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Nutzlos aufgewendete Urlaubszeit – Zurechnung des Verschuldens eines Luftfahrtunternehmens

LG Duisburg – Az.: 7 S 165/17 – Urteil vom 05.10.2018

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Amtsgerichts Duisburg vom 15.11.2017, Az. 50 C 3642/16, insgesamt abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.963,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.12.2016 zu zahlen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Der Kläger nimmt die Beklagte nach Kündigung des Reisevertrages auf Schadensersatz wegen nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit sowie Erstattung nutzlos aufgewendeter Fahrtkosten in Anspruch.

Der Kläger buchte für sich und seine Familie bei der Beklagten für die Zeit vom 08.10.2016 bis zum 23.10.2016 eine Pauschalreise in der Hotelanlage „J“ auf G zu einem Gesamtreisepreis in Höhe von 7.776,00 EUR.

Der Hinflug sollte am 08.10.2016 mit einem Flug der U GmbH ab E2 durchgeführt werden. Dieser Flug wurde annulliert, wovon der Kläger und seine Familie am Anreisetag erfuhren, als sie sich bereits im Abflughafen in E2 befanden. Dort erhielt er telefonisch von dem vermittelnden Reisebüro die Information, dass die Reise nicht durchgeführt werden könne, weil keine Beförderungsmöglichkeit zum Zielort gegeben sei. Für die Anreise zum Flughafen sind dem Kläger Kosten in Höhe von 75,00 EUR entstanden.

Der bereits gezahlte Reisepreis wurde von der Beklagten erstattet. Die mit Schreiben vom 11.10.2016 (Bl. 14 ff. GA) geltend gemachten Schadensersatzansprüche wegen nutzlos aufgewandter Urlaubszeit und ebenfalls nutzloser Fahrtkosten wies die Beklagte mit Schreiben vom 17.10.2016 (Bl. 18 f. GA) zurück.

Der Kläger hat mit Nichtwissen bestritten, dass der Flug wegen eines „wilden Streiks“ in Form zahlreicher Krankmeldungen von Crew-Mitgliedern der U GmbH annulliert worden sei. Er hat behauptet, es habe – ggf. zu einem späteren Termin oder unter Inkaufnahme von Umstiegen – die Möglichkeit gegeben, ihn mit seiner Familie zum Zielort zu bringen.

Er hat beantragt, die Beklagten zur Zahlung von 3.983,00 EUR sowie vorgerichtlicher Rechtanwaltskosten in Höhe von 413,64 EUR, jeweils nebst Zinsen zu verurteilen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Sie hat behauptet, die Annullierung des gebuchten Fluges beruhe auf einem wilden Streik zahlreicher Mitarbeiter der U GmbH, der im Nachgang zu am 30.09.2016 bekanntgegeben umfangreichen Planungen von Umstrukturierungsmaßnahmen bei der  U GmbH entstanden sei. In diesem Zusammenhang sei es zu einer massiven Welle von Krankmeldungen bei den Crew-Mitgliedern gekommen, die den Flugbetrieb erheblich beeinträchtigt und schließlich zu einer Annullierung zahlreicher Flüge geführt habe. Wegen der Einzelheiten zu dem behaupteten Verlauf und den Umfang der Krankmeldungswelle wird auf die diesbezüglichen Ausführungen in der Klageerwiderung vom 10.01.2017 (Bl. 30 ff. GA) Bezug genommen. Sowohl die U GmbH als auch die Beklagte hätten – im Ergebnis erfolglos – umfangreiche Versuche unternommen, um gleichwohl die Beförderung des Klägers und seiner Mitreisenden – auch durch andere Luftfahrtunternehmen – zu ermöglichen.

Das Amtsgericht hat die Klage nach Beweisaufnahme abgewiesen mit der Begründung, die Beklagte habe die Nichtdurchführung der Reise nicht zu vertreten. Es habe sich seinerzeit um einen „wilden Streik“ gehandelt. Weder der Beklagten noch dem ausführenden Luftfahrtunternehmen sei eine Provokation dieses Streiks vorzuwerfen. Zudem habe die Beklagte alle zumutbaren Maßnahmen ergriffen, um eine Beförderung der Reisenden trotz des wilden Streiks zu ermöglichen.

Gegen dieses Urteil wendet sich der Kläger mit seiner form- und fristgerecht eingelegten Berufung, mit der er sein erstinstanzliches Begehren unter Wiederholung und Vertiefung seines bisherigen Vorbringens weiter verfolgt.

Der Kläger beantragt, unter Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils die Beklagte zu verurteilen, an ihn 3.963,00 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.11.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 14.12.2016 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,  die Berufung zurückzuweisen.

Sie hält die Ausführung des Amtsgerichts für zutreffend.

Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Die Berufung des Klägers ist zulässig und hat auch in der Sache Erfolg.

Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz wegen von ihm und seinen Familienmitgliedern nutzlos aufgewendeter Urlaubszeit  aus § 651f Abs. 2 BGB. Streitig ist in diesem Zusammenhang, ob es sich dabei um einen höchstpersönlichen Anspruch handelt, der bei einer Familienreise nur von den jeweiligen Geschädigten geltend gemacht werden kann, oder ob es sich um einen Anspruch nicht höchstpersönlicher Natur handelt der damit ohne Weiteres von dem Buchenden geltend gemacht werden kann (vgl. zum Streitstand Tonner in MünchKomm-BGB, 7. Aufl.,§ 651f, Rn. 45). Dies bedarf vorliegend indes keiner Entscheidung, weil die mitreisenden Familienmitglieder ihre Schadensersatzansprüche unstreitig an den Kläger abgetreten haben, was grundsätzlich möglich ist (OLG Düsseldorf RRa 2003, 211; vgl. auch BGH NJW 1980, 1847), sodass der Kläger insgesamt aktivlegitimiert ist.

Der geltend gemachte Anspruch besteht. Die Beklagte hat die Durchführung der Reise mit dem Hinweis auf eine fehlende Beförderungsmöglichkeit zum Zielort abgelehnt. Damit hat sie die Reise vereitelt (vgl. Führich, Reiserecht, 7. Aufl., § 11, Rn. 52). In diesem Zusammenhang kann letztlich dahinstehen, ob und von welcher Seite der Reisevertrag gekündigt worden ist, zumal Schadensersatzansprüche „unbeschadet der Kündigung“ bestehen. Unabhängig davon war jedenfalls die Beklagte zu einer Kündigung nicht berechtigt, auch nicht im Hinblick auf § 651j BGB, da es bereits an dem Vorliegen höherer Gewalt fehlt. Insofern hat der Europäische Gerichtshof in seiner Entscheidung vom 17.04.2018 (NJW 2018, 1592) bereits klargestellt, dass es sich bei der hier behaupteten Häufung der Krankmeldungen nach der Ankündigung von Umstrukturierungsmaßnahmen nicht um einen „außergewöhnlichen Umstand“ handelt, da es sich hierbei vielmehr um einen Teil der normalen Ausübung der Tätigkeit des betreffenden Luftfahrtunternehmens (hier konkret U GmbH) handelt und zudem nicht davon ausgegangen werden kann, dass die Situation für das Luftfahrtunternehmen nicht beherrschbar war. Da diese Kriterien gleichermaßen für den Begriff der höheren Gewalt gelten (BGH NJW 2013, 374, Rn. 11), kann ein Ereignis höherer Gewalt nicht festgestellt werden, zumal die Beklagte keine Anhaltspunkte vorgetragen hat, die eine abweichende Beurteilung rechtfertigen. Vor dem Hintergrund, dass es sich bei dem behaupteten wilden Streik um einen Teil der Ausübung der normalen Tätigkeit eines Luftfahrtunternehmens handelt, kann sich auch die Beklagte, die Leistungen eines Luftfahrtunternehmens mit anbietet, nicht auf ein betriebsfremdes Ereignis berufen.

Anders als die Beklagte meint, hat sie die Vereitelung der Reise auch zu vertreten. Auch wenn in Art. 5 Abs. 2 der Pauschalreise-RL in der alten Fassung – genau wie in Art. 14 Abs. 3 der neuen Fassung – die Gründe, auf die der Reiseveranstalter seine Entlastung stützen kann, begrenzt (vgl. Tonner in MünchKomm-BGB, 7. Aufl., § 851f,  Rn. 36), gilt der Verschuldensmaßstab des § 276 Abs. 1 BGB, ohne dass die Entlastungsmöglichkeiten insoweit eingeschränkt werden (BGH NJW 2005, 418). Dies kann aber letztlich offen bleiben, weil die Beklagte auch gemessen an diesen Maßstäben die Vereitelung der Reise zu vertreten hat. Da das Verschulden nach § 651 Abs. 1 BGB vermutet wird (vgl. Führich a.a.O., § 11, Rn. 6; Sprau in Palandt-BGB, 76. Aufl., § 651f, Rn. 4 iVm Rn. 6), obliegt es der Beklagten, sich zu entlasten.

Da der Beklagten nach § 278 BGB ein Verschulden der U GmbH zuzurechnen ist, muss sie sich sowohl hinsichtlich eines unmittelbar eigenen Verschuldens als auch eines solchen der U GmbH entlasten. Dies ist ihr nicht gelungen. Wie der EuGH in der zitierten Entscheidung festgestellt hat, ist nicht davon auszugehen, dass für die U GmbH das Geschehen nicht beherrschbar war. Umgekehrt konnte sie vielmehr Einfluss auf das Geschehen nehmen. Dass die U GmbH in gebotenem Maße Einfluss genommen hat, ist nicht ersichtlich. Es fehlt an jeglichem Vortrag ob bzw. welche arbeitsrechtlichen Maßnahmen – ggf. wann – angekündigt oder ergriffen worden sind, um den behaupteten wilden Streik zu beenden. Ungeachtet dessen ist es aber auch nicht ersichtlich, dass die Beklagte alles Zumutbare unternommen hat, um die Folgen des behaupteten wilden Streiks abzuwenden. An die entsprechenden Feststellungen des Amtsgerichts ist die Kammer nicht gebunden, § 529 Abs. 1 ZPO. Den Bekundungen der erstinstanzlich vernommenen Zeugen C und I lässt sich letztlich nur ein allgemeines Bild der Zustände im streitgegenständlichen Zeitraum entnehmen. Welche konkreten Maßnahmen im Einzelnen zu welchem konkreten Zeitpunkt hinsichtlich der für den 08.10.2016 nach G gebuchten Reisen ergriffen worden sind, lässt sich den Bekundungen indes nicht entnehmen.

Die Urlaubszeit des Klägers und seiner Familie ist auch nutzlos aufgewendet worden, da die geplante Reise nicht stattgefunden hat.

Eine Mangelanzeige war vorliegend entbehrlich. Die Beklagte hat durch ihre Mitteilung, die Reise werde nicht durchgeführt, weil sie keine Beförderungsmöglichkeiten habe, so dass man sich aus Gründen höherer Gewalt von dem Reisevertrag trennen würde, unmissverständlich zu erkennen gegeben, zu einer Abhilfe nicht bereit zu sein. Vor diesem Hintergrund hätte eine Mangelanzeige reine Förmelei bedeutet (vgl. auch LG Hannover RRa 2018, 111).

Schließlich sind die Ansprüche auch rechtzeitig innerhalb der Monatsfrist des § 651g BGB angemeldet worden.

Bei dieser Sachlage hat der Kläger einen Anspruch auf Entschädigung in einer Höhe von 50 % des Reisepreises. Dieser ist ein grundsätzlich tauglicher Bemessungsmaßstab, zumal der Reisende damit zeigt, welchen Wert er dem mit der Reise verbundenen immateriellen Gewinn beigemessen hat (BGH NJW 2005, 1047). Auch die Bemessung der Entschädigung mit der Hälfte des Reisepreises ist bei der Vereitelung der Reise nicht zu beanstanden (BGH wie vor). Hiergegen wendet sich die Beklagte auch nicht.

Nach § 651f Abs. 1 BGB hat der Kläger auch Anspruch auf Ersatz der unnütz aufgewandten Reisekosten zum Flughafen E2 in Höhe von 75,00 EUR. Diesem Betrag ist die Beklagte nicht entgegen getreten. Er ergibt sich zudem aus der mit der Klageschrift vorgelegten Rechnung des Reisebüros vom 08.10.2016 (Bl. 11 GA).

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Als weiteren Schaden hat der Kläger zudem einen Anspruch auf Ersatz der vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten.

Der zuerkannte Zinsanspruch ergibt sich aus Verzugsgesichtspunkten bzw. aus § 291 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 2 Nr. 1, 101 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

 

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