Landgericht Köln
Az: 23 O 295/10
Urteil vom: 06.07.2011
Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin für den Zeitraum ab 01.09.2010 für die Dauer des Bestehens des Versicherungsverhältnisses, gegen Vorlage geeigneter Nachweise die Kosten der Versorgung mit häuslicher Intensivkrankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 38,00 € zu erstatten.
Die Beklagte wird weiter verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.617,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basissatz seit dem 12.11.2010 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Versicherungsleistungen für die Versorgung mit häuslicher Behandlungspflege im Falle gleichzeitig bestehenden Bedarfs an Grundpflege.
Die am 07.04.1951 geborene Klägerin unterhält bei der Beklagten eine Krankheitskostenversicherung nach Tarif ECO, wonach Kosten für ambulante Heilbehandlungen zu 100 % erstattet werden. Es gelten insoweit die in den Vertrag einbezogenen und die MB/KK 2008 umfassenden AVB und Tarifbedingungen der Beklagten. Daneben unterhält die Klägerin bei der Beklagten eine private Pflegepflichtversicherung nach dem Tarif PV.
Die Klägerin leidet an amyotrophischer Lateralsklerose (ALS), einer neuromuskulären Erkrankung, aufgrund derer eine chronische ventilatorische Insuffizienz besteht. Die Klägerin wird seit August 2010 über ein Tracheostoma beatmet. Eine Spontanatmungsreserve besteht nicht mehr. Seit ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus am 01.09.2010 wird die Klägerin zu Hause behandelt und gepflegt. Wegen des Risikos von Unregelmäßigkeiten mit der Folge des Ausfalls der vitalen Funktionen bedarf es einer durchgängigen 24stündigen Beobachtung durch intensivmedizinisch ausgebildete Personen. Die Behandlungspflege wird derzeit durch die T GmbH sichergestellt, die pro angefangene Stunde eine Entlohnung von 38,00 € berechnet. Auf Vorlage des entsprechenden Kostenvoranschlags erklärte sich die Beklagte bereit, auf freiwilliger Basis und zunächst nur bis zum 30.11.2010 die Kosten für die häusliche Intensivkrankenpflege für 15 Stunden täglich und unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 28,00 € zu erstatten. Im vorangegangenen einstweiligen Verfügungsverfahren (Az. 23 O 256/10) schlossen die Parteien vor dem OLG Köln einen Prozessvergleich, infolgedessen die Beklagte vorläufig bis zur Entscheidung in der Hauptsache die Kosten für die Behandlungspflege aus der Krankheitskostenversicherung für 21 Stunden täglich bei einem Stundensatz von 38,00 € erstattet.
Die Klägerin ist ferner in die Pflegestufe III eingeordnet. Ausgehend von einem täglichen Pflegeaufwand von 360 Minuten für Grundpflege und hauswirtschaftliche Versorgung bezieht der Ehemann der Klägerin Pflegegeld in Höhe von 685 € monatlich, dagegen keine Pflegesachleistungen. Für die hauswirtschaftlichen Tätigkeiten beschäftigt der Ehemann der Klägerin eine Haushälterin. Die grundpflegerische Versorgung wird von dem Ehemann der Klägerin sowie der Frau O sichergestellt.
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte sei bedingungsgemäß verpflichtet, die anfallenden Kosten für die 24stündige Behandlungspflege zu erstatten, da es sich um medizinisch notwendige Heilbehandlungen handele. Sie ist weiterhin der Auffassung, der Anspruch gegen die Beklagte aus der Krankheitskostenversicherung werde durch ihre Pflegebedürftigkeit nicht begrenzt. Eine Anrechnung der Zeiten für die Grundpflege auf die Zeiten der Behandlungspflege dürfe nicht vorgenommen werden.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagte zu verurteilen, sie für den Zeitraum ab 01.09.2010 für die Dauer des Bestehens des Versicherungsverhältnisses, gegen Vorlage geeigneter Nachweise die Kosten der Versorgung mit häuslicher Intensivkrankenpflege im Umfang von 24 Stunden täglich unter Zugrundelegung eines Stundensatzes von 38,00 € und nicht lediglich und befristet bis zum 30.11.2010 die anteiligen Kosten für 15 Stunden Intensivkrankenpflege täglich zu einem Stundensatz von 28,00 € zu erstatten.
2. die Beklagte zu verurteilen, an sie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 3.617,48 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz nach § 247 BGB ab Rechtshängigkeit zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte wendet ein, die Klage sei bereits unzulässig, da sie auf eine zukünftige Leistungspflicht ohne zeitliche oder sonstige Eingrenzung gerichtet sei. Außerdem fehle in dem Antrag die Beschränkung auf eine tarifgemäße Erstattung. Die Beklagte hält die Klage überdies für unbegründet. Sie ist der Auffassung, die begehrte Kostenerstattung für die Behandlungspflege sei schon nicht vom dem tariflich geschuldeten Versicherungsschutz erfasst, da es sich um nichtärztliche Leistungen handelt, die – insoweit unstreitig – keinem der im Tarif genannten Fälle zuzuordnen sind. Unabhängig davon bestehe eine Leistungspflicht ohnehin allenfalls nur für 18 Stunden, da im Hinblick auf die verbleibenden 6 Stunden bereits Leistungen für die Grundpflege erbracht werden und ein davon entlohnte Pflegedienst gleichzeitig auch die Beobachtung des Beatmungsgerätes vornehmen könne. Außerdem gebe es andere Pflegedienste, die schon für 28 € pro Stunde tätig würden, so dass allein dieser Stundensatz angemessen sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die zu den Akten gereichten Urkunden Bezug genommen.
Die Akten zu dem Az. 23 O 256/10 waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist zulässig und begründet.
Entgegen dem Einwand der Beklagten ist der Klageantrag, der letztlich auf eine Verpflichtung zur Kostenübernahme auf Lebzeit der Klägerin hinausläuft, nicht wegen fehlender zeitlicher oder sonstiger Eingrenzung unzulässig. Unter Zugrundelegung der für Feststellungsklagen geltenden Rechtssprechung kann die Zulässigkeit einer die Zukunft berührenden Klage dann bejaht werden, wenn ein gegenwärtiges Rechtsverhältnis in dem Sinne betroffen ist, dass die zwischen den Parteien des Rechtsstreits bestehenden Beziehungen schon zur Zeit der Klageerhebung wenigstens die Grundlage bestimmter Ansprüche bilden. Das ist wiederum dann der Fall, wenn das Begehren nicht nur auf künftige mögliche, sondern auf bereits aktualisierte, ärztlich für notwendig erachtete bevorstehende Behandlungen gerichtet ist. Außerdem muss durch das Urteil eine sachgemäße und erschöpfende Lösung des Streits über die Erstattungspflichten zu erwarten sein (BGH VersR 2006, 535; VersR 1987, 1107). Diese Anforderungen sind vorliegend erfüllt. Die Klägerin begehrt die Erstattung der (auch zukünftig entstehenden) Kosten für eine im Hinblick auf Dauer und Umfang konkret feststehende Behandlung, nämlich die 24stündige Beobachtung und Kontrolle der künstlichen Beatmung durch geschultes Fachpersonal, die unstreitig sowohl gegenwärtig als auch wegen fehlender Heilungs- oder Linderungsaussichten lebenslang ärztlich für notwendig erachtet wird.
Die Beschränkung auf die tarifgemäße Erstattung ist dem Klageantrag im Wege der Auslegung zu entnehmen, §§ 133, 157 BGB analog. Dass die Klägerin mehr verlangt als sie nach den Tarifbedingungen beanspruchen kann, ist nicht ersichtlich.
Die Klage ist hinsichtlich des Hauptantrags vollumfänglich begründet. Die Klägerin hat einen Anspruch auf Übernahme der Kosten für eine 24stündige häusliche Behandlungspflege aus dem zwischen den Parteien bestehenden Krankheitskostenversicherungsverhältnis in Verbindung mit §§ 1, 49, 178 Abs. 1 VVG a.F., 1 Abs. 2, 2 Abs. 1 der AVB der Beklagten.
Gemäß § 1 Abs. 1a) der AVB gewährt der Versicherer im Versicherungsfall den Ersatz von Aufwendungen für Heilbehandlungen und sonst vereinbarte Leistungen. Versicherungsfall wiederum ist gemäß § 1 Abs. 2 der AVB die medizinisch notwendige Heilbehandlung wegen Krankheit oder Unfallfolgen. Eine Heilbehandlung ist nach ständiger Rechtssprechung des BGH jede ärztliche Tätigkeit, die durch die betreffende Krankheit verursacht worden ist, sofern die Leistung von ihrer Art her in den Rahmen der medizinisch notwendigen Krankenpflege fällt und auf Heilung oder Linderung der Krankheit abzielt (BGH VersR 1996, 1224 ff.; VersR 1987, 278; VersR 1978, 271 f.). Gleichgestellt sind Tätigkeiten, die auf eine Verhinderung der Verschlimmerung einer Krankheit gerichtet sind (Voit in Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, § 192 Rn. 49). Letzteres ist vorliegend der Fall. Das ständige Beobachten nebst gelegentlichem Absaugen von Sekret dient der Sicherstellung des Funktionierens des Beatmungsgeräts und damit der Aufrecherhaltung der Vitalfunktionen der Klägerin. Ohne die invasive Beatmung würde die Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit innerhalb kurzer Zeit versterben. Daher sind die in Rede stehenden Überwachungsmaßnahmen als medizinisch notwendige Heilbehandlungen einzuordnen (vgl. OLG Karlsruhe, NJW-RR 1998, 893; LG Dortmund, VuR 2007, 399; LG Bonn Urteil vom 26.11.2009, Az. 9 O 230/09; Voit in Prölls/Martin, Versicherungsvertragsgesetz, 28. Auflage 2010, § 192 Rn. 57). Aus denselben Gründen handelt sich entgegen dem Vorbringen der Beklagten auch nicht um reine Pflegemaßnahmen, die dem Leistungsversprechen der Pflegeversicherung unterfallen.
Der Beklagten ist zuzugestehen, dass nach den einschlägigen Versicherungsbedingungen eine Erstattungspflicht grundsätzlich nur für ärztliche Leistungen besteht (vgl. § 4 Abs. 2 und 3 der AVB). Nichtärztliche Leistungen unterliegen hingegen nur ausnahmsweise in den in den Tarifbedingungen abschließend aufgezählten, im Streitfall jedoch nicht einschlägigen Fällen nach ärztlicher Verordnung der Erstattungsfähigkeit. Dennoch führt dies nach dem Dafürhalten der Kammer im Hinblick auf die streitgegenständlichen Überwachungsmaßnahmen nicht zu einem Leistungsausschluss. Dabei kann dahingestellt bleiben, ob die lebenserhaltenden Maßnahmen, die durch ausgebildete Fachkräfte und Intensivkrankenpfleger erbracht werden, wie ärztliche Leistungen zu qualifizieren und damit im Wege einer weiten Auslegung als vom Versicherungsschutz erfasst zu verstehen sind (so LG Bonn, a.a.O.).
Denn jedenfalls hielte die Beschränkung der Erstattungspflicht einer Inhaltkontrolle nach den §§ 305 ff. BGB nicht stand. Nach ständiger Rechtssprechung sind auch Tarifbedingungen einer gerichtlichen AGB-Kontrolle weitestgehend zugänglich, wenn sie den durch die AVB abstrakt vorgegebenen Leistungsumfang konkretisieren und dadurch einschränken (BGH VersR 1992, 950, 1995, 328, 1999, 2004, 1035, 1037). Das, was den Maßstab der Angemessenheitskontrolle bildet, ist der Vertragszweck, der gemäß § 307 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht gefährdet werden darf. Eine Vertragszweckgefährdung ist dabei dann anzunehmen, wenn mit der Einschränkung der Leistung der Vertrag ausgehöhlt werden kann und damit in Bezug auf das versicherte Risiko zwecklos wird (BGH VersR 2004, 1035 ff.). Der durchschnittliche Versicherungsnehmer bezweckt mit einer Krankheitskostenvollversicherung in erster Linie die Abdeckung des Kostenrisikos, welches ihm durch die notwendige Behandlung von Krankheiten entsteht. Damit kann es durchaus vereinbar sein, dass der Versicherer medizinische Randbereiche und nichtärztliche Behandlungen nur eingeschränkt dem Versicherungsschutz unterstellt. Dies kann jedoch nicht für Leistungen gelten, die zur Erhaltung der Vitalfunktionen des Versicherungsnehmers medizinisch indiziert sind, auch wenn sie „nur“ durch fachlich geschultes, aber nicht ärztliches Fachpersonal erbracht werden. Denn in einem solchen Fall ist gerade der Kernbereich des Risikos tangiert, das der Versicherungsnehmer in der Krankheitskostenversicherung typischerweise abgedeckt wissen möchte und dessen Ausgrenzung durch die Versicherungsbedingungen den Zweck der Versicherung insgesamt in Frage stellt (vgl. LG Dortmund, a.a.O.; LG Bonn a.a.O.). Die Absicherung der Aufrechterhaltung einer lebensnotwendigen Dauerbeatmung stellt geradezu eine Kardinalpflicht des Versicherers da, auf deren Bestand der Versicherungsnehmer vertraut und vertrauen darf.
Eine Reduzierung des Anspruchs wegen (zumindest hälftiger) Anrechnung der Leistungen aus der Pflegeversicherung findet nicht statt. Etwas anderes folgt auch nicht aus der von der Beklagten angesprochenen zu den gesetzlichen Versicherungen ergangenen Rechtssprechung der Sozialgerichte. Das Bundessozialgericht hat 1999 zwar noch ausgeführt, dass der gesamte für die Grundpflege festgestellte Zeitbedarf einschließlich hauswirtschaftlicher Versorgung –im Streitfall 360 Minuten – von dem behandlungspflegerischen Zeitbedarf in Abzug zu bringen sei (BSGE 83, 254). Zur Begründung hat das BSG ausgeführt, dass Behandlungs- und Grundpflege stets strikt voneinander zu trennen seien und dass während der Erbringung der Hilfe bei der Grundpflege die Behandlungspflege regelmäßig in den Hintergrund trete, so dass es gerechtfertigt sei, den Kostenaufwand für diese Zeiten allein der Pflegeversicherung zuzurechnen, und zwar begrenzt auf den jeweiligen Höchstbetrag der zuerkannten Pflegestufe. Reicht dieser Höchstbetrag zur Abdeckung der Kosten nicht aus, habe der Versicherte den verbleibenden Rest stets aus eigenen Mitteln aufzubringen. Zwar würde die Erledigung beider Aufgaben durch ein und dieselbe Pflegekraft dem Gebot der Wirtschaftlichkeit entsprechen. Dies rechtfertige es aber nicht, die Krankenversicherungen mit den gesamten Kosten zu belasten (BSG a.a.O.).
Im Hinblick auf die privaten Versicherungen verkennt die Kammer nicht, dass ebenso zwischen Behandlungspflege einerseits und Grundpflege andererseits zu differenzieren ist. Nach dem Dafürhalten der Kammer steht diese Trennung aber zugleich einer ausnahmslosen Anrechnungspflicht entgegen. Ein Behandlungsbedürftiger darf nicht generell einen Nachteil dadurch erleiden, dass er zugleich Unterstützung bei der Grundpflege bedarf. Vielmehr stehen die Ansprüche gleichrangig nebeneinander.
Dahin geht auch die Rechtsprechung der Sozialgerichte. Das BSG hat mit seiner Entscheidung vom 17.06.2010 (Az. B 3 KR 7/09 R) explizit seine vorgenannten Erwägungen aufgeben. Dabei führt es aus, dass der Wille des Gesetzgebers dahin gehe, dass Versicherte, die häuslicher Krankenpflege bedürfen, diesen Anspruch auch dann in möglichst weitem Umfang wahrnehmen können sollen, wenn sie Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten. Die medizinische Rehabilitation habe gegenüber der Pflege Vorrang. Zweck der Pflegeversicherung sei es, die Krankenversicherung zu ergänzen, nicht aber prinzipiell – ganz oder teilweise – zu verdrängen. Vor diesem Hintergrund müsse die von der Beklagten angesprochene frühere Entscheidung des BSG aufgegeben werden. Ob der bestehenden Parallelität der Ansprüche dennoch dadurch Rechnung getragen werden sollte, dass „nur“ eine hälftige Anrechnung stattfindet, wie es das BSG zuletzt entschieden hat (BSG a.a.O.) oder ob sich eine Anrechnung generell verbietet, kann hier sogar offen bleiben, da sich die streitgegenständliche Situation von der, die bislang Gegenstand der Rechtsprechung war, in einem Punkt wesentlich unterscheidet. In vorliegendem Streitfall nimmt die versicherte Klägerin nur Ansprüche aus der Krankenversicherung als Sachleistung in Anspruch. Die Grundpflege, sprich Hilfe bei der Nahrungsaufnahme, der Körperpflege und der Mobilität, erledigen der Ehemann sowie eine weitere Angehörige ohne fachliche Hilfe, weshalb die Klägerin statt Sachleistungen monatlich ein Pflegegeld von 685 € bezieht. Der Pflegedienst ist 24 Stunden am Tag ausschließlich für die Behandlungspflege, also die Beatmungsbeobachtung, das Absaugen von Sekret und weitere medizinische Hilfen zuständig. Wie diese Konstellation rechtlich zu behandeln ist, ist noch nicht höchstrichterlich entschieden. Auch das BVerfG hat in seiner von der Klägerin zitierten Entscheidung vom 10.03.2008 (PflR 2008, 347) die Klärung dieser Fallgestaltung offen gelassen und lediglich ausgeführt, dass die bis dahin geltende alte Rechtssprechung des BSG zur vollumfänglichen Anrechnungspflicht nicht ohne weiteres übernommen werden könne.
Nach dem Dafürhalten der Kammer scheidet ein Abzug in Höhe des für Sachleistungen aus der Pflegeversicherung angesetzten Zeitaufwandes aus. Anderenfalls wäre ein Versicherungsnehmer, der zur Sicherung seines Überlebens der 24stündigen Beobachtung durch geschultes Fachpersonal bedarf, gezwungen, auf die Erbringung der Grundpflege durch nahe stehende Angehörige, die die zur medizinischen Überwachung erforderliche Qualifikation nicht aufweisen, zu verzichten. Die Klägerin müsste im Falle einer Anrechnung zur Sicherstellung ihres Überlebens einen Pflegedienst mit der Erbringung der nicht medizinischen Grundpflege betrauen, obwohl dafür eigentlich kein Bedarf besteht. Es lässt sich ferner nicht ausschließen, dass es in diesem oder in gleich gelagerten Fällen der Heilbehandlung förderlich ist, dass die grundpflegerischen Bedürfnisse durch nahe stehenden Personen versorgt werden. In Anbetracht dessen lässt sich eine strikte Anrechnungspflicht schwer mit dem Kerngedanken einer Krankenversicherung vereinbaren. Auch das BSG befasst sich am Rande mit der Problematik, dass die Behandlungs- und Grundpflege nicht durch dieselbe Pflegekraft erbracht werden. Es führt dazu aus, dass der Pflegebedürftige auch in solchen Fällen die freie Wahl zwischen Pflegesachleistungen und dem Pflegegeld haben muss. Er sei nicht verpflichtet, mit Rücksicht auf das Wirtschaftlichkeitsgebot Pflegeleistungen in Anspruch zu nehmen, nur weil er die gleichzeitig erforderliche Behandlungspflege als Sachleistung erhält und deshalb eine Fachkraft bereit steht, die auch die Pflegesachleistungen erbringen könnte. Weiterhin heißt es in den Urteilsgründen des BSG im Hinblick auf die hauswirtschaftliche Versorgung (die im zugrunde liegenden Fall von Angehörigen übernommen wurde), dass die Ansprüche uneingeschränkt nebeneinander stünden, wenn die Maßnahmen nicht von derselben Kraft, sondern von zwei Personen durchgeführt werden (BSG, a.a.O.).
Die Erstattung der Kosten für die Überwachungsmaßnahmen steht der Klägerin in der geltend gemachten, von dem derzeit beauftragten Pflegedienst in Rechnung gestellten Höhe zu. Angesichts der von der Klägerin vorgelegten Vergleichsangebote anderer Pflegedienste aus der Umgebung geht die Kammer von der Angemessenheit und Üblichkeit des veranschlagten Stundensatzes von 38 € aus. Das Bestreiten der Beklagten ist demgegenüber nicht substantiiert und veranlasst die Kammer nicht zum Eintritt in die Beweisaufnahme.
Der Anspruch hinsichtlich der vorgerichtlichen Rechtsanwaltgebühren steht der Klägerin aus Verzugsgesichtspunkten (§§ 280, 286 BGB) zu. Gem. § 250 Satz 2 BGB hat sich ein möglicher Freistellungsanspruch mit der endgültigen Leistungsverweigerung durch die Beklagte in einen Leistungsanspruch umgewandelt.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 Satz 2 ZPO.
Streitwert: 940.188,00 € ((328.320,00 € × 3 Jahre) abzgl. 44.772,00 €).