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Limonadenflaschenexplosion – Haftung des Einzelhändlers

BUNDESGERICHTSHOF

Az.: VI ZR 223/05

Urteil vom 31.10.2006

Vorinstanzen:

LG Konstanz, Az.: 5 O 276/04 D, Entscheidung vom 09.12.2004

OLG Karlsruhe, Az.: 9 U 3/05, Entscheidung vom 13.10.2005


Leitsätze:

Keine Haftung des Einzelhändlers bei der Explosion einer Limonadenflasche.


In dem Rechtsstreit hat der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs auf die mündliche Verhandlung vom 31. Oktober 2006 für Recht erkannt:

Die Revision gegen das Urteil des 9. Zivilsenats des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 13. Oktober 2005 wird auf Kosten des Klägers zurückgewiesen.

Von Rechts wegen

Tatbestand:

Der Kläger hielt sich am 23. Juni 2001 gegen 12.00 Uhr in dem von der Beklagten betriebenen Verbrauchermarkt in S. auf, um dort einzukaufen. Als er sich im Bereich der offen gelagerten Erfrischungsgetränke orientieren wollte, explodierte eine Limonadenflasche (Mehrwegflasche, sog. Brunnen – Einheitsflasche), wodurch er erheblich verletzt wurde.

Der Hersteller der Limonadenflasche wurde aufgrund einer Klage des Arbeitgebers des Klägers verurteilt, dem Arbeitgeber den durch die Lohnfortzahlung entstandenen Schaden gemäß § 1 Abs. 1 ProdHaftG i. V. m. § 115 SGB X zu ersetzen. Mit der jetzigen Klage macht der Kläger seinen Eigenbeteiligungsbetrag sowie einen Anspruch auf Schmerzensgeld geltend.

Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seinen Anspruch weiter.

Entscheidungsgründe:

I.

Nach Auffassung des Berufungsgerichts ist der Beklagten keine Verkehrssicherungspflichtverletzung vorzuwerfen. Zwar sei die Beklagte beim Verkauf kohlensäurehaltiger Getränke verpflichtet gewesen, in den Grenzen des technisch Möglichen und ihr wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass der Verbraucher keine Gesundheitsschäden erleide. Deshalb habe sie die mit dem Vertrieb von Glasflaschen verbundene Gefahr einer spontanen Explosion nach Möglichkeit gering halten müssen. Eine durch Klimatisierung herbeigeführte künstliche Kühlung sei aber unzumutbar gewesen, weil sich dadurch bei den hier zu erörternden Temperaturen das Risiko nur minimal verringert hätte.

Nach den Ausführungen des Sachverständigen sei das Explosionsrisiko temperaturabhängig. Neben der Temperatur seien jedoch deren Bruchfestigkeit sowie der CO2-Gehalt des Getränks Bestimmungsfaktoren für die Wahrscheinlichkeit eines spontanen Bruchs der Flasche. Bei einer Temperatur von 15°C entstehe ein Überdruck von 2,59 bar. Dieser steige bei 24,4°C auf 3,75 und bei 30°C auf 4,57 bar. Dieser Gleichgewichtsdruck werde allerdings bei CO2-haltigen Getränken üblicherweise weder im Handel noch beim Verbraucher erreicht. Die Gleichgewichtseinstellung dauere nämlich in einer ruhig gelagerten Flasche mehrere Monate.

Eine spontane Explosion bei den hier diskutierten Temperaturen setze eine Schädigung der Flasche in Form von nicht erkennbaren Mikrorissen voraus, die sich unter dem Einfluss des sich aufbauenden Überdrucks vergrößerten und schließlich explosionsartig zur Zerstörung der Flasche führten. Trotz eines Mittelwerts der Innendruckfestigkeit von noch über 12 bar bei alten und stark verschlissenen Mineralwasserflaschen komme es immer wieder vor, dass einzelne Flaschen beim Verbraucher bzw. im Handel bei einem Überdruck von weniger als 4 bar explodierten. Die Geschwindigkeit des Risswachstums sei nicht berechenbar. Sie liege zwischen praktisch unendlich langsam und etwa 1 mm/sek.

Aussagen zu dem Zeitpunkt, wann und unter welchen Bedingungen eine bestimmte vorgeschädigte Flasche explodieren werde, seien nicht möglich. Vorliegend hätte aber eine geringere Temperatur die Explosionswahrscheinlichkeit nur geringfügig gesenkt. Selbst im Kühlschrank könne eine Flasche platzen, wenn die feinen Risse die Druckfestigkeit vermindert hätten.

In Deutschland sei es unüblich, Sprudelkästen in Kühlräumen zu lagern.

Weil das Risiko von Explosionen dadurch auch nicht wesentlich abgesenkt würde, sei die Beklagte nicht gehalten gewesen, das Getränk gekühlt zum Verkauf anzubieten. Dem lediglich geringen Sicherheitsgewinn hätte nämlich ein erheblicher Aufwand für eine kühle Lagerung gegenüber gestanden. Der Aufwand beziehe sich nicht nur auf den Raum, in welchem die Flaschen verkauft würden, sondern auch auf Lagerräume und den Transport, weil die Anpassung der Flaschentemperatur an die Umgebungstemperatur eine gewisse Zeit benötige.

Zudem sei das Explosionsrisiko gekühlter Flaschen zu bedenken, das aus dem Temperaturunterschied von menschlicher Hand und Glasflasche herrühre.

Wenn sich ein bereits fortgeschrittener Mikroriss in dem Bereich befinde, in dem das Glas durch die Hand erwärmt werde, könne nämlich allein dadurch eine Explosion hervorgerufen werden.

Im vorliegenden Fall hätten die Verkaufsräume allenfalls eine Temperatur von 24,4°C gehabt. Soweit der Kläger in seiner Stellungnahme zu der in der zweiten Instanz eingeholten Auskunft des Wetterdienstes vortrage, der einstöckige Verkaufsraum sei nicht isoliert und das Flachdach sei mit schwarzer Teerpappe bedeckt gewesen, so dass sich das Gebäude ganz erheblich aufgeheizt habe, sei sein Vortrag neu und nach § 531 Abs. 2 ZPO unbeachtlich. Erstinstanzlich habe der Kläger nämlich vorgetragen, Außen- und Innentemperatur seien „praktisch identisch“ gewesen. Im Übrigen habe der Sachverständige bereits die räumliche Lage von S. berücksichtigt. Zu Gunsten des Klägers sei bei der angenommenen Maximaltemperatur wegen der Innenstadtlage der Verkaufsräume ein Zuschlag vorgenommen worden. Es sei deshalb nicht gerechtfertigt, die von der Beklagten eingeräumte Maximaltemperatur von 24,4°C zu überschreiten.

II.

Die Ausführungen des Berufungsgerichts halten einer revisionsrechtlichen Überprüfung im Ergebnis stand.

1.

Zutreffend geht das Berufungsgericht davon aus, dass die Beklagte aufgrund ihrer Verkehrssicherungspflicht nach § 823 Abs. 1 BGB verpflichtet war, in den Grenzen des technisch Möglichen und ihr wirtschaftlich Zumutbaren dafür zu sorgen, dass Verbraucher durch die von ihr angebotene Ware keine Gesundheitsschäden erleiden. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft, grundsätzlich verpflichtet, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung anderer möglichst zu verhindern (vgl. Senatsurteile vom 16. Mai 2006 – VI ZR 189/05 – VersR 2006, 1083, 1084; vom 8. November 2005 – VI ZR 332/04 – VersR 2006, 233, 234 und vom 15. Juli 2003 – VI ZR 155/02 – VersR 2003, 1319, jeweils m. w. N.). Die rechtlich gebotene Verkehrssicherung umfasst diejenigen Maßnahmen, die ein umsichtiger und verständiger, in vernünftigen Grenzen vorsichtiger Mensch für notwendig und ausreichend hält, um andere vor Schäden zu bewahren. Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht jeder abstrakten Gefahr vorbeugend begegnet werden kann. Ein allgemeines Verbot, andere nicht zu gefährden, wäre unrealistisch.

Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist im praktischen Leben nicht erreichbar. Haftungsbegründend wird eine Gefahr deshalb erst dann, wenn sich für ein sachkundiges Urteil die nahe liegende Möglichkeit ergibt, dass Rechtsgüter anderer verletzt werden können. Auch dann reicht es jedoch anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die ihm den Umständen nach zuzumuten sind (vgl. Senatsurteile vom 16. Mai 2006 – VI ZR 189/05; vom 8. November 2005 – VI ZR 332/04 – und vom 15. Juli 2003 – VI ZR 155/02 -, jeweils aaO m. w. N.). Dabei sind Sicherungsmaßnahmen umso eher zumutbar, je größer die Gefahr und die Wahrscheinlichkeit ihrer Verwirklichung sind (vgl. Senatsurteil vom 5. Oktober 2004 – VI ZR 294/03 – VersR 2005, 279, 280 f.).

2.

Nach diesen Grundsätzen ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten verneint hat.

Nach den vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen, die auf den von der Revision nicht angegriffenen Ausführungen des Sachverständigen beruhen, ist das Explosionsrisiko zwar temperaturabhängig; weitere Faktoren sind aber der CO2-Gehalt des Getränks sowie die Bruchfestigkeit der Flasche. Eine spontane Explosion setzt eine Schädigung der Flasche in Form von nicht erkennbaren Mikrorissen voraus, die sich unter dem Einfluss des sich aufbauenden Überdrucks vergrößern und schließlich explosionsartig zur Zerstörung der Flasche führen. Weiter hat der Sachverständige ausgeführt, die Geschwindigkeit des Risswachstums sei nicht berechenbar. Sie liege zwischen praktisch unendlich langsam und etwa 1 mm/s. Aussagen zu dem Zeitpunkt, wann und unter welchen Bedingungen eine bestimmte vorgeschädigte Flasche explodieren werde, seien nicht möglich. Selbst im Kühlschrank könne eine Flasche platzen, wenn die feinen Risse die Druckfestigkeit vermindert hätten. Eine geringere Temperatur hätte deshalb vorliegend die Explosionswahrscheinlichkeit nur geringfügig gesenkt. Andererseits hat der Sachverständige auf das Explosionsrisiko gekühlter Flaschen hingewiesen, das aus dem Temperaturunterschied von menschlicher Hand und Glasflasche herrühre. Er hat dargelegt, dass dann, wenn sich ein bereits fortgeschrittener Mikroriss in dem Bereich befinde, in dem das Glas durch die Hand erwärmt werde, alleine dadurch eine Explosion hervorgerufen werden könne.

Aus diesen Ausführungen geht hervor, dass die wesentliche Ursache für die Explosion im Zustand der Flasche zu sehen ist, insbesondere in den für den Einzelhändler nicht erkennbaren Haarrissen. Beim Zustand der Flasche handelt es sich aber um ein Risiko, das in den Verantwortungsbereich des Herstellers fällt, dem der Gesetzgeber die Haftung für fehlerhafte Produkte zugewiesen hat.

Aufgrund der für ihn bestehenden Gefährdungshaftung haftet der Hersteller deshalb in solchen Fällen grundsätzlich nach § 1 des Produkthaftungsgesetzes, wobei im Falle der Verletzung des Körpers oder der Gesundheit jetzt auch für den immateriellen Schaden eine billige Entschädigung in Geld verlangt werden kann.

Soweit darüber hinaus die Temperatur eine Rolle spielen kann, erscheint es nicht gerechtfertigt, entgegen der bisherigen Praxis in Verkaufsräumen bei üblichen, auch sommerlichen Temperaturen eine Verpflichtung des Einzelhändlers zur Kühlung zu statuieren. Im Hinblick auf die geringe Wahrscheinlichkeit, dass ein Verbraucher durch eine im Verkaufsraum explodierende Flasche verletzt wird, ist der dafür erforderliche Aufwand im Verhältnis zu dem bestehenden Risiko nicht zumutbar. Mit einer Kühlung könnte der Händler das Risiko nur für einen kurzen Zeitraum geringfügig verringern. Er würde aber zugleich neue Gefahren schaffen, die durch die Kühlung entstehen können, wenn der Kunde etwa die gekühlte Flasche mit einer wesentlich wärmeren Hand berührt oder sie nach dem Einkauf in ein warmes Fahrzeug verbringt und es dann wegen des erheblichen Temperaturunterschieds zur Explosion der Flasche kommt. Bei dieser Sachlage ist es unabhängig davon, ob die vom Berufungsgericht festgestellte Temperatur von 24,4°C oder die vom Kläger behauptete Temperatur von 30°C bestanden hat, nicht gerechtfertigt, dem Einzelhändler den für eine Kühlung erforderlichen Aufwand aufzuerlegen.

3.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

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