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Entfernungspauschalenkürzung 2007 verfassungswidrig?

FINANZGERICHT DES SAARLANDES

Az.: 2 K 2442/06

Beschluss vom 22.03.2007


In dem Rechtsstreit wegen Lohnsteuerermäßigung 2007 hat der 2. Senat des Finanzgerichts des Saarlandes in Saarbrücken im Einverständnis der Beteiligten ohne mündliche Verhandlung am 22. März 2007 beschlossen:

I. Das Verfahren wird ausgesetzt.

II. Dem Bundesverfassungsgericht werden gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz – GG -, § 80 Abs. 1 Bundesverfassungsgerichtsgesetz – BVerfGG – folgende Fragen zur Entscheidung vorgelegt:

1. Ist die durch Art. 1 des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. I, 1652) eingeführte Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 Einkommensteuergesetz – EStG – mit Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar?

2. Ist die durch Art. 1 des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. I, 1652) eingeführte Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG mit Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG vereinbar, soweit sie zu einer Beschränkung der Steuerfreiheit des Existenzminimums führen kann?

3. Ist die durch Art. 1 des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. I, 1652) eingeführte Vorschrift des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG mit Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG vereinbar, soweit sie für beiderseits berufstätige Ehegatten Geltung beansprucht?

III. Der Beschluss ergeht unanfechtbar.

Gründe

I.

Die Kläger sind Eheleute, die beim Beklagten zur Einkommensteuer zusammenveranlagt werden. Beide erzielen Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit. Die Kläger wohnen in X. Der Kläger ist Diplomökonom und arbeitet im 60 km von seinem Wohnsitz entfernten Zweibrücken. Die Klägerin ist Assistentin der Geschäftsführung im 75 km von der Wohnung entfernten Y. Die Kläger legen die Strecken jeweils arbeitstäglich mit ihrem Pkw zurück.

Die Kläger haben am 20. November 2006 beim Beklagten für das Jahr 2007 einen Antrag auf Lohnsteuer-Ermäßigung gestellt, mit dem sie Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (Entfernungspauschale) für den Kläger in Höhe von (220 Tage x 60 km x 0,30 € =) 3.960,00 € und für die Klägerin in Höhe von (220 Tage x 75 km x 0,30 € =) 4.950,00 € geltend machten. Der Beklagte berechnete die Entfernungspauschale entsprechend der ab dem Jahr 2007 geltenden Neufassung des § 9 Abs. 2 EStG ab dem 21. Entfernungskilometer und unter Kürzung um den Arbeitnehmer-Pauschbetrag von jeweils 920,00 € (§ 9a Satz 1 Nr. 1 a EStG). Für den Kläger ergab sich ein Freibetrag von 1.720,00 €, für die Klägerin ein solcher von 2.710,00 €. Im Übrigen wurde der Antrag mit Bescheid vom 20. November 2006 abgelehnt (Bl. 6 RbA).

Den Einspruch vom 21. November 2006 (Bl. 7 RbA) hat der Beklagte mit Einspruchsentscheidung vom 29. November 2006 als unbegründet zurückgewiesen (Bl. 8-12 RbA). Hiergegen richtet sich die am 7. Dezember 2006 bei Gericht eingegangene Klage.

Die Kläger beantragen sinngemäß (Bl. 39), unter Aufhebung des ablehnenden Verwaltungsaktes vom 20. November 2006 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 29. November 2006 die Feststellungsbescheide (Eintragung von Freibeträgen) vom 20. November 2006 dahingehend abzuändern, dass auf den Lohnsteuerkarten 2007 der Kläger ein weiterer Freibetrag von jeweils (220 Tage x 20 km x 0,30 € =) 1.320,00 € einzutragen ist.

Zur Begründung tragen die Kläger im Wesentlichen vor: Die Kürzung der Entfernungspauschale durch das Steueränderungsgesetz 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. I, 1652) verstoße gegen das objektive und das subjektive Nettoprinzip und sei deshalb wegen Verstoßes gegen Art. 3 Abs. 1 GG verfassungswidrig. Alle zwangsläufigen Kosten zur Erhaltung der Erwerbstätigkeit seien Werbungskosten. Dies gelte insbesondere vor dem Hintergrund des Art. 6 GG bei beiderseits berufstätigen Ehegatten wie den Klägern. Die Neuregelung verstoße auch gegen Art. 11 GG und Art. 14 GG.

Der Beklagte beantragt durch Festhalten an seiner Einspruchsentscheidung, die Klage als unbegründet abzuweisen.

Er stützt sich auf die geänderte Rechtslage. Der Gesetzgeber könne das objektive Nettoprinzip bei Vorliegen gewichtiger Gründe durchbrechen. Bei der Beschränkung des Werbungskosten- und Betriebsausgabenabzugs für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte sei die sachliche Rechtfertigung in der gebotenen Haushaltskonsolidierung zu sehen.

Die Beteiligten haben sich übereinstimmend mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung einverstanden erklärt (Bl. 21 [Beklagter], 40 [Kläger]).

Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Schriftsätze der Beteiligten und die beigezogenen Steuerakten des Beklagten Bezug genommen.

II.

Das Gericht legt die aus dem Entscheidungsausspruch ersichtlichen Fragen gemäß Art. 100 Abs. 1 GG, § 80 Abs. 1 BVerfGG dem Bundesverfassungsgericht zur Entscheidung vor. Bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts wird das Verfahren ausgesetzt.

Die Vorlage an das Bundesverfassungsgericht ist gemäß Art. 100 Abs. 1 GG i.V.m. § 80 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG geboten, weil der beschließende Senat § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der für das Streitjahr 2007 maßgebenden Fassung für verfassungswidrig hält. Der Senat ist davon überzeugt, dass die in den Vorlagefragen in Bezug genommene Rechtslage gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstößt, weil das objektive Nettoprinzip den Abzug der Aufwendungen für Fahrten zur Arbeitsstätte gebietet; der Senat ist ferner davon überzeugt, dass ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG vorliegt, weil die in Bezug genommene Rechtslage nicht in allen Fällen die Steuerfreiheit des Existenzminimums gewährleistet. Der Senat ist schließlich davon überzeugt, dass die in den Vorlagefragen in Bezug genommene Rechtslage gegen Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG verstößt, weil Aufwendungen für Fahrten zwischen dem Familienwohnsitz und der Arbeitsstätte bei beiderseits berufstätigen Ehegatten zwangsläufig sind.

1. Rechtsentwicklung / Rechtslage

Gemäß § 2 Abs. 1 Nr. 4 EStG unterliegen unter anderem Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit der Einkommensteuer. Unter Einkünften sind gemäß § 2 Abs. 2 Nr. 2 EStG der Überschuss der Einnahmen über die Werbungskosten im Sinne von §§ 8 bis 9a EStG zu verstehen. Werbungskosten definiert § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG als Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen.

Seit dem EStG 1920 gehören zu den Werbungskosten auch notwendige Ausgaben, die dem Steuerpflichtigen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte erwachsen sind (§ 13 Nr. 1 Buchst. d). Ohne materielle Änderung wurde die Vorschrift im EStG 1925 (§ 16 Abs. 5 Nr. 4) sowie im EStG 1934 (§ 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4) weitergeführt. Das Merkmal der Notwendigkeit diente dabei der Abgrenzung gegenüber den nichtabziehbaren Kosten der privaten Lebensführung im Sinne von § 12 Nr. 1 EStG. Bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs für diese Fahrten wurde in der Regel nur der Aufwand zum Abzug zugelassen, der auch bei Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel entstanden wäre.

Durch das Gesetz zur Neuordnung von Steuern vom 16. Dezember 1954 (BGBl. I, 373) wurde § 9 Satz 3 Nr. 4 EStG geändert und die Beschränkung auf notwendige Fahrtkosten aufgegeben. Danach stand es im Ermessen des Arbeitnehmers, welches Verkehrsmittel er für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte benutzte. Auf Grund einer Ermächtigung in § 9 Satz 3 Nr. 4 EStG 1955 beschränkte § 26 Abs. 1 der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vom 21. Dezember 1955 (BGBl. I, 756) – EStDV 1955 – die abziehbaren Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte auf eine Entfernung bis zu 40 Kilometer außer wenn die Entfernungsüberschreitung durch zwingende persönliche Gründe zu rechtfertigen war. Bei Benutzung eines eigenen Kraftfahrzeugs wurden durch § 26 Abs. 2 EStDV 1955 zur Abgeltung des Abzugs der Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte Pauschbeträge eingeführt (je Entfernungskilometer 0,50 DM für Kraftwagen, 0,22 DM für Motorrad und Motorroller, 0,12 DM für Fahrrad mit Motor). Durch Art. 1 Nr. 10 Buchst. b der Zweiten Verordnung zur Änderung der Einkommensteuer-Durchführungsverordnung vom 7. Februar 1958 (BGBl. I, 70) wurde für Kleinstkraftwagen ein weiterer Pauschbetrag in Höhe von 0,36 DM eingeführt.

Art. 1 Nr. 2 Buchst. b Doppelbuchst. aa des Zweiten Gesetzes zur Überleitung der Haushaltswirtschaft des Bundes in eine mehrjährige Finanzplanung vom 23. Dezember 1966 (BGBl. I, 702) – Steueränderungsgesetz 1966 – änderte § 9 Nr. 4 EStG erneut und nahm den Inhalt des § 26 Abs. 2 EStDV 1955 unter ausnahmsloser Festschreibung der Entfernungsbegrenzung von 40 km und Kürzung der Kilometer-Pauschale bei Benutzung eines eigenen Kraftwagens (pro Entfernungskilometer 0,36 DM für Kraftwagen, 0,16 DM für Motorrad und Motorroller) in das Gesetz auf.

Mit dem Steueränderungsgesetz 1971 vom 23. Dezember 1970 (BGBl. I, 1856) fiel mit Wirkung ab dem 1. Januar 1971 (§ 52 Abs. 9) die Entfernungsbegrenzung auf 40 km für alle Arten von Verkehrsmitteln weg. 1988 wurde dann die Möglichkeit des Abzugs der Kosten mehrerer täglicher Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte begrenzt. Auch wurden nur noch die Kosten der Fahrt von einer von mehreren Wohnungen des Arbeitnehmers anerkannt, wenn eine nicht der Arbeitsstätte am nächsten liegende Wohnung den Mittelpunkt der Lebensinteressen des Arbeitnehmers bildete und nicht nur gelegentlich aufgesucht wurde (§ 9 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 S. 2 und 3 EStG 1990 in der Fassung des Gesetzes vom 25. Juli 1988, BGBl. I, 1093).

Von 1988 bis 2001 änderte sich im Wesentlichen nur noch die Höhe der festgesetzten Pauschbeträge.

Mit dem Gesetz zur Einführung der Entfernungspauschale vom 21. Dezember 2000 (BGBl. I, 1918) wurde die Kilometerpauschale bei Fahrten mit dem eigenen oder zur Nutzung überlassenen Kraftfahrzeug durch eine verkehrsmittelunabhängige gestaffelte Entfernungspauschale von 0,70 DM bzw. 0,80 DM je Entfernungskilometer mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2001 eingeführt (zur Rechtsentwicklung im Einzelnen Bergkemper in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 EStG Anm. 441). § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 2006 lautete wie folgt: „Werbungskosten sind auch Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte. Zur Abgeltung dieser Aufwendungen ist (…) eine Entfernungspauschale für jeden vollen Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeitsstätte von 0,30 Euro anzusetzen, höchstens jedoch 4.500 Euro; ein höherer Betrag als 4.500 Euro im Kalenderjahr ist anzusetzen, soweit der Arbeitnehmer einen eigenen oder ihm zur Nutzung überlassenen Kraftwagen benutzt. (…)“ Mit Wirkung ab dem Veranlagungszeitraum 2007 wurde § 9 Abs. 1 Satz 3 Nr. 4 EStG 2006 aufgehoben. In § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG heißt es nunmehr ausdrücklich: „Keine Werbungskosten sind die Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte und für Familienheimfahrten“. Satz 2 lautet: „Zur Abgeltung erhöhter Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte ist ab dem 21. Entfernungskilometer für jeden vollen Kilometer der Entfernung eine

Entfernungspauschale von 0,30 Euro wie Werbungskosten anzusetzen, …“.

Bereits im Gesetzgebungsverfahren wurden verfassungsrechtliche Bedenken laut. So bat der Bundesrat in seiner Stellungnahme zum Gesetzesvorhaben (BT-Drs. 16/1859, S. 6) die Bundesregierung, „die im Entwurf vorgesehene Regelung zur Entfernungspauschale auf ihre Verfassungsfestigkeit insbesondere hinsichtlich der Kappungsgrenze von 20 Entfernungskilometern sowie der Einhaltung des steuerlichen Nettoprinzips zu prüfen und den Prüfbericht dem Deutschen Bundestag und dem Bundesrat zeitnah zukommen zu lassen“.

Die Bundesregierung teilte diese Bedenken nicht (BT-Drs. 16/1969, S. 1). Das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit sowie das objektive Nettoprinzip würden gewahrt. Zum objektiven Nettoprinzip, bei dem es sich um eine einfachgesetzliche, durch den Gesetzgeber bestimmte Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Gebots der Besteuerung nach der Leistungsfähigkeit handele, habe das Bundesverfassungsgericht bisher offen gelassen, ob die Geltung dieses Prinzips auch verfassungsrechtlich geboten sei. Indem der Gesetzgeber alle Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte künftig als privat veranlasst ansehe, definiere er den Anwendungsbereich des objektiven Nettoprinzips neu und halte sich im Rahmen seines verfassungsrechtlich anerkannten Einschätzungs- und Gestaltungsfreiraums.

2.

Verfassungsrechtliche Prüfung

a) Verfassungsrechtlicher Prüfungsmaßstab

Die Regelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ist an Art. 3 Abs. 1 GG zu messen. Sie ist überdies an Art. 1 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 1 GG zu messen, soweit sie dazu führen kann, dass die Steuerfreiheit des Existenzminimums beschränkt wird, und an Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG, soweit sie für beiderseits berufstätige Ehegatten Geltung beansprucht.

aa) Der Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG erfährt in der Verbindung mit den Strukturen des Einkommensteuerrechts eine Reihe besonderer Ausformungen.

Aus dem allgemeinen Gleichheitssatz ergeben sich je nach Regelungsgegenstand und Differenzierungsmerkmalen unterschiedliche Grenzen für den Gesetzgeber, die vom bloßen Willkürverbot bis zu einer strengen Bindung an Verhältnismäßigkeitserfordernisse reichen (vgl. BVerfG vom 2. Dezember 1992 1 BvR 196/88, BVerfGE 88, 5, 12; vom 26. Januar 1993 1 BvL 38, 40, 43/92, BVerfGE 88, 87, 96; vom 14. Juli 1999 1 BvR 995, 2288, 2711/95, BVerfGE 101, 54, 101; vom 4. April 2001 2 BvL 7/98, BVerfGE 103, 310, 318; vom 6. März 2002 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, 110 f. – dort auch zum Folgenden). Die grundsätzliche Freiheit des Gesetzgebers, diejenigen Sachverhalte tatbestandlich zu bestimmen, an die das Gesetz dieselben Rechtsfolgen knüpft und die es so als rechtlich gleich qualifiziert (vgl. BVerfG vom 8. April 1987 2 BvR 909, 934, 935, 936, 938, 941, 942, 947/82, 64/83, 142/84, BVerfGE 75, 108, 157; vom 6. März 2002 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, 125 f. – dort auch zum Folgenden), wird für den Bereich des Steuerrechts und insbesondere für den des Einkommensteuerrechts vor allem durch zwei eng miteinander verbundene Leitlinien begrenzt: durch das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit und durch das Gebot der Folgerichtigkeit.

bb) Aus Art 1 Abs. 1 i.V.m. Art 20 Abs. 1 GG folgt das Verfassungsgebot der Steuerfreiheit des eigenen Existenzminimums des Steuerpflichtigen (so der Erste Senat, vgl. BVerfG vom 29. Mai 1990 1 BvL 20, 26/84, 4/86, BVerfGE 82, 60, 85; a.A. früher der Zweite Senat, vgl. BVerfG vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153, 169: Art. 2 Abs. 1 unter Berücksichtigung von Art. 12, 14 GG; Nachweise bei Osterloh, in Sachs (Hrsg.), GG, Art. 3, Rn. 153).

cc) Art. 6 Abs. 1 GG schützt jede Ehe und Familie und garantiert zugleich eine Sphäre privater Lebensgestaltung, die staatlicher Einwirkung entzogen ist (ständige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, statt vieler: BVerfG vom 11. April 1967 2 BvL 3/62, BVerfGE 21, 329, 353; vgl. auch BVerfG vom 3. November 1982 1 BvR 620, 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61, 319, 346 f. m.w.N; vom 10. November 1998 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, 216, 231).

b) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ergeben sich aus dem allgemeinen Gleichheitssatz verfassungsrechtliche Einschränkungen bei der Bestimmung der Besteuerungstatbestände des Einkommensteuerrechts, die der Gesetzgeber zu beachten hat. Dazu zählt vor allem das Gebot der Ausrichtung der Steuerlast am Prinzip der finanziellen Leistungsfähigkeit. Die objektive Leistungsfähigkeit wird nach dem Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den beruflichen Erwerbsaufwendungen andererseits gemessen (objektives Nettoprinzip).

aa) Zur Tragweite des objektiven Nettoprinzips äußerte sich das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit eher zurückhaltend: Der Erste Senat gesteht in seiner Entscheidung zur Kürzung des Kilometerpauschbetrags von 0,50 DM auf 0,36 DM durch das Zweite Steueränderungsgesetz vom 21. Dezember 1967 (BGBl. I, 1254) der Einkommensteuer zwar zu, dass sie als Personensteuer die steuerliche Leistungsfähigkeit erfassen wolle. Daraus ergebe sich „vor allem das Prinzip der Nettobesteuerung des Einkommens“. Im Hinblick auf die steuergesetzlichen Durchbrechungen des Nettoprinzips lässt es das Bundesverfassungsgericht jedoch ausdrücklich offen, „ob dem geltenden Einkommensteuerrecht eine solche Sachgesetzlichkeit der Nettobesteuerung innewohnt. Auch wenn dies zuträfe, könnte der Gesetzgeber von diesem Prinzip abweichen, sofern er hierfür sachlich einleuchtende Gründe hätte (BVerfG vom 13. Februar 1964 1 BvL 17/61, 1 BvR 494/60, 128/61, BVerfGE 17, 232, 249 f.; vom 27. Januar 1965 1 BvR 213, 715/58, 66/60, BVerfGE 18, 315, 333 f. mit weiteren Nachweisen; vom 2. Oktober 1968 1 BvF 3/65, BVerfGE 24, 174, 181; vom 7. Mai 1969 2 BvL 15/67, BVerfGE 25, 371, 401 f.).“ Dies sei bei der Absenkung des Kilometerpauschbetrags der Fall (BVerfG vom 2. Oktober 1969 1 BvL 12/68, BVerfGE 27, 58). Die Entscheidung zum körperschaftsteuerrechtlichen Abzugsverbot von Aufsichtsratsvergütungen (BVerfG vom 7. November 1972, 1 BvR 338/68, BVerfGE 34, 103, 115 f.) verneint sogar ausdrücklich den verfassungsrechtlichen Stellenwert des objektiven Nettoprinzips. Es ließe sich nicht als eine vom Steuergesetzgeber statuierte Sachgesetzlichkeit im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts charakterisieren.

Den neueren Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts lässt sich freilich eine andere Tendenz entnehmen. In seiner Entscheidung zum Ausschluss der Verlustverrechnung nach § 22 Nr. 3 Satz 3 EStG konzediert der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts dem Gesetzgeber für den Sachbereich des Steuerrechts zwar bei der Auswahl des Steuergegenstandes und bei der Bestimmung des Steuersatzes einen weitreichenden Gestaltungsraum. Nach Regelung dieses Ausgangstatbestandes habe der Gesetzgeber aber die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umzusetzen (vgl. BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 136). Das Gericht führt dabei aus: „§ 2 Abs. 2 EStG sichert die Gleichbehandlung der sieben Einkunftsarten, soweit dort für alle Einkunftsarten das Prinzip begründet ist, den Erwerbseinnahmen die Erwerbsaufwendungen gegenüberzustellen und zum Abzug zuzulassen. Der Gesetzgeber erfasst sämtliche Einkunftsarten nach dem Nettoprinzip, das die durch Erwerbstätigkeit bedingten Aufwendungen zum Abzug zulässt, weil sie das disponible, für die Einkommensbesteuerung verfügbare Einkommen mindern.“ Die Einkommensteuer erfasse die Einkünfte, die der Steuerpflichtige „aus“ einer bestimmten Erwerbsgrundlage erzielt (§ 2 Abs. 1 EStG). Voraussetzungen seien gemäß § 2 Abs. 1 und 2 EStG eine Erwerbsgrundlage (Zustandstatbestand), deren Nutzung (Handlungstatbestand) und ein daraus sich ergebender Gewinn oder Überschuss (Erfolgstatbestand). Das Einkommensteuergesetz belaste die in § 2, §§ 13 ff. näher bestimmten Einkunftsarten grundsätzlich gleich. Soweit das Einkommensteuerrecht mehrere Einkunftsarten unterscheide und daran auch unterschiedliche Rechtsfolgen knüpfe, müssten diese ihre Rechtfertigung in besonderen sachlichen Gründen finden. Allein die systematische Unterscheidung durch den Gesetzgeber könne die Ungleichbehandlung in den Rechtsfolgen nicht rechtfertigen (vgl. BVerfG vom 8. Oktober 1991 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 363 f.; vom 10. April 1997 2 BvL 77/92, BVerfGE 96, 1, 6; vom 30. September 1998 2 BvR 1818/91, BVerfGE 99, 88; s. zuletzt auch BVerfG vom 7. November 2006 1 BvL 10/02, juris).

In seiner Entscheidung vom 6. März 2002 (2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, 82 ff.) zur Rentenbesteuerung hat das Bundesverfassungsgericht deutlich gemacht, dass „die den Einkommensteuergesetzgeber bindenden verfassungsrechtlichen Grundsätze folgerichtiger Bestimmung und Erfassung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit (…) ergänzt und unterstützt (werden) durch das Gebot realitätsgerechter Tatbestandsgestaltung. Danach können insbesondere

realitätsfremde Bemessungstatbestände für einkommensteuerlich berücksichtigungsbedürftige Aufwendungen gleichheitswidrig sein (vgl. zu Unterhaltsaufwendungen: BVerfG vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, 223; vom 17. Oktober 1984 1 BvR 527/80, BVerfGE 68, 143, 153; vom 29. Mai 1990 1 BvL 20, 26/84, 4/86, BVerfGE 82, 60, 88; vom 20. Januar 1994 1 BvL 12/86, BVerfGE 89, 346, 353); denn der Gleichheitssatz verlangt, dass die einkommensteuerrechtlichen Bemessungsgrundlagen in Einnahmen und Aufwand die erfassten wirtschaftlichen Vorgänge sachgerecht aufnehmen und realitätsgerecht abbilden (BVerfG vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, 290, im Anschluss an Beschluss vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 136).“

In dem Beschluss des Zweiten Senats vom 4. Dezember 2002 (2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 ff.) zur Begrenzung des Abzugs der Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung wird zunächst festgehalten, dass der einfache Gesetzgeber die für die Lastengleichheit im Einkommensteuerrecht maßgebliche finanzielle Leistungsfähigkeit nach dem objektiven und dem subjektiven Nettoprinzip bemesse. Danach unterliege „der Einkommensteuer grundsätzlich nur das Nettoeinkommen, nämlich der Saldo aus den Erwerbseinnahmen einerseits und den (betrieblichen / beruflichen) Erwerbsaufwendungen sowie den (privaten) existenzsichernden Aufwendungen andererseits.“ Dabei sei die grundsätzliche Abzugsfähigkeit der Kosten einer betrieblich oder beruflich begründeten doppelten Haushaltsführung als Betriebsausgaben oder Werbungskosten „traditioneller Teil der Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts, die steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst „am Werkstor“ beginnen zu lassen“.

bb) Für den Bereich des subjektiven Nettoprinzips ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das Verfassungsgebot der steuerlichen Verschonung des Existenzminimums des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie zu beachten (vgl. BVerfG vom 29. Mai 1990 1 BvL 20, 26/84, 4/86, BVerfGE 82, 60; vom 12. Juni 1990 1 BvL 72/86, BVerfGE 82, 198, 206 f.; vom 25. September 1992 2 BvL 5, 8, 14/91, BVerfGE 87, 153; vgl. auch BVerfG vom 20. Januar 1994 1 BvL 12/86, BVerfGE 89, 346, 354 f.; vom 10. November 1998 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, 216, 232 ff.).

Inwieweit über den Schutz des Existenzminimums hinaus auch sonstige unvermeidbare oder zwangsläufige private Aufwendungen bei der Bemessungsgrundlage einkommensmindernd zu berücksichtigen sind, ist verfassungsgerichtlich bislang noch nicht abschließend geklärt. Das Bundesverfassungsgericht hatte jedoch bereits vor seiner Rechtsprechung zur Verschonung des Existenzminimums dem Grunde nach gefordert, das Einkommensteuerrecht müsse solche zwangsläufigen Aufwendungen „berücksichtigen“ (vgl. BVerfG vom 23. November 1976 1 BvR 150/75, BVerfGE 43, 108, 120; desgl. vom 3. November 1982 1 BvR 620, 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61, 319, 344; vom 22. Februar 1984 1 BvL 10/80, BVerfGE 66, 214, 223). In neuerer Zeit hat der Erste Senat (vgl. BVerfG vom 20. Januar 1994 1 BvL 12/86, BVerfGE 89, 346, 354 f.) speziell zu Ausbildungskosten für Kinder jenseits des Existenzminimums eine staatliche Verpflichtung angenommen, solche Kosten teilweise zu übernehmen oder „wenigstens bei der Besteuerung der Eltern als Minderung ihrer Leistungsfähigkeit anzuerkennen“.

In seiner Entscheidung zur doppelten Haushaltsführung (BVerfG vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 ff.) hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts zwar darauf hingewiesen, dass generell – außerhalb des Feldes familiärer Unterhaltspflichten – wenig geklärt sei, ob und wieweit zwangsläufiger privater Aufwand von Verfassungs wegen einkommensmindernd zu berücksichtigen sei, wie etwa der Streit um die vor- oder nachgelagerte Besteuerung von Renten zeige (vgl. vom 6. März 2002 2 BvL 17/99, BVerfGE 105, 73, 82 ff.). Allgemein gelte aber: Für die verfassungsrechtlich gebotene Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit komme es nicht nur auf die Unterscheidung zwischen beruflichem oder privatem Veranlassungsgrund für Aufwendungen an, sondern jedenfalls auch auf die Unterscheidung zwischen freier oder beliebiger Einkommensverwendung einerseits und zwangsläufigem, pflichtbestimmtem Aufwand andererseits. Die Berücksichtigung privat veranlassten Aufwands stehe nicht ohne weiteres zur Disposition des Gesetzgebers. Dieser habe die unterschiedlichen Gründe, die den Aufwand veranlassen, auch dann im Lichte betroffener Grundrechte differenzierend zu würdigen, wenn solche Gründe ganz oder teilweise der Sphäre der allgemeinen (privaten) Lebensführung zuzuordnen seien.

cc) Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts schützt Art. 6 Abs. 1 GG jede Ehe und Familie und garantiert zugleich eine Sphäre privater Lebensgestaltung, die staatlicher Einwirkung entzogen ist (z.B. BVerfG vom 11. April 1967 2 BvL 3/62, BVerfGE 21, 329, 353; vgl. auch BVerfG vom 3. November 1982 1 BvR 620, 1335/78, 1104/79, 363/80, BVerfGE 61, 319, 346 f. m.w.N; vom 10. November 1998 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 99, 216, 231). Der Gesetzgeber muss, wenn er dem Gebot des Art. 6 Abs. 1 GG gerecht werden will, Regelungen vermeiden, die geeignet sind, in die freie Entscheidung der Ehegatten über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe einzugreifen (vgl. BVerfG vom 10. Januar 1984 1 BvL 5/83, BVerfGE 66, 84, 94; vom 17. November 1992 1 BvL 8/87, BVerfGE 87, 234, 258 f.).

In diesen Bereich fällt auch die Entscheidung darüber, ob eine Ehefrau sich ausschließlich dem Haushalt widmen oder beruflich tätig sein und eigenes Einkommen erwerben will; eine Einwirkung des Gesetzgebers dahin, die Ehefrau „ins Haus zurückzuführen“, wäre deshalb auch wegen eines Verstoßes gegen Art. 6 Abs. 1 GG verfassungswidrig (vgl. BVerfG vom 17. Januar 1957 1 BvL 4/54, BVerfGE 6, 55, 81 f.; vom 11. April 1967 2 BvL 3/62, BVerfGE 21, 329, 353).

Gleiches gilt, wenn der Ehemann durch eine gesetzliche Regelung in seiner Entscheidungsfreiheit hinsichtlich einer eigenen Erwerbstätigkeit beeinträchtigt wird, weil oder solange seine Ehefrau erwerbstätig ist. Der besondere verfassungsrechtliche Schutz von Ehe und Familie erstreckt sich auf die „Alleinverdienerehe“ ebenso wie auf die „Doppelverdienerehe“ (vgl. z.B. BVerfG vom 10. Januar 1984 1 BvL 5/83, BVerfGE 66, 84, 94; vom 17. November 1992 1 BvL 8/87, BVerfGE 87, 234, 258 f.).

Das Gericht hat in seiner Entscheidung zur doppelten Haushaltsführung (BVerfG vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 ff.) klargestellt, dass der Einkommensteuergesetzgeber den gebotenen Schutz der „Doppelverdienerehe“ verfehlt, wenn er Aufwendungen, die für beiderseits berufstätige Ehegatten zwangsläufiger Aufwand für die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf unter Bedingungen hoher Mobilität sind, nach Ablauf von zwei Jahren mit beliebig disponibler privater Einkommensverwendung gleichsetzt und für die Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehegatten unberücksichtigt lässt. Art. 3 Abs. 1 GG i.V.m. mit Art. 6 Abs. 1 GG gebiete es, Aufwendungen für eine doppelte Haushaltsführung bei der Bemessung der finanziellen Leistungsfähigkeit zu berücksichtigen, soweit es sich um zwangsläufigen Mehraufwand beiderseits berufstätiger Ehegatten handele, der dadurch entstehe, dass ein gemeinsamer Wohnsitz bei dem Beschäftigungsort des einen Ehegatten bestehe und zugleich die Unterhaltung eines weiteren Wohnsitzes durch die Berufstätigkeit des anderen Ehegatten an einem anderen Ort veranlasst sei.

c) Literatur und Rechtsprechung des BFH

aa) Das objektive Nettoprinzip ist in der Steuerrechtswissenschaft als wesentliches Strukturprinzip des deutschen Ertragsteuerrechts allgemein anerkannt (Nachweise bei Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Band II, S. 591). Die steuerrechtliche Abteilung des 57. Deutschen Juristentages hat 1988 in Mainz einstimmig beschlossen: „Steuerlich zu erfassen sind nur die „Reineinkünfte“, d.h., das Ergebnis der Verwirklichung eines Einkünftetatbestands nach Berücksichtigung der hierdurch veranlassten Erwerbsaufwendungen (Betriebsausgaben und Werbungskosten).“

Auch das subjektive Nettoprinzip hat sich in der Steuerrechtslehre allgemein durchgesetzt (Nachweise bei Lang, in Tipke / Lang, Steuerrecht, 18. Aufl. 2005, S. 236). Infolgedessen fasste die steuerrechtliche Abteilung des 57. Deutschen Juristentages 1988 in Mainz folgenden Beschluss: „Der Einkommensteuer unterliegt nur der Teil des Erwerbseinkommens, der für den Steuerpflichtigen disponibel ist. Die unvermeidbaren Aufwendungen für die eigene Existenzsicherung und den Unterhalt der Familienangehörigen müssen deshalb von der Besteuerung frei gestellt sein. Erst auf das sich danach ergebende Einkommen ist der Tarif anzuwenden. Die Degressionswirkung bei steuermindernden Abzügen ist keine Steuerbegünstigung, sondern die systemnotwendige Kehrseite der Progression bei den steuerbegründenden Zuflüssen.“

bb) Im Hinblick auf die derzeitige gesetzliche Neuregelung zur (Nicht-) Abzugsfähigkeit von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte geht die Literatur überwiegend von einer Verfassungswidrigkeit aus. Bei der Analyse der in der Literatur vertretenen Auffassungen zu den verfassungsrechtlichen Vorgaben für einen Abzug der Fahrtkosten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte ist zu differenzieren:

aaa) Die Rechtsprechung und ein großer Teil des Schrifttums machen einen Verstoß gegen das objektive Nettoprinzip und damit die Verfassungswidrigkeit der Abschaffung der Fahrtkosten- bzw. Entfernungspauschale daran fest, dass es sich bei den Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte um einen (ausschließlich) beruflichen Aufwand handelt (so BFH vom 2. März 1962, VI 79/60, BStBl. 1962 III 192, 194 unter C. 3.; vom 28. September 1977, GrS 2-3/77, BStBl. 1978 II 105, 108 unter B. II. 3. a); vom 12. Januar 1990, VI 29/86, BStBl. 1990 II 423, 424 unter 2.;Bergkemper in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 EStG Anm. 442; v. Bornhaupt in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 9 Rn. F 2; Drenseck, DB 1987, 2483 (2485) und FR 2006, 1 (6);Elicker, Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, S. 221; Hans, ZRP 2003, 385, 387; Hennrichs, BB 2004, 584, 586; Lenk, BB 2006, 1305, 1307; Richter/Theile, StuW 1998, 351, 353; Späth, DStZ 1985, 537, 538; Starke, DStZ 1985, 384, 384; Tipke, Die Steuerrechtsordnung S. 770 f.; Thürmer in: Blümich, EStG/KStG/ GewStG, § 9 EStG Rn. 250; a.A. v. Beckerath in: Kirchhof; EStG, 6. Aufl. 2006, § 9 Rn. 161; Jachmann, DAR 1997, 185, 188; Neeb, DStZ 1990, 556, 558; Offerhaus, BB 2006, 129, 130; Olbertz, BB 1996, 2489, 2491; Paus, DStZ 1985, 282, 283; Söhn, FR 1984, 25, 30 und FR 1997, 245, 247/248; Stark/Zimmer, in: Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Loseblatt, § 9 Rn. 811).

bbb) Ein anderer Teil des Schrifttums geht auch bei Annahme einer privaten Mitveranlassung der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte oder trotz dieser Annahme von einer Verfassungswidrigkeit der Abschaffung der Fahrtkosten- bzw. Entfernungspauschale aus (Drenseck, FR 2006, 1, 3 f., 6 f.; Hans, ZRP 2003, 385; Hennrichs, BB 2004, 584, 586 f.; Jachmann,DAR 1997, 185, 196; Lenk, BB 2006, 1305; Wesselbaum-Neugebauer, FR 2004, 385;

Wolf/Schäfer, DB 2003, 2402). Wesentliche Argumente sind, dass die Fahrtkosten zwangsläufig entstünden (etwa wenn ein Steuerpflichtiger mehrere Berufstätigkeiten an unterschiedlichen Orten ausübe, Ehegatten einer Arbeit an unterschiedlichen Orten nachgingen, ein Steuerpflichtiger seine Arbeit verliere und an einem anderen Ort eine neue Arbeit aufnehmen müsse) und es bei einer beachtlichen Zahl an Fällen zu einer Besteuerung des Existenzminimums

(subjektives Nettoprinzip) kommen könne.

ccc) Die Frage, ob die derzeitige gesetzliche Regelung zur (Nicht-) Abzugsfähigkeit von Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte verfassungswidrig sei, hat in der Literatur bislang – soweit ersichtlich – lediglich Offerhaus (BB 2006, 129) negativ beantwortet. Seiner Auffassung nach erfordere die Steuersystematik den Werbungskostenabzug nicht. Der Gesetzgeber sei insoweit frei. Leisner-Egensperger (BB 2007, 639) hält die Regelung zwar für „verfassungsrechtlich – noch – zulässig“. Sie konzediert allerdings gleichzeitig einen Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG, gegen Art. 12 Abs. 1 GG und gegen Art. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG.

d) Verfassungsrechtliche Erwägungen des vorlegenden Senats

aa) Der vorlegende Senat ist davon überzeugt, dass § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes vom 19. Juli 2006 (BGBl. I, 1652) insoweit gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verankerte objektive Nettoprinzip verstößt, als danach Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte keine Werbungskosten mehr darstellen.

aaa) Der (teilweise) Ausschluss des Abzugs von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte stellt einen Eingriff in das objektive Nettoprinzip dar, wonach der Besteuerung nur Nettogrößen (§ 2 Abs. 2 EStG) unterliegen, nämlich Salden aus Erwerbsbezügen (Erwerbserlösen) abzüglich Erwerbsaufwendungen (Erwerbskosten).

Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte sind Erwerbsaufwendungen.

In der Steuerrechtslehre werden seit jeher verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten zum steuergesetzlich gebotenen Zusammenhang zwischen Aufwendungen und Einnahmen vertreten. Aus dem Wortlaut des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG wird teilweise gefolgert, die Aufwendungen müssten zum Zwecke der Einnahmeerzielung getätigt werden (Nachweise bei Kreft in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 EStG Anm. 115). Die zwischenzeitlich herrschende Meinung stellt auf die Veranlassung der Aufwendungen durch eine auf Einkunftserzielung ausgerichtete Leistung ab und interpretiert damit den Betriebsausgaben- und den Werbungskostenbegriff trotz des unterschiedlichen Wortlauts inhaltsgleich nach dem Veranlassungsprinzip (Nachweise bei Kreft in: Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 9 EStG Anm. 115).

Aufwendungen für Fahrten zur Arbeitsstätte (und zurück) sind, gleich welcher Theorie man folgt, Erwerbsaufwendungen. Ohne die Fahrt zur Arbeitsstätte wird weder die berufliche Tätigkeit ausgeübt noch werden Einnahmen erzielt werden können.

Dieses Ergebnis kann auch nicht mit Blick auf die Rückfahrt zur privaten Wohnung in Frage gestellt werden (so aber Kirchhof, DStR 2003, Beihefter 5 zu Heft 37, S. 4). Die Rückfahrt wird nicht „isoliert“, sondern allein deshalb notwendig, weil der Arbeitnehmer zuvor – beruflich veranlasst – zur Arbeit hin fahren musste (zutreffend Hennrichs, BB 2004, 584, 586). Im Übrigen berücksichtigt das deutsche Einkommensteuerrecht nur die Entfernungskilometer, also die Aufwendungen für die einfache Strecke.

Die Aufwendungen sind auch nicht privat (mit-)veranlasst. Mag die Wahl des Wohnortes auch privat (mit-)bestimmt und deshalb der Sphäre der Lebensführung (Einkommensverwendung; § 12 Nr.1 EStG) zuzuordnen sein, so ändert dies nichts daran, dass die Wege zur Arbeit allein beruflich veranlasst sind. Die private Wohnortwahl ist ein der beruflich veranlassten Fahrt vorgelagerter (vorgegebener) Sachverhalt (so zutreffend Hennrichs, BB 2004, 584, 586; von Bornhaupt in: Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG (3/2002), § 9 Rn. F 2; Thürmer in: Blümich, EStG/KStG/GewStG, § 9 EStG Rn. 251; Bergkemper in: Herrmann/Heuer/Rau-pach, EStG/KStG, § 9 EStG Rn. 442; Drenseck in: Schmidt, EStG, 22. Aufl. 2003, § 9 Rn. 105). Das steuerrechtliche Schicksal der unterschiedlichen Aufwendungen, die sich nicht gleichzeitig, sondern gewissermaßen nacheinander verwirklichen, ist jeweils getrennt zu beurteilen (Drenseck, FS für Offerhaus, 1999, S. 497, 501 ff). Eine hypothetische Kausalkette (der Arbeitnehmer hätte keine Fahrtaufwendungen, wenn er direkt am Werkstor wohnen würde) darf nicht an die Stelle eines tatsächlichen Veranlassungszusammenhangs gesetzt werden (Hennrichs, BB 2004, 584, 586).

Real ursächlich für die Fahrtaufwendungen ist allein die Arbeit als einkommenserzielende Tätigkeit, nicht die (nur gedachte) Reserveursache.

Die Erwägung, dass der Steuerpflichtige keine (oder geringere) Aufwendungen hätte, würde er seine Wohnung an den Ort der Arbeitsstätte verlegen, ist der Systematik des Einkommensteuerrechts fremd. Maßgebend für die Ermittlung des Überschusses ebenso wie des Gewinns im Sinne von § 2 Abs. 2 EStG ist nur der tatsächliche Aufwand. Ebenso wenig wie ein Freiberufler oder Unternehmer, der Einkünfte aus selbständiger Arbeit bzw. Gewerbebetrieb erzielt, einkommensteuerrechtlich nur die Kosten für einen Kleinwagen als Betriebsausgaben geltend machen kann, obwohl diese Kosten weitaus geringer ausfielen als die für einen PKW der Oberklasse, muss ein Arbeitnehmer seine Werbungskosten niedrig halten, wenn sie einkommensteuerrechtlich anerkannt werden sollen. Das Einkommensteuerrecht verpflichtet die Steuerpflichtigen nicht zu möglichst sparsamen Erwerbsaufwendungen und kennt auch keine Obliegenheit, sparsam zu sein. Vielmehr vertraut das Einkommensteuerrecht bei Betriebsausgaben ebenso wie bei Werbungskosten auf das wirtschaftliche Interesse des Steuerpflichtigen, seine Kosten möglichst niedrig zu halten (Wieland, Verfassungsfragen der geplanten Streichung der Pendlerpauschale im Einkommensteuerrecht, Rechtsgutachten für die Hans-Böckler-Stiftung, S. 27).

Im Übrigen weisen Drenseck (DB 1987, 2483, 2484) und Elicker (StB 2005, 209, 210) zu Recht darauf hin, die Wahl des Wohnorts sei von vornherein aus der steuerrechtlichen Betrachtung auszuscheiden; sie sei insofern ein neutraler „Nullzustand“. Die Entscheidung, wo man seinen (Familien-) Wohnsitz nimmt oder beibehält, sei eine vom Staat zu respektierende und als gegeben hinzunehmende höchstpersönliche Entscheidung. Der Einwand, der Steuerpflichtige könne auch näher zu seiner Arbeitsstätte ziehen, müsse daher unbeachtlich bleiben (Elicker, Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, S. 221).

Durch das Postulat, die Arbeit beginne erst „am Werkstor“, hat der Gesetzgeber die Aufwendungen für die Fahrt zur Arbeitsstätte nicht in privat veranlasste Aufwendungen „umqualifiziert“. Mit der klaren Aussage, dass es eine „Grundentscheidung des deutschen Einkommensteuerrechts (sei), die steuerrechtlich erhebliche Berufssphäre nicht erst „am Werkstor“ beginnen zu lassen“ (BVerfG vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27, 50), dürfte das Bundesverfassungsgericht bereits die Kompetenz des Einkommensteuergesetzgebers für eine derartige (Grund-) Entscheidung in Frage gestellt haben.

Ungeachtet dessen ändert der gesetzgeberische Wille, die Erwerbstätigkeit erst an der Arbeits- oder Betriebsstätte beginnen zu lassen, nichts daran, dass die Erwerbsstätte zur Aufnahme der Tätigkeit erst erreicht werden muss (Tipke, FS für Raupach, S. 177, 181). Denn unbestritten sind auch Aufwendungen, die eine Erwerbstätigkeit vorbereiten (z.B. mit der Bewerbung um einen Arbeitsplatz zusammenhängende Ausgaben, Darlehenszinsen während der Bauphase eines Miethauses, Anlaufkosten vor Betriebseröffnung usw.), Erwerbsaufwendungen (so zu Recht Tipke, FS für Raupach, S. 177, 181).

bbb) Die Einschränkung des objektiven Nettoprinzips ist nach der Überzeugung des Senats gleichheitswidrig. Der Gesetzgeber hat das Gebot der „Folgerichtigkeit“ nicht beachtet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erstreckt sich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers zwar auf die Auswahl des Steuergegenstandes, jedoch muss er unter dem Gebot möglichst gleichmäßiger Belastung aller Steuerpflichtigen bei der Ausgestaltung des steuerrechtlichen Ausgangstatbestands die einmal getroffene Belastungsentscheidung folgerichtig im Sinne der Belastungsgleichheit umsetzen (BVerfG vom 27. Juni 1991 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 259; vom 11. November 1998, 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280; vom 7. November 2006 1 BvL 10/02, juris). Aus dem Gebot der Folgerichtigkeit ergibt sich wiederum die Verpflichtung des Gesetzgebers, im Interesse verfassungsrechtlich gebotener steuerlicher Lastengleichheit darauf abzuzielen, Steuerpflichtige bei gleicher Leistungsfähigkeit auch gleich hoch zu besteuern (vgl. BVerfG vom 27. Juni 1991, 2 BvR 1493/89, BVerfGE 84, 259). Dies ist bei dem (teilweisen) Ausschluss des Abzugs von Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte nicht geschehen.

Der Gesetzgeber hat die Neuregelung für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeits- oder Betriebsstätte nicht einheitlich und damit nicht folgerichtig verwirklicht.

Das Werkstorprinzip wird nur punktuell fiskalisch eingesetzt. Der Gesetzgeber lässt nämlich ab dem 21. Entfernungskilometer einen Steuerabzug „wie Werbungskosten“ (§ 9 Abs. 2 Satz 2 EStG) bzw. „wie Betriebsausgaben“ zu. Zwar werden diese Kosten nicht mehr als, sondern nur noch wie Werbungskosten behandelt. Bei genauerer Betrachtung zeigt sich allerdings, dass es sich insoweit im Wesentlichen um eine semantische und nicht um eine inhaltliche Veränderung handelt (Wieland, Verfassungsfragen der geplanten Streichung der Pendlerpauschale im Einkommensteuerrecht, S. 28). Dieser Abzug ist mit dem angeblichen Übergang zum „Werkstorprinzip“ nicht erklärbar und nicht zu rechtfertigen. Mit der behaupteten Geltung des „Werkstorprinzips“ ist auch die fortbestehende Abzugsmöglichkeit der Kosten für Familienheimfahrten im Rahmen der doppelten Haushaltsführung gemäß § 9 Abs. 2 Satz EStG n. F. nicht zu vereinbaren. Dass auch diese Aufwendungen nicht mehr als, sondern nur noch wie Werbungskosten abgezogen werden dürfen, ändert auch hier am Steuerabzug nichts. Die Abzugsbeschränkung gilt nach § 9 Abs. 2 Satz 11 EStG ferner nicht für behinderte Menschen; diese können für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte an Stelle der Entfernungspauschale die tatsächlichen Aufwendungen ansetzen. Und schließlich gelten nach § 6 Abs. 1 Nr. 4 Satz 3 EStG Fahrten zwischen Wohnung und Betriebsstätte und Familienheimfahrten bei der Ermittlung des betrieblichen Nutzungsumfangs eines Kraftfahrzeugs nicht als private, sondern als betriebliche Nutzung. Begründet wird dies mit der Absicht, die Vereinfachungswirkung der „1%-Regelung“ – deren Anwendungsbereich der Gesetzgeber zuvor durch das Gesetz zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen vom 28. April 2006 (BGBl. I, 1095) bewusst eingeschränkt hatte – nicht weiter zu beschneiden.

Nicht folgerichtig ist die Regelung ferner im Hinblick auf die Behandlung vergleichbarere Sachverhalte. Die Frage der Folgerichtigkeit kann sich nicht allein daran orientieren, ob der Gesetzgeber einen bestimmten Sachverhalt in sich schlüssig geregelt hat. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausdrücklich klargestellt, dass das Nettoprinzip ein übergreifendes, die Gleichbehandlung der sieben Einkunftsarten sicherndes Prinzip ist (vgl. BVerfG vom 8. Oktober 1991 1 BvL 50/86, BVerfGE 84, 348, 363 f.; vom 10. April 1997 2 BvR 1057, 1226, 980/91, BVerfGE 96, 1, 6).

Ginge man daher mit dem Gesetzgeber davon aus, dass Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte gemischt oder gar ausschließlich privat veranlasst sind, müsste dies auch für die Kosten einer doppelten Haushaltsführung gelten (Lang, StuW 2007, 3, 14), mit der Folge, dass auch diese nicht mehr als Erwerbsaufwendungen steuermindernd zu berücksichtigen wären. Der Gesetzgeber hat aber umgekehrt im Hinblick auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur doppelten Haushaltsführung (BVerfG vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 f.) die zeitliche Beschränkung der Aufwendungen aufgehoben, mit der Folge, dass Aufwendungen im Rahmen einer aus beruflichen Gründen veranlassten doppelten Haushaltsführung zeitlich wieder uneingeschränkt abzugsfähig sind. Dies würde etwa im Streitfall – unterstellt die weiter von der gemeinsamen Wohnung entfernt arbeitende Klägerin würde am Ort der Arbeit einen zweiten Haushalt begründen – bedeuten, dass die dann im Rahmen der doppelten Haushaltsführung anfallenden Aufwendungen steuerliche Anerkennung beanspruchen könnten. Diese Aufwendungen stellen aber faktisch nichts anderes dar als den Ersatz ansonsten anfallender Fahrtkosten im Zuge einer arbeitstäglichen Bewältigung der Strecke zwischen Wohnung und Arbeitsstätte.

Insoweit ist insbesondere vor dem Hintergrund des Schutzes von Ehe und Familie nicht nachvollziehbar und damit auch nicht folgerichtig, dass eine „Trennungssituation“, wie sie bei einer doppelten Haushaltsführung entsteht, zu steuerlich uneingeschränkter Abzugsfähigkeit von Aufwendungen führt, während eine „Familienzusammenführung“, wie sie die Kläger praktizieren, eine steuerliche Kappung des notwendigerweise anfallenden Aufwands bewirken soll.

Ein folgerichtiger Vergleichsmaßstab ließe ferner – über die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte hinaus – den gerade erst eingeführten Abzug von Kinderbetreuungskosten als (wie) Erwerbsaufwendungen (§§ 4f, 9 Abs. 5 EStG) nicht zu. Und schließlich ist der (teilweise) Abzug von Bewirtungsaufwendungen (§ 4 Abs. 5 Nr. 2 EStG) unter Zugrundelegung eines folgerichtigen Vergleichsmaßstabs nicht zu rechtfertigen (kritisch hierzu bereits Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Bd. II, 1. Aufl., S. 623). Unterstellt der Gesetzgeber bei Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte eine nicht unerhebliche private Mitveranlassung, müsste dies auch in diesen Sachzusammenhängen gelten.

bb) Der Ausschluss des Steuerabzugs für die ersten 20 Kilometer der Entfernung zwischen Wohnung und Arbeits- bzw. Betriebsstätte verstößt nach Auffassung des Senats auch gegen das subjektive Nettoprinzip.

Das aus dem Prinzip der Besteuerung nach der finanziellen Leistungsfähigkeit folgende subjektive Nettoprinzip hat insoweit unmittelbaren Verfassungsrang, als das Existenzminimum des Steuerpflichtigen und seiner unterhaltsberechtigten Familie zu beachten ist. Das Grundgesetz fordert, dass existenznotwendiger Aufwand in angemessener, realitätsgerechter Höhe von der Einkommensteuer freigestellt wird (BVerfG vom 11. Januar 2005 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164; vom 25. Mai 1990 1 BvL 20/84, BVerfGE 82, 60; vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 ff.; zusammenfassend: BVerfG vom 10. November 1998 2 BvL 42/93, BVerfGE 99, 246).

Das Niedersächsische Finanzgericht bejaht in seinem Vorlagebeschluss vom 27. Februar 2007 (8 K 549/06) im Anschluss an Lenk (BB 2006, 1305, 1306) einen Verstoß gegen das Verfassungsgebot der Steuerfreiheit des eigenen Existenzminimums des Steuerpflichtigen. Durch den Ausschluss des Abzugs der Aufwendungen für die ersten 20 Entfernungskilometer käme es in jenen Fällen zur Besteuerung des steuerlichen Existenzminimums, in denen bei einer steuerlichen Berücksichtigung dieser Aufwendungen keine Steuer angefallen wäre, weil das zu versteuernde Einkommen unter den entsprechenden Grenzwert gesunken wäre. Dem ist zuzustimmen.

Das subjektive Nettoprinzip ist aber auch dann verletzt, wenn die mangelnde Abzugsfähigkeit der Aufwendungen für die ersten 20 Entfernungskilometer zur Arbeitsstätte nicht zu einer Besteuerung des steuerlichen Existenzminimums führt. Nach dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Dezember 2002 (2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 ff.) ist nämlich für die Frage der Verletzung des (subjektiven) Nettoprinzips entscheidend, ob es sich um freie oder beliebige Einkommensverwendung handelt oder ob ein Aufwand für den Steuerpflichtigen zwangsläufig oder pflichtbestimmt ist.

Bei den Aufwendungen für die Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte handelt es sich nicht um eine beliebige Einkommensverwendung. Die Kosten sind vielmehr zwangsläufig. Vermieden werden könnten die Ausgaben nur dadurch, dass die erwerbstätigen Steuerpflichtigen ständig dorthin ziehen, wo sie eine Erwerbstätigkeit gefunden haben (Tipke, FS für Raupach, S. 177, 185). Diese Hypothese ist aber unrealistisch. Sie setzt nämlich voraus, dass es in der Nähe des Arbeitsplatzes immer ausreichend Wohnraum zu erschwinglichen Kosten gibt. Dies ist in Deutschland aber – gerade in Ballungszentren – nicht der Fall (Tipke, Die Steuerrechtsordnung, Teil II, 2. Aufl. 2003, 762f m.w.N; Hennrichs, BB 2004, 584, 586). Die Hypothese steht überdies nicht im Einklang mit dem grundrechtlich verbürgten Schutz von Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) und dem Grundrecht der Freizügigkeit (Art. 11 GG). Danach steht es jedermann frei, seinen Wohnsitz – auch einen gemeinsamen Familienwohnsitz – zu wählen oder beizubehalten. Die Annahme, der Steuerpflichtige könne seinen Wohnsitz immer in unmittelbarer Nähe zu seinem Arbeitsplatz wählen, würde bedeuten, dass Steuerpflichtige, die eine Familie haben, bei jedem Arbeitsplatzwechsel den Familienwohnsitz neu zu wählen hätten. Dies kann der Familie aber aus den unterschiedlichsten Gründen nicht zugemutet werden.

cc) In den Fällen beiderseits berufstätiger Ehegatten verstößt § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG in der Fassung des Steueränderungsgesetzes 2007 vom 19. Juli 2006 (BGBl. I, 1652) gegen Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 6 Abs. 1 GG. Aus diesen Grundrechtsnormen ergibt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein verfassungsrechtlich gebotener Schutz von Ehe und Familie (Beschluss vom 04. Dezember 2002, 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 ff.). Der Gesetzgeber muss danach u.a. Regelungen vermeiden, die geeignet sind, in die freie Entscheidung der Ehegatten über ihre Aufgabenverteilung in der Ehe einzugreifen. Dabei erstreckt sich der besondere Schutz der Ehe in Verbindung mit dem allgemeinen Gleichheitssatz auf die Gleichbehandlung der „Alleinverdienerehe“ gegenüber der „Doppelverdienerehe“.

Im Vorlagefall sind beide Ehegatten berufstätig und arbeiten an unterschiedlichen Orten. Ihre Arbeitsstätten sind dabei mehr als 80 km voneinander entfernt. Einen „aufwandsneutralen“ gemeinsamen Familienwohnsitz kann es somit nicht geben. Die Verlagerung des Familienwohnsitzes in die unmittelbare Nähe des Arbeitsplatzes eines Ehegatten würde vielmehr einen deutlich erhöhten Fahrtaufwand des anderen Ehegatten zur Folge haben. Garantiert ihnen Art. 6 Abs. 1 GG einen gemeinsamen Familienwohnsitz, stellen die Kosten der Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte bei diesen Steuerpflichtigen mithin zwangsläufigen Aufwand für die Vereinbarkeit von Ehe und Beruf dar.

Im Rahmen der Prüfung der Vereinbarkeit der zeitlichen Begrenzung der doppelten Haushaltsführung mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 6 Abs. 1 GG hat der Zweite Senat des Bundesverfassungsgericht entschieden, dass der Einkommensteuergesetzgeber den gebotenen Schutz der „Doppelverdienerehe“ verfehlt, wenn er Aufwendungen, die für beiderseits berufstätige Ehegatten unter Bedingungen hoher Mobilität zwangsläufig sind, nach Ablauf von zwei Jahren mit beliebig disponibler privater Einkommensverwendung gleichsetzt und für die Bemessung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit der Ehegatten unberücksichtigt lässt (BVerfG vom 4. Dezember 2002 2 BvR 400/98, 1735/00, BVerfGE 107, 27 ff.). Zwar sei der Wille zur gemeinsamen Lebensführung in der Ehe, der erst die Haushaltsführung zu einer doppelten macht, ein privater Veranlassungsgrund. Diesen Willen könne das Einkommensteuerrecht jedoch nicht ohne Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 GG bei der Bewertung der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit von „Doppelverdienern“ unberücksichtigt lassen: Das aus Art. 6 Abs. 1 GG folgende Verbot, die Vereinbarkeit von Ehe und Berufsausübung beider Ehegatten zu erschweren, führe dazu, dass der

Gesetzgeber bei beiderseits berufstätigen Ehegatten Aufwendungen für doppelte Haushaltsführung nicht deshalb als beliebig disponibel betrachten dürfe, weil solche Aufwendungen privat (mit-)veranlasst seien.

Diese Erwägungen des Bundesverfassungsgerichts gelten auch, soweit es um Aufwendungen für Fahrten zwischen dem gemeinsamen Familienwohnsitz und der jeweiligen Arbeitsstätte handelt.

Art. 3 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 GG gebietet es danach, zwangsläufigen Mehraufwand beiderseits berufstätiger Ehegatten, der durch einen gemeinsamen Wohnsitz entsteht, zum Abzug zuzulassen.

dd) Der Eingriff in die vorbezeichneten Grundrechte ist sachlich nicht gerechtfertigt. Der Gesetzgeber hat als Rechtfertigung das Ziel der Haushaltskonsolidierung benannt (BR-Drs. 330/06, S. 18; BT-Drs. 15/1545, S. 8). Dieses Ziel sei nicht ohne spürbare Einschnitte erreichbar. Das Steueränderungsgesetz 2007 enthalte deshalb u.a. Maßnahmen, die vor allem einen weiteren spürbaren Beitrag zur Stabilisierung der Steuerbasis leisten sollen. Dazu gehöre „die Beschränkung der Entfernungspauschale auf Fernpendler (Ausschluss von 20 Entfernungskilometern)“.

Fiskalpolitische Überlegungen, wie „die gebotene zügige und dauerhafte Konsolidierung der öffentlichen Haushalte“ (BR-Drs. 330/06, S. 1; BT-Drs. 15/1545, S. 1) können aber – wie Elicker zu Recht ausführt – keinen sachlichen Grund für die Durchbrechung des Leistungsfähigkeitsprinzips und des objektiven Nettoprinzips als eines seiner Subprinzipien sein (Elicker, Entwurf einer proportionalen Netto-Einkommensteuer, S. 81). Derartige Überlegungen rechtfertigen auch keinen Eingriff in den Schutzbereich von Ehe und Familie. Die Beachtung dieser Grundrechte läge ansonsten im freien Belieben des Gesetzgebers. Im Übrigen ist bei der aktuellen Steuergesetzgebung ein nicht nur punktuelles, sondern konsequentes Bemühen um Haushaltskonsolidierung gerade nicht zu erkennen (vgl. etwa das Gesetz zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung vom 26. April 2006, BGBl. I, 1091).

Der völlige Ausschluss des Steuerabzugs für die ersten 20 Entfernungskilometer kann auch nicht umweltpolitisch gerechtfertigt werden. Die derzeitige Regelung begünstigt Fernpendler. Eine umweltpolitische Zielrichtung kann ihr daher bereits deshalb nicht unterstellt werden, weil die Umweltschädlichkeit von Fahrten zwischen Wohnung und Erwerbsstätte mit der Entfernung zunimmt (Lang, StuW 2007, 3, 11). Im Übrigen war die Entfernungspauschale – gerade umgekehrt – als eine das Leistungsprinzip gezielt durchbrechende Umweltschutznorm (Steuerabzug ohne Aufwendungen) gerechtfertigt worden (Lang, StuW 2007, 3, 14, m.w.N.): Je mehr es dem Steuerpflichtigen gelingt, durch Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel und Bildung von Fahrgemeinschaften umweltschädliche Fahrtkosten zu sparen, desto stärker wird der Steuerpflichtige prämiert.

Überdies hat das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber zwar eingeräumt, dass das aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete allgemeine Gebot folgerichtiger tatbestandlicher Ausgestaltung steuerlicher Belastungsgrundentscheidungen ihn nicht daran hindere, nichtfiskalische Förderungs- und Lenkungsziele zu verfolgen (st. Rspr.; BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 147; vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, 296). Nur dann jedoch, wenn solche Förderungs- und Lenkungsziele von erkennbaren gesetzgeberischen Entscheidungen getragen würden, seien sie auch geeignet, rechtfertigende Gründe für steuerliche Belastungen oder Entlastungen zu liefern (vgl. BVerfG vom 22. Juni 1995 2 BvL 37/91, BVerfGE 93, 121, 147 f.; vom 11. November 1998 2 BvL 10/95, BVerfGE 99, 280, 296). Diese Anforderungen sind vorliegend nicht erfüllt. Mit der Neuregelung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG war die Verfolgung umweltpolitischer Ziele nicht bezweckt.

3.

Entscheidungserheblichkeit

Die Gültigkeit des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG ist im Streitfall entscheidungserheblich (§ 80 Abs. 2 BVerfGG). Das vorlegende Gericht würde im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift zu einem anderen Ergebnis kommen als im Falle ihrer Ungültigkeit.

a) Im Falle der Gültigkeit der in Frage gestellten Vorschrift wäre die Klage als unbegründet abzuweisen.

aa) Die Klage ist als Anfechtungsklage nach § 40 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung – FGO – zulässig.

Sofern sich zukünftig der angefochtene Verwaltungsakt durch Zeitablauf erledigen sollte, wäre die Klage nach entsprechendem Antrag der Kläger als Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO zulässig. Das Rechtsschutzbedürfnis der Kläger für die Fortsetzung des Ausgangsverfahrens besteht fort, selbst wenn das Lohnsteuer-Ermäßigungsverfahren 2007 nicht mehr unmittelbar zu einer Steuerermäßigung für 2007 führt. Das erforderliche Feststellungsinteresse ist zu bejahen, wenn in einem durch Zeitablauf erledigten Rechtsstreit um die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte die streitige Rechtsfrage auch das Lohnsteuerermäßigungsverfahren für die Folgejahre (st. Rspr., statt vieler: BFH vom 29. Mai 1979 VI R 21/77, BStBl. II 1979, 650) oder der auf das Streitjahr bezogenen Veranlagung von Bedeutung ist (st. Rspr., statt vieler: BFH vom 16. April 1980 VI R 7/77, BStBl. II 1980, 512). Diese Voraussetzungen sind im Vorlagefall erfüllt.

bb) Die Klage wäre jedoch unbegründet, würde die aktuelle Gesetzeslage einer verfassungsrechtlichen Prüfung standhalten.

Weitergehende Freibeträge sind nicht einzutragen. Nach § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG ist auf der Lohnsteuerkarte ein Freibetrag für Werbungskosten, die bei den Einkünften aus nichtselbstständiger Arbeit anfallen, einzutragen, soweit diese den Arbeitnehmerpauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG übersteigen.

aaa) Es kann dahinstehen, ob § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG für die ab dem 21. Entfernungskilometer „wie“ Werbungskosten abzuziehende Entfernungspauschale überhaupt zur Anwendung kommt oder ob er sich auf die Eintragung von „echten“ Werbungskosten beschränkt. Denn für die ersten 20 Entfernungskilometer steht den Klägern kein („wie“) Werbungskostenabzug zu.

Nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG ist erst ab dem 21. Entfernungskilometer eine Entfernungspauschale wie Werbungskosten anzusetzen. § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG schließt den Werbungskostenabzug für Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte (im Übrigen) aus.

bbb) § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG bestimmt, dass Aufwendungen des Arbeitnehmers für die Wege zwischen Wohnung und regelmäßiger Arbeitsstätte „keine Werbungskosten“ sind. Diese Aussage steht zwar in Widerspruch zu § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG, wonach Werbungskosten Aufwendungen zur Erwerbung, Sicherung und Erhaltung der Einnahmen und als solche bei der Einkunftsart abzuziehen sind, bei der sie erwachsen sind. Die ausdrückliche gesetzgeberische Einordnung der Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Arbeitsstätte als „Nicht-Werbungskosten“ verdrängt aber als speziellere Norm die allgemeine Aussage der § 9 Abs. 1 Sätze 1 und 2 EStG.

ccc) Ein Freibetrag ist nur für Werbungskosten einzutragen, soweit diese den Arbeitnehmerpauschbetrag nach § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG übersteigen. Es kann auch hier dahinstehen, ob sich § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG auch auf die nach § 9 Abs. 2 Satz 2 EStG „wie“ Werbungskosten abzuziehenden Aufwendungen bezieht (vgl. Niedersächsisches Finanzgericht, Vorlagebeschluss vom 27. Februar 2007 8 K 549/06, II 2., S. 4 f). Auch wenn dies zu verneinen wäre, kommt nach dem eindeutigen Wortlaut des § 39a Abs. 1 Nr. 1 EStG kommt eine Eintragung nur in der den Arbeitnehmerpauschbetrag übersteigenden Höhe in Betracht. Ob dieser

dem Grunde nach zur Anwendung kommt, ist mithin nicht entscheidend.

b) Im Falle der Nichtigkeit der in Frage gestellten Vorschrift wäre dem Klagebegehren (in vollem Umfang) stattzugeben. Die weitergehenden Freibeträge wären einzutragen, denn den Klägern wären Werbungskosten bei den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit angefallen.

aaa) Die geltend gemachten Aufwendungen für Fahrten zwischen Wohnung und Arbeitsstätte stellen Werbungskosten im Sinne des § 9 Abs. 1 Satz 1 EStG dar.

Sie sind, wie oben ausgeführt, beruflich veranlasst.

bbb) Die geltend gemachten Werbungskosten sind auch der Höhe nach berechtigt. Die Kläger könnten den tatsächlichen Aufwand in Höhe des von ihnen begehrten Betrages von 0,30 € je Entfernungskilometer als Werbungskosten absetzen.

Der tatsächliche Aufwand übersteigt den geltend gemachten Betrag von 0,30 € je Entfernungskilometer. Nach einer aktuellen Untersuchung des ADAC (ADAC, Autokosten 2006) betragen die Gesamtkosten pro gefahrenem Kilometer – modellabhängig – mindestens 0,25 €, mithin 0,50 € je Entfernungskilometer. Die Berechnung erscheint dem Senat als Grundlage einer Schätzung des tatsächlichen Aufwands geeignet. Sie geht von einer Haltedauer von vier Jahren, einer Fahrleistung von 15.000 km pro Jahr und einem der unverbindlichen Preisempfehlung des Herstellers entsprechenden Grundpreis aus. Sie berücksichtigt als Fixkosten Aufwendungen für eine Haftpflichtversicherung mit unbegrenzter Deckungssumme, Beitragssatz 50%, Regionalklasse R6 sowie die jeweilige Typklasseneinstufung, für eine Vollkaskoversicherung mit 500,00 Euro Selbstbeteiligung, Beitragssatz 50%, Regionalklasse R4 sowie die jeweilige Typklasseneinstufung, für Kfz-Steuer sowie eine Pauschale von 200,00 Euro jährlich für allgemeine Kosten (Parkgebühren, Landkarten, HU/AU usw). Als Werkstattkosten werden Aufwendungen für Ölwechsel und Inspektionen, typische Verschleißreparaturen (Auspuff oder Bremsen, eine neue Batterie, Glühlampen etc), Kosten für Reifenersatz und eine zusätzliche, vom ADAC festgelegte Reparaturkostenpauschale, gestaffelt nach Fahrzeugklassen, ab einer Haltedauer von über drei Jahren oder einer Gesamtlaufleistung ab 80.000 km berücksichtigt.

Zur Berechnung der Werkstattkosten legt die Untersuchung die durchschnittlichen Werkstattstundensätze nach Angaben der jeweiligen Hersteller, inkl. 16% MwSt. (2006) zugrunde. Die Untersuchung berücksichtigt ferner Betriebskosten, und zwar Kraftstoffkosten, Nachfüllkosten für Motoröl sowie eine Pauschale für Wagenwäsche/Pflege in Höhe von 250,00 Euro pro Jahr.

Die Kostenberechnung bezieht schließlich den Wertverlust eines Fahrzeugs mit ein, wobei die Wertverlustangaben aus den Gebrauchtwagenpreisnotierungen der Deutschen Automobil Treuhand (DAT) abgeleitet wurden.

c) Eine verfassungskonforme Auslegung des § 9 Abs. 2 Satz 1 EStG kommt aufgrund der eindeutigen Formulierung der Vorschrift nicht in Betracht. Zwar braucht eine verfassungskonforme Auslegung nicht am Wortlaut einer Norm haltzumachen, doch kann ein Normverständnis, das in Widerspruch zu dem klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers treten würde, auch nicht im Wege einer verfassungskonformen Auslegung begründet werden (vgl. BVerfG vom 19. Juni 1973 1 BvL 39/69, 14/72, BVerfGE 35, 263; vom 11. Januar 2005, 2 BvR 167/02, BVerfGE 112, 164).

Vorliegend entspricht es klar dem geäußerten Willen des Gesetzesgebers, dass die Kosten von dem ersten bis zum 20. Kilometer bei der Ermittlung der Einkünfte nicht mehr berücksichtigt werden. Der Gesetzgeber führt in seiner Gesetzesbegründung wörtlich aus: „Satz 1 (des § 9 Abs. 2) sieht vor, dass die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte/Arbeitsstätte grundsätzlich nicht mehr als Erwerbsaufwendungen abgezogen werden dürfen.

Die Arbeitssphäre beginnt nach dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung am Werkstor; die Aufwendungen für die Wege zwischen Wohnung und Betriebsstätte/Arbeitsstätte werden der Privatsphäre zugerechnet …“ (BT-Drs. 16/1545).

d) Der vorlegende Senat konnte ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 90 Abs. 2 FGO). Eine Richtervorlage ist ohne Durchführung der mündlichen Verhandlung im Ausgangsverfahren zulässig, wenn schon vor der mündlichen Verhandlung die Entscheidungserheblichkeit der Norm mit Sicherheit feststeht (BVerfG vom 31. Januar 1989 1 BvL 17/87, BVerfGE 79, 256 ff.). Dies ist vorliegend der Fall.

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