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Quarantäneanordnung – Corona-Ansteckungsgefahr – Einreise aus der Schweiz

Oberverwaltungsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 3 MB 13/20 – Beschluss vom 07.04.2020

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Schleswig-Holsteinischen Verwaltungsgerichts – 1. Kammer – vom 3. April 2020 wird verworfen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert wird für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,- Euro festgesetzt.

Gründe

Die Beschwerde gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 3. April 2020 ist bereits unzulässig und zu verwerfen.

1. Die streitgegenständliche Allgemeinverfügung des Antragsgegners Nr. 25 vom 3. April 2020 „Allgemeinverfügung des Kreises A-Stadt über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 auf dem Gebiet des Kreises A-Stadt“ ist durch die nachfolgend erlassene Allgemeinverfügung Nr. 26 vom 6. April 2020 mit sofortiger Wirkung aufgehoben worden (vgl. dortige Ziffer 15), so dass für das Beschwerdeverfahren kein Rechtsschutzinteresse (mehr) vorliegt. Da die jetzt erlassene Allgemeinverfügung Nr. 26 hinsichtlich der Ziffer 1. regelungsidentisch mit Ziffer 1. der aufgehobenen Allgemeinverfügung ist, ist davon auszugehen, dass sich das Rechtsschutzbegehren der Antragsteller jedenfalls in der Sache – die zweiwöchige Frist für die häusliche Quarantäne dauert noch fort – nicht erledigt hat. Da auch eine nochmalige Erhebung von Widerspruch und vorläufigem Rechtsschutzantrag für die Antragsteller voraussichtlich kein günstigeres Ergebnis herbeiführen würde, werden (hilfsweise) nachfolgende Erwägungen angestellt.

2. Die Beschwerde wäre voraussichtlich unbegründet. Die zu ihrer Begründung dargelegten Gründe, die allein Gegenstand der Prüfung durch den Senat sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), wären nicht geeignet, das Ergebnis des angefochtenen Beschlusses in Frage zu stellen. Soweit die Antragsteller auf ihren erstinstanzlichen Vortrag abheben, der sich wiederum auf ihr Widerspruchsvorbringen bezieht, genügen sie damit bereits nicht ihrer Darlegungslast. Gemäß § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO muss die Beschwerde die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinandersetzen. Ein Verweis auf das Vorbringen aus der 1. Instanz ist daher nicht ausreichend. Vielmehr bedarf es vor dem Hintergrund der ausdrücklichen gesetzlichen Anforderungen des § 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO einer Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung, bei der die Gründe, aus denen heraus die Entscheidung nach Ansicht des Beschwerdeführers fehlerhaft ist, bezeichnet werden müssen (vgl. Kopp/Schenke, VwGO-Komm., 25. Aufl. § 146 Rn. 41).

Auch die im Rahmen des anhängigen Beschwerdeverfahrens angeführten Gründe wären nicht geeignet, eine andere Entscheidung herbei zu führen. Denn die streitgegenständliche Ziffer 1 der (mittlerweile aufgehobenen) Allgemeinverfügung hätte sich nach dem bei § 80 Abs. 5 VwGO anzuwendenden Prüfungsmaßstab voraussichtlich als offensichtlich rechtmäßig erwiesen; jedenfalls hätte eine Abwägung der widerstreitenden Interessen ein überwiegendes öffentliches Interesse ergeben.

Dabei ist zunächst nichts dafür erkennbar, dass der Antragsgegner bei der öffentlichen Bekanntmachung der Allgemeinverfügung (vgl. § 110 Abs. 3 Satz 2, Absatz 4 LVwG) von § 4 der Landesverordnung über die örtliche Bekanntmachung und Verkündung (Bekanntmachungsverordnung – BekanntVO) abgewichen wäre. Im Übrigen ist die ursprünglich streitige Allgemeinverfügung inzwischen aufgehoben worden, so dass es hierauf auch nicht mehr entscheidungserheblich ankommen würde.

Quarantäneanordnung - Corona-Ansteckungsgefahr - Einreise aus der Schweiz
(Symbolfoto: Von GagoDesign/Shutterstock.com)

Soweit die Antragsteller vortragen, § 11 Abs. 2 Satz 2 der Landesverordnung über Maßnahmen zur Bekämpfung der Ausbreitung des neuartigen Coronavirus SARS-CoV-2 in Schleswig-Holstein (SARS-CoV-2 Bekämpfungsverordnung – SARS-CoV-2-BekämpfVO) vom 2. April 2020, wonach von den (zuständigen) Behörden geplante, weitergehende Maßnahmen dem für Gesundheit zuständigen Ministerium einen Tag vorher bekannt zu geben sind, nicht eingehalten worden sei, ergibt sich weder aus ihren Darlegungen noch aus den sonstigen Gegebenheiten etwas dafür, dass § 11 Abs. 2 Satz 2 SARS-CoV-2-BekämpfVO drittschützende Wirkung zukommt. Denn insoweit soll durch eine vorherige Bekanntmachung nur sichergestellt werden, dass das Ministerium für Soziales, Gesundheit, Jugend, Familie und Senioren im Interesse des Ergehens von möglichst weitgehend übereinstimmenden landesweiten Regelungen auf dem Gebiet des Infektionsschutzes auf Kreisebene vorab Kenntnis erhält. Nicht aufeinander abgestimmte oder gar sich widerstreitende Regelungen können so bereits im Vorhinein vermieden werden. Hieraus vermag sich keine Wirkung im Sinne einer Rechtsverletzung (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) (potentiell) betroffener Bürgerinnen und Bürger zu ergeben.

Auch die weiterhin vorgebrachten Einwände hinsichtlich der Anwendbarkeit der einzelnen Normen des Infektionsschutzgesetzes vermögen nicht zu überzeugen. Dabei ist den Antragstellern zunächst zuzugeben, dass § 30 IfSG, und zwar dessen Absatz 1 Satz 2, vorliegend eine taugliche Ermächtigungsgrundlage dargestellt hätte. Danach kann bei (sonstigen) Kranken sowie krankheitsverdächtigen, Ansteckungsverdächtigen und Ausscheidern angeordnet werden, dass sie in einem geeigneten Krankenhaus oder in sonst geeigneter Weise abgesondert werden … . Dass es sich bei den Antragstellern um ansteckungsverdächtige Menschen im Sinne von § 2 Nr. 7 IfSG handelt (eine Person, von der anzunehmen ist, dass sie Krankheitserreger aufgenommen hat, ohne krank, krankheitsverdächtig oder Ausscheider zu sein), ist mit dem Umstand, dass sie unmittelbar aus der Schweiz eingereist sind, die laut Einschätzung des Robert-Koch-Instituts (RKI) zu den internationalen Risikogebieten gehört, hinreichend belegt. Danach sind internationale Risikogebiete Gebiete, in denen eine fortgesetzte Übertragung von Mensch zu Mensch vermutet werden kann. Um dies festzulegen, verwendet das RKI verschiedene Kriterien (u. a. Erkrankungshäufigkeit, Dynamik der täglich gemeldeten Fallzahlen, Maßnahmen <z. B. Quarantäne ganzer Städte oder Gebiete, exportierte Fälle in andere Länder/Regionen> (https://www.rki.de/DE/Content/InfAZ/N/Neuartiges_Coronavirus/Risikogebiete.ht ml). Dem RKI kommt als nationaler Behörde zur Vorbeugung übertragbarer Krankheiten sowie zur frühzeitigen Erkennung und Verhinderung der Weiterverbreitung von Infektionen eine hervorgehobene Stellung auf dem Gebiet des Infektionsschutzes zu (vgl. zu den Aufgaben im Einzelnen § 4 IfSG). Um einen wirksamen Gesundheitsschutz der hiesigen Bevölkerung zu gewährleisten, war der Antragsgegner nicht gehalten, von sich eigene Feststellungen hinsichtlich des Gesundheitszustandes der Antragsteller oder hinsichtlich der aktuellen infektionsmedizinischen Situation in der Wohnortgemeinde der Antragsteller anzustellen; vielmehr ist die Einschätzung des RKI, die der Allgemeinverfügung zugrunde liegt bzw. zugrunde gelegen hat, maßgebend für das umgehende Tätigwerden des Antragsgegners. Es kommt somit nicht auf die infektionsmedizinische Situation im Kreisgebiet des Antragsgegners an, sondern darauf, ob die Antragsteller aus einem als internationales Risikogebiet ausgewiesenen Land oder Landesteil stammen. Dies ist bzw. war hier der Fall.

Auf das Vorhandensein Dritter im Haushalt der Antragsteller käme es entscheidungserheblich nicht an; insoweit hätte es im Übrigen auch an substantiiertem Vorbringen der Antragsteller gefehlt.

Soweit die Antragsteller weiterhin einwenden, § 28 Abs. 1 IfSG scheide als Generalklausel aus, soweit spezielle Eingriffstatbestände nicht zur Anwendung gelangten, folgt der beschließende Senat auch diesem Einwand nicht. Nach § 28 Abs. 1 Satz 1 2. HS kann die zuständige Behörde insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten. Auch insoweit liegt bzw. läge eine hinreichende Ermächtigungsgrundlage für die Anordnung einer häuslichen Quarantäne vor.

Die Vorschrift des § 28 IfSG wird nicht durch die nachfolgenden §§ 29 bis 31 IfSG bei deren (Nicht-)Eingreifen verdrängt. Vielmehr ergibt sich bereits aus dem Wortlaut des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG („die zuständige Behörde trifft die notwendigen Schutzmaßnahmen, insbesondere die in den §§ 29 bis 31 genannten, soweit und solange es zur Verhinderung der Verbreitung übertragbarer Krankheiten erforderlich ist; sie kann insbesondere Personen verpflichten, den Ort, an dem sie sich befinden, nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu verlassen oder von ihr bestimmte Orte oder öffentliche Orte nicht oder nur unter bestimmten Bedingungen zu betreten.“), dass diese nicht durch §§ 29 bis 31 IfSG verdrängt wird. Der Begriff der „Schutzmaßnahmen“ ist umfassend und eröffnet der Infektionsschutzbehörde ein möglichst breites Spektrum an geeigneten Schutzmaßnahmen, welches durch die Notwendigkeit der Maßnahme im Einzelfall begrenzt wird. Dieses Ergebnis ergibt sich zum einen anhand der Gesetzesmaterialien (vgl. Entwurf eines Vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Drs. 8/2468, S. 27 zu dem insoweit vergleichbaren § 34 BSeuchG). Danach lässt sich die Fülle der Schutzmaßnahmen, die bei Ausbruch einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht von vornherein übersehen. Man muss eine generelle Ermächtigung in das Gesetz aufnehmen, will man für alle Fälle gewappnet sein.

Gleichfalls hat das Bundesverwaltungsgericht zu den nach § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG möglichen Schutzmaßnahmen in seinem Urteil vom 22. März 2012 (3 C 16.11 – NJW 2012, 2823, Rn. 24) ausgeführt:

„bb) Hinsichtlich Art und Umfang der Bekämpfungsmaßnahmen – „wie – des Ergreifens – ist der Behörde, wie bereits ausgeführt, Ermessen eingeräumt (BR-Dr 566/99 S. 169). Dem liegt die Erwägung zu Grunde, dass sich die Bandbreite der Schutzmaßnahmen, die bei Auftreten einer übertragbaren Krankheit in Frage kommen können, nicht im Vorfeld bestimmen lässt. Der Gesetzgeber hat § 28 Abs. 1 IfSG daher als Generalklausel ausgestaltet. Das behördliche Ermessen wird dadurch beschränkt, dass es sich um „notwendige Schutzmaßnahmen“ handeln muss, nämlich Maßnahmen, die zur Verhinderung der (Weiter-)Verbreitung der Krankheit geboten sind. Darüber hinaus sind dem Ermessen durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Grenzen gesetzt (vgl. Entw. eines vierten Gesetzes zur Änderung des Bundes-Seuchengesetzes, BT-Dr 8/2468, S. 27 (zur Vorgängerregelung in § 24 BSeuchG)).“

Aus alledem folgt, dass alle notwendigen Schutzmaßnahmen auf die Generalklausel des § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG gestützt werden können (vgl. BayVGH, Beschl. v. 30.03.2020 – 20 CS 20.611 – juris Rn. 10-16).

Entgegen der von den Antragstellern vertretenen Auffassung sind auch keine milderen Mittel vorhanden. Weder mit einer Beobachtung nach § 29 IfSG noch mit der Durchführung eines Corona-Tests kann der weiteren Ausbreitung der Pandemie wirksam begegnet werden. Insoweit hat das Verwaltungsgericht auch noch einmal zutreffend darauf abgehoben, dass die aktuelle Infektionsgefahr insbesondere dadurch extrem risikobehaftet ist, dass bislang unentdeckt infizierte Personen sich im öffentlichen, aber auch im privaten Raum bewegen und andere unwissentlich infizieren (vgl. Beschlussabdruck Seite 7). Dem kann durch eine Beobachtung oder gar einen Test nicht wirksam begegnet werden, da der Test wie auch die Beobachtung angesichts der exponentiellen Ausbreitung des SARS-CoV-2-Virus nur unzureichend sichere Erkenntnismittel darstellen.

Würde sich die (inzwischen aufgehobene) Allgemeinverfügung in Gestalt ihrer Ziffer 1. mit hoher Wahrscheinlichkeit als offensichtlich rechtmäßig erweisen, so würde – die Nichterweislichkeit der offensichtlichen Rechtmäßigkeit einmal unterstellt – ebenfalls eine Interessenabwägung aus den im verwaltungsgerichtlichen Beschluss getroffenen Erwägungen zugunsten des öffentlichen Interesses ausfallen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2, § 52 Abs. 2 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).

 

 

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