszahlungen ist die Sicherheit durch Bürgschaft zu leisten.

5.3 Sicherheitsleistung durch Bürgschaft

Wird die Sicherheit durch Bürgschaft geleistet, ist dafür das jeweilige Formblatt des Vergabe- und Vertragshandbuches für die Baumaßnahmen des Bundes (VHB) zu verwenden, und zwar für

– die Vertragserfüllung das Formblatt 421

– die Mängelansprüche das Formblatt 422

– vereinbarte Vorauszahlungen und Abschlagszahlungen gem. § 16 Abs. 1 Nr. 1 Satz 3 VOB/B das Formblatt 423″

Nach dem seinerzeit verwendeten Vergabehandbuch Bund (VHB) enthält das Formblatt 421 (Vertragserfüllungsbürgschaft) folgende Klausel:

„Nach den Bedingungen dieses Vertrages hat der Auftragnehmer Sicherheit für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Erfüllung der Mängelansprüche zu leisten. Er leistet die Sicherheit in Form dieser Bürgschaft.“

Für die Rückgabe wird in der Richtlinie zu 421 bestimmt:

„Rückgabe

Die Bürgschaftsurkunde nach Formblatt Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft 421 ist erst nach Abnahme und Stellung der Sicherheit für Mängelansprüche zurückzugeben; es sei denn, dass Ansprüche des Auftraggebers, die nicht von der gestellten Sicherheit für Mängelansprüche umfasst sind, noch nicht erfüllt sind. Dann darf er auch für die Vertragserfüllungsansprüche einen entsprechenden Teil der Sicherheit bis zur Höhe der Kosten für die noch nicht erledigten Ansprüche zurückhalten.“

Für die Gewährleistungsbürgschaft ist in Formblatt 422 geregelt:

„Nach den Bedingungen dieses Vertrages hat der Auftragnehmer Sicherheit für die Erfüllung der Mängelansprüche zu leisten. Er leistet die Sicherheit in Form dieser Bürgschaft.“

Die Rückgabe wird in der Richtlinie zu 422 geregelt:

„Die Bürgschaftsurkunde nach Formblatt Mängelansprüchebürgschaft – 422 ist nach Ablauf von 2 Jahren zurückzugeben, sofern kein anderer Rückgabezeitpunkt nach Formblatt Besondere Vertragsbedingungen – 214.H, – 214.STB bzw. – 214.LE vereinbart ist. Soweit jedoch zu diesem Zeitpunkt innerhalb der Verjährungsfrist geltend gemachte Mängelansprüche noch nicht erfüllt sind, darf der Auftraggeber ebenfalls einen entsprechenden Teil der Sicherheit bis zur Höhe der Kosten für die noch nicht erledigten Ansprüche zurückhalten.“

Die Klägerin stellte die streitgegenständliche Bürgschaft der S AG (Anlage K4, Bl. … d.A.). Die Klägerin hatte zunächst Sicherheit in Form eines Bareinbehalts geleistet. Dieser Einbehalt wurde ihr gegen Gestellung der am 04.08.2015 ausgestellten Bürgschaft (Bl. … d.A.) als Austauschsicherheit ausbezahlt.

Die Beklagte wurde mit Schreiben des Prozessbevollmächtigten der Klägerin vom 17.11.2016 unter Fristsetzung zum 06.12.2016 zur Rückgabe der Bürgschaft aufgefordert.

Die Klägerin ist der Ansicht, dass eine Besicherung der Mängelrechte nach Abnahme mit 7 % der Auftragssumme einer Inhaltskontrolle nicht standhält. Aufgrund der vertraglichen Regelungen, insbesondere der kombinierten Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchebürgschaft, komme es sowohl inhaltlich als auch zeitlich zu einer Kumulierung von Sicherheiten, welche zu einer Übersicherung des Auftraggebers führe.

Die Klägerin beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Bürgschaft der S AG vom 04.08.2015 Nr. … … …/… über 59.850,39 EUR betreffend die Leistung C, 120-Mio Programm, Rückbau/Dachabdichtung/Klempner an die Bürgin (S AG) zurückzugeben, die Beklagte zu verurteilen, ihr vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.954,46 EUR zu erstatten zzgl. Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hierauf seit 14.12.2016.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte bezieht sich auf § 17 Abs. 8 Ziff. 1 VOB/B, der der Richtlinie zu Muster 421 entspreche. Die Sicherheit von 3 % diene vorrangig der Absicherung des Risikos aus zum Zeitpunkt der Abnahme nicht bekannten Mängeln. Mache der Auftragnehmer von seinem Austauschrecht (Austausch der Vertragserfüllungsbürgschaft gegen Mängelansprüchebürgschaft) keinen Gebrauch, habe dies zur Folge, dass über den Abnahmezeitpunkt hinaus alle Mängelansprüche als modifizierte Vertragserfüllungsansprüche gesichert bleiben würden.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist überwiegend begründet.

1.

Die Klägerin hat einen Anspruch gegen die Beklagte auf Rückgabe der streitgegenständlichen Bürgschaft gemäß § 812 Abs. 1 S. 1, 1. Var. BGB.

a.

Ein Rechtsgrund für die seitens der Klägerin gestellte Bürgschaft besteht nicht. Die streitgegenständliche Sicherungsabrede ist unwirksam, weil sie eine Übersicherung des Auftraggebers zur Folge hat. Die vorliegenden Vertragsbedingungen zur Sicherheitsleistung durch Bürgschaft führen zu einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers, § 307 Abs. 1 S. 1 BGB.

Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, liegt eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers vor, wenn die vom Auftraggeber gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu führen, dass der Auftragnehmer für einen jedenfalls erheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus für mögliche Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit durch selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 7 % der Auftragssumme zu leisten hat (vgl. BGH, Urteil vom 01.10.2014, Az.: VII ZR 164/12, Rn. 23).

Im Einzelnen stellt sich die BGH-Rechtsprechung hierzu wie folgt dar:

BGH, Urteil vom 25.03.2004, Az.: VII ZR 453/02, Rn. 28:

„Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts gewährt die Regelung über die Umwandlung in Nr. 6.1 Satz 3 BVB die Befugnis, unter den dort genannten Voraussetzungen die Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Gewährleistungsbürgschaft umzuwandeln. Davon unabhängig ist der Auftragnehmer nach Nr. 6.2 BVB berechtigt, den von der Schlußzahlung einbehaltenen Betrag von 3 % sofort durch eine eigenständige Gewährleistungsbürgschaft abzulösen. Macht der Auftragnehmer davon Gebrauch, kann dies zu einer Verdoppelung der Sicherheit des Beklagten führen, die in Höhe von maximal 6 % auch zur Befriedigung aller bis zum Empfang der Schlußzahlung und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche entstandenen Gewährleistungsansprüche besteht. Das belastet den Auftragnehmer im Hinblick auf den vereinbarten Sicherungszweck, der nicht nur Gewährleistungsansprüche, sondern auch Überzahlungen umfaßt, nicht unangemessen.“

Sodann BGH, Urteil vom 05.05.2011, Az.: VII ZR 179/10, Rn. 28:

„Der Bundesgerichtshof hat Gewährleistungsbürgschaften in Höhe von 5 % der Auftragssumme bisher nicht beanstandet. Er hat auch eine Vereinbarung als noch wirksam angesehen, die eine Sicherheit durch eine kombinierte Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft von 6 % vorgesehen hat, mit der gleichzeitig Überzahlungs- und Gewährleistungsansprüche abgesichert worden sind (BGH, Urteil vom 25. März 2004 – VII ZR 453/02, BauR 2004, 1143 = NZBau 2004, 322 = ZfBR 2004, 550). Eine Sicherheit von insgesamt 10 % übersteigt jedoch das unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer angemessene Maß. In § 14 Nr. 2 VOB/A a.F. bzw. § 9 Abs. 7 VOB/A n.F. ist vorgesehen, dass die Sicherheit für Mängelansprüche 3 % der Abrechnungssumme nicht überschreiten soll. Diese Regelung ist auf entsprechende Erfahrungswerte zurückzuführen, nach denen eine Sicherheit in dieser Höhe im Allgemeinen als angemessen und ausreichend und somit im Normalfall für Verträge mit der öffentlichen Hand als gewerbeüblich angesehen werden kann (Joussen in: Ingenstau/Korbion, 17. Aufl., VOB Teil A, § 9 Rn. 91). In der Praxis der privaten Bauwirtschaft hat sich eine Gewährleistungsbürgschaft von höchstens 5 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme durchgesetzt. Diese Höhe der Sicherheit trägt dem Umstand Rechnung, dass das Sicherungsinteresse des Auftraggebers nach der Abnahme deutlich geringer ist als in der Vertragserfüllungsphase. Sie nimmt vor allem Rücksicht darauf, dass die Belastung des Auftragnehmers durch Sicherheiten nach der Abnahme schon mit Rücksicht darauf, dass er den Vertrag erfüllt hat, und dem Auftraggeber wegen des geschuldeten Werklohns auch noch Leistungsverweigerungsrechte zustehen können, gering zu halten ist. Dazu zählt auch eine Belastung mit Avalzinsen. Eine deutlich höhere Sicherung über einen Zeitraum weit über die Abnahme hinaus ist nicht mehr hinnehmbar. Der Umstand, dass auch Überzahlungsansprüche abgesichert sind, führt nicht zu einer anderen Beurteilung. Es mag zwar ein Interesse des Auftraggebers erkennbar sein, auch nach der Abnahme Überzahlungsansprüche abzusichern. Ein schützenswertes Interesse an einer Sicherung in der vorgesehenen Höhe ist jedoch nicht gegeben. Dabei muss berücksichtigt werden, dass Abschlagszahlungen ohnehin nur auf jeweils nachgewiesene vertragsgemäße Leistungen gewährt werden, §16 Nr. 1 VOB/B a.F., § 16 Abs. 1 VOB/B n.F., und es der Auftraggeber durch eine entsprechende Prüfung selbst in der Hand hat, Überzahlungen weitgehend zu vermeiden (OLG Dresden, Urteil vom 15. Juli 2008 – 12 U 781/08 bei juris Rn. 11).“

Sodann BGH, Urteil vom 01.10.2014, Az.: VII ZR 164/12, Rn. 21-25:

„Die Sicherungsabrede in Nr. 6.1 BVB ist jedoch unwirksam, weil sie in Verbindung mit Nr. 34.6 ZVB und im Zusammenwirken mit Nr. 6.2 BVB eine Übersicherung des Auftraggebers für Gewährleistungsansprüche zur Folge hat, die ihm für den nach der Abnahme der Werkleistung liegenden Zeitraum zustehen können. Dies benachteiligt den Auftragnehmer im Sinne des § 9 Abs. 1 ABGB unangemessen.

aa) Nach den von der Klägerin gestellten Vertragsbestimmungen hat der Auftragnehmer eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme zu stellen, die nicht nur Vertragserfüllungs- und Überzahlungsansprüche, sondern auch Gewährleistungsansprüche absichert. Diese Bürgschaft wird gemäß Nr. 34.6 ZVB nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung zurückgegeben, wenn der Auftragnehmer vertragsgemäß erfüllt, etwaige Ansprüche (einschließlich Ansprüche Dritter) befriedigt und eine vereinbarte Sicherheit für die Gewährleistung geleistet hat. Diese Regelung ermöglicht es dem Auftraggeber, die Vertragserfüllungsbürgschaft auch noch längere Zeit nach der Abnahme zu behalten. Denn eine vorbehaltlose Annahme der Schlusszahlung durch den Auftragnehmer ist nicht zwingend, sondern es kann Streit über noch offene Forderungen des Auftragnehmers entstehen, der sich sogar über Jahre hinziehen kann, etwa dann, wenn er in einem Prozess ausgetragen wird. Die Klausel soll dem Auftraggeber nach der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung das Recht verschaffen, die Vertragserfüllungsbürgschaft solange zurückzubehalten, bis die Höhe der dem Auftragnehmer zustehenden Forderung feststeht. Auf diese Weise werden jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Gewährleistungsansprüche über die Vertragserfüllungsbürgschaft mitgesichert (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 VII ZR 179/10, BauR 2011, 1324 Rn. 23 = NZBau 2011,410).

bb) Das von der Klägerin gestellte Klauselwerk führt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers, weil er für einen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit von 7 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme leisten muss. Das ist durch das Sicherungsinteresse des Auftraggebers nicht mehr gedeckt.

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(1) Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, liegt eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers vor, wenn die vom Auftraggeber gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu führen, dass der Auftragnehmer für einen jedenfalls erheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus für mögliche Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit in Höhe von 10 % der Auftragssumme zu leisten hat (vgl. BGH, Urteil vom 20. März 2014 – VII ZR 248/13, BGHZ 200, 326 Rn. 16; Urteil vom 5. Mai 2011 – VII ZR 179/10, aaO Rn. 27 f.). Der Bundesgerichtshof hat für den nach der Abnahme liegenden Zeitraum Sicherheiten in Form von Gewährleistungsbürgschaften in Höhe von 5 % der Auftragssumme dagegen nicht beanstandet. In der Praxis der privaten Bauwirtschaft hat sich zur Absicherung der dem Auftraggeber nach Abnahme zustehenden Gewährleistungsansprüche die Stellung einer Gewährleistungsbürgschaft von höchstens 5 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme durchgesetzt. Diese Höhe der Sicherheit trägt dem Umstand Rechnung, dass das Sicherungsinteresse des Auftraggebers nach der Abnahme deutlich geringer ist als in der Vertragserfüllungsphase. Sie nimmt vor allem Rücksicht darauf, dass die Belastung des Auftragnehmers durch Sicherheiten nach der Abnahme schon mit Rücksicht darauf, dass er den Vertrag erfüllt hat und dem Auftraggeber wegen des geschuldeten Werklohns auch noch Leistungsverweigerungsrechte zustehen können, gering zu halten ist. Dazu zählt auch eine Belastung mit Avalzinsen. Eine deutlich höhere Sicherung über einen Zeitraum weit über die Abnahme hinaus ist daher nicht mehr hinnehmbar (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – VII ZR 179/10, aaO Rn. 28). Es kann dahinstehen, ob an der Rechtsprechung festzuhalten ist, dass in Ausnahmefällen eine Vereinbarung noch als wirksam anzusehen ist, die eine Sicherheit durch eine kombinierte Vertragserfüllungs- und Gewährleistungsbürgschaft von 6 % vorsieht, mit der gleichzeitig Überzahlungs- und Gewährleistungsansprüche abgesichert werden (vgl BGH, Urteil vom 25. März 2004 – VII ZR 453/02, BauR 2004, 1143, 1145 = NZBau 2004, 322). Eine Sicherheit von insgesamt 7 % übersteigt jedenfalls das unter Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen von Auftraggeber und Auftragnehmer angemessene Maß.

(2) Die Sicherungsabrede führt für einen – unter Umständen – erheblichen Zeitraum nach der Abnahme der Werkleistung zu einer Sicherung des Auftraggebers im Umfang von 7 %. Der Auftragnehmer hat nach der Vertragsbestimmung in Nr. 6.1 BVB eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme zu stellen. In Höhe von weiteren 2 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme ist der Auftraggeber zur Vornahme eines Sicherheitseinbehalts für Gewährleistung gemäß Nr. 6.2 BVB berechtigt, der durch Stellen einer unbefristeten selbstschuldnerischen Bürgschaft abgelöst werden kann. Insoweit unterscheidet sich das von der Klägerin gestellte Klauselwerk von demjenigen, das der Entscheidung des Bundesgerichtshofs vom 5. Mai 2011 (VII ZR 179/10, BauR 2011, 1324 = NZBau 2011, 410) zugrunde lag. Nach der dort formularmäßig vereinbarten Vertragsklausel konnte der Auftragnehmer den Sicherheitseinbehalt für Gewährleistung in Höhe von 5 % lediglich gegen Stellung einer Bürgschaft auf erstes Anfordern ablösen. Dies ist für den Auftragnehmer unangemessen belastend und deshalb für ihn nicht zumutbar, weil er durch diese Klausel gezwungen würde, zur Reduzierung der Sicherheit dem Auftraggeber jederzeitigen und auch ungerechtfertigten Zugriff auf seine Liquidität einzuräumen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – VII ZR 179/10,aaO Rn. 27). Auch für den Fall, dass der Auftragnehmer berechtigt ist, den Sicherheitseinbehalt für Gewährleistung gegen Stellung einer unbefristeten selbstschuldnerischen Bürgschaft abzulösen mit der Folge, dass der Auftragnehmer die Sicherheiten für Gewährleistungsansprüche nach der Abnahme ausschließlich in Form von Bürgschaften stellen kann, hat eine solche Klausel eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers zur Folge, wenn der Umfang der nach Abnahme der Werkleistung für Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers zu stellenden Sicherheiten 5 % der Abrechnungssumme deutlich überschreitet. Dies ist der Fall, wenn der Auftragnehmer für diesen Zeitraum Bürgschaften im Umfang von insgesamt 7 % zu stellen hat.“

Schließlich BGH, Urteil vom 22.01.2015, Az.: VII ZR 120/14, Rn. 16-18:

„a) Nach den von der Klägerin gestellten Vertragsbestimmungen hat der Auftragnehmer eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme zu stellen, die nicht nur Vertragserfüllungs- und Überzahlungsansprüche, sondern auch Gewährleistungsansprüche absichert. Die Bürgschaftsurkunde wird gemäß Nr. 34.6 ZVB nach vorbehaltloser Annahme der Schlusszahlung zurückgegeben, wenn der Auftragnehmer vertragsgemäß erfüllt, etwaige Ansprüche (einschließlich Ansprüche Dritter) befriedigt und eine vereinbarte Sicherheit für die Gewährleistung geleistet hat. Diese Regelung ermöglicht es dem Auftraggeber, die Vertragserfüllungsbürgschaft auch noch längere Zeit nach der Abnahme zu behalten. Denn eine vorbehaltlose Annahme der Schlusszahlung durch den Auftragnehmer ist nicht zwingend, sondern es kann Streit über noch offene Forderungen des Auftragnehmers entstehen, der sich sogar über Jahre hinziehen kann, etwa dann, wenn er in einem Rechtsstreit ausgetragen wird. Die Klausel soll dem Auftraggeber nach der maßgeblichen kundenfeindlichsten Auslegung das Recht verschaffen, die Vertragserfüllungsbürgschaft so lange so zu behalten, bis die Höhe der dem Auftragnehmer zustehenden Forderung feststeht. Auf diese Weise werden jedenfalls bis zu diesem Zeitpunkt entstandene Gewährleistungsansprüche über die Vertragserfüllungsbürgschaft mitgesichert (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 VII ZR 164/12, BauR 2015, 114 Rn. 22 = NZBau 2014, 759; Urteil vom 5. Mai 2011 – VII ZR 179/10, BauR 2011, 1324 Rn. 23 = NZBau 2011, 410).

b) Das von der Klägerin gestellte Klauselwerk führt mit diesem Inhalt zu einer unangemessenen Benachteiligung des Auftragnehmers, weil er für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit von 8 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme leisten muss. Das ist durch das Sicherungsinteresse des Auftraggebers nicht mehr gedeckt. Wie der Bundesgerichtshof bereits entschieden hat, liegt eine unangemessene Benachteiligung des Auftragnehmers vor, wenn die vom Auftraggeber gestellten Allgemeinen Geschäftsbedingungen dazu führen, dass der Auftragnehmer für einen jedenfalls erheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus für mögliche Gewährleistungsansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit durch selbstschuldnerische Bürgschaft in Höhe von 7 % der Auftragssumme zu leisten hat (vgl. BGH, Urteil vom 1. Oktober 2014 VII ZR 164/12, BauR 2015, 114 Rn. 24 = NZBau 2014, 759). Die hier in Rede stehende Sicherungsabrede führt für einen – unter Umständen – erheblichen Zeitraum nach der Abnahme der Werkleistung zu einer Sicherung des Auftraggebers im Umfang von 8 %. Der Auftragnehmer hat nach der Vertragsbestimmung in Nr. 6.1 BVB eine Vertragserfüllungsbürgschaft in Höhe von 5 % der Auftragssumme zu stellen. In Höhe von weiteren 3 % der Auftrags- bzw. Abrechnungssumme ist der Auftraggeber zur Vornahme eines Sicherheitseinbehalts für Gewährleistung gemäß Nr. 6.2 BVB berechtigt, der durch Stellen einer unbefristeten selbstschuldnerischen Bürgschaft abgelöst werden kann. Hierdurch wird der Auftragnehmer unangemessen benachteiligt mit der Folge, dass die Sicherungsabrede gemäß § 9 Abs. 1 AGBG unwirksam ist.“

Auch im vorliegenden Fall wird der Beklagten durch die Regelungen in Ziffer 5.1 der Vertragsbedingungen die Möglichkeit eröffnet, die Vertragserfüllungsbürgschaft noch längere Zeit nach der Abnahme zu behalten.

Eine Auslegung der Sicherungsabrede in Ziffer 5.1 ergibt, dass von der Erfüllungssicherheit auch Mängelansprüche abgedeckt sein sollten. Hierfür spricht bereits die im Formblatt 421 (Vertragserfüllungsbürgschaft) enthaltene Klausel. Die Mangelfreiheit gehört zur Vertragserfüllung des Auftragnehmers. Gemäß § 4 Abs. 7 VOB/B kann der Auftraggeber auch schon während der Leistungsausführung Mängelansprüche geltend machen. Die Gewährleistungsbürgschaft deckt beim VOB-Bauvertrag nur die Rechte des Auftraggebers aus § 13 VOB/B, nicht aber die aus § 4 Abs. 7 VOB/B ab (Werner/Pastor, Der Bauprozess, 14. Auflage, Rn. 1644 m.w.N.). Einer Vertragserfüllungsbürgschaft ist in aller Regel immanent, dass diese mit der Abnahme ihre Wirksamkeit verliert (vgl. OLG Celle, Urteil vom 26.04.2005, Az.: 16 U 207/04; Werner/Pastor a.a.O.). Die Vertragserfüllungsbürgschaft war vorliegend jedoch nicht bis zur Abnahme befristet. Geregelt wurde vielmehr, dass nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobener Ansprüche einschließlich Schadensersatz der Auftragnehmer verlangen kann, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird. Somit sollten auch Mängelansprüche gesichert werden.

Die Beklagte könnte deshalb aufgrund der vertraglichen Regelungen nach der Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz die Vertragserfüllungsbürgschaft (5 % der Auftragssumme) auch weiterhin für Mängel in Anspruch nehmen. Zudem wird die Gewährleistungssicherheit in Höhe von 3 % der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge fällig.

Haben die Parteien sowohl eine Vertragserfüllungssicherheit als auch eine Sicherheit für Mängelansprüche vereinbart, regelt § 17 Abs. 8 S. 1 VOB/B, dass die Vertragserfüllungssicherheit spätestens nach Abnahme und Übergabe der Mängelsicherheit zurückzugewähren ist.

Ziff. 5.1 der Vertragsbedingungen regelt hingegen, dass nach Abnahme und Erfüllung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz die Vertragserfüllungsbürgschaft in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt werden kann. Eine zeitliche Begrenzung für die Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft enthält diese Regelung nicht. Die Kombination der Sicherheiten (Vertragserfüllung + Gewährleistung) ist somit hinsichtlich ihrer Überschneidung nicht befristet. Die streitgegenständliche Sicherungsabrede führt mithin dazu, dass nach der Abnahme für Mängel insgesamt 8 % der Auftragssumme als Sicherheit einbehalten werden können.

Bereits eine Sicherheit von 7 % der Auftragssumme ist indes nach den bereits dargestellten Erwägungen des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 01.10.2014, Az.: VII ZR 164/12, Rn. 23 f. m.w.N.), denen die Kammer folgt, nicht mehr durch das Sicherungsinteresse des Auftraggebers gedeckt

Schon aus den Gründen der Übersicherung nach Abnahme ist die Sicherungsabrede insgesamt unwirksam, weil die beanstandete Klausel untrennbarer Teil der Sicherungsabrede ist.

b.

Ob die Regelung aus Ziff. 5.1, wonach die fälligen Abschlagszahlungen solange einbehalten werden können, bis der vereinbarte Sicherheitsbetrag erreicht ist, ebenfalls – insbesondere im Hinblick auf § 17 Abs. 6 Ziff. 1 VOB/B – unwirksam ist, kann dahinstehen.

2.

Die Klägerin hat jedoch keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Erstattung ihrer vorgerichtlichen Anwaltskosten von 1.954,46 EUR. Insbesondere folgt ein solcher Anspruch nicht aus §§ 280 Abs. 1 und 2, 286 Abs. 1 BGB. Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass die Beklagte bereits vor der Beauftragung des klägerischen Prozessbevollmächtigten in Verzug gesetzt worden ist. Hierauf wurde im Termin hingewiesen (insoweit unprotokolliert). Weiteres Vorbringen erfolgte nicht. Mangels Hauptforderung besteht auch kein Anspruch auf Erstattung der Zinsen.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 92 Abs. 2 Nr. 1, 709 S. 1 und S. 2 ZPO.

Der Streitwert wird auf 17.955,00 EUR festgesetzt.

Von keiner Partei sind Anhaltspunkte dargetan, dass eine Inanspruchnahme der Klägerin in einer bestimmten Höhe droht. Für den Streitwert wurde daher das Interesse der Klägerin gemäß § 3 ZPO mit 30 % der Bürgschaftsforderung bemessen (vgl. hierzu Zöller/Herget, ZPO, 28. Aufl. § 3 Rn. 16 „Bürgschaft“).

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