Skip to content

Sicherungsabrede – unangemessene Benachteiligung eines Bürgen bei Übersicherung

Unangemessene Benachteiligung eines Bürgen bei Übersicherung durch Sicherungsabrede

In einem aktuellen Fall musste das Oberlandesgericht (OLG) Düsseldorf über die Frage entscheiden, ob eine Sicherungsabrede, die den Bürgen unangemessen benachteiligt, als unwirksam eingestuft werden kann. Im Zentrum stand eine Bürgschaft, die für die Vertragserfüllung und Mängelhaftung eines Bauvertrags gestellt wurde.

Direkt zum Urteil Az.: I-5 U 354/19 springen.

Hintergrund des Falles

Im vorliegenden Fall ging es um einen Streit zwischen einem Auftraggeber und einer Sicherungsgesellschaft, die eine Bürgschaft zur Sicherung der Vertragserfüllung und Mängelhaftung für einen Bauvertrag gestellt hatte. Die zugrundeliegenden Vertragsbedingungen sahen vor, dass die Bürgschaft sich sowohl auf die Vertragserfüllung als auch auf die Mängelhaftung erstreckt. Dabei kritisierte der Bürge, dass die gestellte Bürgschaft aufgrund einer Übersicherung eine unangemessene Benachteiligung seinerseits darstelle.

Entscheidung des OLG Düsseldorf

Das OLG Düsseldorf entschied, dass die Sicherungsabrede tatsächlich eine unangemessene Benachteiligung des Bürgen darstelle und somit als unwirksam eingestuft werden muss. In seiner Urteilsbegründung führte das Gericht aus, dass es bei dieser Art von Sicherungsabrede zu einer Übersicherung des Auftraggebers kommen kann, weil dem Auftraggeber für mögliche Mängelansprüche sowohl die Vertragserfüllungsbürgschaft als auch die Mängelansprüchebürgschaft kumulativ zur Verfügung stehen.

Die Sicherungsabrede ließ sich dabei nicht in einen zulässigen und einen unzulässigen Teil zerlegen, sondern musste in ihrer Gesamtheit als unwirksam betrachtet werden. Somit konnte sich der Bürge gegenüber dem Leistungsverlangen des Auftraggebers auf die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede berufen.

Bedeutung des Urteils für die Praxis

Das Urteil des OLG Düsseldorf zeigt, dass Vertragsklauseln, die zu einer unangemessenen Benachteiligung eines Bürgen führen, als unwirksam angesehen werden können. Insbesondere in Fällen von Übersicherung, bei denen dem Auftraggeber für Mängelansprüche zwei Sicherheiten zur Verfügung stehen, kann dies der Fall sein.

Auftraggeber und Bürgen sollten daher die Gestaltung von Sicherungsabreden sorgfältig prüfen und darauf achten, dass sie keine unangemessenen Benachteiligungen enthalten. Anderenfalls besteht das Risiko, dass die betreffende Klausel im Streitfall für unwirksam erklärt wird und der Bürge sich nicht für die Forderungen des Auftraggebers verbürgen muss.


Das vorliegende Urteil

OLG Düsseldorf – Az.: I-5 U 354/19 – Urteil vom 26.11.2020

Die Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

Die Kosten des Berufungsverfahrens einschließlich der dem Streithelfer entstandenen außergerichtlichen Kosten trägt der Kläger.

Das Urteil ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Gründe

I.

Der Kläger begehrt von der Beklagten Zahlung aus einer Vertrags- und Mängelansprüchebürgschaft.

Am 16.03.2012 beauftragte der Kläger im Rahmen des Neubauvorhabens der A… die B… (im Folgenden: C…) mit der schlüsselfertigen Errichtung der Gebäude L1 und L2. Die Auftragssumme betrug 15.101.841,57 EUR. In den Vertrag wurden die VOB/B sowie die Besonderen Vertragsbedingungen und die Zusätzlichen Vertragsbedingungen für die schlüsselfertige Ausführung von Bauleistungen (BVB SFBau und ZVB SFBau) des Klägers einbezogen.

In den BVB findet sich in Nr. 4 unter der Überschrift „Sicherheitsleistung (§ 17 VOB/B)“ folgende Regelung (Auszüge):

4.1 Stellung der Sicherheit

Satz 1:   Sicherheit für die Vertragserfüllung ist in Höhe von 5 v. H. der Auftragssumme zu leisten, sofern die Auftragssumme 250.000 EUR ohne Mehrwertsteuer beträgt.

Satz 2:  Die für Mängelansprüche zu leistende Sicherheit beträgt 5 v. H. der Auftragssumme einschließlich erteilter Nachträge.

Satz 3:   Rückgabezeitpunkt für eine nicht verwertete Sicherheit für Mängelansprüche (§ 17 Nr. 8 Abs. 2 VOB/B): Nicht vor Ablauf der Verjährungsfrist für Mängelansprüche

Satz 4:   Stellt der Auftragnehmer die Sicherheit für die Vertragserfüllung nicht binnen 18 Werktagen nach Vertragsabschluss (Zugang des Auftragsschreibens), weder durch Hinterlegung noch durch Vorlage einer Bürgschaft, so ist der Auftraggeber berechtigt, Abschlagszahlungen einzubehalten, bis der Sicherheitsbetrag erreicht ist.

Satz 5:  Nach Abnahme und Erbringung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz kann der Auftragnehmer verlangen, dass die Sicherheit für die Vertragserfüllung in eine Mängelansprüchesicherheit umgewandelt wird.

4.2   Art der Sicherheit

Für die Vertragserfüllung und die Mängelansprüche kann Sicherheit wahlweise durch Einbehalt oder Hinterlegung von Geld oder durch Bürgschaft geleistet werden.

4.3  Sicherheitsleistung durch Bürgschaft

Wird Sicherheit durch Bürgschaft geleistet, ist dafür das jeweilige Formblatt des Vergabe- und Vertragshandbuchs für die Baumaßnahmen des Bundes (VHB) zu verwenden, und zwar für

–  die Vertragserfüllung das Formblatt 421

–  die Mängelansprüche das Formblatt 422

–  …

In dem unter Ziff. 4.3 BVB in Bezug genommenen Formblatt 421 heißt es unter anderem:

Nach den Bedingungen dieses Vertrages hat der Auftragnehmer Sicherheit für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Erfüllung der Mängelansprüche zu leisten. Er leistet Sicherheit in Form dieser Bürgschaft.

Die ZVB weisen in Ziffer 21 unter der Überschrift „Sicherheitsleistung (§ 17)“ folgende Regelung auf:

21.1  Die Sicherheit für Vertragserfüllung erstreckt sich auf die Erfüllung sämtlicher Verpflichtungen aus dem Vertrag, insbesondere für die vertragsgemäße Ausführung der Leistung einschließlich Abrechnung, Mängelhaftung und Schadensersatz, sowie auf die Erstattung von Überzahlungen einschließlich Zinsen.

21.2  Die Sicherheit für Mängelhaftung erstreckt sich auf die Erfüllung aus Mängelhaftung einschließlich Schadensersatz.

Wegen der weiteren Einzelheiten der Vertragsbedingungen wird auf die Anlagen K1 und K4 Bezug genommen.

Die Beklagte unterzeichnete zugunsten des Klägers am 04.04.2012 eine Bürgschaftsurkunde mit einer Einstandsverpflichtung bis zu einem Betrag von 755.092,08 EUR (Anlage K1/ STVK 1/1).

Die C… geriet mit der Ausführung der Bauarbeiten zunächst in Rückstand und stellte die Arbeiten schließlich gänzlich ein. Am 29.07.2013 erfolgte eine gemeinsame Begehung der Baustelle, um den Leistungsstand zu ermitteln.

Nach zwischenzeitlicher Anordnung der vorläufigen Eigenverwaltung und der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters eröffnete das Amtsgericht Landshut mit Beschluss vom 01.09.2013 das Insolvenzverfahren über das Vermögen der C…. Der Streithelfer wurde zum Insolvenzverwalter bestellt.

Mit Schreiben vom 17.11.2015 meldete der Kläger Forderungen gegen die C… in Höhe von 2.544.805,36 EUR zur Insolvenztabelle an. Der Gesamtbetrag setzte sich aus Mängelbeseitigungskosten und sonstige Schadenspositionen zusammen.

Der Kläger forderte die Beklagte vorgerichtlich vergeblich zur Zahlung der Bürgschaftssumme in Höhe von 755.092,08 EUR auf. Mit der Klage verfolgt er dieses Ziel weiter.

Zur Prozessgeschichte und zum weiteren Vorbringen der Parteien wird gem. § 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO auf die tatsächlichen Feststellungen in dem angefochtenen Urteil Bezug genommen.

Mit dem am 15.10.2019 verkündeten Urteil hat die 6. Zivilkammer des Landgerichts Düsseldorf die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat das Landgericht ausgeführt, dass die Beklagte einem etwaigen Anspruch aus § 765 Abs. 1 BGB die Einrede des § 821 BGB entgegenhalten könne, da die zwischen dem Kläger und der C… getroffene Sicherungsabrede unwirksam sei. Die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede ergebe sich aus § 307 Abs. 1 BGB. Denn die in Ziffer 4.1 BVB i.V.m. Ziffer 21 ZVB getroffene Regelung führe zu einer die C… in unangemessener Weise benachteiligenden Übersicherung des Klägers. Die Beklagte könne sich hierauf wegen der Akzessorietät der Bürgschaft berufen.

Eine solche Benachteiligung folge aus einer möglichen Kumulation der Vertragserfüllungs- und der Gewährleistungsbürgschaft, die dem Kläger einer Sicherheit von mehr als 6% verschaffen würde. Denn es sei durch die Vertragsgestaltung nicht sichergestellt, dass die eine Bürgschaft die andere ohne eine zeitliche Überschneidung ablöse. Insbesondere wäre es möglich, dass die Vertragserfüllungsbürgschaft über den Zeitpunkt der Abnahme hinaus Geltung beanspruche und gemeinsam mit der Gewährleistungsbürgschaft eine überhöhte Sicherheit für Gewährleistungsansprüche biete. Zur weiteren Begründung nimmt das Landgericht Bezug auf die Entscheidung des OLG Celle vom 06.04.2017 (8 U 204/16), die sich mit inhaltsgleichen Klauseln beschäftige und zu einer Unwirksamkeit nach § 307 Abs. 1 BGB gelange. Den dortigen Ausführungen schließe sich die Kammer uneingeschränkt an. In dem vorliegenden Fall käme noch hinzu, dass keinerlei Erfüllungsansprüche geltend gemacht würden und das Werkvertragsverhältnis auch ohne Abnahme in ein Abrechnungsverhältnis übergegangen sei. Soweit der Kläger nach Saldierung der wechselseitigen Rechnungsposten meine, einen Überschuss beanspruchen zu können, wäre unklar, welche der beiden Sicherheiten einen etwaigen Überschuss absichern solle. Es sei denkbar, dass hierfür beide Sicherheiten herangezogen werden könnten, was eine unzulässige Übersicherung auch unter diesem Aspekt bedeuten würde.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Das Landgericht habe die zugrundeliegende Sicherungsabrede verkannt und zu Unrecht eine zeitliche Überschneidung der Vertragserfüllungs- mit der Gewährleistungsbürgschaft für möglich gehalten. Tatsächlich habe die C… nur eine einzige kombinierte Bürgschaft geschuldet, die entweder vor Abnahme zur Sicherung der Vertragserfüllung oder nach Abnahme und Erbringung aller erhobenen Ansprüche zur Sicherung der Mängelgewährleistung habe dienen sollen. Dies sei die einzig richtige Auslegung der streitgegenständlichen BVB/ ZVB. Denn bereits bei Auftragsausschreibung sei die Stellung einer Kombinationsbürgschaft vorgegeben worden, die aber das vom Landgericht für möglich gehaltene Nebeneinander zweier Bürgschaften gerade ausschließe. Insoweit unterscheide sich der Sachverhalt maßgeblich von demjenigen, der der zitierten Entscheidung des OLG Celle zugrunde gelegen habe. Ein weiterer Unterschied bestehe darin, dass es vorliegend zum Eintritt des Bürgschaftsfalls vor Baufertigstellung bzw. Abnahme gekommen sei. Zutreffend sei das Urteil des OLG Stuttgart vom 09.07.2019 (10 U 247/18), wonach die objektive Auslegung einer nahezu inhaltsgleichen Sicherungsabrede nicht gegen § 307 Abs. 1 BGB verstoße, da der Auftraggeber nach Erhalt der Kombibürgschaft keine zusätzliche Sicherheit für Mängelansprüche verlange könne. Soweit der BGH diese Entscheidung mit Urteil vom 16.07.2020 (VII ZR 159/19) aufgehoben habe, folge daraus nichts anderes. Denn der BGH habe es zwar für möglich gehalten, dass sich Ziff. 4.1 Abs. 1 BVB auch auf Mängelansprüche nach Abnahme beziehen könne. Dies beruhe aber allein auf dem Umstand, dass in dem dortigen Fall der Begriff „Mängelansprüche“ ohne Differenzierung verwandt worden wäre. Demgegenüber würde in Ziff. 21.1 und 21.2 der hier eingesetzten ZVB die vom BGH vermisste Differenzierung erfolgen. Zudem habe sich im vorliegenden Fall bereits von Anfang an aus den Ausschreibungsunterlagen ergeben, dass nur das Formblatt 421 zu verwenden, mithin die Stellung einer zusätzlichen Mängelansprüchebürgschaft ohnehin ausgeschlossen gewesen wäre.

Der Kläger beantragt, unter Abänderung des Urteils des Landgerichts Düsseldorf vom 15.10.2019, 6 O 104/17, die Beklagte zu verurteilen, an ihn 755.092,08 EUR nebst Zinsen in Höhe von 8 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.09.2015 hilfsweise in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 15.09.2015, ganz hilfsweise seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Aushändigung der streitbefangenen Bürgschaft Nr. B072-0009… der Beklagten vom 04.04.2012 in Höhe von 755.092,08 EUR zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angegriffene Urteil unter teilweiser Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens. Entgegen der klägerischen Ansicht könne es zu einer Kumulation von Vertragserfüllungs- und Mängelansprüchesicherheit kommen. Die Vertragserfüllungssicherheit sichere gemäß der getroffenen Abrede jedenfalls nach der kundenfeindlichsten Auslegung auch Mängelansprüche nach der Abnahme. Bei zutreffender Auslegung der Sicherungsabrede müsse der Auftragnehmer nicht nur eine einzige Kombibürgschaft, sondern neben der Sicherheit für die Vertragserfüllung auch eine solche für Mängelansprüche stellen. Es könne zu einer Überschneidung der Sicherheiten kommen, da die Mängelansprüchebürgschaft zu einer Zeit gestellt werden muss, wenn noch keineswegs gesichert ist, dass die Rückgabe der Vertragserfüllungsbürgschaft eingefordert werden könne. Eine geltungserhaltende Reduktion der Abrede sei nicht möglich, weil dies zu einer gänzlich neuen Regelung führen würde. Darüber hinaus könne die Unwirksamkeit der Abrede auch auf den vollständigen Verzicht der Aufrechenbarkeit gestützt werden. Dies würde den Auftragnehmer unangemessen benachteiligen, weil er im Verhältnis zum Bürgen zum Ausgleich verpflichtet sei, obwohl er den Anspruch im Hauptschuldverhältnis zum Auftraggeber durch Aufrechnung hätte erfüllen können.

Benötigen Sie eine Beratung in einer ähnlichen Angelegenheit? Vereinbaren Sie einen Termin: 02732 791079 oder fordern Sie unsere Ersteinschätzung online an.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands im Berufungsverfahren wird auf die dort zu den Akten gereichten Schriftsätze und Urkunden verwiesen.

II.

Die Berufung ist zulässig aber unbegründet.

Zutreffend ist das Landgericht davon ausgegangen, dass die Beklagte einem etwaigen Anspruch des Klägers auf Zahlung aus der gestellten Bürgschaft die Einrede der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede nach §§ 821, 768 BGB entgegenhalten kann. Der Kläger hat die Bürgschaft ohne Rechtsgrund erlangt, weil die ihr zugrundeliegende  Sicherungsabrede mit der C… wegen unangemessener Benachteiligung der Hauptschuldnerin gemäß § 307 Abs. 1 BGB unwirksam ist.

1.

Die Beklagte kann als Bürgin gemäß § 768 Abs. 1 Satz 1 BGB die Einwendungen des Schuldners aus der Sicherungsabrede mit dem Gläubiger geltend machen. Gewährt der Bürge eine Sicherung auf der Basis einer zwischen Hauptschuldner und Gläubiger getroffenen, unwirksamen Sicherungsabrede, so kann er sich gegenüber dem Leistungsverlangen des Gläubigers auf die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede und auf die Einrede des Hauptschuldners berufen, dass der Gläubiger die Inanspruchnahme des Bürgen zu unterlassen hat. Dies ergibt sich aus Grundsatz der Akzessorietät der Bürgschaft. Hiernach hat der Bürge nicht mehr zu leisten als der Hauptschuldner (BGH, Urteil vom 12. Februar 2009 – VII ZR 39/08, BGHZ 179, 374 Rn. 9; BGH, Urteil vom 01. Oktober 2014 – VII ZR 164/12 -, Rn. 15, juris, m.w.N.).

2.

Zu Recht hat das Landgericht in der Sicherungsabrede gemäß Ziffer 4.1 BVB eine unangemessene Benachteiligung der C… im Sinne von § 307 Abs. 1 BGB gesehen, weil die Regelung zu einer Übersicherung des Klägers führt.

a.

Der Anwendungsbereich von § 307 BGB ist eröffnet, weil es sich bei den maßgeblichen Regelungen der BVB und ZVB um von dem Kläger gestellte Allgemeine Geschäftsbedingungen handelt. Die Vertragsbedingungen sind entsprechend § 305 Abs. 1 BGB für eine Vielzahl von Verträgen vorformuliert und ihre Geltung ist von dem Kläger im Ausschreibungsverfahren zur Voraussetzung für einen Vertragsschluss gemacht worden.

b.

Die Unwirksamkeit einer formularmäßigen Vertragsbestimmung ist nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB gegeben, wenn sie den Vertragspartner des Verwenders entgegen den Geboten von Treu und Glauben unangemessen benachteiligt. Letzteres ist der Fall, wenn der Verwender seine eigene Interessen missbräuchlich auf Kosten des Vertragspartners durchzusetzen versucht, ohne von vornherein auch dessen Belange hinreichend zu berücksichtigen und ihm einen angemessenen Ausgleich zuzugestehen (vgl. BGH, Urteil vom 30. März 2017 – VII ZR 170/16, Rn. 17 m.w.N.; BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 -, Rn. 23, juris).

Für den Bereich des Bauvertrags hat der BGH zu den Voraussetzungen einer unangemessenen Benachteiligung unter dem Aspekt der Übersicherung wiederholt näher ausgeführt. Danach ist eine Unwirksamkeit der Sicherungsabrede anzunehmen, wenn der Auftragnehmer aufgrund der ihm gestellten Bedingungen für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Mängelansprüche des Auftraggebers eine Sicherheit leisten muss, die jedenfalls nicht unwesentlich über 5 % der Auftragssumme liegt. Eine solch unangemessen hohe Absicherung des Auftraggebers kann sich auch bei einem Klauselwerk ergeben, dass eine Sicherheit für die Vertragserfüllung und eine weitere für die Gewährleistung vorsieht, die jeweils für sich genommen nicht zu beanstanden wären. Eine Übersicherung ergibt sich in diesem Fall, wenn die Vertragserfüllungssicherheit auch nach der Abnahme bestehende Mängelansprüche des Auftraggebers sichern soll, noch längere Zeit nach Abnahme nicht zurückgegeben werden muss und zugleich eine Sicherheit für Mängelansprüche verlangt werden kann. Die Überschneidung der beiden Sicherheiten führt also zu einer Übersicherung, weil dem  Auftraggeber für etwaige Mängelansprüche beide Sicherheiten kumulativ zur Verfügung stehen (vgl. BGH, Urteil vom 22. Januar 2015 – VII ZR 120/14, BauR 2015, 832; Urteil vom 5. Mai 2011 – VII ZR 179/10, BauR 2011, 1324; BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 -, Rn. 24, juris).

Unter Anwendung dieser Grundsätze ist die Vereinbarung des Klägers mit der C… über die Stellung einer Sicherheit in Ziffer 4 BVB gemäß § 307 Abs. 1 S. 1 BGB unwirksam. Der Inhalt der Allgemeine Geschäftsbedingungen bestimmt sich gemäß § 305c Abs. 2 BGB nach der kundenfeindlichsten Auslegung, wenn hiernach die Unwirksamkeit der Klausel anzunehmen ist (vgl. BGH, Urteil vom 5. Mai 2011 – VII ZR 179/10, juris – Rn. 23; BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 -, Rn. 27, juris). Bei kundenfeindlichster Auslegung erlaubt das Regelwerk eine Konstellation, in der dem Kläger für einen nicht unerheblichen Zeitraum über die Abnahme hinaus wegen möglicher Mängelansprüche eine Sicherheit in Höhe von insgesamt 10 % der Auftragssumme zusteht.

aa.

Eine Auslegung von Ziffer 4 BVB i.V.m. Ziffer 21 ZVB ist dahingehend möglich, dass sowohl die Vertragserfüllungs-, als auch die Gewährleistungssicherheit die Mängelansprüche für die Zeit nach der Abnahme absichern soll.

In Ziffer 4.1 findet sich keine inhaltliche Konkretisierung des Umfangs der beiden Sicherheiten, da hier nur von Vertragserfüllung einerseits und Mängelansprüchen andererseits die Rede ist. Eine eindeutige Auslegung ist ferner nicht aufgrund von Ziffer 4.1 S. 5 BVB möglich. Die dortige Regelung, dass sich die Sicherheit für Vertragserfüllung nach Abnahme in eine Sicherheit für Mängelansprüche umwandelt, könnte zwar dafür sprechen, dass die Vertragserfüllungssicherheit nur die bis zur Abnahme entstandenen Ansprüche umfasst. Eine andere, kundenfeindlichere Auslegung bleibt aber möglich (so zu einer nahezu inhaltsgleichen Regelung der BVB: BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 -, Rn. 30, juris).

Entgegen der klägerischen Auffassung streitet gerade die in Ziffer 21 ZVB vorgenommene Konkretisierung der Sicherheiten zu seinen Lasten. Denn nach Ziffer 21.1 und 21.2 ZVB erfassen beide Sicherheiten ausdrücklich den Bereich der Mängelhaftung. Eine sprachliche Differenzierung zwischen einer Mängelhaftung vor und nach Abnahme wird in Ziffer 21 ZVB gerade nicht getroffen, der Begriff wird vielmehr unterschiedslos verwandt. Dies lässt aber ohne weiteres eine Auslegung der Klausel dahingehend zu,  dass zwischen den Mängelansprüchen nicht nur kein sprachlicher, sondern auch kein inhaltlicher Unterschied besteht. Ob die entgegengesetzte Interpretation des Klägers ebenfalls zu einem stimmigen Ergebnis führt, ist wegen des Gebots der kundenfeindlichsten Auslegung ohne Belang.

bb.

Die Sicherungsabrede kann weiterhin so verstanden werden, dass sich der zeitliche Anwendungsbereich beider Sicherheiten überschneidet.

Die Rückgabe der Sicherheit für die Vertragserfüllung ist in Ziffer 4 BVB nicht ausdrücklich geregelt. Aus Ziffer 4.1 S. 5 BVB ergibt sich indes, dass eine Umwandlung in eine Mängelansprüchesicherheit vom Auftragnehmer gefordert werden kann, wenn alle bis dahin erhobenen Ansprüche erfüllt worden sind. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass der Auftragnehmer eine frühere Rückgabe der Sicherheit für die Vertragserfüllung nicht fordern kann. Letztlich kann der Auftraggeber durch das Erheben von ggf. unberechtigten Ansprüchen die Vertragserfüllungssicherheit für einen nicht unerheblichen Zeitraum nach Abnahme behalten. Denn allein das Erheben von Ansprüchen vermag den Anspruch des Auftragnehmers auf Umwandlung in eine Sicherheit für Mängelansprüche oder auf Rückgabe hinauszuschieben. Für diesen Zeitraum würde die Vertragserfüllungssicherheit auch die nach Abnahme bestehenden Mängelansprüche absichern (BGH, Urteil vom 16. Juli 2020 – VII ZR 159/19 -, Rn. 34, juris).

Schließlich kann bei kundenfeindlichster Auslegung des Klauselwerks nicht ausgeschlossen werden, dass die Mängelansprüchesicherheit schon vor der Entstehung des Umwandlungsrechts aus Ziffer 4.1 S.5 BVB gestellt werden muss. In diesem Fall muss der Auftragnehmer zur Sicherung von Mängelansprüchen Sicherheiten in Höhe von insgesamt 10 % der Auftragssumme stellen. Denn da vertraglich nicht geregelt worden ist, wann die Sicherheit für Mängelansprüche gestellt werden muss, kann ein durchschnittlicher Auftragnehmer den nicht nur theoretisch möglichen erscheinenden Schluss ziehen, dass dies jedenfalls mit Abnahme zu geschehen hat (BGH, a.a.O., Rn. 35, juris). Die Umwandlung kann hingegen nur dann mit Abnahme eingefordert werden, wenn der Auftraggeber keine weiteren Forderungen aus der Vertragserfüllungssicherheit an den Auftragnehmer richtet.

cc.

Etwas anderes folgt nicht aus dem Umstand, dass die Ausschreibungsunterlagen von vornherein ausschließlich die Verwendung des Formblatts 421 für eine Kombibürgschaft und gerade keine weitere Bürgschaft für Mängelansprüche vorgesehen haben. Dies bedeutet lediglich, dass der Kläger zum Zeitpunkt des  Vertragsschlusses noch nicht das Recht hatte, eine Mängelansprüchebürgschaft mit dem Formblatt 422 zu fordern.

Hieraus folgt hingegen keineswegs zwingend, dass der Kläger auch im weiteren Vertragsverlauf, insbesondere mit Abnahme der Werkleistung, nicht berechtigt gewesen wäre, von der C… noch eine zusätzliche Mängelansprüchebürgschaft zu verlangen. Nach den obigen Ausführungen zu Ziffer 4.1 S. 5 BVB ist aus der Sicht des Klägers eine solche Forderungsmöglichkeit sogar geboten.  Wenn der Kläger nämlich bei Abnahme zu der Auffassung gelangen sollte, die Vertragserfüllungsbürgschaft noch wegen offener Erfüllungsansprüche zu benötigen, könnte er unter Berufung auf Ziffer 4.1 S. 5 BVB ihre Herausgabe ablehnen. Dies führte aber ggf. dazu, dass seine Gewährleistungsrechte nicht mehr hinreichend gesichert wären, wenn er nicht nunmehr von seinem Vertragspartner die Stellung einer weiteren Bürgschaft unter Verwendung des Formblatts 422 einfordern könnte. Da sich die Sicherungsabrede zu den konkreten Rechten des Klägers in der beschriebenen Situation nicht verhält, ist auch hier von der kundenfeindlichsten Auslegung auszugehen.

c.

Die Klausel in Ziffer 4 BVB lässt sich nicht in einen inhaltlich zulässigen und einen inhaltlich unzulässigen Teil zerlegen und etwa mit dem Inhalt aufrechterhalten, der sich nach Streichung des Passus „und Erbringung aller bis dahin erhobenen Ansprüche einschließlich Schadensersatz“ ergibt. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs können inhaltlich voneinander trennbare, einzeln aus sich heraus verständliche Regelungen in Allgemeinen Geschäftsbedingungen Gegenstand einer gesonderten Wirksamkeitsprüfung sein, auch wenn sie in einem äußeren sprachlichen Zusammenhang mit anderen – unwirksamen – Regelungen stehen. Nur dann, wenn der als wirksam anzusehende Rest im Gesamtgefüge des Vertrages nicht mehr sinnvoll, insbesondere der als unwirksam beanstandete Klauselteil von so einschneidender Bedeutung ist, dass von einer gänzlich neuen, von der bisherigen völlig abweichenden Vertragsgestaltung gesprochen werden muss, ergreift die Unwirksamkeit der Teilklausel die Gesamtklausel“ (BGH, Urteil vom 01. Oktober 2014 – VII ZR 164/12 -, Rn. 28, juris, m.w.N.).

So liegt der Fall hier. Mit der Streichung der Formulierung über die Abhängigkeit des Umwandlungsrechts vom Nichtbestehen etwaiger Gegenforderungen erhielte die Klausel einen von ihrem ursprünglichen Inhalt grundsätzlich abweichenden Regelungsgehalt, der letztlich zu einer der Intention des Klauselverwenders entgegenstehenden abweichenden Vertragsgestaltung führen würde.

3.

Aus dem Nichtbestehen der Bürgschaftsforderung folgt die Unbegründetheit der hiervon abhängigen Zinsansprüche.

4.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, 101 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe gemäß § 543 Abs. 2 ZPO, die es gebieten, die Revision zuzulassen, liegen nicht vor, da es sich um eine Einzelfallentscheidung handelt.

Wert der Berufung:  755.092,08 EUR


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Bürgschaftsrecht: Im vorliegenden Fall geht es um eine Bürgschaft, bei der die Beklagte zugunsten des Klägers als Sicherheit für die Vertragserfüllung und Gewährleistung einer Bauleistung bürgt. Hierbei sind die Regelungen des bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) einschlägig, insbesondere § 767 BGB (Einwendungen des Bürgen) und § 768 BGB (Einreden des Hauptschuldners). Der Kläger fordert Zahlung aus der Bürgschaft, während die Beklagte die Unwirksamkeit der Sicherungsabrede geltend macht und somit keinen Zahlungsanspruch des Klägers anerkennt.
  2. Unangemessene Benachteiligung und AGB-Recht: Die Vereinbarung zur Sicherheit, die Bürgschaft, ist Bestandteil der Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Die mögliche unangemessene Benachteiligung der Hauptschuldnerin, hier die C…, wird im Zusammenhang mit § 307 Abs. 1 BGB geprüft. Das Gericht stellt fest, dass die Sicherungsabrede wegen unangemessener Benachteiligung der Hauptschuldnerin unwirksam ist, da sie eine Übersicherung darstellt und somit den Auftragnehmer unangemessen benachteiligt.
  3. Bauvertragsrecht: Der Fall bezieht sich auf einen Bauvertrag, bei dem es um die Vertragserfüllung und Gewährleistung einer Bauleistung geht. Hierbei sind Regelungen des BGB relevant, insbesondere die §§ 631 ff. BGB, die Vorschriften zum Werkvertrag regeln.
  4. Unwirksamkeitsfolgen: Im Kontext der Unwirksamkeit der Sicherungsabrede wird in dieser Entscheidung auch die Frage einer geltungserhaltenden Reduktion der Klausel geprüft, was im Zusammenhang mit der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) zum inhaltlich trennbaren Teil einer Klausel steht. Das Gericht kommt jedoch zu dem Ergebnis, dass eine solche Reduktion hier nicht möglich ist, da sie zu einer grundlegend neuen Vertragsgestaltung führen würde.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Soforthilfe vom Anwalt!

Jetzt Hilfe vom Anwalt!

Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Beratungsanfrage bzw. Ersteinschätzung.

Ratgeber und hilfreiche Tipps unserer Experten.

Lesen Sie weitere interessante Urteile.

Unsere Kontaktinformationen.

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Hier finden Sie uns!

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

zum Kontaktformular

Ersteinschätzungen nur auf schriftliche Anfrage per Anfrageformular.

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Über uns

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!

Das sagen Kunden über uns
Unsere Social Media Kanäle

 

Termin vereinbaren

02732 791079

Bürozeiten:
Mo-Fr: 08:00 – 18:00 Uhr

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Rechtsanwälte Kotz. Mehr Infos anzeigen.

Ersteinschätzung

Wir analysieren für Sie Ihre aktuelle rechtliche Situation und individuellen Bedürfnisse. Dabei zeigen wir Ihnen auf, wie in Ihren Fall sinnvoll, effizient und möglichst kostengünstig vorzugehen ist.

Fragen Sie jetzt unverbindlich nach unsere Ersteinschätzung und erhalten Sie vorab eine Abschätzung der voraussichtlichen Kosten einer ausführlichen Beratung oder rechtssichere Auskunft.

Aktuelles Jobangebot

Juristische Mitarbeiter (M/W/D)
als Minijob, Midi-Job oder in Vollzeit.

mehr Infos