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Verkehrsunfall – Alleinhaftung Kolonnenspringer bei Überholen bei unklarer Verkehrslage

Alleinhaftung für Überholmanöver bei unklarer Verkehrslage

In einem Verkehrsunfall, bei dem ein Fahrer beim Überholen einer Fahrzeugkolonne auf einer schmalen Straße ohne Mittellinie mit einem anderen Fahrzeug kollidiert, trägt der Überholende die Alleinhaftung, wenn er die Überholmanöver bei unklarer Verkehrslage durchführt und somit einen erheblichen Verkehrsverstoß begeht. Das Landgericht Ellwangen bestätigte mit dem Urteil 1 S 70/23 vom 20.03.2024 die Entscheidung des Amtsgerichts, dass der klagende Fahrer des Elektrofahrzeugs die gesamten Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen hat und keinen Anspruch auf Schadensersatz gegenüber dem Beklagten hat.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 1 S 70/23 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Das LG Ellwangen bestätigt die Alleinhaftung des Klägers, der beim Überholen einer Fahrzeugkolonne auf einer schmalen Kreisstraße ohne Mittellinie und Bankett in einen Unfall verwickelt wurde.
  • Der Kläger übernahm ein hohes Risiko, indem er trotz unklarer Verkehrslage und der Gefahr, die mit dem Überholen der gesamten Kolonne verbunden war, das Überholmanöver durchführte.
  • Das Gericht wies die Berufung des Klägers zurück, da er einen erheblichen Verkehrsverstoß beging und somit die Hauptverantwortung für den Unfall trug.
  • Es wurde festgestellt, dass der Kläger für den Unfall alleine haftet und die Beklagten aus keinem Rechtsgrund, insbesondere nicht aus den §§ 7, 18 StVG oder § 823 Abs. 1 BGB, haften.
  • Der Kläger muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen, und das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
  • Die Revision wurde nicht zugelassen, da es sich nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt.

Haftung beim Überholen von Fahrzeugkolonnen

Das Überholen anderer Fahrzeuge stellt für den Fahrer stets ein erhöhtes Risiko dar. Besondere Vorsicht ist geboten, wenn eine ganze Fahrzeugkolonne überholt werden soll. Hier müssen sämtliche Bedingungen für ein sicheres Überholmanöver erfüllt sein – andernfalls kann der überholende Fahrer im Falle eines Unfalls die Alleinhaftung zu tragen haben.

Das gilt insbesondere, wenn die Verkehrslage unklar ist, also die Sicht eingeschränkt ist oder andere Gefahrenquellen wie Kurven, Kuppen oder fehlende Überholmöglichkeiten die Situation erschweren. Bei einer solch unklaren Lage ist von risikoreichen Überholmanövern dringend abzuraten, um Unfälle zu vermeiden und die volle Haftung zu umgehen.

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➜ Der Fall im Detail


Alleinhaftung bei Überholmanöver unter unklaren Verkehrsverhältnissen

Ein Urteil des Landgerichts Ellwangen wirft ein Schlaglicht auf die Risiken riskanter Überholmanöver und die Bedeutung der Einhaltung von Verkehrsregeln. Im Zentrum des Falls stand ein Verkehrsunfall, der sich am 31.07.2022 auf der Kreisstraße K2509 zwischen Gaggstatt und Wallhausen ereignete.

Riskante Überholmanöver: Gericht warnt vor Alleinhaftung
(Symbolfoto:  75tiks /Canva)

Der Kläger, Eigentümer eines Elektrofahrzeugs Tesla Model S, kollidierte beim Versuch, eine Fahrzeugkolonne zu überholen, mit dem von dem Beklagten zu 1 geführten PKW Opel Astra. Der Unfall ereignete sich auf einer knapp 5 Meter breiten Straße ohne Mittellinie und Bankett, was die Komplexität der Verkehrslage weiter erhöhte.

Die rechtliche Auseinandersetzung und die Berufung

Die erste Instanz, das Amtsgericht Langenburg, wies die Klage des Tesla-Fahrers ab, wobei es besonders hervorhob, dass der Kläger bei unklarer Verkehrslage überholt und somit einen erheblichen Verkehrsverstoß begangen hatte. Der Kläger legte gegen dieses Urteil Berufung ein, untermauerte seine Position mit dem Argument, dass die Beschleunigungsfähigkeit seines Fahrzeugs ein sicheres Überholen ermöglicht habe. Die Beklagten verteidigten das erstinstanzliche Urteil und wiesen darauf hin, dass der Kläger das Beklagtenfahrzeug ohne ausreichenden Seitenabstand überholt und somit den Unfall selbst verschuldet habe.

Die Entscheidung des Landgerichts Ellwangen

Das Landgericht Ellwangen bestätigte in seinem Urteil (Az.: 1 S 70/23) vom 20.03.2024 die Entscheidung des Amtsgerichts und wies die Berufung des Klägers zurück. In seiner Urteilsbegründung stellte das Gericht klar, dass der Kläger beim Überholen einer Fahrzeugkolonne bei unklarer Verkehrslage und auf einer schmalen, kurvigen Straße ein hohes Risiko eingegangen sei. Dieses Verhalten wurde als grob fahrlässiger Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO bewertet, welcher die Alleinhaftung des Klägers zur Folge hatte.

Bedeutung des Urteils für die Verkehrsrechtssprechung

Das Gericht machte deutlich, dass beim Überholen nicht nur die eigenen Fähigkeiten und die des Fahrzeugs zu berücksichtigen sind, sondern auch die gesamte Verkehrssituation. Der Fall unterstreicht die Notwendigkeit für alle Verkehrsteilnehmer, besondere Vorsicht walten zu lassen und die Regeln der Straßenverkehrsordnung strikt zu befolgen, insbesondere in Situationen, in denen die Verkehrslage unklar ist.

Rechtliche Konsequenzen und Kosten

Als Folge der Entscheidung wurde der Kläger dazu verpflichtet, die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, und eine Revision wurde nicht zugelassen. Dies unterstreicht die Tragweite des Urteils und dient als ernsthafte Warnung an Fahrer, die ähnlich riskante Überholmanöver in Betracht ziehen könnten.

Das Urteil des Landgerichts Ellwangen im Fall Az.: 1 S 70/23 liefert einen wesentlichen Beitrag zur Rechtsprechung im Verkehrsrecht und veranschaulicht die juristischen Risiken und Folgen, die aus Verkehrsverstößen resultieren können. Es dient als Mahnung, dass die Verkehrssicherheit stets Vorrang vor dem Wunsch nach schnellem Vorankommen haben muss.

✔ Häufige Fragen – FAQ

Was bedeutet „unklare Verkehrslage“ beim Überholen?

Eine „unklare Verkehrslage“ beim Überholen liegt vor, wenn der überholende Fahrer aufgrund der gegebenen Umstände nicht sicher davon ausgehen kann, dass er den Überholvorgang gefahrlos durchführen und beenden kann. Der Begriff ist in der Straßenverkehrsordnung (StVO) nicht genau definiert, wird aber in § 5 StVO im Zusammenhang mit dem Überholverbot erwähnt.

Laut Gerichtsurteilen ist die Verkehrslage beispielsweise dann unklar, wenn:

  • Das Verhalten anderer Verkehrsteilnehmer nicht vorhersehbar ist, z.B. wenn ein vorausfahrendes Fahrzeug ohne ersichtlichen Grund langsamer wird
  • Die Sicht durch eine unübersichtliche Straßenführung, schlechte Beleuchtung oder ein vorausfahrendes größeres Fahrzeug behindert ist
  • Aufgrund der Straßen- und Verkehrsverhältnisse nicht absehbar ist, ob der Überholvorgang ohne Gefährdung möglich ist

Es wird ein objektiver Maßstab angelegt – subjektive Fehleinschätzungen des Fahrers sind rechtlich irrelevant. Es muss die konkrete Möglichkeit einer Gefahr bestehen, eine abstrakte Gefahr reicht nicht aus.

Das Überholen bei unklarer Verkehrslage ist grundsätzlich verboten und wird mit einem Bußgeld von 100 € und einem Punkt in Flensburg geahndet. Kommen erschwerend ein missachtetes Überholverbot, eine Gefährdung oder ein Unfall hinzu, drohen deutlich höhere Strafen bis hin zu Fahrverbot.

Zusammengefasst sollten Autofahrer nur dann überholen, wenn sie die Verkehrssituation vollständig überblicken und sicher sind, dass sie niemanden gefährden. Im Zweifelsfall ist es ratsam, auf eine günstigere Gelegenheit zu warten.

Wie wird die Alleinhaftung bei Verkehrsunfällen festgestellt?

Bei der Feststellung der Alleinhaftung nach einem Verkehrsunfall spielen verschiedene Faktoren eine wichtige Rolle:

  • Zunächst wird das unfallursächliche Fahrverhalten der Beteiligten analysiert. Verstöße gegen Verkehrsregeln wie Vorfahrtsmissachtung, Geschwindigkeitsüberschreitung oder Fahren unter Alkoholeinfluss sprechen für ein Verschulden.
  • Entscheidend sind auch die konkreten Umstände des Unfalls wie Ort, Sichtverhältnisse und Fahrmanöver. Beispielsweise trifft den aus einem Grundstück Ausfahrenden eine gesteigerte Sorgfaltspflicht, die oft zu einer Alleinhaftung führt.
  • Die Beweislast liegt grundsätzlich bei demjenigen, der Schadensersatz fordert. Er muss nachweisen, dass der Unfall durch ein Verschulden des Gegners verursacht wurde.
  • Gelingt dieser Nachweis nicht, kann sich die Haftung auch aus der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge ergeben. Dann haften die Fahrzeughalter anteilig.
  • Anhand von Zeugenaussagen, Sachverständigengutachten und Unfallspuren wird versucht, den genauen Ablauf zu rekonstruieren. Gelingt dies nicht, kann die Haftung auch hälftig geteilt werden.
  • Letztlich nimmt das Gericht eine Gesamtabwägung der Verursachungs- und Verschuldensbeiträge vor und legt eine Haftungsquote fest. Eine Alleinhaftung wird nur angenommen, wenn das Verschulden eines Beteiligten die Ursächlichkeit der anderen Faktoren völlig überlagert.

Die Feststellung einer Alleinhaftung erfordert also eine sorgfältige Aufklärung des Unfallhergangs und eine Bewertung des Verhaltens aller Beteiligten anhand der konkreten Situation und der Verkehrsregeln. Nur bei einem ganz eindeutigen Verschulden einer Seite kommt eine 100%ige Haftung in Betracht.

Welche Rolle spielt die Fahrzeugtechnik bei der Beurteilung von Überholmanövern?

Die Fahrzeugtechnik spielt bei der rechtlichen Beurteilung von Überholmanövern eine eher untergeordnete Rolle. Entscheidend sind in erster Linie die Einhaltung der Verkehrsregeln und die Anpassung an die konkrete Verkehrssituation durch den Fahrer.

Dennoch können technische Aspekte in bestimmten Fällen relevant werden:

  • Die Motorleistung und Beschleunigung beeinflussen, wie schnell ein Überholvorgang abgeschlossen werden kann. Gerade Elektrofahrzeuge punkten hier oft mit hohem Drehmoment und guter Beschleunigung. Dies ermöglicht zügigeres Überholen, entbindet den Fahrer aber nicht von der Sorgfaltspflicht.
  • Assistenzsysteme wie Spurhalte- oder Totwinkel-Assistenten können den Fahrer unterstützen und Gefahren reduzieren. Sie ersetzen jedoch nicht die Eigenverantwortung. Letztlich muss der Fahrer die Verkehrslage stets selbst beurteilen.
  • Die Fahrzeuglänge beeinflusst den Platzbedarf und damit den Überholweg. Für lange Fahrzeuge wie Lang-LKW gelten daher teils gesonderte Regeln. Auch dies muss der Fahrer einkalkulieren.
  • Technische Mängel wie defekte Blinker oder Bremsen können die Kommunikation und Beherrschbarkeit des Fahrzeugs beeinträchtigen. Treten dadurch Unfälle auf, kann dies haftungsrechtliche Folgen haben.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Die Fahrzeugtechnik setzt gewisse Rahmenbedingungen für Überholmanöver, etwa hinsichtlich Beschleunigung oder Länge. Die Hauptverantwortung trägt jedoch stets der Fahrer. Er muss die Leistungsfähigkeit seines Fahrzeugs kennen und sein Fahrverhalten an die Verkehrssituation anpassen. Nur wenn er dabei die Regeln beachtet und umsichtig handelt, ist ein Überholmanöver zulässig – unabhängig von der Motorisierung.

Was sind die rechtlichen Folgen eines fahrlässigen Überholmanövers?

Die rechtlichen Folgen eines fahrlässigen Überholmanövers können vielfältig sein und hängen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab:

Bußgeld und Punkte:

  • Bereits das Überholen bei unklarer Verkehrslage wird mit einem Bußgeld von 100 € und einem Punkt in Flensburg geahndet.
  • Kommen erschwerend ein missachtetes Überholverbot, eine Gefährdung oder ein Unfall hinzu, drohen deutlich höhere Strafen bis hin zu Fahrverbot.

Strafbarkeit:

  • Ein besonders riskantes Überholmanöver kann den Straftatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs nach § 315c StGB erfüllen. Dafür muss der Fahrer grob verkehrswidrig und rücksichtslos gehandelt haben.
  • Werden dabei Personen verletzt, kommt auch eine fahrlässige Körperverletzung in Betracht.
  • Im schlimmsten Fall einer fahrlässigen Tötung drohen sogar Freiheitsstrafen.

Zivilrechtliche Haftung:

  • Verursacht der Überholende einen Unfall, muss er dem Geschädigten den Schaden ersetzen. Dabei wird ihm regelmäßig eine erhebliche Mithaftung angelastet, oft trägt er die Hauptschuld.
  • Neben Reparaturkosten und Schmerzensgeld können auch langfristige Schadensposten wie Verdienstausfall oder Pflegekosten anfallen.

Versicherungsrechtliche Konsequenzen:

  • Die Kfz-Haftpflichtversicherung reguliert zwar zunächst die Schäden des Unfallgegners. Sie kann aber bei grober Fahrlässigkeit Regress beim eigenen Versicherungsnehmer nehmen.
  • Auch der Vollkaskoschutz für das eigene Fahrzeug kann bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Unfalls entfallen.

Zusammengefasst lässt sich sagen: Wer fahrlässig und riskant überholt, dem drohen empfindliche Geldbußen, Punkteeinträge und möglicherweise sogar strafrechtliche Konsequenzen. Zudem trägt er ein hohes zivilrechtliches Haftungsrisiko, das im Ernstfall seine wirtschaftliche Existenz gefährden kann. Daher ist beim Überholen stets größte Vorsicht und Umsicht geboten.

§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils

  • § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO (Straßenverkehrs-Ordnung) – Überholen bei unklarer Verkehrslage: Dieser Paragraph regelt, dass Überholmanöver nur durchgeführt werden dürfen, wenn keine unklare Verkehrslage besteht. Der Bezug zum Thema ergibt sich aus der Bewertung des Überholvorgangs des Klägers, der bei unklarer Verkehrslage eine Kolonne überholt hat, was zu dem Unfall führte.
  • § 17 Abs. 3 StVG (Straßenverkehrsgesetz) – Unvermeidbarkeit eines Unfalls: Erklärt die Bedingungen, unter denen ein Verkehrsunfall als unvermeidbar gilt. Im vorliegenden Fall wurde festgestellt, dass der Unfall für den Kläger vermeidbar war, da er durch sein Überholmanöver die Unfallursache gesetzt hat.
  • § 2 Abs. 2 StVO – Rechtsfahrgebot: Besagt, dass Fahrzeuge möglichst weit rechts zu fahren haben. Dies war relevant, da der Beklagte zu 1 beschuldigt wurde, nicht weit genug rechts gefahren zu sein, was der Kläger jedoch im Rahmen des Überholmanövers falsch eingeschätzt haben könnte.
  • § 823 Abs. 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) – Schadensersatzpflicht: Dieser Paragraph regelt die Schadensersatzpflicht bei rechtswidriger Verletzung von Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum oder einem sonstigen Recht. Im Kontext des Unfalls war dies relevant für die Schadensersatzansprüche des Klägers.
  • § 7 StVG – Haftung des Fahrzeughalters: Legt die Haftung des Fahrzeughalters bei Schäden fest, die durch den Betrieb eines Fahrzeugs entstanden sind. Im Fall war dies relevant, da der Kläger Schadensersatz vom Halter des Beklagtenfahrzeugs forderte.
  • § 18 StVG – Haftung des Fahrzeugführers: Bestimmt die Haftung des Fahrers für Schäden, die durch den Gebrauch des Fahrzeugs im Straßenverkehr verursacht wurden. Dies betrifft die direkte Verantwortung des Beklagten zu 1 für sein Fahrverhalten während des Unfalls.


Das vorliegende Urteil

LG Ellwangen – Az.: 1 S 70/23 – Urteil vom 20.03.2024

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Amtsgerichts Langenburg vom 18.08.2023, Az. 1 C 131/22, wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer 1 genannte Urteil des Amtsgerichts Langenburg ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 1.668,86 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten über Schadensersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 31.07.2022 auf der Kreisstraße K2509 zwischen Gaggstatt und Wallhausen.

Der Kläger ist Eigentümer des Elektrofahrzeugs Tesla Model S mit dem amtlichen Kennzeichen xx – xx xxx, welches über einen sog. Ereignisdatenspeicher verfügt und mit Spiegel 2,189 Meter breit ist. Der Beklagte zu 2) ist Halter des PKW Opel Astra mit dem amtlichen Kennzeichen xx – xx xxx, welcher bei der Beklagten zu 3) haftpflichtversichert ist und am Unfalltag vom Beklagten zu 1) geführt wurde.

An besagtem Tag gegen 14:34 Uhr befuhren sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1) die K2509 von Gaggstatt kommend in Fahrtrichtung Wallhausen. Bei der K2509 handelt es sich um eine knapp 5 Meter breite Kreisstraße ohne Mittellinie und ohne Bankett. Die zulässige Höchstgeschwindigkeit beträgt 100 km/h.

Der Beklagte zu 1) fuhr an der Spitze einer Fahrzeugkolonne von mindestens 10 Fahrzeugen. Der Kläger, der sich von hinten der Kolonne genähert hatte, überholte sukzessive die einzelnen Fahrzeuge in der Kolonne.

Beim Versuch, die – aus seiner Sicht – letzten drei Fahrzeuge der Kolonne auf einmal zu überholen, kollidierte er streifend mit dem Beklagtenfahrzeug. Das Fahrzeug des Klägers wurde infolge der Streifkollision an der hinteren rechten Seite beschädigt, das Beklagtenfahrzeug im vorderen linken Bereich.

Der Kläger hat erstinstanzlich behauptet, dass der Beklagte zu 1) plötzlich und unerwartet nach links ausgeschert sei als er ihn überholt habe.

Der Kläger war erstinstanzlich der Ansicht, dass ihm die Beklagten voll auf Schadensersatz zzgl. vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten haften würden. Der Beweis des ersten Anscheins würde für ein Alleinverschulden des Beklagten zu 1) sprechen, denn wer nach links ausschert und dabei mit einem links an dem Fahrzeug vorbeifahrenden Fahrzeug kollidiert würde seinen Pflichten beim Überholtwerden aus § 5 Abs. 4 StVO nicht Genüge tun und hätte den Unfall alleinig zu verantworten.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt an den Kläger € 1.571,15 nebst Zinsen i.H.v. 5 %- Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

2. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden, welche ihm aus dem Unfallereignis vom 31.07.2022 entstanden sind, zu ersetzen.

3. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 280,60 nebst Zinsen i.H.v. 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten haben erstinstanzlich beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagten haben erstinstanzlich behauptet, dass der Kläger das Beklagtenfahrzeug ohne ausreichenden Seitenabstand überholt habe und zu früh eingeschert sei.

Die Beklagten waren erstinstanzlich der Ansicht, dass der Kläger infolgedessen für den Unfall alleine haften würde.

Das Amtsgericht hat die Klage nach informatorischer Anhörung der beiden Fahrzeugführer sowie der Einholung eines unfallanalytischen Sachverständigengutachtens abgewiesen. Der Kläger habe bei unklarer Verkehrslage überholt, indem er an einer Stelle überholt habe, an der ein gefahrloses Überholen nicht möglich gewesen sei. Der Beklagte zu 1) habe gegen das Rechtsfahrgebot verstoßen, da er sich nach Durchfahren einer S-Kurve nicht wieder ganz am rechten Fahrbahnrand befunden habe. Die Abwägung der Verursachungsbeiträge würde zu dem Ergebnis führen, dass der Kläger für den Unfall alleine haftet, da ihm ein sehr erheblicher Verkehrsverstoß anzulasten sei.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner Berufung. Er wiederholt und vertieft sein erstinstanzliches Vorbringen.

Er trägt u.a. ergänzend vor, dass das Amtsgericht unberücksichtigt gelassen habe, dass der Kläger ein Elektrofahrzeug fährt, welches eine sehr schnelle Beschleunigung ähnlich eines Formel-1-Fahrzeugs aufweisen würde. Für ihn sei der Überholvorgang daher ohne jegliche Gefährdung innerhalb der vorhandenen Wegstrecke durchführbar gewesen, zumal die überholten Fahrzeuge nur ca. 60 km/h gefahren seien. Von einer ungeeigneten oder schwierigen Überholstelle könne keine Rede sein.

Der Kläger beantragt,

1. Das Endurteil des Amtsgericht Langenburg vom 18.08.2023 (Az.: 1 C 131/22) wird aufgehoben.

2. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt an den Kläger € 1.571,15 nebst Zinsen i.H.v. 5 %- Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagten gesamtschuldnerisch verpflichtet sind, dem Kläger sämtliche Schäden, welche ihm aus dem Unfallereignis vom 31.07.2022 entstanden sind, zu ersetzen.

4. Die Beklagten werden gesamtschuldnerisch verurteilt, an den Kläger außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von € 280,60 nebst Zinsen i.H.v. 5 %Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagten verteidigen das erstinstanzliche Urteil.

Sie tragen u.a. ergänzend vor, dass das Amtsgericht nicht von einem Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot hätte ausgehen dürfen. Die Tatsache, dass es sich bei dem Klägerfahrzeug um ein E-Auto handelt, ändere nichts daran, dass der Kläger nicht hätte überholen dürfen, zumal sich die Fahrzeugkolonne einer Kuppe genähert habe.

Wegen der Einzelheiten des Sachverhalts wird auf das erstinstanzliche Urteil sowie auf die wechselseitigen Schriftsätze nebst Anlagen verwiesen.

Im Übrigen wird auf die Sitzungsniederschrift vom 28.02.2024 Bezug genommen.

II.

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

Zu Recht hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen, da der Kläger gegen die Beklagten aus keinem Rechtsgrund, insbesondere nicht aus §§ 7, 18 StVG oder § 823 Abs. 1 BGB, Anspruch auf Zahlung von Schadensersatz hat.

1.) Der Unfall war für den Kläger nicht unvermeidbar i.S.v. § 17 Abs. 3 StVG, da das Überholen einer Kolonne zwar nicht unzulässig ist, ein Idealfahrer dies jedoch angesichts der mit derartigem Kolonnenspringen verbundenen abstrakten Selbst- und Fremdgefährdung unterlassen hätte (OLG München, Urteil vom 24.02.2017 – 10 U 4448/16, r+s 2017, 211, [212] Rn. 9). Dies gilt erst recht auf nur knapp 5 Meter breiten und kurvigen Kreisstraße ohne Mittellinie und ohne Bankett mit einem inklusive Außenspiegel über 2,1 Meter breiten Fahrzeug.

2.) Bei der folglich vorzunehmenden Abwägung nach §§ 17 Abs. 1 und 2, 18 Abs. 3 StVG dürfen nur die Verursachungs- und Verschuldensanteile berücksichtigt werden, die festgestellt wurden, d.h. unstreitig, zugestanden oder bewiesen sind und sich auf die Schadensentstehung ausgewirkt haben. Nur vermutete Tatbeiträge oder die bloße Möglichkeit einer Schadensverursachung aufgrund geschaffener Gefährdungslage haben deswegen außer Betracht zu bleiben (BGH, Urteil vom 10.01.1995 – VI ZR 247/94, NJW 1995, 1029, [1030]; BeckOGK/Walter, 1.1.2022, StVG § 17 Rn. 30).

a) Nach diesem Maßstab ist das Amtsgericht im Ausgangspunkt zu Unrecht davon ausgegangen, dass dem Beklagten zu 1) ein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot aus § 2 Abs. 2 StVO vorzuwerfen ist.

Zwar hat der Beklagte zu 1) im Rahmen seiner informatorischen Anhörung zugestanden, dass er unmittelbar vor der Kollision nach Durchfahren einer S-Kurve „noch nicht ganz am rechten Fahrbahnrand“ gefahren sei (Bl. 52 der amtsgerichtlichen Akte). Aus dieser nicht näher spezifizierten und auch nicht spezifizierbaren Einlassung des Beklagten durfte aber kein Verstoß gegen das Rechtsfahrgebot abgeleitet werden. Denn nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist das Rechtsfahrgebot keine starre Regel, sondern gewährt dem Kraftfahrer einen gewissen Spielraum („möglichst weit rechts“). Es kommt darauf an, ob der Kraftfahrer nach den gesamten Umständen vernünftig weit rechts fährt, wobei ein gewisser Sicherheitsabstand zur Fahrbahnbegrenzung eingehalten werden darf (BGH, Urteil vom 10.06.1980 – VI ZR 86/79, VersR 1980, 849 [850] m.w.N.). Maßgebend sind u.a. Örtlichkeit, Fahrbahnart, Fahrbahnbeschaffenheit, Geschwindigkeit, Sicht und Gegenverkehr (BGH, Urteil vom 09.07.1996 – VI ZR 299/95, NJW 1996, 3003, [3004]; BeckOK-StVR/Schäfer, 22. Ed. 15.1.2024, StVO § 2 Rn. 42 ff.).

Demnach bestand für den Beklagten zu 1) keine Verpflichtung stets am äußersten rechten Rand der nur knapp 5 Meter breiten Kreisstraße zu fahren. Er durfte insbesondere aufgrund des fehlenden Banketts und des im Unfallzeitpunkt an der Unfallörtlichkeit fehlenden Gegenverkehrs vernünftigerweise einen gewissen Sicherheitsabstand zum rechten Fahrbahnrand einhalten.

Eine Verpflichtung, die äußerste rechte Seite der Fahrbahn einzuhalten, folgt auch nicht aus der aus dem Ereignisdatenspeicher des Klägerfahrzeugs ablesbaren Tatsache, dass sich die Kolonne einschließlich des Beklagten zu 1) als Kolonnenführer mit vergleichsweise langsamen knapp 63 km/h bewegte. Diese Geschwindigkeit war offensichtlich der geringen Fahrbahnbreite und dem fehlenden Bankett geschuldet, zumal aufgrund von Kuppen und schlecht einsehbaren Kurven (vgl. Lichtbilder 35 und 44 zum Sachverständigengutachten) mit plötzlich auftauchendem Gegenverkehr, in gleicher Richtung fahrenden Radfahrern (wie vorkollisionär geschehen) oder einem Stau auf der Kreisstraße aufgrund der Sperrung der Bundesautobahn 6 im Unfallzeitpunkt zu rechnen war.

Im Übrigen besteht keine Verpflichtung stets am äußersten rechten Rand zu fahren, um – wie hier – aus oben genannten Gründen riskante Überholmanöver durch sog. Kolonnenspringer zu ermöglichen (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.1980 – VI ZR 86/79, VersR 1980, 849 [850]).

b) Dass der Beklagte zu 1) – wie vom Kläger behauptet – während des Überholtwerdens seine Fahrlinie verlassen hat, konnte vom Sachverständigen anhand der Spurenlage an den unfallbeteiligten Fahrzeugen nicht festgestellt werden. Festzustellen sei nach den überzeugenden und nicht angegriffenen Ausführungen des Sachverständigen lediglich, dass die Winkelstellung beider Fahrzeuglängsachsen bei Kollision ziemlich gering gewesen war. Es sei damit auch möglich, dass das Klägerfahrzeug bei der Erstberührung nach rechts gefahren sei, zumal sich der Kläger während des Überholvorgangs einer Kuppe genähert habe und sich ein verfrühtes Einscheren aus Furcht vor plötzlich auftauchendem Gegenverkehr als plausibel erweise.

Im Ergebnis lässt sich ein Mitverursachungsbeitrag des Beklagten zu 1) an der Streifkollision nicht feststellen.

c) Zu Recht hat das Amtsgericht die einfache Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs hinter die aufgrund des als grob fahrlässig zu beurteilenden Verstoßes des Klägers gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO erhöhte Betriebsgefahr des Klägerfahrzeugs zurücktreten lassen, sodass das Urteil des Amtsgerichts im Ergebnis richtig ist (vgl. BGH, Urteil vom 10.06.1980 – VI ZR 86/79, VersR 1980, 849 [850]).

Zwar stellt das bloße Überholen einer Kolonne – hier in Form von drei vorausfahrenden PKW – als solches noch keinen Fall des Überholens bei unklarer Verkehrslage i. S. d. § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO dar (vgl. OLG München, a.a.O.; OLG Karlsruhe Urteil vom 08.06.2001 – 10 U 77/01, BeckRS 2004, 9618). Der vorliegende Fall weist jedoch die erforderliche Besonderheit auf, dass an der konkreten Unfallörtlichkeit bei objektiver Sichtweise nicht mit einem gefahrlosen Überholen zu rechnen war. Bei der vom Sachverständigen anhand des Ereignisdatenspeichers des Klägerfahrzeugs lokalisierten Unfallörtlichkeit handelt es sich um eine lediglich knapp 5 Meter breite Kreisstraße ohne Bankett, die zu Beginn des klägerischen Überholvorgangs abschüssig nach rechts und gegen Ende des klägerischen Überholvorgangs in einer leichten Linkskurve bergauf in Richtung einer Kuppe verläuft (vgl. Lichtbilder 28 – 32 zum Sachverständigengutachten). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass das Klägerfahrzeug mit Spiegeln knapp 2,1 Meter breit ist, hätte auch dem Kläger zwingend einleuchten müssen, dass ein Überholen – hier in Form eines Vorbeischießens an gleich drei PKW mit knapp 95 km/h – trotz seiner extremen Beschleunigungsfähigkeit allenfalls möglich sein würde, wenn – entsprechend den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen – alle überholten Fahrzeugführer am äußersten rechten Rand der Fahrbahn fahren und mit der nötigen Aufmerksamkeit ihre Fahrlinie exakt einhalten würden. Hierauf durfte der Kläger aufgrund des ersichtlich kurvigen Verlaufs der nur 5 Meter breiten Kreisstraße, insbesondere des erkennbaren Übergangs von einer bergab verlaufenden Rechtskurve in eine bergauf verlaufende Linkskurve ohne weiteres ersichtlich nicht vertrauen.

d) Ausführungen zum mutmaßlich fehlenden Seitenabstand, zur mutmaßlich fehlenden Sicht nach vorne sowie zur mutmaßlich fehlenden Einschermöglichkeit im Falle von Gegenverkehr erübrigen sich aus genannten Gründen.

III.

1.) Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97, 708 Nr. 10 ZPO.

2.) Die Revision war nicht zuzulassen, da es sich im Hinblick auf die zitierte Rechtsprechung nicht um eine Rechtsfrage von grundsätzlicher Bedeutung handelt und auch die Revision für die Fortbildung des Rechts bzw. zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung nicht erforderlich ist.

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