Landgericht München I
Az.: 9 O 9604/98
Urteil vom 27.06.2001
Tenor
In dem Rechtsstreit wegen Schadensersatz erläßt das Landgericht München I, 9. Zivilkammer aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 16.05.2001 folgendes Endurteil:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 90.000,– nebst. 4 % Zinsen hieraus seit 26.07.1997 zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus und im Zusammenhang mit der Curettage noch entstehen wird, soweit der Schaden nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
III. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
IV. Von den Kostendes Rechtsstreits trägt die Klägerin 1/4, der Beklagte 3/4.
V. Das Urteil ist für die Klägerin vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von DM 112.000,–. Das Urteil ist für den Beklagten vorläufig, vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von DM 2.500,– sofern nicht
der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
Die Klägerin verlangt vom Beklagten Schmerzensgeld sowie Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen des Vorwurfs fehlerhafter Behandlung.
Am 15.04.1994 suchte die am 24.03.1971 geborene Klägerin die gynäkologische Praxis des Beklagten auf und teilte diesem unter Hinweis auf die bei ihr ausgebliebene Regel mit, sie sei schwanger. Nachdem die palpatorische Untersuchung die Schwangerschaft zunächst nicht bestätigt, ergaben weitere Untersuchungen tatsächlich eine Schwangerschaft der Klägerin. Der Beklagte äußerte allerdings den Verdacht auf ein sogenanntes Windei, also eine Fruchtblase ohne Fetus. Nachdem das Windei bzw. die Missed abortion nicht von selbst abging, nahm der Beklagte am 03.05.1994 eine Ausschabung vor, die jedoch ohne Erfolg blieb. Angesichts dessen nahm der Beklagte am 09.05.1994 einen weiteren Ausschabungsversuch vor. Nach dem Erwachen der Klägerin aus der Narkose gegen 11.00 Uhr kontrollierte eine Arzthelferin des Beklagten wiederholt den Blutdruck der Klägerin. Als der Beklagte gegen 15.00 Uhr aus seiner Mittagspause zurückkehrte, veranlaßte er wegen einer Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Klägerin deren Einweisung in das X Amberg. Dort wurde die Einweisungsdiagnose „Missed abortion, Abruptio aus medizinischer Indikation, Verdacht auf Perforation bei Zustand nach Abrasioversuch, Uterus septus“ gestellt und die Klägerin unter dem Bild eines haemorrhagischen Schocks notfallmäßig operiert. Zwei große Perforationsstellen wurde unter Erhaltung des Uterus übernäht; die Schwangerschaft der Klägerin wurde beendet. Im Mai 1996 wurde die Klägerin ein zweites Mal schwanger. In der 35. Schwangerschaftswoche traten leichte Wehen und Unterbauchschmerzen ein, weshalb sich die Klägerin zur Behandlung in das in Luxemburg gelegene Krankenhaus -Clinique begab. Dabei bestätigte sich den dortigen Ärzten der Verdacht einer Uterusruptur; das ungeborene Kind konnte nicht gerettet werden. Am 13.03.2001 begann die Klägerin eine Psychotherapie. Zur Begründung ihrer Klage macht die Klägerin im wesentlichen geltend, die geäußerte Verdachtsdiagnose des Beklagten auf ein in Windei und Uterus septus sei unzutreffend gewesen; auch im Ultraschall könne selbst bei retroflektierter Gebärmutter das Vorliegen eines Uterus septus ohne weiteres erkannt werden. Angesichts des bei einem retroflektierten Uterus gegebenen erhöhten Perforationsrisikos hätte der Eingriff mittels einer Saugcurettage durchgeführt werden müssen, da deren sachgerechter Einsatz das Perforationsrisiko senke. Angesichts des Scheiterns der ersten Ausschabung hätte der Beklagte den zweiten Eingriff in einem Krankenhaus durchführen lassen müssen. Eine ständige Ultraschallkontrolle sei während des zweiten Eingriffs am 09.05.1994 erforderlich gewesen und fehlerhaft unterblieben. Auch sei der zweite Eingriff nicht entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgt. Derartige Fehler dürften einem gut ausgebildeten Gynäkologen schlechterdings nicht unterlaufen. Zudem resultiere die Haftung des Beklagten auch aus einer unzureichenden Aufklärung, da er die Klägerin nicht auf die unterschiedlichen Risiken des Eingriffs mittels Curettage und Saugcurettage sowie auf sich aus Verletzungen und Blutungen ergebenden Risiken für spätere Schwangerschaften hingewiesen habe. Bei hinreichender Aufklärung hätte die Klägerin den Eingriff zur Reduzierung des Risikos in einem Krankenhaus durchführen lassen. Diese Versäumnisse seien ursächlich für das Ausmaß der Perforation und diese wiederum für die anschließende Notoperation, eine Verklebung des linken Eileiters, die Uterusruptur bei der zweiten Schwangerschaft mit dem Tod des Kindes 4 Wochen vor dem errechneten Geburtstermin sowie eine dritte erfolglos verlaufene Schwangerschaft im Jahr 1998, infolge derer die Klägerin habe sterilisiert werden müssen. Ein eventuelles Fehlverhalten des Arztes Dr. X unterbreche den Kausalzusammenhang nicht. Angesichts der schwerwiegenden Folgen der Behandlungsfehler rechtfertige sich ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 140.000,–. Mit Blick auf die noch nicht abgeschlossene Therapie, mögliche Adoptionskosten und denkbare Folgen wegen der Verwachsungen bestehe ein Feststellungsinteresse für materielle und immaterielle Schäden.
Die Klägerin beantragt daher:
I. Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin ein Schmerzensgeld von mindestens DM 140.000,– nebst 4 % Zinsen hieraus seit 25.07.1997 zu bezahlen.
II. Es wird festgestellt, daß der Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin allen weiteren materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, der ihr aus und in Zusammenhang mit der Curettage am 09.05.1994 noch entstehen wird, soweit der Anspruch nicht auf einen Sozialversicherungsträger oder andere Dritte übergegangen ist.
Der Beklagte beantragt demgegenüber: Klageabweisung. Zur Begründung beruft er sich im wesentlichen darauf, die von ihm durchgeführte Behandlung der Klägerin einschließlich der Operation und der Nachsorge habe den Regeln der ärztlichen Kunst entsprochen. Die gestellte Diagnose sei aus Sicht ex ante nicht fehlerhaft gewesen und habe die Indikation zur operativen Entfernung begründet. Auch sei ein Uterus septus bei vaginaler Ultraschalluntersuchung nicht ohne weiteres erkennbar gewesen. Die Saugcurettage stelle keine relevante Behandlungsalternative dar. Die Durchführung des zweiten Eingriffs sei ebensowenig zu beanstanden wie eine ständige Ultraschalluntersuchung und/oder laparsakopische Kontrolle erforderlich gewesen sei. Der Operationsbericht zeige die ordnungsgemäße Durchführung des Eingriffs, der ohnehin beim ersten Verdacht auf eine Perforation abgebrochen worden sei. Nach dem Eingriff habe die Klägerin nicht an unerträglichen Schmerzen gelitten, die eine eine sofortige Einweisung in ein Krankenhaus oder eine ständige ärztliche Kontrolle notwendig gemacht hätten. Sowohl vor der ersten als auch vor der zweiten Curettage habe der Beklagte die Klägerin ausführlich insbesondere auch über das Perforationsrisiko aufgeklärt, wie sich aus dem Einweisungsschein vom 03.05.1994 ergebe. Die Perforation sei nicht ursächlich gewesen für den weiteren Krankheitsverlauf. Vor allem liege auch eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs vor, weil die unterlassene Durchführung einer präventiven Sectio durch den Arzt Dr. einen groben Behandlungsfehler darstelle. Abgesehen davon sei das geltend gemachte Schmerzensgeld überhöht.
Das Gericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluß vom 25.02.1999 (Blatt 48 d. A.) durch Einholung eines schriftlichen Sachverständigengutachtens sowie gemäß Beschluss vom 01.12.1999 (Blatt 90 d., A.) durch Einholung eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Mn . Mit Beweisbeschluss vom 09.06.2000 (Blatt 113/114 d. A.) hat das Gericht die Erholung eines `weiteren schriftlichen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. Y sowie mit Beschluss vom 04.12.2000 (Blatt 145/146 d. A.) die Einholung eines schriftlichen Ergänzungsgutachtens angeordnet.
Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das schriftliche Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Y vom 11.06.1999 (Blatt 54/73 d. A.) sowie dessen Ergänzungsgutachten vom 28.02.2000 (Blatt 97/105 d. A.) und auf das Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Y vom 26.09.2000 (Blatt 120/133 d. A.) sowie dessen Ergänzungsgutachten vom 31.01.2001 (Blatt 154/160 d. A.). Der Beklagte hat Herrn Dr. W mit Schriftsatz vom 03.05.2001 den Streit verkündet.
Zur Ergänzung des Tatbestandes wird Bezug genommen auf die gewechselten Schriftsätze samt Anlagen sowie die Protokolle der mündlichen Verhandlung vom 20.01.1999 (Blatt 43/44 d. A.), vom 13.10.1999 (Blatt 83/84 d. A.) und vom 16.05.2001 (Blatt 188/190 d. A.).
Entscheidungsgründe
I. Die auf Zahlung von Schmerzensgeld gerichtete Klage ist zulässig und zu einem erheblichen Teil auch begründet.
1) Die Klägerin kann vom Beklagten gemäß §§ 847 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 90.000,– verlangen. Aufgrund der Vorschrift des § 847 Abs. 1 BGB kann der Verletzte im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit auch wegen des Schadens, der nicht Vermögensschaden ist, eine billige Entschädigung in Geld verlangen. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind vorliegend erfüllt.
a) Der Beklagte hat eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB begangen, da er seine deliktischen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit dem Eingriff am 09.05.1994 verletzt hat. Dies steht aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts fest. Die Behandlung der Klägerin erfolgte nicht entsprechend den Regeln der ärztlichen Kunst, wobei dem Beklagten Fehler unterlaufen sind, die einem Gynäkologen schlechterdings nicht passieren dürfen.
(1) Der Sachverständige Prof. Dr. Y – führte in seinem Gutachten aus, bereits unter der Narkose des – im übrigen kunstgerecht durchgeführten – er
sten Eingriffs am 03.05.1995 hätte ein erster Aufrichtungsversuch der stark retroflektierten Gebärmutter mit Hodge’scher Pessareinlage versucht werden sollen. Der zweite Versuch hätte dann unter wesentlich besseren Bedingungen hinsichtlich der Sondierung der Gebärmutter durchgeführt werden können.
Vor allem aber verwies der Sachverständige Prof. Dr. Y insoweit in völliger Übereinstimmung mit dem Sachverständigen Prof. Dr. C auf die unterlassene Vorbehandlung der Klägerin mit Prostaglandinen zur Erweiterung und schonenden Ausdehnung des Gebärmutterhalses. Der Sachverständige Prof. Dr. Y bezeichnete das Erfordernis der Prostaglandinbehandlung zur Schonung des Gebärmutterhalses bei der Ausräumung einer Missed abortion als zur Zeit des Eingriffs unbestrittenes Standardwissen.
Weiterhin hat es dieser Sachverständige als fehlerhaft angesehen, daß dem zweiten Eingriff nicht eine weitergehende Ultraschalluntersuchung zur Erhellung der Anatomie der Gebärmutter der Klägerin vorausgegangen ist.
Das mehrfache Durchstoßen der Gebärmutter läßt sich nach den Ausführungen beider gerichtlich bestellter Sachverständiger ebenfalls nicht mehr als schiksalhaften Komplikation bewerten; vielmehr ist dies ebenfalls als Behandlungsfehler zu bewerten.
2. Das Gericht geht aufgrund der Beweisaufnahme von einem groben Behandlungsfehler des Beklagten aus. Dieser ergibt sich jedenfalls aus dem Gesamtgeschehen der Behandlung der Klägerin, die durch eine Reihe von Versäumnissen geprägt ist. Diese begannen bereits mit der unterlassenen Ultraschalldiagnostik. Vor allem aber ist entscheidend auf die nicht vorgenommene Prostaglandinbehandlung abzustellen. Dies verstieß eindeutig gegen die zum Zeitpunkt des Eingriffs bestehende Behandlungsstandards, was schon die Annahme eines groben Behandlungsfehlers nahelegt. Weitere erforderliche Behandlungsmaßnahmen zur Minimierung des Risikos kamen – wie ausgeführt – hinzu. Die mehrfache Perforation der Gebärmutter ist von beiden Sachverständigen als sicherer Hinweis auf einen Behandlungsfehler eingestuft worden.
Diese Summe von Einzelfehlern rechtfertigt es, die Beweislastumkehr infolge eines groben Behandlungsfehlers zu bejahen (vgl. OLG Stuttgart VersR 1997, 700; Steffen/Dressler, Arzthaftungsrecht – Neue Entwicklungslinien der BGH-Rechtsprechung, Rdn. 523). Insoweit ist nämlich zu berücksichtigen, daß der Beklagte nach den Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. Y ein hohes Risiko eingegangen ist und dieser es als „ganz und gar nicht verständlich“ bezeichnete, den zweiten Versuch ohne Prostaglandinvorbehandlung ambulant und nicht im Krankenhaus durchführen. Zudem sind die weiteren unterlassenen Vorbereitungsmaßnahmen zu berücksichtigen. Dies stellt in der Summe einen groben Behandlungsfehler dar.
3 Die genannten Unterlassungen waren ursächlich für die Perforation und ihre Folgen. Der Sachverständige Prof. Dr. Y verwies darauf, daß bei Vornahme der gebotenen Vorbereitungsmaßnahmen weitgehendst Gefahren von der Patientin hätten abgewendet werden können. Damit haftet der Beklagte für die Behandlungsfehler. Da hier ein grober Behandlungsfehler zu bejahen ist, muß der Kläger darlegen und beweisen, daß die Ursächlichkeit des Fehlers für die Gesundheitsbeeinträchtigung auszuschließen ist. Dies kann angesichts des Ergebnisses des Gutachtens von Herrn Prof. Y nicht angenommen werden. Insoweit ist auf seine klare Aussage zu verweisen, daß die Gefahren weitgehendst hätten abgewendet werden können.
Das Gericht hat keinen Anlaß, die Richtigkeit der Gutachten von Herrn Prof. Dr. Y in Frage zu stellen.
Er ist dem Gericht aus einer Reihe von Verfahren als ausgesprochen zuverlässig und kompetent bekannt. Der Sachverständige hat in seinen weiteren Gutachten (§ 412 ZPO) unter Zugrundelegung zutreffender Anknüpfungstatsachen die medizinischen Schlußfolgerungen widerspruchsfrei und nachvollziehbar begründet. Gerade das zentrale Problem der Prostaglandinbehandlung wird der Sache nach von beiden gerichtlichen bestellten Sachverständigen identisch gesehen und auch durch das Privatgutachten von Herrn Dr. C letztlich nicht in Frage gestellt. Gerade auch in diesem Zusammenhang hat der Sachverständige Prof. Dr. Y sich ausdrücklich mit dem Standard für diesen Fall auseinandergesetzt und es im Jahr 1994 als unbestrittenes Standardwissen bezeichnet, daß eine Prostaglandinbehandlung erforderlich ist. Abgesehen davon liegt genau der Fall, in dem nach den Ausführungen in den von Herrn Dr. C zitierten Lehrbuch die „additive Applikation von Prostaglandinen… erwogen werden“ sollte, bei der Klägerin vor. Die vom Beklagten behandelte Schwangerschaft war nämlich unstreitig ihre erste.
Auch sehen beide gerichtlich bestellten Gutachter eine Kette von Versäumnissen als ausschlaggebend an, womit sich der Privatgutachter nicht in diesen Einzelheiten befaßt hat. Somit hat das Gericht nach nochmaliger Überprüfung keinerlei Anlaß, die Ausführungen von Herrn Prof. Dr. Y in Frage zu stellen. Daher macht es sich die Erläuterungen und Schlußfolgerungen dieses Sachverständigen in seinem weiteren Gutachten in vollem Umfang zu eigen.
b) Das Gericht sieht ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 90.000,– als angemessene Entschädigung in Geld, wofür vor allem folgende Erwägungen maßgebend sind:
Die zweite Schwangerschaft endete infolge einer Uterusruptur relativ kurze Zeit vor dem geplagten Entbindungstermin mit dem Tod des ungeborenen Kindes. Dieser Umstand ist vom Beklagten nicht mehr bestritten worden, weshalb er gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als zugestanden gilt.
Auch diese Folge muß sich der Beklagte kausal anrechnen lassen, auch wenn man die Erwägungen des Sachverständigen Prof. Dr. Dr. A zugrundelegt, der – insoweit im Gegensatz zum Sachverständigen Prof. Dr. Y den für die Leibesfrucht tödlichen Ausgang der Schwangerschaft nicht zur Gänze dem Beklagten anlastet, sondern von einer Teilursächlichkeit ausgeht. Eine Teilursächlichkeit steht indes der Haftung des Beklagten nicht entgegen.
Infolge der oben erfolgten Annahme eines groben Behandlungsfehlers kommt es zu einer Umkehr der Beweislast, weshalb eine Haftung des Beklagten für diese Folge nur dann nicht in Betracht käme, wenn die Ursächlichkeit des Eingriffs des Beklagten für diese Folge auszuschließen wäre. Davon kann indes nach dem Gutachten von Herrn Prof. Y Rede sein. Er erläuterte, daß eine Uterusperforation des gegebenen Ausmaßes in einer nachfolgenden Schwangerschaft auch zu einer Uterusruptur führen kann.
Die Kausalität zwischen dem Eingriff und dem für das ungeborene Kind tödlichen Ende der Schwangerschaft mit den damit verbundenen erheblichen Beeinträchtigungen der Klägerin als Mutter wurde nicht durch das Verhalten des Arztes Dr. C unterbrochen. Es ist weithin anerkannt, daß im Regelfall ein ärztliches Fehlverhalten eines später behandelnden Arztes die Kausalität nicht unterbricht und daher der Schädiger auch für Folgeschäden haftet. Eine Ausnahme gilt nur dann, wenn ein ungewöhnlich grobes Fehlverhalten wie bei einem schweren Kunstfehler des später behandelnden Arztes vorliegt (vgl. Palandt-Heinrichs, BGB, 60. Aufl., Vorbem. v. § 249 Rdn. 73 m. w. N.). Davon kann vorliegend indes nicht ausgegangen werden. Zum einen läßt sich dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. Y Verstoß durch den Arzt Dr. C nicht entnehmen.
Der Sachverständige erläuterte, daß bei entsprechend sorgfältiger, sehr penibler und vorwiegend stationärer Schwangerschaftsbetreuung in Luxemburg mit frühzeitiger Datierung für eine primäre Sectio vor Wehenbeginn bei Erreichen der Lebensfähigkeit des Kindes die Entwicklung eines lebenden Kindes zumindest vorstellbar und nicht ausgeschlossen wäre. Unter Auswertung eines Schreibens von Herrn Dr. C hält der Sachverständige in seinem Ergänzungsgutachten an dieser Wertung ausdrücklich fest. Dies bedeutet aber, daß angesichts der Schilderung des Zustandes der Klägerin die Unterlassung der primären Sectio nicht vorn vornherein als schlechterdings unvertretbar angesehen werden kann. Vor allem aber könnte eine Unterbrechung des Kausalzusammenhangs nur dann angenommen werden, wenn ohne den Behandlungsfehler des später Handelnden das Kind mit an Sicherheit oder an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit lebend geboren worden wäre und die Uterusruptur dadurch hätte vermieden werden können. Von einer derartigen Sicherheit läßt sich vorliegend jedoch nicht sprechen, was der Sachverständige Prof. Dr. Y deutlich herausgestellt hat. Er verwies darauf, daß nur eine Wahrscheinlichkeit, aber keine Sicherheit diesbezüglich angenommen werden kann.
2 Ein weiterer wesentlicher Gesichtspunkt bei der Bemessung des Schmerzensgeldes ist die nach der dritten Schwangerschaft notwendig gewordene Sterilisierung der Klägerin. Es steht fest, daß auch die dritte Schwangerschaft durch Ärzte aufgrund medizinischer Indikation vorzeitig beendet werden mußte und es zu einer Sterilisierung der Klägerin kam. Dabei kann offen bleiben, inwieweit der Beklagte den entsprechenden diesbezüglichen Sachvortrag der Klägerin tatsächlich noch bestritten hat. Jedenfalls haben alle Gutachter aufgrund der vorgelegten Unterlagen deutlich auf die Sterilisierung der der Klägerin hingewiesen. Bezüglich der Kausalität gelten dieselben Erwägung wie zum Ende der zweiten Schwangerschaft der Klägerin, weshalb auch diese für die Klägerin besonders gravierende Folge dem Beklagten zuzurechnen ist.
Gerade der Umstand der nunmehr eingetretenen dauerhaften Unfruchtbarkeit spielt bei der Schmerzensgeldbemessung eine zentrale Rolle. Die im Zeitpunkt des Eingriffs des Beklagten 23 Jahre alte Klägerin ist in ihrer Identität als Frau besonders betroffen, wenn für sie im Alter von 27 Jahren definitiv feststeht, keine eigenen Kinder zur Welt bringen zu können. Das Gericht hat auch keinen Zweifel daran, daß der Wunsch nach eigenen Kindern für die Klägerin einen wichtigen Teil ihrer Lebensplanung bedeutete. Dem kann keinesfalls entgegen gehalten werden, daß die erste Schwangerschaft im Jahr 1994, deretwegen sich die Klägerin in die Behandlung des Beklagten begab, nicht geplant war: Allein der Umstand, daß eine Schwangerschaft nicht geplant war, läßt den Rückschluß auf eine negative Haltung zur Schwangerschaft nicht zu. Für die sehr positive Einstellung der Klägerin zu Kindern spricht vielmehr ihr weiterer Lebensweg mit zwei Schwangerschaften. Dies macht deutlich, daß sie eigene Kinder wünschte. 3 Die Behandlungsfehler hatten eine Notoperation der Klägerin im Hospital Amberg zur Folge. Der Sachverständige Prof. Dr Y seinem Gutachten vom 26.03.2001 herausgestellt, daß nach Prostaglandinvorbereitung und nach erfolgter Aufstellung und Einlage eines Hodge-Pessars und der Durchführung des Eingriffs im Krankenhaus mit den dortigen Möglichkeiten weitgehendst Gefahren von der Patientin hätten abgewendet werden können. Somit wäre die Lebensgefahr vermieden worden. Der Sachverständige Prof. Dr.Y bezeichnete es als an ein Wunder grenzend, daß trotz, der großen Blutmenge von 3 Litern es nicht zu einer Blutgerinnungsstörung kam, die auch tödlich hätte verlaufen können.
4 Weiterhin kann bei der Höhe des Schmerzensgeldes nicht unberücksichtigt bleiben, daß die postoperative Behandlung der Klägerin durch den Beklagten nicht entsprechend ‚den Regeln der ärztlichen Kunst erfolgte. Die Perforation konnte durch die Nachsorge zwar nicht rückgängig gemacht werden; doch hätte die Klägerin vom Beklagten umgehend nach dem Eingriff in ein Krankenhaus eingewiesen werden müssen. Der Eingriff, dessen Dauer mit 65 Minuten die sonst übliche Länge von 10 – 15 Minuten ganz erheblich überstieg sowie der vom Beklagten ausgesprochene Verdacht auf eine erfolgte Uterusperforation, hätte umgehend in eine Klinikeinweisung einmünden müssen, wo man sofort die erforderlichen Maßnahmen hätte vornehmen können und das weiter ansteigende Risiko der Patientin durch die sich vergrößernde Blutmenge vermindert hätte. Auch in: soweit hat das Gericht keine Zweifel, sich diese Erwägungen des Sachverständigen zu eigen zu machen.
5 Ebenso ist zu berücksichtigen, daß dem Beklagten – wie oben ausgeführt – ein grober Behandlungsfehler unterlaufen ist. Das Ausmaß des Verschuldens ist ein Gesichtspunkt, der bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nicht außer Acht gelassen werden kann.
6 Keinen entscheidenden Einfluß auf die Höhe des Schmerzensgeldes kann dagegen dem Regulierungsverhalten der beteiligten Haftpflichtversicherung des Beklagten beigemessen werden. Die Haftung stand vorliegend nicht dem Grunde nach außer Zweifel, weil angesichts der aufgeworfenen Kausalitätsprobleme und der Frage des Vorliegens eines groben Behandlungsfehlers die Haftung des Beklagten nicht von vornherein außer Zweifel zu bejahen gewesen ist.
c) Da der Beklagte die Zunächst erhobene Einrede der Verjährung nicht aufrecht erhalten hat, steht der Forderung keinesfalls eine Einrede gemäß § 222 BGB entgegen. Unter Berücksichtigung dieser für die Höhe des Schmerzensgeldes in erster Linie relevanten Faktoren hält die Kammer ein Schmerzensgeld in Höhe von DM 90.000,– für angemessen.
2) Die Entscheidung über die Verzugszinsen ergibt. sich aus 284 Abs. 1, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB a. F. Nachdem die Klägerin mit Schreiben vom 09.07.1997 den Beklagten zur, Zahlung des Schmerzensgeldes aufgefordert und eine Frist bis 25.07.1997 gesetzt hatte, trat am 26.07.1997 Verzug des Beklagten mit der fälligen Schmerzensgeldforderung in dem genannten Umfang von DM 90.000,– ein.
3) Da der Schmerzensgeldanspruch nur zu einem Teil zugesprochen werden konnte und die Verzinsung nicht bereits ab dem 25.07.1997 auszusprechen war, mußte die Klage im übrigen abgewiesen werden.
II.
1) Die auf Feststellung der Ersatzpflicht der weiteren materiellen sowie der weiteren immateriellen Schäden gerichtete Klage ist zulässig, insbesondere ist das von § 256 Abs. 1 ZPO geforderte Interesse an der alsbaldigen Feststellung zu bejahen. Das Feststellungsinteresse setzt bei der Feststellung der Schadensersatzpflicht voraus, daß künftige Schadensfolgen – wenn auch nur entfernt – möglich, die Art und
ihr Umfang aber noch ungewiß sind (vgl. BGH NJW 1991,2707 f.).
Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin befindet sich derzeit unstreitig in pychotherapeutische Behandlung. Somit ist ihr materieller Schaden noch in der Entwicklung begriffen und aktuell noch nicht abschließend zu beziffern, weshalb das Feststellungsinteresse gegeben ist. Angesichts der Perforation des Uterus sind Narben zurückgeblieben, die weitere Komplikationen in der Zukunft als nicht von vornherein ausgeschlossen erscheinen lassen; daher hat die Klägerin auch ein Interesse an der Feststellung bezüglich künftiger immaterieller Schäden. 2) Die Feststellungsklage ist auch begründet.
a) Der Klägerin steht gegen den Beklagten ein Anspruch auf Ersatz ihrer materiellen Schäden aus positiver Forderungsverletzung des Arztvertrages sowie aus § 823 Abs. 1 BGB zu. Da die vertraglichen Sorgfaltspflichten des Beklagten den deliktischen Sorgfaltspflichten entsprechen, kann zur Vermeidung von Wiederholungen auf die obigen Ausführungen verwiesen werden, bei denen eine Haftung des Beklagen wegen eines groben Behandlungsfehlers bejaht wurde.
b) Bezüglich ihrer künftige immateriellen Schäden kann die Klägerin vom Beklagten gemäß §§ 847 Abs. 1, 823 Abs. 1 BGB Ersatz verlangen. Auch insoweit kann auf die obigen Ausführungen unter I.1., zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen werden.
Demzufolge mußte die Feststellungsklage insgesamt Erfolg haben.
Die Entscheidung über die Kosten beruht auf § 92 Abs. 1 S. 1 ZPO; maßgeblich ist ausgehend vom Gesamtstreitwert das jeweilige Obsiegen und Unterliegens der Parteien.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht hinsichtlich der Klägerin auf § 709 S. 1 ZPO, hinsichtlich des Beklagten auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.