KG Berlin, Az.: (3) 1 Ss 406/98 (159/98), Beschluss vom 03.02.1999
Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Berlin vom 10. September 1998 mit den Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung auch über die Kosten der Revision an eine andere Strafkammer des Landgerichts zurückverwiesen.
Gründe
Das Amtsgericht Tiergarten in Berlin hat den Angeklagten wegen versuchter Nötigung zu einer Geldstrafe von 40 Tagessätzen zu je 30,00 DM verurteilt. Mit dem angefochtenen Urteil hat das Landgericht Berlin die Berufung des Angeklagten mit der Maßgabe verworfen, dass dem Angeklagten gestattet wird, Geldstrafe und Kosten in monatlichen Teilbeträgen von 100,00 DM zu zahlen. Die Revision des Angeklagten mit der er das Verfahren beanstandet und die Verletzung sachlichen Rechts rügt, hat mit der Sachrüge (vorläufig) Erfolg.
Die Staatsanwaltschaft bei dem Kammergericht hat in ihrer Stellungnahme zu der Sachrüge des Betroffenen zutreffend ausgeführt:
„Die Feststellungen und Erwägungen der Strafkammer tragen die Verurteilung des Angeklagten wegen versuchter Nötigung nicht.
1. Nötigung setzt als Tathandlung gemäß § 240 Abs. 1 StGB die Anwendung von Gewalt oder die Drohung mit einem empfindlichen Übel voraus, um eine Handlung, Duldung oder Unterlassung zu erzwingen. Als Nötigungsmittel hat die Strafkammer im vorliegenden Fall Gewaltanwendung angenommen. Der Gewalteinsatz als physisch vermittelter Zwang zur Überwindung eines geleisteten oder erwarteten Widerstandes, <vgl. Tröndle, StGB 48. Aufl., § 240 Rdnr. 5 m.N.> erfasst nicht nur die direkte Anwendung körperlicher Kraft, sondern auch die psychisch vermittelte Zwangseinwirkung, sofern der Täter mit nur geringem Kraftaufwand einen psychisch determinierten Prozess in Lauf setzt und dadurch einen unwiderstehlichen, der unmittelbaren körperlichen Einwirkung vergleichbaren Zwang auf (das Opfer ausübt <vgl. BGHSt 19, 263, 265 f; OLG Düsseldorf NJW 1996, 2245 m.w.N.>. Im Straßenverkehr kann Gewalt hiernach durch die bewusste Verursachung einer Gefahrenlage herbeigeführt werden, die geeignet ist, einen anderen durchschnittlich empfindenden Verkehrsteilnehmer in unüberwindbare Furcht zu versetzen, um ihn zu einem bestimmten Verhalten zu veranlassen <vgl. BGHSt 19, 263, 266; OLG Karlsruhe VRS 94, 262, 263 m.w.N.>. Hierzu zählen auch und insbesondere Fälle des andauernden besonders dichten und bedrängenden Auffahrens unter gleichzeitiger Betätigung von Schall- und Lichtzeichen <vgl. OLG Karlsruhe aaO; OLG Düsseldorf aaO; Jeweils m.w.N.; auch KG VRS 63, 120: OLG Hamm DAR 1990, 392, 393; Eser in Schönke/Schröder, StGB 25. Aufl., § 240 Rdnr. 24 m.w.N.>. Dabei genügt allerdings nicht jede geringfügige, durch dichtes Auffahren bedingte Einwirkung auf den vorausfahrenden Kraftfahrer der Ausfüllung des Gewaltbegriffs. Vorausgesetzt wird in der Rechtsprechung vielmehr eine über die bloße Belästigung hinausgehende gewisse Intensität der Einwirkung, die zu bestimmen nur unter Berücksichtigung sämtlicher Umstände des Einzelfalles möglich ist <OLG Hamm aaO; OLG Köln VRS 67, 224, 225 m.w.N.>. Abzustellen ist dabei vor allem auf die Art und Dauer der Einwirkung, weil diese grundsätzlich, je länger sie andauert, um so unausweichlicher, mithin als Zwang empfunden wird <vgl. OLG Karlsruhe aaO>. Des weiteren sind die Annäherungsgeschwindigkeit des auffahrenden Fahrzeuges, die im weiteren Verlauf eingehaltene Geschwindigkeit, die Abstandsgröße(n), der etwaige Gebrauch von Lichthupe, Signalhorn und/oder Fahrtrichtungsanzeiger und deren Häufigkeit sowie die örtlichen Verhältnisse allgemein zu berücksichtigen <vgl. OLG Hamm aaO; OLG Köln aaO.; Jagusch/Hentschel, Straßenverkehrsrecht 35. Aufl., § 4 StVO Rdnr. 16 m.w.N.>.
2. Soweit die Strafkammer vorliegend den Tatbestand der (versuchten) Nötigung in Form der Gewaltanwendung als durch das Verhalten des Angeklagten in der M.straße als erfüllt erachtet, ist dies nicht hinreichend durch Tatsachen belegt. Die Feststellung, der Angeklagte habe mehrmals die Lichthupe sowie auch das Signalhorn betätigt und sei einige Male bis auf eine derart geringe Nähe zum Fahrzeug der Zeugin L. aufgefahren, dass die Zeugin die vordere Stoßstange des verfolgenden Fahrzeuges nicht mehr im Rückspiegel habe erkennen können, wobei sich beide Fahrzeuge mit 30, höchstens 40 km/h bewegt hätten (UA S. 5), ist nicht konkretisiert genug, um bereits eine nach den zuvor angeführten Maßstäben gegebene bzw. vorgestellte und gewollte Zwangswirkung i.S.v. § 240 StGB bejahen zu können. Abgesehen davon, dass die gefahrene Geschwindigkeit sehr viel geringer war als in vergleichbaren Fällen, in denen die Rechtsprechung die Anwendung von Gewalt als gegeben erachtet hat – die überwiegende Anzahl der veröffentlichen Entscheidungen der obergerichtlichen Rechtsprechung befasst sich mit Konstellationen, die sich auf Autobahnen bei Geschwindigkeiten jenseits von 100 km/h abspielten <vgl. Übersicht bei KG VRS 63, 120, 121; OLG Hamm aaO; Jagusch/Hentschel aaO> -, ist für die Beurteilung letztlich von maßgeblicher Bedeutung, für welche Zeitspanne der Angeklagte die Zeugin durch sein Verhalten in eine geistig-seelische Zwangslage gebracht bzw. zu bringen beabsichtigt hat <KG aaO>. Hierzu teilt das Landgericht nichts mit, wobei sich auch aus dem Zusammenhang der Urteilsgründe nichts zwingendes zu der Zeitkomponente ableiten lässt. Auch das damalige Annähern des Fahrzeuges unter mehrfacher Betätigung akustischer und optischer Signale kann sich innerhalb eines verhältnismäßig kurzen Zeitraums abgespielt haben und muss in seiner Intensität noch nicht über zwar den Regelungen der StVO entgegenstehendes und belästigendes, aber noch nicht den Gewaltbegriff des Nötigungstatbestandes erreichendes Verhalten hinausgehen. Darüber hinaus lassen die Feststellungen zu den weiteren in die Berücksichtigung einzustellenden Umständen <vgl. oben zu 1.> und die Erwägungen zur subjektiven Tatseite zu wünschen übrig.
Das Revisionsgericht vermag daher nicht abschließend zu prüfen, ob die Feststellungen des Landgerichts den Schluss zulassen, dass sich die Fahrweise des Angeklagten als derart bedrängend dargestellt hat, dass sie geeignet war, einen besonnenen durchschnittlichen vorausfahrenden Kraftfahrer in Furcht und Schrecken zu versetzen und/oder ihn gar zu ungewohnten unfallträchtigen und gefährlichen Fahrmanövern zu veranlassen bzw. dass der Angeklagte dies in seine Vorstellung aufgenommen hat <vgl. OLG Düsseldorf aaO; OLG Hamm aaO; OLG Karlsruhe VRS 57, 21, 221>. Jedenfalls kann bei Abwägung der festgestellten und der mangels hinreichender Feststellungen zugunsten des Angeklagten anzunehmenden Umstände letztlich nicht davon ausgegangen werden, dass der Angeklagte die Zeugin unter eine Zwangswirkung von solcher Intensität gesetzt hat, dass das Tatbestandsmerkmal der Gewaltanwendung als erfüllt anzusehen ist <vgl. KG aaO>.
3. Soweit – vom Landgericht nicht untersucht – die Tathandlung der Drohung mit einem empfindlichen Übel in Betracht kommt <vgl. OLG Karlsruhe VRS 94, 262, 264; OLG Düsseldorf NJW 1996, 2245; jeweils m.w.N.>, belegen die Urteilsfeststellungen nicht, dass der Angeklagte eine solche Drohung beabsichtigt oder zumindest als möglich in seine Vorstellung aufgenommen hat. Insbesondere fehlen Feststellungen dazu, ob er durch das Verhalten zu erkennen geben wollte, dass er seine Fahrweise so lange fortsetzen würde, bis die Zeugin ihrerseits beschleunigte oder ihm das Überholen ermöglichte, und dass er diese faktische Beeinflussung für so schwerwiegend hielt, dass sie geeignet war, der Zeugin seinen entsprechenden Willen aufzuzwingen.“
Diese Erwägungen macht sich der Senat zu eigen.
Da nicht auszuschließen ist, dass das Landgericht insoweit noch genauere Feststellung treffen kann, hebt der Senat das Urteil, ohne auf die Rüge der Verletzung formellen Rechts einzugehen, auf und verweist die Sache gemäß § 354 Abs. 2 Satz 1 StPO an einen andere Strafkammer des Landgerichts zurück.