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Verkehrsunfall bei Ein- und Ausparkvorgang – Haftungverteilung

Ausparker muss 1/3 zahlen: Gericht wägt Verstöße ab

Das Landgericht Saarbrücken hat in einem Fall eines Verkehrsunfalls bei einem Ein- und Ausparkvorgang eine differenzierte Haftungsverteilung vorgenommen. Die Haftungsquote basiert auf den jeweiligen Verstößen der beteiligten Parteien gegen Verkehrsregeln. Dieses Urteil zeigt, dass bei Verkehrsunfällen eine genaue Betrachtung der Situation und des Verhaltens der Beteiligten für die Haftungsverteilung entscheidend ist.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 13 S 154/22  >>>

Das Wichtigste in Kürze


Die zentralen Punkte aus dem Urteil:

  1. Verkehrsunfall beim Ein- und Ausparken: Konflikt zwischen Klägerfahrzeug und Erstbeklagtem während des Ausparkens.
  2. Urteilsänderung auf Berufung: Das Landgericht modifizierte das Urteil des Amtsgerichts nach der Berufung der Beklagten.
  3. Haftungsverteilung: Etablierung einer Haftungsquote basierend auf den individuellen Verkehrsverstößen beider Parteien.
  4. Verstöße gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO): Klägerin verletzte § 10 StVO, Beklagte verstieß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO und das Zeichen 295 zu § 41 Abs. 1 StVO.
  5. Schadensersatz und Kosten: Detaillierte Aufteilung der Schadensersatzansprüche und Gerichtskosten zwischen den Parteien.
  6. Beweiswürdigung und Feststellungen: Das Gericht folgt den erstinstanzlichen Feststellungen, es sei denn, es bestehen konkrete Zweifel.
  7. Zinsausspruch und vorgerichtliche Kosten: Regelungen zu Zinsen und Kosten basierend auf BGB-Paragrafen.
  8. Nichtzulassung der Revision: Das Urteil wurde aufgrund seiner spezifischen Natur und fehlender grundsätzlicher Bedeutung nicht zur Revision zugelassen.

Haftungsfragen bei Verkehrsunfällen im Fokus

Verkehrsunfälle sind alltägliche Ereignisse, die jedoch oft komplexe rechtliche Fragen aufwerfen, insbesondere wenn es um die Haftungverteilung geht. Bei Kollisionen, die während des Ein- und Ausparkens geschehen, entstehen häufig Unklarheiten bezüglich der Verantwortlichkeiten der beteiligten Parteien. Dies führt zu juristischen Auseinandersetzungen, bei denen die genaue Analyse der Umstände und das Verhalten der Beteiligten entscheidend sind. Die Rolle von Zeugen, die Interpretation der Straßenverkehrsordnung und die anschließende Urteilsfindung sind dabei zentrale Aspekte.

In dem vorliegenden Fall stehen Klägerin und Beklagte im Mittelpunkt eines Rechtsstreits, der sich aus einem solchen Parkunfall ergibt. Dabei geht es nicht nur um die Feststellung der Schuld, sondern auch um die daraus resultierenden finanziellen Ansprüche und die gerechte Verteilung der Haftung. Der Fall, der bis zum Landgericht getragen wurde und dort eine Berufung nach sich zog, wirft ein Schlaglicht auf die Komplexität und die Wichtigkeit präziser rechtlicher Bewertung in solchen Situationen. Lesen Sie weiter, um zu erfahren, wie das Gericht in diesem spezifischen Fall geurteilt hat und welche Grundsätze für die Haftungsverteilung bei Verkehrsunfällen angewendet wurden.

Der Hergang des Verkehrsunfalls: Ein komplexes Szenario

Am 24. Juli 2018 ereignete sich auf einer Hauptstraße ein Verkehrsunfall, der den Stein des Anstoßes für eine rechtliche Auseinandersetzung bildete. Die Klägerin, die in einer Parkbucht neben der Hauptstraße parkte, wollte ausparken, als ein Zeuge mit seinem Fahrzeug heranfuhr, vor dem Klägerfahrzeug anhielt und den rechten Blinker setzte, um in die frei werdende Parkbucht einzufahren. Währenddessen passierte die Erstbeklagte das Fahrzeug des Zeugen und kollidierte beim Wiedereinscheren mit dem ausparkenden Fahrzeug der Klägerin. Bei diesem Unfall entstanden auf der Seite der Klägerin Reparaturkosten von 2.216,13 Euro. Die Erstbeklagte machte einen Schaden von 3.504,53 Euro geltend, von dem die Drittwiderbeklagte einen Teil unter Annahme einer Haftungsquote von 30% beglich.

Die Haftungverteilung: Juristische Feinheiten im Fokus

Die Klägerin erhob Klage und forderte einen Schadenersatz von 2.799,05 Euro sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten. Sie behauptete, beim Ausparken den linken Blinker gesetzt und sich ordnungsgemäß in den Verkehr eingeordnet zu haben. Die Beklagten wiesen diese Ansprüche zurück, während die Erstbeklagte im Gegenzug Schadensersatz für den ihr entstandenen Schaden forderte. Das Amtsgericht gab der Klage teilweise statt und wies die Widerklage ab, indem es eine Haftungsquote von 70% zu Lasten der Beklagten festlegte. Dies basierte auf Verstößen gegen § 10 StVO seitens der Klägerin und gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO sowie das Zeichen 295 zu § 41 Abs. 1 StVO seitens der Beklagten.

Berufung und Urteilsänderung: Eine neue Wendung

Die Beklagten legten gegen das Urteil des Amtsgerichts Berufung ein, woraufhin das Landgericht Saarbrücken das Urteil teilweise abänderte. Es verurteilte die Beklagten als Gesamtschuldner, an die Klägerin 932,68 Euro sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten zu zahlen. Die Widerklage wurde dahingehend geändert, dass die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner an die Erstbeklagte 1.284,99 Euro zu zahlen hatten. Die Kostenentscheidung wurde basierend auf § 92 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO getroffen. Das Berufungsgericht hielt eine Haftung der Klägerseite von 2/3 und der Beklagtenseite von 1/3 für angemessen.

Das endgültige Urteil: Haftungsverteilung und Kostenentscheidung

Das Gericht begründete seine Entscheidung mit der Feststellung, dass beide Parteien Verkehrsverstöße begangen hatten. Der Verstoß der Klägerin gegen § 10 StVO wurde als schwerwiegender eingestuft, da sie beim Einfahren in die Fahrbahn höchste Sorgfalt hätte walten lassen müssen. Die Erstbeklagte hingegen hatte beim Überholen die gestrichelte und später die durchgezogene Mittellinie überfahren. In der Gesamtbetrachtung kam das Gericht zu dem Schluss, dass eine Haftungsverteilung von zwei Dritteln zu Lasten der Klägerin und einem Drittel zu Lasten der Beklagten angemessen sei.

Das Urteil des Landgerichts Saarbrücken im Fall Az.: 13 S 154/22 vom 24. März 2023 zeigt die Komplexität und die Wichtigkeit einer genauen Bewertung der Umstände und des Verhaltens der Beteiligten bei Verkehrsunfällen. Es illustriert auch, wie Gerichte Haftungsquoten festlegen und wie diese Entscheidungen das finanzielle Ergebnis für die beteiligten Parteien beeinflussen können.

Wichtige Begriffe kurz erklärt


Was ist unter „Haftungsverteilung“ im Verkehrsrecht zu verstehen?

„Haftungsverteilung“ im Verkehrsrecht bezieht sich auf die Aufteilung der Verantwortung für Schäden, die bei einem Verkehrsunfall entstehen. In Deutschland ist die Haftung im Straßenverkehr umfassend geregelt und unterscheidet zwischen der Haftung des Fahrzeughalters und des Fahrzeugführers.

Die Haftung des Fahrzeughalters, auch als Gefährdungshaftung bekannt, ist eine verschuldensunabhängige Haftung. Das bedeutet, dass der Halter eines Kraftfahrzeugs unabhängig von einem persönlichen Verschulden für Schäden aufkommen muss, die bei dem Betrieb seines Fahrzeugs entstanden sind. Diese Haftung ist nur dann ausgeschlossen, wenn der Unfall auf höherer Gewalt beruht.

Fahrzeugführer hingegen haften nur dann, wenn sie schuldhaft einen Beitrag zum Unfallgeschehen geleistet haben. Allerdings wird vom Gesetz vermutet, dass ein solches Verschulden des Fahrzeugführers vorlag. Diese gesetzliche Verschuldensvermutung muss vom Fahrer eines Kraftfahrzeugs widerlegt werden, wenn er der persönlichen Haftung entgehen will.

Die Haftungsverteilung kann auch auf mehrere Parteien ausgeweitet werden. Beispielsweise haften bei einem Verkehrsunfall mit einer Zugmaschine und einem Anhänger beide Halter sowie die hinter ihnen stehende Kraftfahrzeughaftpflichtversicherung.

Die Haftungsquote beschreibt den Anteil der Schuld (Teilschuld) an dem Schadenereignis. Diese Quote wird entweder durch die beteiligten Versicherungen verhandelt und festgelegt oder vor Gericht mithilfe eines Gutachters bestimmt.

Es ist daher ratsam, bei einem Verkehrsunfall einen Verkehrsrechtsanwalt zu beauftragen, der die Aufteilung der Haftung mit der Gegenseite verhandelt.


Das vorliegende Urteil

LG Saarbrücken – Az.: 13 S 154/22 – Urteil vom 24.03.2023

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts Saarlouis vom 30.09.2022 – 27 C 595/19 (13) – abgeändert und unter Zurückweisung der Berufung im Übrigen wie folgt neu gefasst:

a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin 932,68 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.08.2018 zu zahlen.

b) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 147,56 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 25.08.2018 zu zahlen.

c) Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

d) Auf die Widerklage werden die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner verurteilt, an die Erstbeklagte 1.284,99 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.08.2019 zu zahlen.

e) Im Übrigen wird die Widerklage abgewiesen.

2. Die Gerichtskosten tragen die Klägerin zu 35% alleine, die Erstbeklagte zu 22% alleine, die Klägerin und die Drittwiderbeklagte zu 25% als Gesamtschuldner sowie die Beklagten zu 18% als Gesamtschuldner. Von den außergerichtlichen Kosten der Klägerin tragen die Erstbeklagte 15% alleine, die Beklagten als Gesamtschuldner 23% und die Klägerin 62% selbst. Von den außergerichtlichen Kosten der Drittwiderbeklagten tragen die Erstbeklagte 48% alleine und die Drittwiderbeklagte 52% selbst. Von den außergerichtlichen Kosten der Erstbeklagten tragen die Klägerin 24% alleine, die Klägerin und die Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner 33% und die Erstbeklagte 42% selbst. Von den außergerichtlichen Kosten der Zweitbeklagten tragen die Klägerin 67% alleine und die Zweitbeklagte 33% selbst.

3. Das Berufungsurteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

5. Der Streitwert wird auf 4.411,81 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Die Parteien streiten um die Haftungsverteilung aus einem Verkehrsunfall, der sich am 24.07.2018 in ……. auf der Hauptstraße in Höhe des Anwesens Nr. … ereignet hat.

Die Klägerin parkte am genannten Tag mit ihrem Fahrzeug in einer neben der Hauptstraße befindlichen Parkbucht. Als sie ausparken wollte, fuhr der Zeuge …. auf der Hauptstraße mit seinem Fahrzeug heran, hielt vor dem Klägerfahrzeug an und setzte den rechten Blinker, da er in die nun frei werdende Parkbucht einfahren wollte. Währenddessen passierte die Erstbeklagte das Fahrzeug des Zeugen ……. Bei Wiedereinscheren vor dem Fahrzeug des Zeugen …….. kollidierte das Beklagtenfahrzeug mit dem ausparkenden Klägerfahrzeug. Auf Klägerseite entstanden Netto-Reparaturkosten in Höhe von 2.216,13 Euro. Auf den durch die Erstbeklagte geltend gemachten Schaden in Höhe von 3.504,53 Euro – bei dem im Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils genannten Betrag von 5.504,53 Euro dürfte es sich um einen Tippfehler handeln – (Wiederbeschaffungsaufwand 2.900,00 Euro, Sachverständigenkosten 579,53 Euro, Kostenpauschale 25,00 Euro) leistete die Drittwiderbeklagte einen Betrag von 1.051,36 Euro – bei dem im Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils genannten Betrag von 1.651,36 Euro dürfte es sich wiederum um einen Tippfehler handeln – unter Annahme einer Haftungsquote von 30%.

Mit der Klage hat die Klägerin 2.799,05 Euro (Netto-Reparaturkosten 2.216,13 Euro, Sachverständigenkosten 556,92 Euro, Kostenpauschale 26 Euro) nebst Zinsen und vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren geltend gemacht. Sie hat behauptet, sie habe beim Ausparken den linken Fahrtrichtungsanzeiger getätigt und sich unter Beibehaltung des Schulterblicks in den fließenden Verkehr eingeordnet. Die Erstbeklagte habe den Zeugen ….. mit überhöhter Geschwindigkeit überholt und dabei die durchgezogene Mittellinie weit überfahren.

Die Klägerin hat beantragt,

1. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie den Betrag von 2.799,05 Euro nebst 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz als Zinsen seit dem 25.08.2018 zu zahlen,

2. die Beklagten zu verurteilen, als Gesamtschuldner an sie eine Nebenforderung in Höhe von 346,75 Euro nebst 5 Prozentpunkten Zinsen hieraus über dem Basiszinssatz seit dem 25.08.2018 zu zahlen.

Die Beklagten haben beantragt, die Klage abzuweisen.

Widerklagend hat die Erstbeklagte beantragt, die Widerbeklagte und Drittwiderbeklagte als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 2.453,17 Euro nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Widerklage zu zahlen.

Die Klägerin und Drittwiderbeklagte haben diesbezüglich beantragt, die Widerklage abzuweisen.

 

Die Beklagten sind der Klage entgegengetreten und haben eine weitere Eintrittspflicht verneint. Widerklagend hat die Erstbeklagte zudem 2.453,17 Euro (3.504,53 Euro abzgl. der bereits geleisteten 1.051,36 Euro) nebst Zinsen geltend gemacht. Die Klägerin habe sich nur an dem Fahrzeug des Zeugen ….. orientiert und nicht auf den nachfolgenden Verkehr geachtet.

Das Amtsgericht, auf dessen tatsächliche Feststellungen ergänzend Bezug genommen wird, hat der Klage nach Beweisaufnahme in Höhe von 1.958,64 Euro nebst Zinsen und entsprechender vorgerichtlicher Rechtsanwaltsgebühren stattgegeben sowie die Widerklage abgewiesen. Der Klägerseite sei ein Verstoß gegen § 10 StVO und der Beklagtenseite ein Verstoß gegen das Zeichen 295 zu § 41 Abs. 1 StVO und § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO vorzuwerfen. Das führe zu einer Haftungsquote von 70% zulasten der Beklagten. Da die Drittwiderbeklagte den Schaden der Erstbeklagten insoweit reguliert habe, sei die Widerklage unbegründet.

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Hiergegen wenden sich die Beklagten mit der Berufung, mit der sie ihr erstinstanzliches Begehren vollumfänglich weiterverfolgen. Der Gerichtssachverständige sei fälschlicherweise davon ausgegangen, dass die Erstbeklagte die durchgezogene Mittellinie überfahren habe. Im Übrigen habe der Unfall vor dem Anwesen mit der Hausnummer …. stattgefunden.

Die Erstbeklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen,

2. unter Aufhebung der Entscheidung des Amtsgerichtes Saarlouis mit dem AZ 27 C 595/19 (13) die Klägerin und Widerbeklagte sowie die Drittwiderbeklagte als Berufungsbeklagte und Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie 2.453,17 Euro nebst 5% Zinsen über Basiszinssatz ab Zustellung der Widerklage zu zahlen.

Die Klägerin und die Widerbeklagte beantragen, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerseite verteidigt das erstinstanzliche Urteil.

II.

Die Berufung ist form- und fristgerecht erhoben, sie ist mithin zulässig. In der Sache hat das Rechtsmittel teilweise Aussicht auf Erfolg.

1. Zu Recht ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass sowohl die Beklagten als auch die Klägerin grundsätzlich für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7, § 17 Abs. 1 und 2, § 18 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden jeweils bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keinen der beteiligten Fahrer ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Dies wird durch die Berufung auch nicht angegriffen.

2. Ferner ist die Erstrichterin zutreffend davon ausgegangen, dass im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander die Ersatzverpflichtung davon abhängt, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1 und 2 StVG).

3. Im Rahmen der hiernach gebotenen Haftungsabwägung hat das Amtsgericht auf Klägerseite zurecht einen unfallursächlichen Verstoß gegen § 10 StVO angenommen. Dies wird in der Berufung auch von keiner Seite in Zweifel gezogen.

4. Soweit das Amtsgericht auf Beklagtenseite einen Verstoß gegen § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO sowie gegen das Zeichen 295 zu § 41 Abs. 1 StVO in die Abwägung eingestellt hat, ist dies ebenfalls nicht zu beanstanden.

a) In tatsächlicher Hinsicht ist das Berufungsgericht insoweit nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO an die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen gebunden, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinne ist jeder objektivierbare rechtliche und tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Die Beweiswürdigung ist Aufgabe des Tatrichters und kann in der Berufung nicht allein damit angegriffen werden, dass der Berufungsführer seine eigene Beweiswürdigung an die Stelle der Beweiswürdigung des Erstgerichts setzt. Bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte wollte der Gesetzgeber erkennbar ausschließen (BGH, st. Rspr.; vgl. BGH, Urteil vom 18. Oktober 2005 – VI ZR 270/04 –, juris, Rn. 9).

b) Solche Zweifel sind hinsichtlich der Frage, ob die Erstbeklagte bei dem Überholvorgang des Zeugen …. die durchgezogene Mittellinie überfahren hat, nicht gegeben. Das Erstgericht bezieht sich diesbezüglich auf die Einschätzung des Gerichtssachverständigen ……, der aufgrund der Anstoßpunkte der verunfallten Fahrzeuge mit größerer Wahrscheinlichkeit von einem Überfahren der Mittentrennungslinie durch die Erstbeklagte ausging. Wenn auch seitens der Erstrichterin nicht in den Entscheidungsgründen erwähnt, deckt sich dies mit der informatorischen Anhörung der Erstbeklagten selbst (vgl. Bl. 89 d.A.) und der Aussage des Zeugen ….. (vgl. Bl. 91 d.A.).

c) Soweit die Berufung moniert, der Gerichtssachverständige habe den Unfall fälschlicherweise auf Höhe des Anwesens mit der Hausnummer … verortet, ist dies nicht nachvollziehbar. Nach dem bindenden Tatbestand des amtsgerichtlichen Urteils hat der Zusammenstoß vor dem Anwesen Nr. stattgefunden. Zudem geht hiervon auch der Gerichtssachverständige aus (vgl. Seite 2 und 3 des Gutachtens, Bl. 118 und Bl. 119 d.A.).

5. Mithin ist beiden Seiten ein Verkehrsverstoß vorzuwerfen. Der zulasten der Klägerin festgestellte Verstoß gegen § 10 StVO verlangt die höchsten Sorgfaltsanforderungen, da sich danach ein Verkehrsteilnehmer beim Einfahren auf die Fahrbahn so zu verhalten hat, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Sie durfte jedoch darauf vertrauen, dass sich nachfolgende Verkehrsteilnehmer ordnungsgemäß verhalten und insbesondere nicht über die durchgezogene Mittellinie fahren (vgl. BGH, Urteil vom 28. April 1987 – VI ZR 66/86 –, juris, Rn. 24). Demgegenüber nahm die Erstbeklagte den Überholvorgang unter Nutzung einer Sperrfläche vor, obwohl sie die vor dem Zeugen ….. befindliche Fahrbahn nicht komplett überblicken konnte. Dieser Verkehrsverstoß der Erstbeklagten wiegt jedoch weniger schwer, weil sie zu Beginn des Überholvorgangs noch die gestrichelte Mittellinie überfuhr und erst beim Wiedereinscheren die durchgezogene Mittellinie überquerte. Vor diesem Hintergrund hält die Kammer – anders als das Erstgericht – im Rahmen der nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG durchzuführenden Haftungsabwägung eine Haftung der Klägerseite von 2/3 und der Beklagtenseite von 1/3 für angemessen.

6. Danach ergibt sich für die Klägerseite (a) und die Beklagtenseite (b) folgende Schadensabrechnung:

a)

Reparaturkosten netto: 2.216,13 Euro

Sachverständigenkosten:  556,92 Euro

Kostenpauschale:   25,00 Euro

Gesamt 2.798,05 Euro

Davon 1/3:  932,68 Euro

b)

Wiederbeschaffungsaufwand: 2.900,00 Euro

Sachverständigenkosten:  579,53 Euro

Kostenpauschale:   25,00 Euro

Gesamt 3.504,53 Euro

Davon 2/3: 2.336,35 Euro

Abzüglich der bereits durch die Drittwiderbeklagte geleisteten Zahlung in Höhe von 1.051,36 Euro ergibt sich demnach ein Betrag von 1.284,99 Euro.

c) Eine über 25,00 Euro hinausgehende Unkostenpauschale ist nach ständiger, höchstrichterlich gebilligter Rechtsprechung der Kammer nicht geschuldet (vgl. Kammer, Urteile vom 1. Oktober 2010 –13 S 66/10 –, vom 12. November 2010 – 13 S 72/10 – und vom 17. Dezember 2010 – 13 S 111/10 –; zur Rspr. des Bundesgerichtshofs vgl. BGHZ 169, 263 ff., BGH, Urteil vom 17. Oktober 2006 – VI ZR 249/05 –; wie hier auch OLG Celle, Urteil vom 8. August 2006 – 14 U 36/06 –, juris, Rn. 20; OLG München, Urteil vom 27. Januar 2006 – 10 U 4904/05 –, juris, Rn. 48; OLG Karlsruhe, Urteil vom 12. Mai 2009 – 4 U 173/07 –, juris, Rn. 27; OLG Stuttgart, Urteil vom 7. April 2010 – 3 U 216/09 –, juris, Rn. 32).

7. Der Zinsausspruch zugunsten der Klägerin folgt aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB.

Sie kann darüber hinaus gemäß § 249 Abs. 2 Satz 1 BGB Erstattung hinsichtlich der ihr entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten aus dem berechtigten Teil ihres Schadensersatzanspruchs verlangen (hier: 1.399,03 Euro). Der Anspruch umfasst gemäß §§ 2, 13 RVG, Nrn. 2300, 7002, 7008 RVG VV eine 1,3-Geschäftsgebühr (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2014 – VI ZR 279/13 –, juris, Rn. 20) in Höhe von 104,00 Euro nach Anlage 2 des RVG in der bis zum 29.12.2020 geltenden Fassung + 20,00 Euro (Pauschale) + 23,56 Euro (USt) = 147,56 Euro.

8. Der Zinsausspruch zugunsten der Erstbeklagten folgt aus § 280 Abs. 1 und 2, § 286 Abs. 1, § 288 Abs. 1 BGB i.V.m. § 291 BGB. Die Widerklage wurde am 23.08.2019 zugestellt (vgl. Bl. 55 d.A).

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1, § 100 Abs. 4 ZPO i.V.m. den Grundsätzen der Baumbach‘schen Formel. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit findet ihre Grundlage in § 708 Nr. 10, §§ 711, 713 ZPO i.V.m. § 544 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

Die Revision ist nicht zuzulassen. Die Rechtssache erlangt keine grundsätzliche über den konkreten Einzelfall hinausgehende Bedeutung und die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordert nicht die Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 ZPO).

IV.

Die Festsetzung des Streitwerts bemisst sich nach §§ 47, 63 Abs. 2 GKG i.V.m. § 3 ZPO.

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