Oberlandesgericht Hamm
Az: 1 RBs 1/14
Beschluss vom 09.09.2014
Tenor
Die Sache wird dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern übertragen.
Das angefochtene Urteil wird nebst den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Der Betroffene wird freigesprochen.
Die Staatskasse trägt die gesamten Kosten des Bußgeldverfahrens sowie die dem Betroffenen in diesem Bußgeldverfahren entstandenen notwendigen Auslagen.
Gründe
I.
Zusammenfassung:
Der Betroffene ist durch Urteil des Amtsgerichts Dortmund vom 27.08.2013 wegen vorsätzlicher verbotswidriger Benutzung eines Mobiltelefons als Kraftfahrzeugführer zu einer Geldbuße von 40 EUR verurteilt worden.
Nachden Urteilsfeststellungen befuhr der Betroffene am 03.04.2013 gegen 12:30 Uhr mit dem von ihm geführten Pkw der Marke E, amtliches Kennzeichen xx-xx xxx, die S-Allee in E in Richtung I. An der Lichtzeichenanlage am Ende der Ausfahrt Am S musste der Betroffene wegen Rotlichts anhalten. Während er mit seinem Fahrzeug vor der Lichtzeichenanlage stand, nutzte er sein Mobiltelefon, in dem er es mit der rechten Hand an sein rechtes Ohr hielt und sprach.
Der Betroffene hat sich nach den Urteilsausführungen dahingehend eingelassen, er habe nur während des Zeitraumes telefoniert, in dem er mit seinem PKW gestanden habe. Während dieses Zeitraumes sei der Motor seines Fahrzeugs ausgeschaltet gewesen, da das Fahrzeug mit einer ECO Start-Stopp-Funktion ausgestattet sei. Halte der Fahrzeugführer an und betätige das Bremspedal, so schalte sich der Motor ab.Bei erneuter Betätigung des Gaspedals starte der Motor wieder.
Zur Begründung hat es ausgeführt:
“Die Einlassung des Betroffenen, der Motor sei ausgeschaltet, ist nicht zu widerlegen. Sie kann aber ohnehin zu Gunsten des Betroffenen als wahr unterstellt werden. Trotzdem ist die Ausnahme vom grundsätzlichen Mobilfunkverbot gemäß § 23 Abs. 1 a S. 1 StVO nach S. 2 nicht gegeben. Denn der Motor war nicht im Sinne der Ausnahme ausgeschaltet. Dieser Auslegung des ausgeschalteten Motors steht Art. 103 Abs. 2 GG nicht entgegen, da sich die Auslegung innerhalb des Wortlauts hält. Denn der Motor wird bei Unterstellung einer funktionierenden Start-Stopp-Funktion schon nicht bewusst und unmittelbar durch den Fahrzeugführer ausgeschaltet. Vielmehr ist das Ausscheiden nur eine Folge der Betätigung der Bremse und des anschließenden Herausnehmens des Ganges, sei es auch bei einem Automatikgetriebe durch Wechsel in die Neutralstellung. Durch das Halten der Bremse nimmt der Kraftfahrzeugführer aber weiterhin am Verkehr teil. Gegen ein Ausschalten spricht ferner, dass ein Einschalten nicht durch ein bewusstes Bedienen des Anlassers erfolgt. Eine Zündvorrichtung muss nicht bedient werden; es genügt die Betätigung des Gaspedals. Die Fahrt kann jederzeit fortgesetzt werden, ohne dass der Motor erst durch eine eigenständige Handlung in Betrieb gesetzt werden müsste (vgl. OLG Bamberg NJW 2006, 3732, 3733, mit gleicher Begründung zu einem abweichenden Sachverhalt).”
Gegen diesen Beschluss richtet sich der Antrag des Betroffenen auf Zulassung der Rechtsbeschwerde, mit der eine Verletzung sachlichen Rechts gerügt wird.
II.
Die Sache war zur Fortbildung des materiellen Rechts dem Bußgeldsenat in der Besetzung mit drei Richtern zu übertragen (§ 80 a Abs. 3 OWiG), da zu der Frage, ob die Vorschrift des § 23 Abs. 1a S. 2 StVO auch dann eingreift, wenn bei einem angehaltenen Fahrzeug der Motor aufgrund einer sogenannten Start-Stopp-Funktion automatisch ausgeschaltet wurde – soweit ersichtlich – bisher keine höchstrichterliche Entscheidung ergangen ist.
Bei dieser Entscheidung handelt es sich um eine solche der zuständigen Einzelrichterin.
III.
Der Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde hat auch in der Sache Erfolg. Er führt auf die erhobene Sachrüge zu einer Aufhebung des angefochtenen Urteils und zum Freispruch des Betroffenen.
Gemäß § 23 Abs. 1a S. 2 StVO gilt das in S. 1 normierte Verbot der Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons durch den Fahrzeugführer, wenn hierfür das Mobiltelefon oder der Hörer des Autotelefons aufgenommen oder gehalten werden muss, nicht, wenn das Fahrzeug steht und bei Kraftfahrzeugen der Motor ausgeschaltet ist.
Soweit der Gesetzeswortlaut bei Kraftfahrzeugen die Ausschaltung des Motors verlangt, differenziert er nicht zwischen einem automatischen Ausschalten des Motors beim bewussten Abbremsen bzw. Anhalten des Fahrzeugs und einer bewussten manuellen Ausschaltung des Motors durch den Fahrzeugführer. Ebenso wenig lässt sich aus dem Wortlaut der Vorschrift entnehmen, dass ein Ausschalten des Motors nur dann gegeben sein soll, wenn zu dessen (Wieder-) Einschaltung die Bedienung einer Zündvorrichtung erforderlich ist.
Auch aus der Begründung der 33. Verordnung zur Änderung straßenverkehrsrechtlicher Vorschriften vom 11.12.2000 (Verkehrsblatt 2001, Seite 8), durch die § 23 Abs. 1a StVO in die Straßenverkehrsordnung aufgenommen worden ist, lässt sich eine solche Differenzierung nicht entnehmen. Dort heißt es, dass S. 2 die Benutzung eines Mobil- oder Autotelefons durch den Fahrzeugführer unter den dort genannten Voraussetzungen erlaubt, ohne dass nähere Ausführungen dazu erfolgt sind, wann ein Motor als ausgeschaltet anzusehen ist. In der weiteren Begründung wird sodann ausgeführt, dass damit die Benutzung bei längerem Stillstand wie z.B. im Stau oder bei längerem Halt vor einer geschlossenen Bahnschranke mittels Aufnehmen oder Halten des Telefons oder Telefonhörers weiter erlaubt bleibe, sowie, dass bei verkehrsbedingter Fahrtunterbrechung von kürzerer Dauer wie z.B. Warten vor einer roten Ampel oder im Stop-and-go-Verkehr der Kraftfahrzeugführer den Motor nicht abschalten werde, da er vom unmittelbaren Bevorstehen der Weiterfahrt ausgehe. Auch hier ist lediglich die Rede von einem “Abschalten” des Motors, ohne dass diesbezüglich eine Definition erfolgt ist oder besondere Voraussetzungen aufgestellt werden.
Auch aus dem Sinn und Zweck der Regelung des § 23 Abs. 1a S. 1 und S. 2 StVO lässt sich nicht entnehmen, dass der Motor nur dann im Sinne dieser Vorschrift als ausgeschaltet anzusehen ist, wenn er durch den Fahrzeugführer bewusst manuell abgeschaltet worden ist und nur durch das vorherige Bedienen der Zündvorrichtung wieder in Gang gesetzt werden kann. Durch die Vorschrift des § 23 Abs. 1a S. 1 StVO soll gewährleistet werden, dass dem Fahrzeugführer beide Hände für die eigentlichen Fahraufgaben zur Verfügung stehen. Steht aber das Fahrzeug und ist der Motor nicht in Betrieb, fallen Fahraufgaben, wofür der Führer beide Hände benötigt, nicht an, wobei es keinen Unterschied macht, ob der Motor zuvor durch den Fahrer durch Betätigen der Zündung oder mit der Abbremsung bzw. dem Stillstand des Fahrzeugs automatisch abgeschaltet worden ist.
Während des Zeitraums, in dem das angehaltene Fahrzeug mit ausgeschalteten Motor steht, ist eine Beeinträchtigung der Fahraufgaben des Fahrzeugführers durch ein in den Händen gehaltenes Telefon deshalb nicht zu befürchten, da solche Aufgaben erst wieder bei einer erneuten Fahrtaufnahme anfallen können, die aber erfordert, dass zuvor der Motor wieder in Gang gesetzt wird (vergleiche OLG Bamberg, Beschluss vom 27.09.2006 – 3 Ss Owi 1050/06 – BeckRS 2006, 13254; OLG Hamm, Beschluss vom 01.12.2005 – 2 Ss OWi 811/05 -, Beck RS 2006, 01391). Das Erfordernis eines erneuten Einschaltens des Motors ist aber auch gegeben, wenn dieser zuvor mittels einer Start-Stopp-Funktion des Fahrzeugs automatisch abgeschaltet worden ist. Der Umstand, dass bei einem Fahrzeug, das mit einer solchen Funktion ausgerüstet ist, der Motor sehr rasch, nämlich bereits durch eine Betätigung des Gaspedals wieder in Gang gesetzt werden kann, ändert nichts daran, dass der Motor zuvor außer Betrieb gesetzt und damit ausgeschaltet gewesen war und eine Fahrtaufnahme seine Wiedereinschaltung erfordert, wobei sich die Betätigung des Gaspedals durch den Fahrer als bewusste Einschaltung des zuvor ausgeschalteten Motors darstellt.
Die durch das Amtsgericht vorgenommene Auslegung von § 23 Abs. 1a S. 2 StVO, dass bei einem vor einer Rotlicht zeigenden Lichtzeichenanzeige stehenden Kraftfahrzeug dem Ausschalten des Motors infolge einer Start-Stopp-Funktion keine Bedeutung beizumessen sei, stellt daher eine mit Art. 103 Abs. 2 GG nicht vereinbare Ausdehnung der Bußgeldbewehrung zu Lasten des Betroffenen dar.
Auf die zugelassene Rechtsbeschwerde war daher der Betroffene unter Aufhebung des angefochtenen Urteils durch Beschluss gemäß § 79 Abs. 5 und Abs. 6 OWiG freizusprechen.
VI.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 467 Abs. 1 StPO i.V.m. § 46 Abs. 1 OWiG