AG Nürtingen, Az.: 10 C 1551/16, Urteil vom 31.01.2017
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin Ziff. 1 und die Klägerin Ziff. 2 jeweils 400,- Euro nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 8.9.2016 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerinnen zuvor Sicherheit in Höhe von 110 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages leisten.
B e s c h l u s s :
Der Streitwert wird auf 800,- Euro festgesetzt.
Tatbestand
Die Klägerinnen begehren jeweils eine Ausgleichszahlung in Höhe von 400,- Euro gemäß Artikel 7 Abs. 1 der Verordnung (EG) 261/2004 (im Folgenden: Verordnung).
Die Klägerinnen verfügten jeweils über eine bestätigte Buchung für die Flugverbindungen … vom 15.6.2016 von Stuttgart nach Amsterdam, planmäßige Abflugszeit 6.00 Uhr, planmäßige Ankunftszeit 7.20 Uhr, sowie für den Anschlussflug … vom 15.6.2016 von Amsterdam nach Helsinki, planmäßige Abflugszeit 9.55 Uhr, planmäßige Ankunftszeit 13.20 Uhr.
Der Flug von Stuttgart nach Amsterdam wurde kurzfristig annulliert. Ursache für die Annullierung war, dass das Flugzeug der Beklagten, mit welchem der streitgegenständliche Flug von Stuttgart nach Amsterdam durchgeführt werden sollte, mit einem Flugzeug der Fluggesellschaft E. auf dem Weg zur Start- und Landebahn von letzterem touchiert wurde.
Der Unfall wurde von dem Flugzeug der Fluggesellschaft E. verursacht.
Die Beklagte wurde durch die Klägervertreter vorgerichtlich zur Zahlung der streitgegenständlichen Forderungen aufgefordert.
Die Klägerinnen beantragen: die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger zu 1. einen Betrag in Höhe von 400,- Euro den Kläger zu 2. Einen Betrag in Höhe von 400,- Euro jeweils nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz der Europäischen Zentralbank seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, Klagabweisung.
Die Beklagte ist der Ansicht, bei der unstreitig erfolgten Kollision zweier Luftfahrzeuge auf dem Weg zur Startbahn des Flughafens Stuttgart handele es sich um außergewöhnliche Umstände, welche sie gemäß Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung von einer Leistungspflicht hinsichtlich der Ausgleichszahlung nach Artikel 7 der Verordnung befreien würde.
Die Beklagte behauptet, sie habe alles ihr mögliche unternommen, um eine Verspätung zu vermeiden bzw. die eingetretene Verspätung für die betroffenen Passagiere zu gering wie möglich zu halten. Die Klägerinnen seien auf die nächstmögliche zur Verfügung stehende Flugverbindung an ihrem Ziel umgebucht worden.
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
Die Klägerinnen haben jeweils einen Anspruch auf Ausgleichszahlung in Höhe von jeweils 400,- Euro gemäß Artikel 7 i.V.m. Artikel 5 der Verordnung, da der Flug von Stuttgart nach Amsterdam, für welchen die Klägerinnen gebucht waren, annulliert wurde, und nachdem die Gesamtstrecke, für welche die Beklagte gebucht waren, mehr als 1500 km betrug.
Die Beklagte ist nicht gemäß Artikel 7 Abs. 3 der Verordnung von der Zahlung von Ausgleichsleistungen befreit, da der Umstand, welcher zu einer Annullierung des streitgegenständlichen Fluges von Stuttgart nach Amsterdam geführt hat, nicht als außergewöhnlicher Umstand im Sinne von Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung anzusehen ist, und nachdem die Beklagte überdies nicht dargelegt hat, sämtliche ihr zumutbaren Maßnahmen unternommen zu haben, um eine Annulierung zu vermeiden.
Voraussetzung für die Bejahung außergewöhnlicher Umstände ist, dass diese sich auf ein Vorkommnis beziehen, welches erstens nicht Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens ist und zweitens aufgrund seiner Natur oder Ursache von dem Luftfahrtunternehmen tatsächlich nicht zu beherrschen ist (EuGH, Urteil vom 22.12.2008, Rechtssache C-549/07, Rn 23). Gemessen an den strengen Anforderungen, welche der EuGH an die Bejahung außergewöhnlicher Umstände gemäß der eng auszulegenden Ausnahmevorschrift des Artikel 5 Abs. 3 der Verordnung aufstellt, liegt bei der Beschädigung eines Luftfahrzeuges durch die Kollision mit einem anderen Luftfahrzeug auf dem Weg zur Start- bzw. Landebahn kein Fall vor, den die Verordnung mit der Beschreibung eines außergewöhnlichen Umstands erfassen wollte.
Die Nutzung der Start- und Landebahn und der Weg vom Gate zu dieser stellt einen Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens dar und ist von diesem zu beherrschen. Dabei liegt es in der Natur der Sache, dass sich der Weg des Luftfahrzeugs auf dem Weg zur Startbahn zwangsläufig und ständig mit dem Weg anderer Luftfahrzeuge kreuzt. Dabei liegt es in der Verantwortung der Piloten einerseits, Kollisionen mit anderen Luftfahrzeugen zu vermeiden, andererseits in der Verantwortung des Towers, aus welchem die Lotsen die Bewegungsabläufe der Flugzeuge auf dem Flugzeuggelände überwachen und koordinieren.
Bei der Kollision zweier Fluggeräte verwirklicht sich ein typisches, der Sphäre des Flugunternehmens zuzurechnendes Unternehmerrisiko, für die Bereitstellung eines einsatzfähigen Fluggeräts verantwortlich zu sein.
Darüberhinaus hat die Beklagte nicht hinreichend substantiiert dargelegt, dass sie sämtliche zumutbaren Maßnahmen zur Vermeidung der Annullierung des streitgegenständlichen Fluges unternommen hat, wobei hier an die Darlegung durch das Luftfahrtunternehmen hohe Anforderungen zu stellen sind (BGH Urteil vom 14.10.2010, Xa ZR 15/10). Wie sich bereits aus der von der Beklagtenseite vorgelegten Pressemeldung ergibt, war es offenbar möglich, binnen zwei Stunden ein Ersatzflugzeug zu buchen. Bei einer zweistündigen Ankunftsverspätung in Amsterdam hätten die Klägerinnen dort immer noch eine Umsteigezeit von 35 Minuten zur Verfügung gehabt. Es liegt jedenfalls nicht auf der Hand, dass allein der hier unstreitige Umstand einer Kollision zweier Luftfahrzeuge der Beklagten keine andere Wahl ließ, den Flug von Stuttgart nach Amsterdam zu annullieren. Dabei hat das Gericht nicht zugrunde gelegt, dass die von der Beklagtenseite vorgelegte Pressemeldung insoweit zutreffend ist, es hätte jedoch der Beklagtenseite oblegen, darzulegen, dass die Annullierung unvermeidbar war, insbesondere dann, wenn sich aus der von ihr selbst vorgelegten Pressemeldung Hinweise darauf ergeben, dass möglicherweise sogar die Beförderung der Fahrgäste mittels eines Ersatzflugzeuges binnen einer Zeitspanne von lediglich zwei Stunden möglich war.
Die Entscheidung hinsichtlich der Verzugszinsen beruht auf §§ 291, 288 BGB.
Die weiteren Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.