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Schäden durch Baumaßnahmen am Nachbargrundstück – Schadensersatzanspruch

OLG München – Az.: 7 U 2873/18 – Urteil vom 11.09.2019

1. Auf die Berufung der Klägerin und die Anschlussberufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts München I vom 13.7.2018 (Az.: 24 O 8648/16), soweit es angefochten ist, samt des zugrunde liegenden Verfahrens aufgehoben.

2. Im Umfang der Aufhebung wird der Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten des Berufungsverfahrens, an das Landgericht zurückverwiesen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Gründe

A. Die Parteien streiten um den Ersatz von Schäden, die am Hausgrundstück der Klägerin im Gefolge von Bauarbeiten auf dem benachbarten Grundstück der Beklagten entstanden sein sollen.

Die Klägerin ist Eigentümerin des Grundstücks mit der Flurstücknummer …36 der Gemarkung H. Die Beklagte ist Eigentümerin der benachbarten Grundstücke mit den Flurstücknummern …37/5 und …37/7. Da die Beklagte Baumaßnahmen auf ihren Grundstücken durchführen wollte, schlossen die Parteien am 15.3.2010 eine Nachbarvereinbarung, hinsichtlich deren Inhalt auf Anlage K 5 Bezug genommen wird. Noch im Jahr 2010 begann die Beklagte mit den Bauarbeiten; insbesondere wurde der auf ihrem Grundstück vorhandene Baubestand abgerissen und eine mit einer Bohrfallwand gesicherte Baugrube unmittelbar an der Grundstücksgrenze der Klägerin errichtet. Hierdurch soll es zu massiven Schäden, insbesondere Riss- und Feuchtigkeitsschäden an der auf dem Grundstück der Klägerin vorhandenen Bebauung gekommen sein.

Mit ihrer Klage macht die Klägerin, gestützt auf die Nachbarvereinbarung in Verbindung mit Delikt bzw. § 906 Abs. 2 BGB diverse Schadenspositionen geltend, insbesondere Wiederherstellungskosten, Ersatz der Mietminderung, die die Klägerin aufgrund der Schäden an der Bebauung von ihren Mietern hinnehmen habe müssen, Privatgutachterkosten und vorgerichtliche Anwaltskosten.

Die Klägerin hat beantragt:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 182.245,46 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.4.2015 zu bezahlen.

Die Beklagte wird verurteilt, der Klägerin die vorgerichtlichen Anwaltskosten in gesetzlicher Höhe von 3.465,28 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Klagezustellung zu bezahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Landgericht hat der Klage in der Hauptsache hinsichtlich eines Betrages von 68.351,69 € (nebst anteiligen Zinsen) stattgegeben sowie die begehrte Erstattung der vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in voller Höhe zuerkannt; im übrigen hat es die Klage abgewiesen (vgl. zu letzterem Berichtigungsbeschluss vom 26.7.2018). Hiergegen richten sich die zulässige, insbesondere form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin sowie die form- und fristgerecht eingelegte und begründete Anschlussberufung der Beklagten.

Mit ihrem Rechtsmittel erstrebt die Klägerin (in der Hauptsache) die Verurteilung der Beklagten zu weiteren 48.997,45 €. Der Betrag setzt sich zusammen wie folgt (vgl. tabellarische Übersicht in der klägerischen Berufungsbegründung S. 13). Hinsichtlich der Sanierungkosten der Terrasse werden weitere 18.006,45 € und 1.105,13 € begehrt, weil das Landgericht fehlerhafterweise einen Abzug neu für alt vorgenommen habe. Hinsichtlich der Reparatur des Wohnzimmerfensters (insoweit hat das Landgericht die Klage abgewiesen) werden weiterhin 1.115,33 € geltend gemacht. Hinsichtlich der Mietminderung (insoweit hat das Landgericht die Klage abgewiesen) werden weiterhin 5.700,- € geltend gemacht. Hinsichtlich der rissbedingten Erneuerung des Innenanstrichs und des Fassadenanstrichs werden weitere 4.123,35 € bzw. 1.547,- € geltend gemacht, weil das Landgericht den Abzug neu für alt unzutreffend berechnet habe. An Privatgutachterkosten (die das Landgericht abgewiesen hat) werden in der Berufungsinstanz 17.400,19 € geltend gemacht.

Die Beklagte erstrebt mit ihrem Rechtsmittel die Reduzierung der Verurteilung in der Hauptsache um 10.942,05 € auf 57.409,64 €. Es handelt sich um den vom Landgericht zuerkannten Betrag für die Mängelbeseitigung am Sockel des klägerischen Hausanwesens.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts München I vom 13.7.2018 (Az.: 24 O 8648/16) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin über den vom Landgericht ausgeurteilten Betrag hinaus weitere 48.997,45 € zu bezahlen nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 11.4.2015.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts München I vom 13.7.2018 (Az.: 24 O 8648/16) dahingehend abzuändern, dass die Beklagte an die Klägerin 57.409,64 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.4.2015 zu bezahlen hat, und die Klage im übrigen abgewiesen wird.

Die Parteien beantragen wechselseitig die Zurückweisung des gegnerischen Rechtsmittels.

Die Streithelferin schließt sich den Anträgen der Beklagten an.

Im Termin zur mündlichen Verhandlung vor dem Senat beantragt die Beklagte zu Protokoll die Zurückverweisung der Sache an die erste Instanz.

B. Die Rechtsmittel der Parteien führen zur Aufhebung des angegriffenen Urteils, soweit es nicht rechtskräftig ist, und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das Landgericht.

I. Damit ist zunächst der Umfang der Rechtskraft zu verdeutlichen. Die Beklagte erstrebt eine Reduzierung der Verurteilung in der Hauptsache um 10.942,05 € auf 57.409,64 €. Damit ist die Beklagte in der Hauptsache in Höhe von 57.409,64 € (nebst anteiligen Zinsen) rechtskräftig verurteilt. Die Klägerin erstrebt eine Erweiterung der Verurteilung in der Hauptsache um 48.997,45 € auf 117.349,14 €. Damit ist die Klage in Höhe von 64.896,32 € (nebst anteiligen Zinsen) rechtskräftig abgewiesen (ursprüngliche Klageforderung 182.245,46 € – 117.349,14 €).

Rechtskräftig ist nach Auffassung des Senats auch die Verurteilung der Beklagten zur Erstattung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten. Zwar ließe der Antrag der Beklagten auch die Interpretation zu, dass das landgerichtliche Urteil auch insoweit angegriffen werden soll. Bei dieser Auslegung wäre die Berufung aber insoweit unzulässig, weil sich in der Berufungsbegründung keine Angriffe gegen die Verurteilung zur Erstattung der vorgerichtlichen Kosten finden. Mit Blick auf den allgemeinen Grundsatz, dass die anwaltlich vertretene Beklagte im Zweifel ein vollumfänglich zulässiges Rechtsmittel gewollt hat, geht der Senat daher davon aus, dass sich die Anschlussberufung der Beklagten nicht gegen die Verurteilung zur Erstattung der vorgerichtlichen Kosten richtet.

II. Gegen die Annahme des Landgerichts, dass die Beklagte dem Grunde nach für Schäden der Klägerin aufgrund der Bauarbeiten der Beklagten haftet, bringt die Anschlussberufung der Beklagten nichts vor. Ausführungen hierzu sind daher nicht veranlasst.

III. Das Verfahren der ersten Instanz weist wesentliche Mängel auf, die eine sowohl aufwändige als auch umfangreiche Beweisaufnahme erforderlich machen.

1. Hinsichtlich der geltend gemachten Privatgutachterkosten (Kosten des Sachverständigen Z.), die immerhin etwa 10 % der ursprünglichen Hauptsacheforderung ausmachten, fehlen die Entscheidungsgründe komplett. Insoweit ist jedenfalls noch die Einvernahme des Zeugen Zentner erforderlich.

a) Das Landgericht erwähnt die Privatgutachterkosten zwar im Tatbestand, nicht aber in den Entscheidungsgründen. Nach dem Tenor in der Fassung des Berichtigungsbeschlusses vom 26.7.2018 ist die Klage auch insoweit (“im übrigen“) abgewiesen. Das Landgericht teilt allerdings die Gründe für diese Entscheidung an keiner Stelle mit.

b) Dies stellt einen wesentlichen Mangel des Verfahrens im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar.

Absolute Revisionsgründe im Sinne von § 547 ZPO stellen zugleich wesentliche Verfahrensmängel im Sinne von § 538 Abs. 2 Nr. 1 ZPO dar (BGH, Urteil vom 13.4.1992 – II ZR 105/91, Rz. 10). Vorliegend einschlägig ist § 547 Nr. 6 ZPO. Ein Urteil enthält keine Entscheidungsgründe im Sinne dieser Vorschrift auch dann, wenn es einen von mehreren geltend gemachten Ansprüchen nicht behandelt (BGH, Urteil vom 18.2.1993 – IX ZR 48/92, Rz. 8).

So liegt es hier. Die Entscheidungsgründe behandeln den geltend gemachten Anspruch auf Erstattung der Kosten des Privatgutachters Z. mit keinem Wort.

c) Insoweit ist noch die Einvernahme des Zeugen Z. erforderlich, die sich nach dem Prozessstoff umfangreich und aufwändig gestalten dürfte.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Rechnungen des Privatgutachters Z. gemäß Anlagen K 28, K 29 und K 44 vorgelegt und den Zeugen Z. zum Beweis dafür benannt, dass dieser ausschließlich im Zusammenhang mit dem Bauvorhaben der Beklagten und den dadurch hervorgerufenen Schäden tätig war. Damit hat die Klägerin einen Anspruch auf Erstattung dieser Kosten schlüssig dargelegt. Nachdem die Beklagte den entsprechenden Klägervortrag bestritten hatte, ist nunmehr der angebotene Beweis zu erheben.

Zu Unrecht beruft sich die Beklagte dem gegenüber darauf, dass die Klägerin keine Tätigkeitsnachweise des Privatgutachters vorgelegt hat. Dies macht den Vortrag der Klägerin nicht unschlüssig. Denn es ist allein ihre Sache, welches Beweismittel sie für ihren Vortrag benennt. Ein Zeugenbeweis ist jedenfalls nicht generell ungeeignet zum Nachweis der Beweisbehauptung. Ob der Beweis durch den Zeugen in vollem Umfang geführt werden wird, ist eine Frage der Beweiswürdigung und folgt damit denknotwendig der Beweisaufnahme nach.

Aus den vorstehenden Ausführungen wird deutlich, dass der Zeuge zu einer Vielzahl von Einzelpositionen (abgerechneten Tätigkeiten) zu befragen sein wird (vgl. dazu etwa die Zusammenstellung BB 10 – 13). Damit erweist sich schon für sich betrachtet die Vernehmung dieses einzelnen Zeugen als aufwändig und umfangreich.

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2. Auch zum Komplex Reparatur des Wohnzimmerfensters fehlen die Entscheidungsgründe. Insoweit ist noch die Einvernahme von drei Zeugen und gegebenenfalls die ergänzende Begutachtung durch einen Sachverständigen erforderlich.

a) Der Komplex wird zwar im Tatbestand des landgerichtlichen Urteils kurz erwähnt (LGU 4 oben). Wiederum teilt aber das Landgericht nicht mit, warum es die Klage insoweit abgewiesen hat. Die allgemeine Bezugnahme auf die Ausführungen des Sachverständigen Dr. E. (LGU 8 unter d)) ersetzt nicht eine Auseinandersetzung des Gerichts mit diesem abgrenzbaren, eigenständigen Teil des Streitgegenstandes. Denn ein Urteil enthält auch dann keine Entscheidungsgründe im Sinne von § 547 Nr. 6 ZPO, wenn es sich zur Begründung auf völlig nichtssagende Floskeln beschränkt (vgl. BGHZ 39, 333 ff.).

b) Hinzu kommt folgendes: Die Berufung der Klägerin rügt zu Recht, dass das Landgericht die bereits in der Klageschrift dafür benannten Zeugen (Frau S., N. und Z.), dass das Fenster aufgrund der eingedrungenen Feuchtigkeit verzogen gewesen sei und sich allenfalls noch mit Gewalt habe öffnen lassen, nicht vernommen wurden. Dem hält die Beklagte im Ergebnis zu Unrecht entgegen, dass der Sachverständige Dr. E. aufgrund der zwischenzeitlich erfolgten Reparatur des Fensters die Schadensursache habe nicht mehr feststellen können.

Richtig ist zwar, dass der Sachverständige Dr. E. auf Blatt 34 seines Gutachtens ausführt, dass sich aus den zu verwendenden Zeugenaussagen und Unterlagen kein Nachweis ergebe, dass der fragliche Schaden tatsächlich vorgelegen habe. Dazu muss aber in den Blick genommen werden, dass das Landgericht in dem Beweisbeschluss vom 3.4.2017 (Bl. 121 ff. der Akten) dem Sachverständigen Dr. E. letztlich vorgegeben hatte, sein Gutachten auf der Basis der Angaben der zuvor vernommenen Zeugen zu erstatten. Vor diesem Hintergrund versteht es sich von selbst, dass der Sachverständige keine Angaben zu Schäden am Fenster machen konnte, nachdem das Landgericht den Zeugen Z. jedenfalls nicht hierzu sowie die Zeugin S. und den Zeugen N. überhaupt nicht einvernommen hat.

c) Es sind daher zunächst die Zeugin S. und die Zeugen N. und Z. zu der genannten Beweisbehauptung aus der Klageschrift zu vernehmen. Sollte sich das Gericht aufgrund der Einvernahme der Zeugen vom Vorliegen der behaupteten Schäden am Fenster überzeugen, wird gegebenenfalls die Einholung der ergänzenden Stellungnahme eines Sachverständigen zu der Frage erforderlich, ob diese Schäden auf die Baumaßnahmen der Beklagten zurückzuführen sind. Das Beweisthema erfordert somit, auch wenn nur ein geringer Teil des Streitgegenstandes betroffen ist, eine aufwändige und umfangreiche Beweisaufnahme.

3. Ferner rügt die Berufung zu Recht, dass zum Komplex Mietminderung die Zeugin S.nicht vernommen wurde.

a) Schon in der Klageschrift war die Zeugin S. (die Mieterin) zum Beweis der Tatsache angeboten worden, dass die Monatsmiete gemäß Mietvertrag 600,- € betrug und dass Frau S. die Miete für die Dauer von 35 Monaten um 50 % gemindert hatte. Damit war der Vortrag zur Mietminderung schlüssig und die Zeugin hätte vernommen werden müssen, nachdem die Beklagte den gesamten erstinstanzlichen Vortrag der Klägerin zur Mietminderung und damit auch die genannten Parameter bestritten hatte.

Richtig ist zwar, dass die Klägerin keine schriftlichen Unterlagen wie etwa Kontoauszüge vorlegt und dass im vorgelegten Mietvertrag (worauf der Senat im Termin zur mündlichen Verhandlung hingewiesen hat) gerade die Seite nicht mitkopiert wurde, auf der die Miethöhe stehen muss. Dies macht den Vortrag der Klägerin aber nicht unschlüssig. Es ist allein Sache der Klägerin, welche Beweismittel (Zeugen oder Urkunden) sie für ihre tatsächlichen Behauptungen anbietet; das hat mit der Frage der Schlüssigkeit nichts zu tun.

Richtig ist ferner, dass die Klägerin im Wege des Schadensersatzes nur die berechtigte Mietminderung an die Beklagte weitergeben kann. Welche Minderungsquote aber angemessen ist, kann das Landgericht aufgrund der bereits in der Klage und fortlaufend im Prozess behaupteten Mängel der Mietwohnung, über welche durch das Gutachten Dr. E. Beweis erhoben wurde, im Rahmen der tatrichterlichen Schätzung nach § 287 ZPO ermitteln. Auch insoweit ist die Klage nicht unschlüssig.

Dabei ist auch die nicht bestrittene Behauptung der Beklagten zu würdigen, dass die Klägerin auf Wunsch der Mieterin S. zunächst nicht renoviert habe. Damit ist die Problematik der Schadensminderungspflicht angesprochen. Nachdem die Klägerin nur die berechtigte Mietminderung an die Beklagte weitergeben kann und Vereinbarungen im Innenverhältnis von Klägerin und Mieterin die Beklagte nicht berühren, wird im Rahmen des § 287 ZPO zu würdigen sein, ob und gegebenenfalls wie der geltend gemachte Zeitraum der berechtigten Mietminderung von 35 Monaten nach § 254 BGB zu kürzen ist. Zum völligen Wegfall eines ggf. bestehenden Anspruchs auf Ersatz des Mietausfalls führt dieser Gesichtspunkt jedenfalls nicht.

b) Es ist daher noch die Zeugin S. zur Mietminderung zu vernehmen. Dies wäre für sich gesehen weder aufwändig noch umfänglich, kommt aber zu den nach den Ausführungen oben unter 1. und 2. erforderlichen Beweisaufnahmen hinzu.

IV. Nachdem eine Partei (nämlich die Beklagte) einen Antrag auf Zurückverweisung gestellt hat (§ 538 Abs. 2 S. 1 Hs. 2 ZPO), hatte der Senat nach pflichtgemäßem Ermessen darüber zu befinden, ob er die nunmehr erforderliche Beweisaufnahme selbst durchführt oder die Sache an das Landgericht zurückverweist. Der Senat hat sich unter Abwägung aller Umstände des Falles für die Zurückverweisung entschieden.

Die diesbezüglichen Überlegungen haben davon auszugehen, dass nach der Vorstellung des Gesetzgebers das Berufungsgericht im Interesse der Verfahrensbeschleunigung die erforderlichen Beweise im Regelfall selbst zu erheben hat, die Zurückverweisung an das Ausgangsgericht somit die Ausnahme darstellen muss. Umgekehrt ist eine Zurückverweisung umso eher veranlasst, je aufwändiger und umfangreicher die erforderliche Beweisaufnahme ist. Vorliegend sind mehrere Zeugen zu drei Komplexen zu vernehmen; wahrscheinlich wird auch ein ergänzendes Sachverständigengutachten zum Komplex Fenster zu erholen sein. Dieser Umfang der Beweisaufnahme spricht eher für eine Zurückverweisung. Auch wird das vom Gesetz vorgegebene Beschleunigungsinteresse vorliegend durch die Belastung (ca. 200 offene Verfahren) und die daraus resultierende Terminslage des Senates relativiert. Angesichts zweier gesellschaftsrechtlicher Massenverfahren und einer Vielzahl von „Diesel-Fällen“ wäre mit einer Erhebung des Zeugenbeweises durch den Senat innerhalb der nächsten zwölf Monate nicht zu rechnen, so dass nach der Überzeugung des Senats eine wesentliche Verfahrensbeschleunigung dadurch, dass der Senat die gebotenen Beweise selbst erhebt, nicht zu erreichen ist. Damit sprechen nach der Überzeugung des Senats die besseren Gründe für die Zurückverweisung.

V. Für das weitere Verfahren weist der Senat auf folgendes hin.

1. Anders als das Landgericht hält der Senat hinsichtlich der Sanierungskosten der Terrasse einen Abzug neu für alt nicht für veranlasst.

a) Hintergrund dieses Streitpunktes war Ziffer II.2 der Nachbarvereinbarung gemäß Anlage K 5. Hiernach war die Beklagte verpflichtet, die Absturzsicherung der Terrasse durch eine gemauerte Brüstungswand wieder herzustellen. Dabei sollte deren Abdichtung an die bestehende Abdichtung angearbeitet werden. Dies erwies sich als technisch undurchführbar, weshalb der gesamte Terrassenboden abgeschlagen, insgesamt eine neue Abdichtung hergestellt und ein neuer Boden verlegt werden musste. Dass dies zur Unterbindung von Feuchtigkeitseintritt in der dahinter liegenden Wohnung erforderlich war, hat der Sachverständige bestätigt. Die Beklagte hat diese erforderlichen Arbeiten nicht vorgenommen, weshalb sie die Klägerin hat ausführen lassen und die Kosten hierfür geltend macht.

Zweck der Nachbarvereinbarung war ersichtlich, die Klägerin vor Schäden und Gefahren durch die Bauarbeiten / Veränderungen auf dem Nachbargrundstück zu bewahren; insofern stellt die Nachbarvereinbarung nur eine Regelung zwischen den Parteien über das „wie“ der Beseitigung von Schäden der Klägerin dar. Zu diesem Zweck verpflichtete sich die Beklagte in Ziffer II.2 zur Wiederherstellung einer sicheren Terrasse. Der Senat legt Ziffer II.2 deshalb so aus, dass die Beklagte, wenn sich die in der Nachbarvereinbarung vorgesehene Art der Sicherung der Terrasse technisch nicht durchführbar erwies, verpflichtet war, die Arbeiten so durchzuführen, wie dies technisch erforderlich war. Mit anderen Worten: die Beklagte wäre aufgrund der Nachbarvereinbarung verpflichtet gewesen, die Arbeiten an der Terrasse, die die Klägerin durchführen ließ und deren die Kosten sei jetzt erstattet verlangt, selbst durchzuführen (bzw. Durchführen zu lassen) und hat diese Pflicht verletzt.

b) Geltend gemacht wird daher ein Schadensersatzanspruch wegen Pflichtverletzung nach §§ 280 ff. BGB. Damit sind die Grundsätze über einen Abzug neu für alt, die systematisch bei der Vorteilsausgleichung zu verorten sind und daher nur bei Schadensersatzansprüchen in Betracht kommen, grundsätzlich anwendbar. Hiernach ist ein Abzug neu für alt veranlasst, wenn im Zuge der Schadensbeseitigung eine Vermögensmehrung eintritt, die sich für den Geschädigten günstig auswirkt, und der Abzug für den Geschädigten zumutbar ist (vgl. Palandt / Grüneberg, BGB, 78. Aufl., vor § 249 Rz. 97 ff.).

Insoweit beruft sich die Beklagte darauf, dass die Klägerin statt eines 24 Jahre alten einen neuen Terrassenboden und damit zweifellos einen Vermögensvorteil erlangt hat. Zu bedenken ist aber, dass die Beklagte – wie dargestellt – verpflichtet gewesen wäre, die Arbeiten, deren Kosten die Klägerin erstattet verlangt, selbst auf eigene Kosten vorzunehmen. Hätte die Beklagte also ihre Pflicht ordnungsgemäß erfüllt, wären ihr die nunmehr geltend gemachten Kosten auch entstanden. Die Klägerin kann nicht schlechter und die Beklagte nicht besser gestellt werden, als wenn die Beklagte ordnungsgemäß erfüllt hätte (vgl. BGH, Urteil vom 17.5.1984 – VII ZR 169/82, Rz. 21, 34). Ein Abzug neu für alt ist daher insoweit nicht veranlasst.

c) Hinsichtlich der Kosten für die Koordination der Mängelbeseitigung (weitere 1.205,84 €) scheitert ein Abzug neu für alt bereits im Ansatz. Hätte die Beklagte, wozu sie verpflichtet war, die Arbeiten selbst vorgenommen, hätte sie diese auch selbst koordinieren müssen. Es handelt sich daher um schadensbedingten Mehraufwand, bei dem ein Abzug neu für alt nicht in Betracht kommt (BGH, Urteil vom 30.6.1997 – II ZR 186/96, Rz. 9). Eine messbare Vermögensmehrung ist für die Klägerin durch die Koordination der Arbeiten nicht eingetreten.

2. Zum Komplex Erneuerung des Innenanstrichs wird das Landgericht Gelegenheit haben, sich kritisch mit den Wertungen des Sachverständigen und den Einwänden der Klägerin hiergegen auseinanderzusetzen. Insoweit ist nunmehr unstreitig, dass für den neuen Anstrich ein Abzug neu für alt vorzunehmen ist. Diesen hat das Landgericht – dem Sachverständigen folgend – mit 100 % bemessen, weil ein Innenanstrich üblicherweise alle 4 – 5 Jahre erneuert werde und der vorhandene Anstrich bereits 4,7 Jahre alt gewesen sei. Diese Würdigung greift nach Auffassung des Senats zu kurz.

Systematischer Standort des Abzugs neu für alt ist – wie dargestellt – die Vorteilsausgleichung und damit die Schadensbemessung, wobei der Schaden nach dem Beweismaß des § 287 ZPO zu schätzen ist. Den Ausführungen des Sachverständigen Dr. E. lassen sich dabei zwei unterschiedliche Schätzungsparameter entnehmen. Zum einen sollen nach 4 -5 Jahren optische Beeinträchtigungen des Innenanstrichs auftreten, was viele Wohnungsinhaber zur Erneuerung des Anstrichs veranlasse (vgl. insbesondere Ergänzungsgutachten, dort Bl. 276 der Akten). Andererseits betrage die technische Nutzungsdauer eines Innenanstrichs (d.h. bis die Farbe abblättert) 6 – 15 Jahre. Nun wartet der durchschnittliche Wohnungsinhaber mit der Erneuerung eines Innenanstrichs nicht, bis die Farbe abblättert. Umgekehrt erscheint dem Senat aber auch nicht plausibel (da der eigenen Erfahrung widersprechend), dass eine Erneuerung des Innenanstrichs regelmäßig schon bei ersten optischen Beeinträchtigungen erfolgt.

Vor diesem Hintergrund wird das Landgericht die wahrscheinliche Lebensdauer des Anstrichs gemäß § 287 ZPO in tatrichterlicher Würdigung auf einen Zeitraum zwischen dem ersten Auftreten optischer Mängel (4 – 5 Jahre) und der technischen Lebensdauer (6 – 15 Jahre) zu schätzen haben.

3. Hinsichtlich der Erneuerung des Fassadenanstrichs wird das Landgericht Gelegenheit haben, sich mit den im letzten Termin vor dem Landgericht vorgelegten Rechnungen (Anlagen zum Protokoll, nach Bl. 297 der Akten) auseinanderzusetzen.

Auch hier besteht Einigkeit über die Erforderlichkeit eines Abzugs neu für alt, ferner über die Lebensdauer eines Außenanstrichs von 10 Jahren. Der Sachverständige Dr. E. und ihm folgend das Landgericht gingen vorliegend von einem Alter des vorhandenen Anstrichs von 6 Jahren und danach von einer Restlebensdauer von 4 Jahren aus und haben auf dieser Basis den Abzug neu für alt bemessen. Der Kläger möchte aus den genannten Rechnungen eine Restlebensdauer des alten Anstrichs von 5 Jahren herleiten.

Auch hinsichtlich der Restlebensdauer des vorhanden gewesenen Anstrichs ist ein Problem der Schadensschätzung gemäß § 287 ZPO aufgeworfen. Die genannten Rechnungen über die frühere Erneuerung des Anstrichs stammen vom 25.4.2006. Nach der Lebenserfahrung, wonach es nahe liegt, dass ein Handwerker von ihm erbrachte Leistungen zeitnah abrechnet, dürfte die Annahme gerechtfertigt sein, dass die entsprechenden Leistungen im März / April 2006 erbracht worden waren. Ausgehend von dieser Annahme kann das Alter des Anstrichs im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses bestimmt werden. Das schädigende Ereignis muss sich im Zuge der Bauarbeiten ereignet hat, die nach den nicht angegriffenen tatbestandlichen Feststellungen des Landgerichts „noch im Jahr 2010“ begannen und „etwa im Herbst 2011“ endeten. Bei Beginn der Bauarbeiten war der alte Anstrich also gut 4,5 Jahre alt, bei deren Ende etwa 5,5 Jahre.

Das Landgericht wird auf dieser Basis im Rahmen der tatrichterlichen Würdigung und unter Berücksichtigung der unstreitigen Gesamtlebensdauer von 10 Jahren die Restlebensdauer des Anstrichs zu schätzen und auf dieser Basis die Berechnung des Abzugs neu für alt vorzunehmen haben.

4. Hinsichtlich der Mängelbeseitigung am Sockel wird sich das Landgericht mit den Einwendungen der Anschlussberufung gegen die diesbezügliche Verurteilung und der Gegenargumentation der Klägerin hiergegen auseinanderzusetzen haben.

Nicht einschlägig ist insoweit die Rechtsprechung des Bausenats des BGH zur Unstatthaftigkeit der Abrechnung auf der Basis fiktiver Mängelbeseitigungskosten im Werkvertragsrecht (BGH, Urteil vom 22.2.2018 – VII ZR 46/17; Urteil vom 6.12.2018 – VII ZR 71/15). Denn diese Rechtsprechung beruht entscheidend auf Spezifika des Werkvertragsrechts, insbesondere dem Äquivalenzinteresse von Unternehmer und Besteller. Vorliegend wird jedoch kein werkvertraglicher Gewährleistungsanspruch, sondern ein deliktischer bzw. nachbarrechtlicher Schadensersatzanspruch geltend gemacht, der in Ziffer II.7 der Nachbarvereinbarung bezüglich der Wiederherstellung einer Sockelabdichtung lediglich konkretisiert wird, was seinen Inhalt (= Art der Schadensbeseitigung) betrifft (vgl. oben).

Im allgemeinen Schadensersatzrecht ist jedoch unbestritten dass der Geschädigte den Schaden auf der Basis fiktiver Reparaturkosten berechnen und nach der ihm zustehenden Dispositionsfreiheit den Schadensersatzbetrag anderweitig verwenden kann (vgl. Palandt / Grüneberg, BGB, 78. Aufl., § 249 Rz. 6, 14). Tut er dies, muss er allerdings auf Nettobasis abrechnen (§ 249 Abs. 2 S. 2 BGB).

Sollte sich die Klägerin, wie die Beklagte vorträgt, dazu entschlossen haben, den Sockel unrepariert in die Wärmedämmung einzubeziehen, handelte sie dabei im Rahmen ihrer Dispositionsfreiheit, was ihre Möglichkeit, den Schaden auf der Basis der fiktiven Reparaturkosten zu berechnen, unberührt lässt. Allerdings kann sie dann nur auf Nettobasis abrechnen.

Das Landgericht wird daher zu klären haben, ob die Reparaturarbeiten tatsächlich nicht durchgeführt wurden. Entgegen der Auffassung der Anschlussberufung war dies erstinstanzlich nicht unstreitig (vgl. Schriftsatz der Klagepartei vom 25.4.2018, dort S. 2 unter I.3). Den Parteien bleibt es unbenommen, hierzu weiter vorzutragen.

C. Die Entscheidung über die Kosten des Berufungsverfahrens war dem Landgericht vorzubehalten.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 ZPO. Eine diesbezügliche Entscheidung zum angegriffenen Urteil war nicht erforderlich; denn soweit dieses noch Bestand hat, ist es rechtskräftig. Die Anordnung einer Abwendungsbefugnis nach § 711 ZPO war nicht erforderlich, da das vorliegende Urteil keinen vollstreckungsfähigen Inhalt hat.

Die Revision war nicht zuzulassen, da Zulassungsgründe (§ 543 Abs. 2 ZPO) nicht vorliegen. Weder hat die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts. Zu würdigen waren vielmehr die Umstände des Einzelfalles.

 

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