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Verkehrsunfall bei Einfädeln von der Beschleunigungsspur

Unfall beim Einfädeln: Sorgfaltspflicht und Haftungsverteilung

In einem aktuellen Fall, der vor dem Oberlandesgericht Hamm (OLG Hamm, Az.: I-9 U 23/20) verhandelt wurde, ging es um einen Verkehrsunfall, der sich beim Einfädeln von der Beschleunigungsspur ereignete. Der Kläger, der Fahrer eines VW Touran, warf dem Beklagten, dem Fahrer eines LKW, vor, den Unfall durch fahrlässige Beschleunigung verursacht zu haben. Das Gericht musste die Haftungsverteilung klären und dabei die Sorgfaltspflichten der beteiligten Fahrer bewerten.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: I-9 U 23/20 >>>

Einfädeln erfordert höchste Sorgfalt

Das Gericht stellte klar, dass derjenige, der von einem Einfädelungsstreifen auf die durchgehende Fahrbahn einfährt, uneingeschränkt und unabhängig von den Verkehrsverhältnissen ein Höchstmaß an Sorgfalt zu beachten hat. Bei einem Unfall im Rahmen des Einfädelns spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Einfädelnden. Der Kläger konnte diesen Anscheinsbeweis nicht erschüttern. Seine Behauptung, dass zwischen dem LKW des Beklagten und dem vorausfahrenden Fahrzeug ein ausreichend großer Abstand bestanden habe, konnte er nicht beweisen.

Kein Verkehrsverstoß des LKW-Fahrers

Auf der anderen Seite konnte das Gericht keinen unfallursächlichen Verkehrsverstoß des Beklagten feststellen. Es wurde kein verkehrsanalytisches Gutachten eingeholt, da es keine belastbaren Anknüpfungstatsachen gab. Die Zeugenaussagen ließen keinen Schluss zu, der für den Kläger günstig gewesen wäre. Die Angaben des Beklagten, er habe den VW Touran nicht gesehen, waren nachvollziehbar, da die Sicht des LKW-Fahrers auf das Geschehen unmittelbar vor und seitlich neben der LKW-Front bauartbedingt eingeschränkt ist.

Sorgloser Verstoß des Klägers

Das Gericht stellte fest, dass der Kläger sorglos und erheblich gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen hatte, indem er in eine zu kleine Lücke vor dem LKW einfuhr. Dieses unverantwortliche Verhalten ließ die Betriebsgefahr des LKW bei der Abwägung der Haftungsverteilung nicht durchschlagen. Die Zeugin beschrieb das Verhalten des Klägers als so rücksichtslos, dass der LKW-Fahrer das Fahrmanöver des Klägers gar nicht hätte bemerken können.

Keine grundsätzliche Bedeutung

Das Gericht stellte fest, dass der Fall keine grundsätzliche Bedeutung hat. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senates auf Grund mündlicher Verhandlung. Der Fall zeigt jedoch deutlich, dass beim Einfädeln auf die Autobahn höchste Sorgfalt geboten ist und ein sorgloses Einfädeln in eine zu kleine Lücke erhebliche rechtliche Konsequenzen haben kann.


Das vorliegende Urteil

OLG Hamm – Az.: I-9 U 23/20 – Beschluss vom 19.05.2020

Der Senat weist darauf hin, dass beabsichtigt ist, die Berufung nach § 522 Abs. 2 ZPO durch Beschluss zurückzuweisen.

Es besteht Gelegenheit, innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung Stellung zu nehmen.

Gründe

Die zulässige Berufung hat nach der einstimmigen Überzeugung des Senates offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg.

Die vom Landgericht vorgenommene Haftungsverteilung, wonach dem Kläger gegen die Beklagten keine sich aus §§ 7 Abs. 1 und 18 StVG, § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG ergebenden Schadensersatzansprüche zustehen, ist zutreffend.

Bei der vorzunehmenden Haftungsverteilung nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG belastet den Kläger neben der von seinem Kraftfahrzeug ausgehenden Betriebsgefahr sein unfallursächlicher Verstoß gegen § 18 Abs. 3 StVO. Denn der Kläger hat versucht, von der Einfädelspur kommend, nach links auf die rechte Spur der Kraftfahrstraße einzufahren. Gemäß § 18 Abs. 3 StVO gebührt allerdings dem sich auf der Kraftfahrstraße befindlichen Verkehr der Vorrang. Derjenige, der von einem Einfädelungsstreifen auf die durchgehende Fahrbahn einfährt, hat uneingeschränkt und unabhängig davon, ob Stau oder Stop-and-go-Verkehr herrscht, ein Höchstmaß an Sorgfalt zu beachten. Wenn feststeht, dass sich ein Unfall im Rahmen des Einfädelns von der Beschleunigungsspur auf die Fahrbahn der Kraftfahrstraße ereignet hat, spricht der Beweis des ersten Anscheins für ein Verschulden des Einfädelnden, vgl. OLG Köln vom 24.10.2005 – 16 U 24/05 – juris Rn. 15.

Dem Kläger ist es nicht gelungen, diesen Anscheinsbeweis zu erschüttern. Zwar genügt es, dass die ernsthafte Möglichkeit eines anderen als des erfahrungsgemäßen Ablaufs bewiesen ist. Jedoch müssen die Tatsachen, aus denen eine solche Möglichkeit abgeleitet werden soll, bewiesen sein. Seine Behauptung, dass zwischen dem LKW des Beklagten zu 1) und dem vorausfahrenden Fahrzeug ein für das Einfahren genügend großer Abstand bestanden habe, und dass der Unfall nur dadurch zustande gekommen sei, dass der Beklagte zu 1) seinen LKW fahrlässig beschleunigt habe, ist nicht bewiesen. Nach den Aussagen der Zeuginnen … war es vielmehr so, dass der Kläger unmittelbar vor dem LKW der Beklagten zu 2 in eine Lücke eingefahren ist, die nicht einmal so groß war, dass der VW Touran des Klägers dort komplett einscheren konnte. Auch der Zeuge … sprach von einem Abstand zwischen LKW und Front des VW mit 2 bis 3 m.

Hingegen kann ein unfallursächlich gewordener Verkehrsverstoß des Beklagten zu 1, insbesondere ein solcher gegen § 1 Abs. 2 StVO, nicht festgestellt werden. Zutreffend hat das Landgericht die Einholung eines verkehrsanalytischen Gutachtens unter Hinweis auf fehlende belastbare Anknüpfungstatsachen abgelehnt. Wie dicht der VW Touran vor dem LKW eingeschert ist und wie groß der Abstand zwischen beiden Fahrzeugen bei Anfahren des LKW war, hat sich nach der Vernehmung der Zeugen jedenfalls nicht in einem dem Kläger günstigen Sinne feststellen lassen. Ist der Kläger in dem von den Zeugen beschriebenen Abstand vor dem LKW eingeschert, sind die am Unfallort festgehaltenen Angaben des Beklagten zu 1, er habe den VW Touran nicht gesehen, nachvollziehbar. Dem Senat ist aus einer Reihe von Verfahren, aber auch aufgrund eines gestellten Versuchs bekannt, dass die Sicht des LKW – Fahrers von seinem Sitz aus auf das Geschehen unmittelbar vor und seitlich neben der LKW – Front nicht nur erheblich beeinträchtigt sondern bauartbedingt ausgeschlossen ist. Nur dann, wenn der LKW über einen – nicht vorgeschriebenen – Zusatzspiegel im Bereich der Windschutzscheibe verfügt, ist der vor dem LKW befindliche Bereich – in dem eine ganze Schulklasse nebst Lehrer Platz finden – einsehbar.

Für die Beurteilung des Falles kann dahin gestellt bleiben, ob die Beklagten die Unabwendbarkeit des Geschehens für den Beklagten zu 1 hätten beweisen können.

Angesichts des sorglosen und erheblich schuldhaften Verstoßes des Klägers gegen § 18 Abs. 3 StVO ist es aus Sicht des Senats jedenfalls gerechtfertigt, die von dem LKW ausgehende Betriebsgefahr bei der vorzunehmenden Abwägung nicht durchschlagen zu lassen. Die Unverantwortlichkeit des Verhaltens des Klägers hat die Zeugin … plastisch beschrieben. Denn für sie stand fest, dass der LKW-Fahrer das Fahrmanöver des Klägers gar nicht hätte bemerken können, weil dieser unmittelbar vor dem LKW in eine Lücke eingefahren war, die für sein Fahrzeug zudem auch noch viel zu klein war.

Die Sache hat auch keine grundsätzliche Bedeutung. Weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Senates auf Grund mündlicher Verhandlung, die auch sonst nicht geboten ist (§ 522 Abs. 2 S. 1 ZPO).


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Verkehrsrecht: Das Verkehrsrecht ist das zentrale Rechtsgebiet in diesem Fall. Es regelt die Teilnahme von Personen und Fahrzeugen am Straßenverkehr. Im vorliegenden Fall geht es um einen Verkehrsunfall, der sich beim Einfädeln von der Beschleunigungsspur ereignet hat. Hierbei sind insbesondere die Vorschriften der Straßenverkehrsordnung (StVO) relevant.
  2. Straßenverkehrsordnung (StVO): Im vorliegenden Fall sind insbesondere die §§ 18 Abs. 3 und 1 Abs. 2 StVO relevant. § 18 Abs. 3 StVO regelt das Verhalten beim Einfädeln auf Autobahnen und Kraftfahrstraßen. Demnach hat derjenige, der von einem Einfädelungsstreifen auf die durchgehende Fahrbahn einfährt, den Verkehr auf dieser Fahrbahn durchzulassen. Der Kläger hat gegen diese Vorschrift verstoßen, indem er versucht hat, von der Einfädelspur kommend, nach links auf die rechte Spur der Kraftfahrstraße einzufahren. § 1 Abs. 2 StVO enthält die allgemeine Rücksichtnahmepflicht im Straßenverkehr. Ein Verstoß des Beklagten gegen diese Vorschrift konnte jedoch nicht festgestellt werden.
  3. Straßenverkehrsgesetz (StVG): Das StVG regelt unter anderem die Haftung bei Verkehrsunfällen. Im vorliegenden Fall sind insbesondere die §§ 7 Abs. 1, 17 Abs. 1 und 2 sowie 18 StVG relevant. Nach § 7 Abs. 1 StVG haftet der Halter eines Kraftfahrzeugs grundsätzlich für den Schaden, der bei dem Betrieb des Fahrzeugs verursacht wird. Nach § 17 Abs. 1 und 2 StVG wird die Haftung jedoch entsprechend der Verursachungsbeiträge verteilt, wenn beide Parteien zum Unfall beigetragen haben. § 18 StVG regelt die Haftung des Fahrzeugführers. Im vorliegenden Fall hat das Gericht eine Haftungsverteilung vorgenommen und dabei festgestellt, dass dem Kläger gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche zustehen.
  4. Versicherungsrecht: Das Versicherungsrecht ist in diesem Fall relevant, da es um Schadensersatzansprüche nach einem Verkehrsunfall geht. Im vorliegenden Fallist insbesondere § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 des Versicherungsvertragsgesetzes (VVG) relevant. Nach dieser Vorschrift hat der Geschädigte einen direkten Anspruch gegen den Haftpflichtversicherer des Schädigers. Im vorliegenden Fall hat das Gericht jedoch festgestellt, dass dem Kläger gegen die Beklagten keine Schadensersatzansprüche zustehen.
  5. Zivilprozessordnung (ZPO): Die ZPO regelt das Verfahren in Zivilsachen. Im vorliegenden Fall ist insbesondere § 522 Abs. 2 ZPO relevant. Nach dieser Vorschrift kann das Berufungsgericht die Berufung durch Beschluss zurückweisen, wenn es einstimmig der Auffassung ist, dass die Berufung offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat, die Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung hat und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Berufungsgerichts erfordert. Im vorliegenden Fall hat das Gericht die Berufung des Klägers nach dieser Vorschrift zurückgewiesen.

 

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