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Bussgeldverfahren – Angemessenheit der Mittelgebühr

Landgericht Düsseldorf

Az: I Qs 831/06 BuK

Beschluss vom 04.08.2006


Auf die sofortige Beschwerde des Betroffenen vom 27.06.2006 wird der Beschluss des Amtsgerichts Langenfeld vom 06.06.2006 unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im übrigen als unbegründet wie folgt abgeändert und neu gefasst:

Nach dem rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts Langenfeld vom 28.10.2005, Az.: 16 Owi 20 Js 5437/05 – 258105, sind dem Betroffenen seine notwendigen Auslagen aus der Staatskasse zu erstatten, die auf 379,14 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 09.12.2005 festgesetzt werden.

Der Betroffene trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens, jedoch wird die Gebühr für das Beschwerdeverfahren auf die Hälfte ermäßigt; in diesem Umfang trägt die Staatskasse auch die notwendigen Auslagen des Betroffenen im Beschwerdeverfahren.

Gründe:

Die zulässige sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg.

Der Betroffene macht mit seinem (korrigierten) Antrag vom 15.02.2006 (BI. 60f. GA) die Festsetzung seiner notwendigen Auslagen gegen die Staatskasse in Höhe von jeweils 20% über der Mittelgebühr geltend.

Entgegen der Ansicht des Amtsgerichts Langenfeld sind dem Betroffenen notwendige Auslagen in Höhe von 379,14 Euro entstanden.

Der Betroffene kann auf Grund des rechtskräftigen Urteils des Amtsgerichts Langenfeld vom 28.10.2005 dem Grunde nach Erstattung seiner notwendigen Auslagen von der Staatskasse verlangen. Die Kostengrundentscheidung kann nicht nachträglich gem. § 109a OWiG korrigiert werden.

Die systematische Einordnung der Vorschrift hat der Gesetzgeber nicht ausdrücklich geregelt. Richtiger Auffassung nach gehören Abs. 1 und 2 unterschiedlichen Verfahrensbereichen an. Abs. 1 wird nicht schon bei der Auslagengrundentscheidung berücksichtigt, sondern erst im Kostenfestsetzungsverfahren (LG Freiburg, NStZ 1990, 287; LG Hamburg, VRS 76, 308; AG Bayreuth, JurBüro 1987, 1380).

Abs. 2 ist, ebenso wie der Grundtatbestand des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO, Gegenstand der Grundentscheidung (Karlsruher Kommentar, OWiG, § 190a, Rn. 2). Fehlt dort eine dem Abs. 2 entsprechende Beschränkung der Auslagenerstattung, kann sie im Kostenfestsetzungsverfahren nicht nachgeholt werden (LG Koblenz 4. Strafkammer, Beschluß vom 13. November 1991, Az: 4 Qs 43/91, ZfSch 1992, 134135; a.A. LG Bremen, KostRspr. StPO § 467 (B) Nr. 84 m. abl. Anm. H. Schmidt).
Demnach hätte bereits im Rahmen der Kostengrundentscheidung berücksichtigt werden müssen, ob dem Betroffenen Auslagen entstanden sind, die er durch ein rechtzeitiges Vorbringen entlastender Umstände hätte vermeiden können, § 109a Abs. 2 OWiG.

Darüber hinaus liegen aber auch die Voraussetzungen des § 109a Abs. 2 OWiG nicht vor.

Abs. 2 ist eine Modifikation der Grundregel des § 467 Abs. 3 S. 2 Nr. 1 StPO. Diese Regelung hatte sich im Bußgeldverfahren als unbefriedigend und unzureichend erwiesen. Vor allem im Rahmen von Bußgeldverfahren wegen sog. Kennzeichenanzeigen machen Betroffene häufig gegenüber Polizei und Verwaltungsbehörde von ihrem Schweigerecht Gebrauch, um – nach Einspruch gegen den Bußgeldbescheid – in der Hauptverhandlung den wahren Täter zu benennen, zugunsten dessen zu diesem Zeitpunkt oft genug die Verfolgungsverjährung eingetreten ist.

Zwar handelt es sich vorliegend um einen solchen Fall, in dem erst in der Hauptverhandlung – nach Eintritt der Verfolgungsverjährung – der Name der Fahrerin bekannt gegeben wurde. Jedoch war im vorliegenden Fall bereits vor Erlass des Bußgeldbescheids ohne jeden Zweifel erkennbar, dass der Betroffene nicht der Fahrer des Fahrzeugs war, was ein Abgleich des Radarfotos mit dem Fotos des Personalausweises des Betroffenen (BI. 12 GA), ergibt. Darüber hinaus ergab sich auch aus dem Aktenvermerk der Kreispolizeibehörde, dass Halter und Fahrerin nicht identisch sind“ (BI. 9 GA).

Die Versagung der Auslagenerstattung ist stets begrenzt durch die Reichweite der vom Betroffenen gesetzten und ihm zurechenbaren Kausalität (Karlsruher Kommentar, OWiG, § 190a, Rn. 18). Daran fehlt es zum Beispiel, wenn der Betroffene einen entlastenden Umstand zwar verspätet oder gar nicht vorgetragen hat, die Beweislage im Übrigen aber so beschaffen war, dass das Verfahren unbeschadet des Verhaltens des Betroffenen bereits früher hätte eingestellt werden müssen (Karlsruher Kommentar, OWiG, § 190a, Rn. 2; AG Leverkusen ZfS 1997, 308; AG Aschaffenburg DAR 2002, 136 m. Anm. Rössel – rechtzeitige Feststellungsmöglichkeit der Nichtidentität von Fahrer und Betroffenem durch Lichtbildvergleich).

Ein solcher Fall liegt hier ohne jeden Zweifel vor, so dass es an der notwendigen Kausalität fehlt. Die Bußgeldbehörde hätte schon keinen Bußgeldbescheid erlassen dürfen, das Amtsgericht hätte schon keinen Termin zur Hauptverhandlung anberaumen dürfen.

Der Betroffene kann somit seine notwendigen Auslagen von der Staatskasse ersetzt verlangen.

Dem Betroffenen sind folgende notwendige Auslagen entstanden:
Gebühr gemäß Nr. 5100 W:

Die Gebühr gemäß Nr. 5100 W entsteht nach der Anmerkung (1) zu Nr. 5100 VV für die erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall.

Ausgangspunkt ist beim Wahlverteidiger grundsätzlich die Mittelgebühr des jeweils in Betracht kommenden Rahmens. Diese liegt bei 85,00 Euro.

Jedoch kann auch im Fall einer durchschnittlichen Ordnungswidrigkeit im Ergebnis einmal ein Betrag über oder auch unter dem Mittelwert des einschlägigen Rahmens angemessen sein (LG Flensburg, JB 76, 641; LG Göttingen, JB 02, 418; LG Stralsund, JB 00, 201).

Bedeutung haben hierbei auch die Gefahr eines Fahrverbots (LG Gera, JB 00, 581; AG Lüdinghausen JB 99, 132; a.M. AG Saarlouis AnwBl 05, 796) oder die Eintragung beim Kraftfahrtbundesamt (LG Rottweil, Rpfleger 93, 368 (Parkverstoß), AG Aschaffenburg, JB 02, 579; AG Lüdinghausen JB 99, 132, a.M. AG Saarfouis AnwBl 05, 796).

Im vorliegenden Fall ist im Ergebnis eine Grundgebühr nur in Höhe der Mittelgebühr angemessen.

Maßgeblich ist hierbei, dass sich die Sache im Zeitpunkt des ersten Gespräches mit dem Betroffenen für den Rechtsanwalt als eine durchschnittliche Geschwindigkeitsüberschreitung bei gleichzeitiger Verhängung eines Fahrverbots von einem Monat dargestellt hat und der Betroffene Voreintragungen beim Kraftfahrbundesamt hatte. Isoliert betrachtet wäre in diesem Stadium eine leichte Erhöhung der Mittelgebühr angemessen gewesen.

Zu der Grundgebühr gehört aber auch die Akteneinsicht in die Verfahrensakten, die einen wesentlichen Teil des der Grundgebühr zugrundeliegenden Verfahrens ausmacht. Die Akten des Verfahrens hatten einen sehr geringen Umfang und waren rechtlich und tatsächlich einfach.

Bereits durch die Akteneinsicht war für den Verteidiger durch einen einfachen Vergleich der Bilder erkennbar, dass der Betroffene nicht der Fahrer war.
Unter Berücksichtigung dieser Umstände, insbesondere im Hinblick darauf, dass im Zeitpunkt des ersten Gesprächs der Akteninhalt und die fehlende Identität von Betroffenem und Fahrer nicht bekannt gewesen sein dürfte, scheint vorliegend somit die Mittelgebühr in Höhe von 85,00 Euro gerechtfertigt.

Gebühr gemäß Nr. 5103 W:

Nach Anmerkung (1) zu Nr. 5100 VV deckt die Grundgebühr die „erstmalige Einarbeitung in den Rechtsfall“ ab, wovon ein erstes Informationsgespräch mit dem Mandanten und die Akteneinsicht durch den Rechtsanwalt umfasst werden (zu Nr. 4100 W mit wortgleicher Anmerkung 1: Burhoff in RVG, Nr. 4100 VV Rn. 12 f.). Die Einlegung eines Rechtsmittels geht hierüber hinaus und löst folglich eine Verfahrensgebühr nach Nr. 5103 W aus. Die Mittelgebühr liegt bei 135,00 Euro.
Allerdings scheidet der Ansatz der beantragten – erhöhten – Mittelgebühr aus. Zwar ist für Normalfälle die Mittelgebühr die billige Gebühr. Ein Normalfall liegt jedoch allenfalls insoweit vor, als es sich um ein Bußgeldverfahren wegen Geschwindigkeitsüberschreitung ohne rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten handelt. Der vom Rechtsanwalt in der Sache betriebene Aufwand hingegen könnte nicht geringer sein, da die Verfahrensgebühr ausschließlich durch das Einlegen eines Einspruchs ohne jegliche schriftliche Begründung ausgelöst wurde. Außerdem bewegt sich die Geldbuße mit 60,00 Euro am unteren Rand der von Nr. 5103 W erfassten Geldbußen von 40,00 Euro bis 5.000,00 Euro. Zwar verkennt die Kammer nicht, dass die Höhe der Geldbuße für die Berechnung der Verfahrensgebühr nur noch eine untergeordnete Rolle spielt, nachdem das Gesetz mit Nr. 5101 VV, Nr. 5103 VV und Nr. 5105 W nach der Höhe des Bußgeldes gestaffelte Gebührenrahmen vorsieht. Dies rechtfertigt es nach Ansicht der Kammer jedoch nicht, die Höhe der Geldbuße gänzlich außer Acht zu lassen. Nach alledem hält die Kammer eine Gebühr von 50,00 Euro für angemessen und ausreichend.

Gebühr gemäß 5109 VV:

Ausgangspunkt bei der Gebühr gemäß 5109 VV ist beim Wahlverteidiger ebenfalls grundsätzlich die Mittelgebühr des jeweils in Betracht kommenden Rahmens, die bei 135,00 Euro liegt.

Im vorliegenden Fall handelt es sich um ein Verfahren vor dem Amtsgericht das eine Geschwindigkeitsüberschreitung ohne rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten zum Gegenstand hat. Hinzu kommt, dass der Betroffene offensichtlich nicht der Fahrer des Fahrzeug war. Der vom Rechtsanwalt in der Sache betriebene Aufwand hingegen könnte in diesem Verfahrensabschnitt nicht geringer sein. Auch unter Berücksichtigung, dass weiterhin ein Fahrverbot drohte und Voreintragungen im Register des Kraftfahrtbundesamtes beim Betroffenen bestanden ist, eine Gebühr nur deutlich unter der Mittelgebühr angemessen. Denn auch in diesem Stadium war der Betroffene ersichtlich nicht der Fahrer und damit drohten Fahrverbot und Eintragungen beim Kraftfahrtbundesamt faktisch nicht.

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Die Kammer hält daher – bei gleichem Gebührenrahmen – ebenfalls eine Gebühr von
50,00 Euro für angemessen und ausreichend.

Gebühr gemäß 5110 VV:

Ausgangspunkt bei der Gebühr gemäß 5110 VV ist beim Wahlverteidiger erneut die Mittelgebühr des jeweils in Betracht kommenden Rahmens. Diese liegt bei 215,00 Euro.
Hinsichtlich der Gebühr gemäß 5110 W gelten die oben genannten Erwägungen zur Gebühr gemäß 5109 W entsprechend.

Hinzu kommt, dass der Termin nur sehr kurz gedauert hat und mit keinen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten verbunden war.

Unter Berücksichtigung des höheren Gebührenrahmens bei der Gebühr gem. 5110 W erscheint hier eine Gebühr in Höhe von 100,00 Euro angemessen und ausreichend.
Danach sind festzusetzen:

Grundgebühr Nr. 5100 VV 85,00 Euro
Verfahrensgebühr Nr. 5103 W 50,00 Euro
Verfahrensgebühr Nr. 5109 W 50,00 Euro

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