BGH
Az: IV ZB 16/10
Beschluss vom 09.03.2011
Der IV. Zivilsenat des Bundesgerichtshofes hat am 9. März 2011 beschlossen:
Der Senat beabsichtigt, die Rechtsbeschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 gegen den Beschluss des 2. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Köln vom 21. Juli 2010 durch Beschluss nach § 74a FamFG zurückzuweisen.
Die Beteiligten erhalten Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 30. März 2011.
Gründe
I.
Die Beteiligten zu 1 und 2 beantragen die Erteilung eines gemeinschaftlichen Erbscheins, wonach sie jeweils zu 1/2 Erben ihrer am 11. Juli 2009 verstorbenen Schwester geworden sind. Die Erblasserin war in erster Ehe verheiratet mit Hans Wilhelm .. . , mit dem sie am 10. Juli 1975 einen notariell beurkundeten Erbvertrag schloss. In diesem setzten der Ehemann die Erblasserin zur Alleinerbin und die Erblasserin die beiden Kinder des Ehemannes aus dessen erster Ehe – die Beteiligte zu 3 sowie eine vorverstorbene Schwester – zu ihren Erben ein. Ferner vermachte die Erblasserin den Beteiligten zu 1 und 2 die „Grundbesitzbeteiligung“ an einem ihr gehörenden Grundstück. Die Vertragsparteien behielten sich ein einseitiges Rücktrittsrecht vom Erbvertrag nicht vor. Nach dem Tod ihres Ehemannes am 9. Januar 1988 schlug die Erblasserin die Erbschaft wegen Überschuldung des Nachlasses aus. Im Dezember 1994 heiratete sie erneut und schloss mit ihrem zweiten Ehemann verschiedene Erbverträge. Nach dem Tod ihres zweiten Ehemannes errichtete die Erblasserin am 10. Mai 2001 ein notarielles Testament, in welchem sie die Beteiligten zu 1 und 2 als Erben zu je 1/2 einsetzte. Das Amtsgericht hat den Erbscheinsantrag zurückgewiesen. Die hiergegen gerichtete Beschwerde der Beteiligten zu 1 und 2 ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die Rechtsbeschwerde.
II.
Die Voraussetzungen für eine Zurückweisung der Rechtsbeschwerde nach § 74a Abs. 1 FamFG sind gegeben.
1.
Sollte das Beschwerdegericht eine Beschränkung der Zulassung der Rechtsbeschwerde zu der Frage beabsichtigt haben, wie die Grenzen zwischen einem beachtlichen und einem unbeachtlichen Rechtsirrtum im Rahmen der Erbvertragsanfechtung zu beurteilen sind, wäre dies unzulässig. Eine teilweise Zulassung der Rechtsbeschwerde kommt nur in Betracht, wenn – wie hier nicht – abtrennbare Verfahrensgegenstände vorhanden sind (vgl. Müther in Bork/Jacoby/Schwab, FamFG § 70 Rn. 19; Gottwald in Bassenge/Roth, FamFG/RPflG 12. Aufl. § 70 Rn. 13).
2.
Die Voraussetzungen zur Zulassung der Rechtsbeschwerde nach § 70 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 FamFG zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung liegen nicht vor.
a)
Der Zulassungsgrund der Fortbildung des Rechts setzt voraus, dass der Einzelfall Veranlassung gibt, Leitsätze für die Auslegung von Gesetzesbestimmungen des materiellen oder formellen Rechts aufzustellen oder Gesetzeslücken auszufüllen (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 292). Daran fehlt es hier, da die maßgeblichen Grundsätze geklärt sind. Die Jahresfrist für die Anfechtung nach § 2283 Abs. 2 BGB beginnt in den Fällen des Irrtums nach § 2078 BGB mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erblasser von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Ein Rechtsirrtum ist hierbei nur beachtlich, wenn er die Unkenntnis einer die Anfechtung begründenden Tatsache zur Folge hat, dagegen unerheblich, wenn es sich nur um eine rechtsirrtümliche Beurteilung des Anfechtungstatbestandes selbst ha n-delt. Die rechtsirrtümliche Beurteilung eines den Tatsachen nach richtig erkannten Anfechtungstatbestandes geht, soweit es sich um das Anfechtungsrecht und seine Ausübung handelt, zu Lasten des Berechtigten (BGH, Urteil vom 3. November 1969 – III ZR 52/67, FamRZ 1970, 79 unter I 1; RGZ 132, 1, 4 f.; MünchKomm-BGB/Musielak, 5. Aufl. § 2283 Rn. 4; Soergel/Wolf, BGB 13. Aufl. § 2283 Rn. 2). Ein Anlass für die Entwicklung weiterer höchstrichterlicher Leitsätze besteht auf dieser Grundlage nicht. Wann ein beachtlicher Rechtsirrtum vorliegt , ist über den Einzelfall hinaus nicht verallgemeinerungsfähig. Eine weitergehende abstraktgenerelle Abgrenzung zwischen beachtlichem und unbeachtlichem Rechtsirrtum erscheint nicht möglich.
b)
Der Zulassungsgrund der Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung im Sinne einer Divergenz setzt voraus, dass die anzufechtende Entscheidung ein und dieselbe Rechtsfrage anders beantwortet als die Vergleichsentscheidung (BGH, Beschluss vom 27. März 2003 – V ZR 291/02, BGHZ 154, 288, 292 f.). Daran fehlt es ebenfalls. Das Beschwerdegericht stellt den Rechtssatz auf, dass im Bereich des Motivirrtums nach § 2078 Abs. 2 BGB kein beachtlicher Rechtsirrtum vorliegen könne. Hierbei weicht es nicht von anderen Entscheidungen ab. Vielmehr nimmt beispielsweise auch das Bayerische Oberste Landesgericht an, es liege kein beachtlicher Irrtum vor, wenn der Erblasser davon ausgehe, aufgrund veränderter Vermögensverhältnisse nicht me hr an einen früheren Erbvertrag gebunden zu sein (NJW-RR 1991, 454, 455).
3.
Die Rechtsbeschwerde hat auch keine Aussicht auf Erfolg.
a)
Ohne Erfolg machen die Beschwerdeführer geltend, der Erbvertrag sei dahin auszulegen, dass der Erblasserin konkludent ein Rücktrittsvorbehalt für den Fall eingeräumt worden sei, dass entgegen den Erwartungen der Vertragsschließenden beim Tod des Ehemannes der Nachlass überschuldet sein werde, die Erblasserin die Erbschaft deshalb ausschlagen müsse und sie erst in der Zeit nach dem Tod des Ehemannes eigenes Vermögen erwerben werde.
aa)
Für die Feststellung des in einem Erbvertrag erklärten Erbla s-serwillens gelten die allgemeinen Auslegungsregeln der §§ 133, 2084 BGB. Hiernach ist der wirkliche Wille des Erblasse rs zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften (Senatsurteile vom 8. Dezember 1982 – IVa ZR 94/81, BGHZ 86, 41, 45; vom 24. Juni 2009 – IV ZR 202/07, NJW -RR 2009, 1455 Rn. 25). Für die Auslegung vertragsmäßiger Verfügungen i.S. von § 2278 BGB gelten daneben und modifizierend die Auslegungsregeln für Verträge gemäß §§ 133, 157 BGB. Maßgebend ist daher der gemeinsame Wille der Vertragsteile zum Zeitpunkt der Errichtung des Erbvertrages (Staudinger/Kanzleiter, BGB [2006] Einl. zu § 2274 ff. Rn. 30). Diese Aufgabe der Auslegung obliegt in erster Linie dem Tatrichter. Seine Auslegung kann mit der Revision bzw. Rechtsbeschwerde nur angegriffen werden, wenn sie gegen gesetzliche Auslegungsregeln, allgemeine Denk- und Erfahrungsgrundsätze oder Verfahrensvorschriften verstößt (Senatsurteil vom 24. Februar 1993 – IV ZR 239/91, BGHZ 121, 357, 363).
bb)
Solche Auslegungsfehler hat die Rechtsbeschwerde nicht darzulegen vermocht. Insbesondere kommt angesichts der eindeutigen Regelung in VII des Erbvertrages mit dem Ausschluss eines einseitigen Rücktrittsrechts keine Auslegung des Vertrages dahin in Betracht, dass die Vertragsschließenden gleichwohl der Erblasserin einen stillschweigenden Rücktrittsvorbehalt für den Fall der Veränderung de r Vermögensverhältnisse einräumen wollten. Ansonsten würde auch die vom Gesetz vorgesehene Bindungswirkung des Erbvertrages vorschnell ausgehöhlt. Hinzu kommt, dass den Vertragschließenden die prekäre finanzielle Situation des Ehemannes keineswegs unbekannt war. Die Beschwerdeführer haben selbst vorgetragen, dass die unternehmerische Tätigkeit des Ehemannes der Erblasserin im Ergebnis nicht erfolgreich verlief und der Erbvertrag erkennbar von der Absicht geprägt gewesen sei, das Vermögen der Eheleute dem Zugriff von Gläubigern zu entziehen.
b)
Auch die von den Beschwerdeführern erklärte Anfechtung des Erbvertrages greift nicht durch. Ob -wie das Beschwerdegericht meint im Bereich des Motivirrtums nach § 2078 Abs. 2 BGB überhaupt kein beachtlicher Rechtsirrtum vorliegen könne, kann offen bleiben. Jedenfalls im vorliegenden Fall ist das Beschwerdegericht zutreffend davon ausgegangen, dass das Anfechtungsrecht der Erblasserin wegen eines unterstellten Motivirrtums im Zeitpunkt der Anfechtungserklärung bereits erloschen war. Gemäß § 2283 Abs. 2 Satz 1 Halbsatz 2 BGB beginnt die
Frist mit dem Zeitpunkt, in welchem der Erblasser von dem Anfechtungsgrund Kenntnis erlangt. Die Beschwerdeführer machen als Motivirrtum geltend, die Erblasserin sei nicht von eine r Bindungswirkung des Erbvertrages für den Fall ausgegangen, dass der Nachlass der Eheleute selbst überschuldet war, sie die Erbschaft nach ihrem Ehemann ausschlagen musste und erst später selbst neues Vermögen hinzu erworben hat.
Im Zeitpunkt des Todes ihres Ehemannes am 9. Januar 1988 kannte die Erblasserin aber alle für die Anfechtung maßgeblichen tatsächlichen Umstände, nämlich Bestand und Inhalt des Erbvertrages, Eintritt des Erbfalles und Überschuldung des Nachlasses. Wenn sie gleichwohl zu einer Fehleinschätzung der Bindungswirkung des Erbvertrages gelangte, weil sie irrig davon ausging, dass dieser sich nicht auf von ihr zukünftig erworbenes Vermögen bezieh e oder durch die Änderung der Vermögensverhältnisse automatisch seine Wirkung verliere, so handelt es sich um einen unbeachtlichen Rechtsirrtum. Entsprechendes gilt, falls die Erblasserin davon ausgegangen sein sollte, bereits durch die erklärte Ausschlagung sei die Bindungswirkung des Erbvertrages erloschen. Ein Recht des Überlebenden, nach Ausschlagung seine Verfügung durch Testament aufzuheben, sieht § 2298 Abs. 2 Satz 3 BGB nur für den Fall vor, dass im Erbvertrag bereits ohnehin dessen Rücktritt vorbehalten war. Das war hier nicht der Fall.