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Kettenauffahrunfall – Rückforderung von Versicherungsleistungen

LG Münster – Az.: 8 O 205/22 – Urteil vom 15.12.2022

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 23.282,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.12.2021 zu zahlen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 Prozent des jeweils zu vollstreckenden Betrages.

Zusammenfassung

Kettenauffahrunfall – Rückforderung von Versicherungsleistungen
(Symbolfoto: SKT Studio/Shutterstock.com)

In diesem Rechtsfall geht es um einen Autounfall, der sich 2018 auf einer Bundesstraße ereignet hat. An dem Unfall waren fünf Fahrzeuge beteiligt, wobei es sich bei dem zweiten Fahrzeug um einen Ford und bei dem dritten Fahrzeug um einen bei der Beklagten versicherten Audi A4 handelte. Die Klägerin, die für das deutsche Grüne-Karte-System zuständig ist, wurde von dem Halter des Audi A4 auf Schadenersatz wegen des Unfalls verklagt. Die Klägerin beauftragte daraufhin ein Unternehmen namens Van Ameyde Germany AG mit der Bearbeitung des Falls und der Auszahlung von Schadenersatz an den Ford- und den Audi-A4-Inhaber. Der Kläger verlangt nun vom Beklagten die Rückzahlung des Geldes, das die Van Ameyde Germany AG an den Ford-Halter gezahlt hat. Das Gericht stellte fest, dass der Kläger Anspruch auf das Geld hat und dass die Zahlungen vom Kläger und nicht vom niederländischen Versicherer geleistet wurden. Das Gericht stellte außerdem fest, dass der Kläger nicht verpflichtet war, an den Ford-Halter zu zahlen, da der Audi A4-Halter den Unfall schuldhaft verursacht hatte. Das Gericht verurteilte den Beklagten zur Rückzahlung des Geldes an den Kläger zuzüglich Zinsen.

Tatbestand

Am ##.##.2018 kam es auf der Bundesautobahn # in Höhe M, Fahrtrichtung S, zu einem Verkehrsunfall mit fünf zunächst in einer Kolonne fahrenden Pkws. An zweiter Stelle der Kolonne fuhr ein Ford mit dem Kennzeichen RE-## ###, an dritter Stelle ein bei der Beklagten haftpflichtversicherter Audi A4 mit dem Kennzeichen UN-## ####. Ein viertes Fahrzeug, ein Porsche, war zwischenzeitlich ausgeschert. Das fünfte Fahrzeug war ein in den Niederlanden zugelassener und versicherter VW Caddy mit dem Kennzeichen ## V ## #.

Der VW Caddy fuhr auf den Audi A4 auf, auch alle anderen Fahrzeuge erlitten Kollisionsschäden.

Der Kläger, als für Deutschland zuständige Stelle des Grüne-Karte-Systems, wurde von dem Halter des Audi A4 auf Schadensersatz in Anspruch genommen. Er beauftragte die Van Ameyde Germany AG mit der Regulierung der Ansprüche des Audi-A4-Halters; die Van Ameyde Germany AG zahlte dem Audi-A4-Halter zunächst unter Vorbehalt der Rückforderung 10.000,00 EUR. Ebenso veranlasste die Van Ameyde Germany AG Zahlungen an die Halterin des Ford im Jahr 2018 von insgesamt 23.282,96 EUR. Bezüglich letzterer Zahlungen steht im Streit, wem sie zuzurechnen sind bzw. für welchen Anspruchsgegner sie geleistet wurden.

Zwischen dem Kläger und dem Audi-A4-Halter kam es im Anschluss zu einem Rechtsstreit vor dem Landgericht X. Im Urteil vom ##.##.2020 – Aktenzeichen entfernt – gelangte das Landgericht X zu dem Schluss, der Ausgangspunkt der Kollisionen sei darin zu finden, dass der Fahrer des Audi A4s schuldhaft auf den vorausfahrenden Ford aufgefahren sei. Die dadurch entstandene Bremswegverkürzung habe die Kollision mit dem niederländischen VW Caddy bedingt, dem Halter des Audi A4 seien deshalb 100 % des Schadens anzulasten.

Der Kläger ist der Ansicht, von der Beklagten Anspruch auf Ersatz der an die Ford-Halterin geleisteten Zahlungen zu haben. Er behauptet, die Regulierung sei zwar durch die Van Ameyde Germany AG im Einzelnen bearbeitet und durchgeführt worden. Passivlegitimierter für die Ansprüche der Ford-Halterin sei jedoch er selbst, die Regulierung sei entsprechend in seinem Namen erfolgt.

Er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 23.282,96 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 11.12.2021 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Ansicht, der Kläger sei nicht aktivlegitimiert, weil er nicht selbst Zahlungen geleistet habe. Die Van Ameyde Germany AG habe ausweislich der Regulierungsschreiben für die niederländische Roes Assuradeuren B.V. geleistet.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze einschließlich Anlagen, insbesondere das vom Kläger in Abschrift vorgelegte Urteil des Landgerichts X vom ##.##.2020 – Aktenzeichen entfernt -, Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist begründet. Der Kläger kann von der Beklagten die an die Ford-Halterin geleisteten Zahlungen mindestens aus Bereicherungsrecht (Nichtleistungskondiktion, § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 BGB) ersetzt verlangen; für die bereicherungsrechtlichen Ansprüche gilt deutsches Recht, weil deutsches Recht als Recht des Schadensortes auch auf die Schadensersatzansprüche der Unfallbeteiligten Anwendung fand (Art. 10 Abs. 1 i.V.m. Art. 4 Abs. 1 Rom-II-VO).

Im Einzelnen:

I.

Der Kläger hat, in der Ansicht, hierzu verpflichtet zu sein, der Ford-Halterin sämtliche nach seiner Sicht sachlich gerechtfertigten Schäden ersetzt. Bei den von der Van Ameyde Germany AG veranlassten Zahlungen handelte es sich um Leistungen des Klägers, nicht etwa – wie die Beklagte meint – Leistungen des niederländischen Versicherers.

Denn der Kläger hat vorgetragen, von verschiedenen Unfallbeteiligten – jedenfalls sowohl dem Audi-A4-Halter als auch der Ford-Halterin – in Anspruch genommen worden zu sein. Er habe dann die Van Ameyde Germany AG als eines seiner Mitgliedsunternehmen mit der Regulierung beauftragt.

Das Gericht hat keinen Anlass, an dieser Sachdarstellung zu zweifeln. Sie wird insbesondere nicht durch die Angaben auf den von der Klägerin vorgelegten Regulierungsschreiben der Van Ameyde Germany AG infrage gestellt. Dort heißt es zwar eingangs jeweils:

„Betreff / Kunde: Unfalldatum ##.##.2018 / Roest Assuradeuren B.V.“

Hieraus folgt jedoch nicht, dass die Ford-Halterin die Roest Assuradeuren B.V. – als offenbar betroffene niederländische Kfz-Haftpflichtversicherung – direkt in Anspruch genommen hätte. Zwar hält es das Gericht für denkbar, dass die Roest Assuradeuren B.V. ebenfalls die Van Ameyde Germany AG mit der Regulierung beauftragt hätte, wenn die Ford-Halterin sie direkt kontaktiert hätte. Die Ford-Halterin – eine deutsche GmbH mit Sitz in Recklinghausen – ist jedoch ausweislich der Regulierungsschreiben während der Regulierung von der Kanzlei E in Dortmund vertreten worden. Das Gericht hält es für fernliegend, dass eine deutsche Rechtsanwaltskanzlei direkt einen ausländischen Kfz-Haftpflichtversicherer in Anspruch nehmen würde, anstatt den offensichtlich leichteren Weg der Regulierung über das System Grüne Karte (mit ausschließlich deutschen Ansprechpartnern und Zustelladressaten) zu nutzen, genauso wie es der Versicherungsnehmer der Beklagten tat.

Die Ford-Halterin hat demnach den Kläger als Passivlegitimierten (§ 6 AuslPflVG i.V.m. § 115 VVG) in Anspruch genommen. Dieser ist demnach auch Leistender der Zahlungen im Sinne des Bereicherungsrechts geworden, selbst wenn die Geldsummen direkt oder per interner Verrechnung mit der Van Ameyde Germany AG von der Roest Assuradeuren B.V. stammten. Denn mit den Zahlungen sollten die gegen den Kläger gerichteten Ansprüche zu Fall gebracht werden (vgl. schon OLG Hamm, Urteil vom 6. April 2017 – I-24 U 110/16 -, juris Rn. 11-20).

II.

Durch die Zahlungen hat der Kläger, ohne Rechtsgrund, eine Verbindlichkeit der Beklagten erfüllt und sie damit in sonstiger Weise ungerechtfertigt bereichert:

1.

Denn eine Verpflichtung des Klägers zur Zahlung der Schadensersatzsummen an die Ford-Halterin bestand weder aus §§ 7, 18 StVG noch aus § 823 BGB (i.V.m. § 6 AuslPflVG, § 115 VVG). Vielmehr waren der Audi-A4-Halter, der zugleich Fahrer im Unfallzeitpunkt war (aus §§ 7, 18 StVG) sowie die Beklagte als Kfz-Haftpflichtversicherer des Audi-A4-Halters (aus § 115 VVG) als Gesamtschuldner zur Zahlung sämtlicher Schäden der Ford-Halterin verpflichtet. Dies ist Folge der – von der Beklagten nicht angegriffenen – Feststellung des Landgerichts X, dass der Audi-A4-Halter den Kettenauffahrunfall durch seinen unprovozierten (Erst-)Anstoß auf den Ford ausgelöst hat. Selbst wenn es – was aus dem Sachvortrag der Parteien nicht im Einzelnen hervorgeht – im Anschluss nochmals zu Anstößen des Audi A4 auf den Ford gekommen sein sollte, die ursächlich auf den weiteren Anstoß des VW Caddy auf den Audi A4 zurückzuführen wären, würde sich an der alleinigen Haftung der Audi-A4-Seite nichts ändern; denn den Anstoß des VW Caddy auf den Audi A4 hat, wie das Landgericht X überzeugend ausführt, ebenso allein der Audi-A4-Halter zu vertreten.

2.

Der Kläger ist auch berechtigt, die Zahlungen direkt von der Beklagten aus ungerechtfertigter Bereicherung ersetzt zu verlangen.

Zwar hat der Kläger mit den Zahlungen an die Ford-Halterin irrtümlich eine in Wahrheit fremde Schuld getilgt, obwohl er sich selbst verpflichtet sah. Dies berechtigt ihn grundsätzlich – vorbehaltlich von gesetzlichen Regressansprüchen – nur dazu, die Zahlungen von der Zahlungsempfängerin, also der Ford-Halterin, zurückzufordern (wie es ihm infolge des ausdrücklich in den Regulierungsschreiben erklärten Leistungsvorbehalts auch unproblematisch möglich gewesen wäre).

Inwiefern dem Kläger ein solcher gesetzlicher Regressanspruch – insbesondere aus einem Gesamtschuldverhältnis mit der Beklagten (§ 426 BGB) – zusteht, kann jedoch dahinstehen. Denn nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist es für den Leistenden zulässig, eine Tilgungsbestimmung nachträglich dahin zu ändern, dass er die fremde Schuld hat tilgen wollen (mit der Folge, dass er den wahren Schuldner von der Leistungspflicht nach §§ 267, 362 Abs. 1 BGB befreit hat; vgl. BGH, Urteil vom 15. Mai 1986 – VII ZR 274/85 -, juris). Dies hat der Kläger mit der gegenüber der Beklagten erhobenen „Regress“-Forderung konkludent getan, und er war auch dazu berechtigt. Die von der Literatur gegen die BGH-Rechtsprechung erhobenen Gegenargumente (etwa Staudinger/Bittner/Kolbe (2019) BGB § 267 Rn. 45; Übersicht zum Meinungsstand Martinek/Heine in jurisPK-BGB, 9. Aufl., § 812 BGB (Stand: 27.06.2022) Rn. 155) greifen aus Sicht des Gerichts jedenfalls im hiesigen Fall nicht durch. Insbesondere die Erwägung der Literatur, dass dem wahren Schuldner im Wege der Abänderung der Tilgungsbestimmung Einwendungen verloren gehen könnten, und dem Bereicherungsgläubiger unbilligerweise gestattet würde, sich den Erstattungsschuldner auszusuchen, scheint dem Gericht zweifelhaft; denn der wahre Schuldner dürfte etwaige Einwendungen, die er gegenüber der „Hauptschuld“ zu haben meint, auch dem Bereicherungsgläubiger entgegen halten können (mindestens im Wege von § 242 BGB). Im Einzelnen kann dies jedoch dahinstehen, weil Einwendungen gegen die Zahlungsverpflichtung von der Beklagten gar nicht behauptet werden.

III.

Die Zinsforderung ergibt sich aus Verzug, §§ 280 Abs. 2, 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 91 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 ZPO.

 

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