Amtsgericht Hamburg
Az.: 2O a C 275/73
Verkündet am 10. Juli 1973
Das Amtsgericht Hamburg, Abteilung 20 a, erkennt für Recht:
Dis Klage wird abgewiesen. Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.
Das Urteil steht einem im ordentlichen Verfahren ergangenen rechtskräftigen Urteil gleich.
T a t b e s t a n d
Die Klägerin, die im Hamburger Stadtpark ein Restaurant und Café betreibt, macht gegen den Beklagter eine Restforderung aus einer Verzehrrechnung geltend. Ihrem Begehren liegt folgender Sachverhalt zugrunde :
Am 25.12.1972 – dem 1. Weihnachtsfeiertag – suchte der Beklagte mit mehreren Familienangehörigen, die er eingeladen hatte, das Restaurant der Klägerin zur Einnahme des Mittagessens auf. Er hatte einige Tage zuvor einen Tisch für 14 Uhr reservieren lassen, nachdem die Klägerin ihm mitgeteilt hatte, dass eine Reservierung nur entweder zu 12 bis 12.30 Uhr oder 14 Uhr möglich sei. Unstreitig erfolgte die Bedienung des Beklagten und seiner Gäste in der Gaststätte der Klägerin verzögerlich, wobei das Ausmaß der Verzögerung zwischen den Parteien streitig ist. Für die an den Beklagten und seine Gäste erbrachten Leistungen berechnete die Klägerin dem Beklagten 148,90 DM, auf die der Beklagte lediglich 120,– DM zahlte, den Rest jedoch unter Berufung auf die Art der Bewirtung einbehielt.
Die Klägerin behauptet, bei der Bedienung des Beklagten und seiner Gäste sei zwar eine bedauerliche Verzögerung eingetreten – die der Beklagte übrigens seinerzeit nicht beanstandet habe. Ab 15 Uhr sei der Beklagte jedoch zügig bedient worden, so dass das Mittagessen um 16 Uhr abgeschlossen gewesen sei. Die Klägerin ist der Ansicht, der Beklagte sei nicht berechtigt, die Rechnung vom 25.12.1,972 zu mindern, sei da er nicht gemäss § 634 BGB vorgegangen sei, sondern ihre Leistungen angenommen habe. Der Beklagte habe sowohl an den servierten Gerichten als auch an der Bedienung nichts auszusetzen gehabt. Dem Kellner habe er – dies ist unstreitig 10,– DM Trinkgeld gegeben. Soweit eine gewisse Verzögerung in der Versorgung des Beklagten und seiner Gäste mit Speisen eingetreten sei, habe sie diese nicht zu vertreten, da ihr Geschäft von anderen Gästen an diesem Tage stark in Anspruch genommen wurden sei.
Die Klägerin, die ihre Zinsforderung auf § 452 BGB stützt, beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 28,90 DM nebst 4 % Zinsen seit dem 25.12.1972 zu zahlen.
Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen. Er behauptet, obwohl er und seine Gäste den reservierten und ihm zugewiesenen Tisch pünktlich um 14 Uhr eingenommen hätten, sei die Bedienung von Anfang an verzögerlich erfolgt. Die Speisekarte zur Auswahl der Speisen habe er sich selbst besorgen müssen, die Bestellungen seien erst um 14.30 Uhr entgegengenommen worden. Die Getränke seien dann um 15 Uhr serviert worden, die Suppen bzw. die Vorgerichte um 15.15 Uhr, die Hauptgerichte seien schließlich erst um 16 Uhr gebracht worden, als die ersten Kaffeegäste schon bei Kaffee und Kuchen gesessen hätten, obwohl es sich bei sämtlichen Gerichten nicht um schwierige à la Karte-Gerichte, sondern um Menüs nach der Tageskarte gehandelt habe. Die Nachspeisen – und die Rechnung – seien dann relativ prompt gegen 1.6.30 Uhr gebracht worden. Entgegen der Darstellung der Klägerin habe er den Fortgang der Bewirtung persönlich im Speisenausgaberaum angemahnt. Dort sei ihm aber erklärt worden, die Küche sei dem Andrang nicht gewachsen, weil viel mehr Gäste gekommen seien als erwartet. Dennoch habe sich nicht einmal der Geschäftsführer der Klägerin eingefunden, um die Verspätung zu entschuldigen.
Der Beklagte ist der Ansicht, er sei berechtigt, die Rechnung über die Leistungen der Klägerin zu mindern, weil dies: Infolge der Verzögerung in der Bewirtung mangelhaft gewesen seien. Die Leistungen einer Gaststätte der gehobenen Kategorie zu der das Restaurant der Klägerin gehöre – bestünden nicht nur in der Lieferung von Speisen, der Gast erwarte vielmehr auch, dass die Mahlzeit erfreut sind – an einem Festtag festlich gestimmt zu bleiben. Auch könne der Gast bei einem vermehrten Andrang von Gästen erwarten, dass nicht mehr Gäste angenommen würden als versorgt werden könnten. Auch habe die Klägerin mit ihren Terminangeboten 12 bis 12.30 Uhr und 14 Uhr zu erkennen gegeben, dass die gesamte Verweildauer ca. 1 1/2 Stunden betragen würde. Eine Fristsetzung gemäss § 634 BGB sei ihm nicht zuzumuten gewesen, da es ihm kaum möglich gewesen sei, am 1. Weihnachtsfeiertag um 15.30 Uhr in erreichbarer Nähe für 6 Erwachsene und ein Kind noch ein Mittagessen zu bekommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben über die Einzelheiten der Bewirtung des Beklagten durch die Klägerin durch Vernehmung der Zeugen bzw. Einholung von schriftlichen Auskünften gemäss § 377 Abs. III ZPO bei den Zeugen x und Y.
Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 10.4.1973, B1.15 u. 15 R, bzw. die schriftlichen Auskünfte vom 30.4.1973, 1.5.1973 und 8.5. 1973, B1.18, 19, 2o u. 24 d.A., verwiesen.
E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e
Die Klage ist nicht begründet. Die Klägerin ist nicht berechtigt, von dem Beklagten den Restbetrag aus der Rechnung vom 25.12.1972 zu verlangen, da der Beklagte die von der Klägerin berechnete Vergütung zu Recht um die restlichen 28,90 DM gemindert hat. Bei dem zwischen den Parteien geschlossenen Bewirtungsvertrag (die Tischreservierung begründete einen entsprechenden Vorvertrag) handelt es sich um einen Vertrag, der zwar die Elemente verschiedener Vertragstypen des BGB wie des Kauf-, des Miet-, des Werk- und des Dienstvertrages in sich vereinigt, anders als der Beherbergungsvertrag aber wegen seiner besonderen Eigenart als atypisch anzusehen ist, so dass die in §§ 459 ff., 535 ff., 633 ff. und 626 ff. BGB enthaltenen Regelungen nur sinngemäß Anwendung finden können und nur insoweit, als auf Grund der Eigenart des Bewirtungsvertrages nicht nach dem Grundsatz des § 242 BGB eine Modifizierung geboten ist. Zum Inhalt der von dem Gast vergüteten Leistungen des Gastwirts gehört nämlich nicht nur die Lieferung der in der Speisekarte angebotenen Speisen und Getränke, sondern auch ein dem „Zuschnitt“ des Restaurants entsprechender Service (vgl. hierzu Amtsgericht Garmisch-Partenkirchen, Urteil vom 23.10.1968, NJW 69, Seite 808 ff.), der so zügig sein muss, wie dies nach der Art der bestellten Speisen und Getränke erforderlich ist. Gerade in Lokalen der gehobenen Kategorie erkauft sich der Gast – durch entsprechende Vermögensaufwendungen – nicht nur die Sättigung durch die zubereiteten Speisen, sondern auch ihren erholsamen Genuss in angenehmer Umgebung. Dass das Lokal der Klägerin zur gehobener Kategorie gehört, ist unstreitig, ergibt sich im übrigen auch aus den von der Klägerin berechneten Preisen (Kindergedeck 8,5o DM).
Hinsichtlich der zügigen Bewirtung waren die vertraglichen Leistungen der Klägerin aber mangelhaft. Obwohl der Beklagte und seine Gäste nur die in der Tageskarte vorgeschlagenen Menüs gewählt hatten, obwohl die Klägerin mit den festen Reservierungsterminen (12 bis 12.30 oder 14 Uhr) zu erkennen gegeben hatte, dass das gesamte Mittagessen vom Aperitif bis zur üblichen Ruhepause nach Einnahme des Essens in insgesamt 1 1/2 Stunden abgeschlossen sein würde, hat sie – wie die Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts ergeben hat die gesamte Bewirtung außerordentlich verzögerlich vorgenommen, insbesondere die Hauptgerichte erst um 16 Uhr, also 2 Stunden nach dem vorgesehenen Termin für die Einnahme des Tisches, servieren lassen. Nach den in den wesentlichen Punkten übereinstimmenden Aussagen der Zeugen Charlotte, Christian und Ulrike W, Monika und Gerd A hat die Klägerin trotz pünktlichen Erscheinens der Gäste die Bestellungen durch ihren Kellner erst gegen 14.30 Uhr aufnehmen lassen (bis hierher wurden die Vertragsbeziehungen der Parteien durch den entsprechenden Vorvertrag bestimmt), die bestellten Getränke erst gegen 14.45 bis 15 Uhr geliefert, die Hauptgerichte schliesslich erst um 16 Uhr, also zur Kaffeezeit. Diese Verzögerung ist so erheblich, dass sie auch unter Berücksichtigung des Festtagsandrangs nicht mehr als im Rahmen des Üblichen angesehen werden kann. Auf Grund dieser Verzögerung ist der Beklagte in Anwendung des in den §§ 462, 634, 537 BGB ausgesprochenen Grundgedankens berechtigt, die Zeche in dem Verhältnis herabzusetzen, in dem die einwandfreie Bewirtung zu der von der Klägerin erbrachten stand.
Auf eine Kündigung des gesamten Vertrages – entsprechend § 626 BGB – braucht er sich nach Treu und Glauben nicht verweisen zu lassen, da ihm nicht zuzumuten war, in dem Zeitpunkt, als die verzögerliche Bewirtung insbesondere hinsichtlich der Hauptgerichte offenkundig wurde, also gegen 15.30 Uhr, nach einem Lokal zu suchen, das ihm und seinen Gästen am Feiertag um diese Uhrzeit noch ein „Mittagessen“ im Wortsinne liefern würde. Aus dem gleichen Grund entfällt auch die entsprechende Anwendung des § 634 Abs.1 Satz 1 BGB (Fristsetzung mit Ablehnungsandrohung), zumal die Klägerin nach ihrem eigenen Vortrag zur früheren Lieferung gar nicht in der Lage war (§ 634 Abs.2 BGB).
Der Umfang der von dem Beklagten vorgenommenen Minderung (ca. 20 % der Gesamtrechnung) erscheint angemessen, unter Berücksichtigung der erlittenen Unzuträglichkeiten sogar noch als gering.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, gemäss § 51o c Abs. 4 ZPO steht das Urteil einem im ordentlichen Verfahren ergangenen rechtskräftigen Urteil gleich.