Skip to content

Sturz eines Gastes auf Gaststättengelände – Verkehrssicherungspflicht

OLG Hamm – Az.: I-7 U 76/16 – Urteil vom 24.02.2017

Auf die Berufung der Beklagten wird das am 14.09.2016 verkündete Urteil des Einzelrichters der 10. Zivilkammer des Landgerichts Münster (Az. 10 O 43/15) teilweise abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits. Sie trägt auch die außergerichtlichen Kosten der Streithelferin.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

– abgekürzt gemäß §§ 540 Abs. 1 und 2, 313a, 544 ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO –

Sturz eines Gastes auf Gaststättengelände – Verkehrssicherungspflicht
Streit um Schadensersatz nach einem Sturz eines Gastes auf dem Gelände einer Gaststätte. (Symbolfoto: Von Sharkshock/Shutterstock.com)

Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Schadensersatz in Anspruch, nachdem sie im Außenbereich einer Gaststätte gestürzt ist und sich verletzt hat. Die Beklagte hat als Erbbauberechtigte das Gaststättengrundstück an die Streithelferin verpachtet.

II.

Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet, was zur teilweisen Abänderung des erstinstanzlichen Urteils führt, soweit die Klage erstinstanzlich Erfolg hatte.

Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Schadensersatzanspruch aus § 823 Abs. 1 BGB wegen der Verletzung einer der Beklagten obliegenden Verkehrssicherungspflicht.

1. Verkehrssicherungspflichtig ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs und der Obergerichte derjenige, der eine Gefahrenlage – gleich welcher Art – schafft oder andauern lässt. Dies verpflichtet ihn, die notwendigen und zumutbaren Vorkehrungen zu treffen, um eine Schädigung Anderer möglichst zu verhindern. Eine Verkehrssicherung, die jede Schädigung ausschließt, ist nicht zu erreichen und nach der berechtigten Verkehrsauffassung auch nicht zu erwarten. Daher reicht es anerkanntermaßen aus, diejenigen Sicherheitsvorkehrungen zu treffen, die ein verständiger, umsichtiger, vorsichtiger und gewissenhafter Angehöriger der betroffenen Verkehrskreise für ausreichend halten darf, um andere Personen vor Schäden zu bewahren, und die den Umständen nach zuzumuten sind (BGH, NZV 2014, 167, 168 f.; BGH, NJW 2013, 48 f.; OLG Hamm, NJW-RR 2013, 1242). Beim Betrieb einer Gastronomieeinrichtung gehört dazu, dass – den baulichen Zustand betreffend – frei zugängliche Flächen ohne übersehbare Stolperstellen begehbar sein müssen (OLG Hamm, VersR 1991, 1154; OLG Hamm, NJW 2000, 3144), da ein Gaststättengelände auch von älteren, gehbehinderten und teilweise alkoholisierten und mit Kommunikation befassten Menschen begangen wird, deren Sicherheitsbedürfnis jeweils Rechnung zu tragen ist (Hager in Staudinger, Kommentar zum BGB (2009), § 823 BGB, Rn. E268; Saarländisches OLG, Urteil vom 08.09.2009, Az. 4 U 43/09, juris).

Die Beklagte hat als Erbbauberechtigte die Verkehrssicherungspflicht für das Erbbaugrundstück von der Eigentümerin vertraglich übernommen, IV. Ziffer 7. (S. 19) des Erbbaurechtsvertrages vom 28.11.2005 (Bl. 271 – 300 GA, UR-Nr. … des Notars Dr. S in E). Indem sie die Gaststätte samt Außenbereich an die Streithelferin verpachtet hat, hat sie den Verkehr auf dem Erbbaugrundstück eröffnet. Dementsprechend traf und trifft sie die Verpflichtung, mögliche und zumutbare Vorkehrungen dafür zu schaffen, dass Andere, die zulässigerweise mit dem Pachtobjekt in Kontakt kommen, durch vom Pachtobjekt drohende Gefahren nicht geschädigt werden. Das bedeutet, dass die Beklagte grundsätzlich – neben der Pächterin – für den gefahrlosen Aufenthalt von Gästen im Außenbereich der Gaststätte verkehrssicherungspflichtig war und ist, und zwar konkret primär gegenüber Gefahren, die ihre Ursache im baulichen Zustand des Geländes haben (BGH, NJW 1985, 270, 271).

a. Indes beinhaltet der bauliche Zustand des Innenhofbereichs per se keine absicherungsbedürftigen Gefahrenstellen.

Die bauliche Gestaltung des Außenbereichs – wie er sich aus den zur Akte gereichten Lichtbildern (Bl. 8, 48, 56 ff. und Anlage zu Bl. 99a GA) ergibt – lässt deutlich erkennen, dass sich – auf dem von der Klägerin beschrittenen Weg (Lichtbilder Anlage zu Bl. 99a GA) – im direkten Anschluss an das Gaststättengebäude im Innenhofbereich zunächst baulich ein gepflastertes Plateau befindet, das höher gelegen ist als das restliche Gelände. Der Höhenunterschied wird optisch besonders augenfällig, da das – etwa 11 cm höher angelegte – Plateau gepflastert und die neben dem Plateau entlang des Weges befindlichen Flächen mit hellem Kies belegt sind. Durch die Verwendung unterschiedlichen Materials in unterschiedlicher Farbe zeigt sich für den (aufmerksamen) Betrachter sofort ein Höhenversatz der Flächen. Die Plateaukante ist ferner durch einen dunklen Pflasterrand hervorgehoben. Diese farbliche Unterscheidung markiert den Geländeniveauunterschied optisch zusätzlich. Der Höhenunterschied zwischen zunächst Plateau und Kiesbett und dann zum im weiteren Verlauf zum Museum führenden Weg ist deutlich erkennbar. Aus der baulichen Gestaltung des Außenbereichs ergibt sich mithin keine abhilfebedürftige Gefahrenstelle.

b. Eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle kann sich im konkreten Fall nur aus der konkreten Art der Nutzung ergeben, indem nämlich – wie möglicherweise am Unfalltag – unterhalb des Plateaus, also im Kiesbett Stehtische aufgestellt werden, die wiederum die Wirkung der baulichen Gestaltung in Form der optischen Hervorhebung des Niveauunterschiedes durch Pflasterung und Kies aufheben.

Ob das am Unfalltag so war, kann offenbleiben, da die Beklagte insoweit keine Verkehrssicherungspflicht trifft, sondern die Streithelferin; denn wer aufgrund vertraglicher Vereinbarung einen Gefahrenbereich beherrscht, kann nach allgemeinen Deliktsgrundsätzen für die erforderlichen Sicherungsmaßnahmen verantwortlich sein. Entsprechendes muss gelten, wenn sich aufgrund der faktischen Gegebenheiten einer Geschäftssparte die Verlagerung der Möglichkeiten zur primären Gefahrbeherrschung auf weitere Beteiligte nicht vermeiden lässt. Der ursprünglich Verkehrssicherungspflichtige darf im Allgemeinen darauf vertrauen, dass der Dritte seinen Verpflichtungen nachkommt, solange nicht konkrete Anhaltspunkte bestehen, die dieses Vertrauen erschüttern. Das gilt insbesondere dann, wenn die primäre Zuständigkeit für einen Gefahrenbereich auf ein Fachunternehmen übergeht; der Beaufsichtigung eines Fachunternehmens sind durch das Erfordernis einer vertrauensvollen Zusammenarbeit sowie durch dessen Selbstständigkeit und Weisungsunabhängigkeit Grenzen gesetzt. Verringern sich die Überwachungs- und Eingriffsmöglichkeiten des zunächst Verkehrssicherungspflichtigen spartentypisch auf ein Mindestmaß, tritt die Verkehrssicherungspflicht derjenigen in den Vordergrund, die drohende Gefahren vor Ort beherrschen können (BGH, NZV 2014, 167, 168, Rn. 16 m.w.N.).

Aufgrund des Pachtvertrages war und ist die Streithelferin der Beklagten zur Nutzung auch des Außenbereichs „Innenhof“ zu gastronomischen Zwecken berechtigt, § 1 Nr. 1 und Anlage 1 des Pachtvertrages vom 02.06.2008 (Bl. 27-44 der GA). Hierzu kann und darf sie den Außenbereich entsprechend umgestalten, indem sie – je nach dem, was die konkrete Art der Nutzung erfordert – entsprechendes Mobiliar (wie am Unfalltag die Stehtische im Kiesbett) aufstellt. Die Beklagte konnte insoweit auch stillschweigend und unabhängig von der vertraglichen Übernahme der Verkehrssicherungspflicht im Pachtvertrag (§ 10 Ziffer 4. des Pachtvertrages, Bl. 34 GA) grundsätzlich davon ausgehen, dass die Streithelferin, soweit besondere Sicherungsmaßnahmen im umgestalteten Außenbereich in Bezug auf ihre Gäste erforderlich werden sollten, solche eigenständig einleitete; denn soweit ihre Gäste durch die konkrete Art der Nutzung des Außenbereichs, also durch die Anordnung von Mobiliar gefährdet waren, musste die Streithelferin durch eigene Sorgfaltsanstrengungen reagieren. Dies gilt insbesondere, wenn – wie hier – die Gefahr unschwer durch eine besondere Kennzeichnung der Trittkante im gepflasterten Bereich beherrschbar war und dazu eine Verpflichtung im Verhältnis zu ihren Kunden und deren eingeladenen Gästen aufgrund vertraglicher Zuweisung der Verkehrssicherungspflicht – aus dem Bewirtungsvertrag i.V.m. Schutzwirkungen zu Gunsten Dritter oder c.i.c. – bestand.

2. Die Beklagte traf auch insoweit keine Überwachungspflicht; denn eine abhilfebedürftige Gefahrenstelle ergibt sich erst im Einzelfall, d.h. konkret je nach Art der Nutzung des Außenbereichs durch das Aufstellen von Mobiliar, was wiederum durch den vertragsgemäßen Gebrauch gedeckt ist. Die Streithelferin alleine und nicht die Beklagte schafft so im Einzelfall in Ausübung ihres vertragsgemäßen Gebrauchs des Pachtobjekts (möglicherweise) eine Gefahrenquelle, für die sie – die Streithelferin – ausschließlich verantwortlich ist.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 91 Abs. 1, 101 Abs. 1 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 543 Abs. 2 ZPO bestehen nicht.

 

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Soforthilfe vom Anwalt!

Jetzt Hilfe vom Anwalt!

Rufen Sie uns an um einen Beratungstermin zu vereinbaren oder nutzen Sie unser Kontaktformular für eine unverbindliche Beratungsanfrage bzw. Ersteinschätzung.

Ratgeber und hilfreiche Tipps unserer Experten.

Lesen Sie weitere interessante Urteile.

Unsere Kontaktinformationen.

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Hier finden Sie uns!

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

zum Kontaktformular

Ersteinschätzungen nur auf schriftliche Anfrage per Anfrageformular.

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Über uns

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!

Das sagen Kunden über uns
Unsere Social Media Kanäle

 

Termin vereinbaren

02732 791079

Bürozeiten:
Mo-Fr: 08:00 – 18:00 Uhr

Kundenbewertungen & Erfahrungen zu Rechtsanwälte Kotz. Mehr Infos anzeigen.

Ersteinschätzung

Wir analysieren für Sie Ihre aktuelle rechtliche Situation und individuellen Bedürfnisse. Dabei zeigen wir Ihnen auf, wie in Ihren Fall sinnvoll, effizient und möglichst kostengünstig vorzugehen ist.

Fragen Sie jetzt unverbindlich nach unsere Ersteinschätzung und erhalten Sie vorab eine Abschätzung der voraussichtlichen Kosten einer ausführlichen Beratung oder rechtssichere Auskunft.

Aktuelles Jobangebot

Juristische Mitarbeiter (M/W/D)
als Minijob, Midi-Job oder in Vollzeit.

mehr Infos