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Unfall: Zu den Voraussetzungen der Annahme eines gestellten Unfalls

OLG Celle

Az.: 14 U 99/03

Urteil vom 11.12.2003

Vorinstanz: Landgericht Lüneburg – Az.: 3 O 325/02


In dem Rechtsstreit hat der 14. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Celle auf die mündliche Verhandlung vom 18. November 2003 für Recht erkannt:

Auf die Berufung der Beklagten zu 2 wird das am 30. April 2003 verkündete Urteil des Einzelrichters der 3. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits und der Nebenintervention trägt der Kläger.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Streitwert für das Berufungsverfahren und Wert der Beschwer: 7.286,58 EUR.

Gründe:

Die Berufung ist begründet.

I.

Entgegen der Auffassung des Landgerichts stehen dem Kläger aus dem behaupteten Verkehrsunfall vom 29. März 2002 keine Schadensersatzansprüche zu. Das erstinstanzliche Urteil beruht auf einer unzutreffenden Würdigung der Gesamtumstände des Falls sowie einem verfahrensfehlerhaften Übergehen des Antrags der Beklagten zu 2 auf Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Kompatibilität zwischen Unfallhergang und Schäden. Den durch das Privatgutachten des Dipl.Ing. ####### G. gestützten Behauptungen der Beklagten zu 2 zur fehlenden Kompatibilität hätte schon das Landgericht nachgehen müssen, auch wenn die Schäden an dem gegnerischen Fahrzeug nicht dokumentiert waren. Zur Klärung der entscheidungserheblichen Frage, ob die Beschädigungen an dem Fahrzeug des Klägers nach dessen eigener Unfalldarstellung aus dem Unfall resultieren können, brauchte man das Schädigerfahrzeug keineswegs. Im Übrigen kann das Fehlen des Schädigerfahrzeugs bzw. dokumentierter Befunde darüber schon deshalb nicht zu Lasten der Beklagten zu 2 gehen, weil die damit verbundene Beweisnot der Versicherung gerade typisch für fingierte Unfälle ist.

Der Senat ist aufgrund der Schäden an dem Pkw Audi des Klägers, des persönlichen Eindrucks der Parteien im Verhandlungstermin am 18. November 2003 und einer Vielzahl von Indizien davon überzeugt, dass die Unfalldarstellung des Klägers nicht zutrifft – vielmehr hat es diesen Unfall überhaupt nicht gegeben oder er war zwischen den Beteiligten abgesprochen. Im Einzelnen:

1. Die fotografisch dokumentierten Beschädigungen (siehe Bl. 16, 18 und 29 ff. des Gutachtens M. vom 23. Oktober 2003) an der rechten Seite des Pkw Audi können nicht aus dem vom Kläger geschilderten Unfallhergang herrühren. Zu erkennen sind einerseits stumpfe, punktuelle Schäden und andererseits Streifschäden mit unterschiedlichen Streifbildern. Die unterschiedlichen Schadensarten sind nur durch eine entsprechende Anzahl von Anstößen zu erklären, die punktuellen Schäden zudem nur durch einen Anstoß gegen das stehende Fahrzeug. Dies ergibt sich aus den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen M. im schriftlichen Gutachten vom 23. Oktober 2003 und im Verhandlungstermin am 18. November 2003 (nicht protokolliert), die denen des Privatsachverständigen Dipl.Ing. G. im Gutachten vom 19. August 2002 (Bl. 38 ff. d. A.) entsprechen.

Ein Anspruch des Klägers, die Ausführungen des Sachverständigen M. noch durch einen Privatsachverständigen überprüfen zu lassen, besteht nicht. Dabei kann offen bleiben, ob dem Kläger, der das Gutachten am 31. Oktober 2003, also gut zwei Wochen vor dem Verhandlungstermin, zu Händen seines Prozessbevollmächtigten erhalten hat, eine angemessene Zeit (vgl. § 411 Abs. 4 ZPO) zur Verfügung stand, auch mit Hilfe eines Privatsachverständigen Stellung zu nehmen. Denn ein schutzwürdiges Interesse des Klägers an einer weiteren Klärung des technischen Sachverhalts ist nicht ersichtlich, weil es zur Überprüfung der vorstehenden Erkenntnisse der besonderen Fachkunde eines Sachverständigen nicht bedarf. Die verschiedenen Schadensbilder sind auf den Fotos auch für den Laien deutlich erkennbar. Die Richtigkeit der Schlussfolgerungen des Sachverständigen, dass derart verschiedene Schadensbilder nicht durch einen einzigen, sondern nur durch mehrere Anstöße entstehen können, drängt sich als eine Frage der Logik bereits dem technischen Laien auf und ist dem Senat zudem durch seine Spezialzuständigkeit für Straßenverkehrsunfälle aus einer Vielzahl anderer Fälle bekannt. So hat der Kläger in seiner schriftlichen Stellungnahme zu dem Gutachten die Feststellungen und Schlussfolgerungen des Sachverständigen aus den Schäden an seinem Fahrzeug auch überhaupt nicht angegriffen, sondern nur eingewandt, der Sachverständige gehe von unzutreffenden Angaben zu den Schäden an dem von der Beklagten zu 1 gefahrenen Pkw VW Polo aus. Dieser Einwand ist aber unerheblich, wie im Übrigen auch der Sachverständige bestätigt hat. Auch im Verhandlungstermin hat der Kläger keinerlei konkrete Einwendungen vorgetragen. Auf diesem Hintergrund spricht alles dafür, dass der Antrag auf Bewilligung einer weiteren Stellungnahmefrist nur auf eine bloße Verzögerung des Rechtsstreits gerichtet sein kann.

2. Der Senat hat auch im Hinblick auf das Auftreten des Klägers und der Beklagten zu 1 im Verhandlungstermin den Eindruck gewonnen, dass die schriftsätzliche Unfallschilderung des Klägers nicht der Wahrheit entspricht.

So hat die Beklagte zu 1 nach mehrfachen eindringlichen Hinweisen des Senatsvorsitzenden auf ihre prozessuale Wahrheitspflicht bei gleichzeitig bestehendem Recht, sich nicht selbst belasten und deshalb keine Angaben machen zu müssen, erklärt, davon Gebrauch machen zu wollen. Dabei wirkte sie auf alle Mitglieder des Senats wie das verkörperte schlechte Gewissen: Das Unbehagen mit dieser Situation war ihr deutlich ins Gesicht geschrieben, sie vermied sie jeden Blickkontakt und hätte offensichtlich lieber früher als später den Gerichtssaal verlassen.

Der Kläger blieb zwar bei seiner Darstellung. Er war allerdings nicht in der Lage, eine auch nur ansatzweise detaillierte Schilderung des Unfallhergangs abzugeben. Seine Erklärungen beschränkten sich auf Allgemeinheiten: er sei geschäftlich allein im Auto in ####### unterwegs gewesen, den Polo habe er nicht gesehen, plötzlich habe es geknallt, der Zusammenstoß sei vorn rechts gewesen. Zu den Fragen, ob es hell oder dunkel gewesen und der Polo mit oder ohne Licht gefahren sei, sagte der Kläger, dies wisse er nicht. Diese Erinnerungslücken an durchaus einprägsame Einzelheiten lassen sich nur damit erklären, dass sich der Unfall so, wie behauptet, tatsächlich nicht abgespielt hat. Der Hinweis des Prozessbevollmächtigten des Klägers im Termin auf Sprachprobleme seines Mandanten überzeugt jedenfalls nicht. Der Kläger hatte weder Verständnis noch Wortfindungsschwierigkeiten, sondern konnte oder wollte detaillierte Fragen nach dem Unfallhergang schlicht nicht beantworten.

3. Anders als das Landgericht meint, spricht zudem der Anscheinsbeweis für einen gestellten Unfall. Die Voraussetzungen dafür liegen nach ständiger Rechtsprechung vor, wenn die für eine Unfallmanipulation sprechenden Indizien in ihrer Gesamtschau nach der Lebenserfahrung den Schluss rechtfertigen, dass der Unfall auf einer Verabredung beruht und der Geschädigte mit der Herbeiführung des Schadens an seinem Fahrzeug einverstanden gewesen ist (BGH VersR 1979, 514 f.; OLG Köln VersR 1989, 163 f.; Senatsurteile vom 15. Februar 2001 – 14 U 96/00 – und vom 25. Oktober 2001 – 14 U 73/01 ). Dies ist hier der Fall:

a) Zunächst ist die Unfallkonstellation für einen manipulierten Unfall typisch. Nach der Darstellung des Klägers hat die Beklagte zu 1 eine eindeutige Vorfahrtsverletzung begangen, sodass eine Mithaftung von vornherein ausschied und die Beteiligten von der Hinzuziehung der Polizei abgesehen haben. Der Unfallort ist hier allerdings ausweislich der vom Sachverständigen gefertigten Skizzen und Fotografien derart übersichtlich und überschaubar, dass nicht einmal nachvollziehbar ist, wie es überhaupt zu dem Unfall kommen konnte. Beide Fahrer, insbesondere aber die Beklagte zu 1, hätten sich gegenseitig rechtzeitig vor der Kollision erkennen und diese vermeiden können (Bl. 20 und 22 des Gutachtens). Auch insoweit muss dem Kläger keine Gelegenheit zur weiteren Stellungnahme mit Hilfe eines Privatsachverständigen gegeben werden. Die Feststellung, dass durchschnittlichen Verkehrsteilnehmern ohne körperliche Ausfallerscheinungen in Anbetracht der Überschaubarkeit des Unfallortes dieser Unfall eigentlich nicht passieren konnte, ist auch ohne spezielles Erfahrungswissen nachzuvollziehen. Im Übrigen hat der Kläger die Ausführungen des Sachverständigen zu diesem Punkt nicht angegriffen (siehe bereits unter 1.).

b) Nicht nur das prozessuale Verhalten des Klägers – nach den Ausführungen unter 1. ist erwiesen, dass er zum Unfallhergang falsch vorgetragen hat, – sondern auch sein vorprozessuales Verhalten spricht gegen die Glaubhaftigkeit seines Vortrages. So hat er auf Nachfrage der Beklagten zu 2 anfangs angegeben, den Voreigentümer seines Pkw Audi, Herrn ####### #######, vor dem Verkauf nicht gekannt zu haben. Dies trifft jedoch erwiesenermaßen nicht zu, weil er mit Herrn ####### am 12. Januar 1999 einen Verkehrsunfall hatte. Die Erklärung des Klägers, er habe sich drei Jahre nach dem Unfall nicht mehr an den Unfallgegner erinnern können, ist – entgegen der Ansicht des Landgerichts – keineswegs plausibel, sondern nur als wenig überzeugende Schutzbehauptung zu betrachten.

c) Das Verhalten der Beklagten zu 1 ist ebenfalls für einen manipulierten Unfall kennzeichnend. Sie hat sofort ihre Alleinschuld anerkannt und ist – so der Kläger im Verhandlungstermin – sogar gemeinsam mit ihm und ihrem Ehemann am nächsten Tag zum örtlichen Versicherungsvertreter der Beklagten zu 1 gegangen, um dort Ansprüche anzumelden. An der objektiven Aufklärung des Unfallhergangs hat die Beklagte zu 1 nicht mitgewirkt. Im Verhandlungstermin vor dem Landgericht hat sie sich durch ihren Ehemann entschuldigen lassen, der wiederum angegeben hat, den Polo nach dem Unfall abgemeldet und bei einem Händler in ####### abgestellt zu haben, der Verbleib sei unbekannt. Im Verhandlungstermin vor dem Senat hat die Beklagte zu 1 keine Angaben gemacht, was zwar ihr Recht war und deshalb nicht zu ihren Lasten verwertet werden kann, aber doch – wie bereits die unterbliebene Beweissicherung an ihrem Fahrzeug – zeigt, dass sie an einer Aufklärung des Sachverhalts kein Interesse hat.

d) Weiterhin passen Art und Historie der beteiligten Fahrzeuge zu einem gestellten Unfall.

Bei dem Fahrzeug des Klägers handelte es sich um einen 10 Jahre alten Audi 80 Cabrio, also um ein Fahrzeug der gehobenen Mittelklasse, mit einer Fahrleistung von rd. 122.000 km und einem reparierten Vorschaden. Fahrzeuge dieser Art verursachen hohe Reparatur und Nebenkosten. Deshalb ist auch die hier durchgeführte Abrechnung auf Gutachtenbasis – an sich das gute Recht jeden Geschädigten – besonders lukrativ. Die Behauptung des Klägers, ihm sei nichts anderes übrig geblieben, als das Fahrzeug in Eigenhilfe zu reparieren, weil die Beklagte nicht gezahlt habe, ist durch den unwidersprochenen Vortrag der Beklagten zu 2, der Kläger habe von Anfang an erklärt, auf Gutachtenbasis abrechnen zu wollen und das Fahrzeug bereits vor Geltendmachung konkreter Forderungen repariert, widerlegt. Selbst wenn der Kläger – wie er behauptet – für die Reparatur Material und Lohnkosten in Höhe von rd. 4.500 EUR aufgewandt haben sollte, verbliebe in Anbetracht der von dem Privatsachverständigen festgestellten Reparaturkosten in Höhe von 6.581,24 EUR immerhin ein Gewinn in Höhe von etwa 2.000 EUR.

Demgegenüber hatte das Schädigerfahrzeug – ein VW Polo, Baujahr 1987 – nur einen geringen Wert. Der Ehemann der Beklagten zu 1 hatte es rd. 3 Monate vor dem Unfall am 21. November 2001 erworben und erst am 8. März 2002 bei der Beklagten zu 2 versichert. Nach dem Unfall hat er es abgemeldet, und bei einem Händler in ####### abgestellt, weil sich eine Reparatur nicht mehr lohnte.

e) Zu Recht weist die Berufung als Indiz für einen fingierten Unfall schließlich darauf hin, dass der Kläger hier bereits zum dritten Mal einen Unfallschaden geltend macht, den eindeutig nur die Gegenseite zu vertreten hat. Am 12. Januar 1999 nahm ihm Herr ####### ####### – der Verkäufer des Audi 80 Cabrio – in einem Kreisel in ####### die Vorfahrt, wodurch an seinem Fahrzeug erheblicher Sachschaden entstand. Am 27. August 2001 fuhr eine Person rückwärts gegen das von der Ehefrau des Klägers geparkte Fahrzeug Daimler Benz E 220. In beiden Fällen hat der Kläger gegenüber den Haftpflichtversicherungen der Schädiger auf Gutachtenbasis abgerechnet.

f) Nach allem kann dahinstehen, ob der Verdacht der Beklagten zu 2, dass der Kläger einer Personengruppe angehöre, die in wechselnder Beteiligung Unfälle fingiere, zutrifft.

II.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 101 ZPO (Kosten) und 708 Ziffer 10, 713 ZPO (vorläufige Vollstreckbarkeit).

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 543 ZPO.

 

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