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Verkehrsunfall – Ersatz Desinfektionskosten wegen Corona-Pandemie

AG Hannover – Az.: 431 C 9575/20 – Urteil vom 10.02.2021

In dem Rechtsstreit hat das Amtsgericht Hannover im Verfahren gemäß § 495a ZPO am 10.02.2021 für Recht erkannt:

1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 2,41 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz seit dem 24.10.2020 zu zahlen. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Dem Kläger bleibt nachgelassen, die Zwangsvollstreckung der Beklagten aus diesem Urteil durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abzuwenden soweit die Beklagte nicht vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Berufung wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um Ansprüche aus einem Verkehrsunfall vom 18:06.2020, wobei die alleinige Haftung der Beklagten als Haftpflichtversicherer des unfallverursachenden Fahrzeugs dem Grunde nach unstreitig ist.

Streitgegenständlich ist allein die Frage, ob die Beklagte verpflichtet ist, Kosten im Rahmen der Fahrzeugreparatur für „COVID-19 Schutzmaßnahmen“ (65,60 netto) und „coyo-19 Schutzmaterial“ (15,00 netto) inkl. 16 % MwSt. brutto 93,50 – als erforderlich i. S. d. 249 Abs. 2 S. 1 BGB zu ersetzen hat, nachdem die Beklagte die Rechnung der Werkstatt diesbezüglich nicht ausgeglichen hat und der Kläger daraufhin den verbliebenden Rechnungsbetrag beglichen hat.

Der Kläger ist der Auffassung, dass die Beklagte auch hinsichtlich der streitgegenständlichen Rechnungspositionen Schadensersatz zu leisten habe.

Der Kläger beantragt, die Beklagte wird verurteilt, an die Klagepartei 95,91 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweils gültigen Basiszinssatz daraus seit 24.10.2020 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt unter Anerkenntnis in Höhe von 2,41 €, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, hinsichtlich der fraglichen Rechnungsposition nicht zum Schadensersatz verpflichtet zu sein.

Zu den sonstigen Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, soweit die Beklagte kein Anerkenntnis abgegeben hat.

Bei dieser Rechnungsposition handelt es sich nicht um eine im Sinne des § 249 Abs. 2 BGB ersatzfähige Schadensposition. Abgesehen davon, dass trotz entsprechenden gerichtlichen Hinweises schon nicht dargetan ist, welche konkreten Maßnahmen unter diese Position fallen, handelt es sich bei allen ernsthaft in Betracht kommenden Maßnahmen doch im Grundsatz um solche (Mehr-)Kosten verursachenden Maßnahmen, deren Kosten von der jeweiligen Werkstatt zu tragen sind. Denn in erster Linie dürften Maßnahmen des Arbeitsschutzes in Rede stehen, die den Allgemeinkosten zuzurechnen sind, so hin-sichtlich entsprechender Maßnahmen bei Übernahme des Fahrzeugs‘ durch die Werkstatt AG Wolfratshausen, Urt. v. 15.12.2020 (Az. 1 C 687/20) — Solche Maßnahmen lassen sich nicht als gesonderte Einzelposition in Rechnung stellen; sie sind in die übrigen Kostenpositionen eingepreist. Selbst wenn die Kosten für die Schutzmaßnahmen als gesonderte Kostenkategorie ansetzbar wären, weil die Maßnahme nicht nur dem Schutz der Werkstattmitarbeiter, sondern jedenfalls auch dem Schutz des Werkstattkunden dienen soll, handelte es sich um eine typischerweise zu Lasten des Werkstattbetreibers gehende Leistungserschwerung, vgl. AG Pforzheim, Urt. v. 17.11.2020 (Az. 4 C 208/20); AG Saarbrücken, Urt. v. 25.09.2020 (Az. 120 C 279/20) zit n. juris).

Verkehrsunfall – Ersatz der Desinfektionskosten wegen Corona-Pandemie
(Symbolfoto: Von Prostock-studio/Shutterstock.com)

Schließlich sind die Coronamaßnahmen dem Bereich des allgemeinen Lebensrisikos zuzurechnen und damit nicht mehr adäquat kausal auf den Unfall zurückzuführen. Denn es ist nicht ersichtlich, dass die Maßnahmen aus einem spezifischen Grund vorgenommen worden wären, sondern einzig aufgrund allgemeiner Vorsicht. So wäre es ähnlich fernliegend, während der Grippesaison eine extra Reinigung zu berechnen, denn derart allgemein verbreitete Krankheiten ohne konkreten Bezug zu dem konkreten Geschehen sind der privaten Sphäre der Beteiligten zuzurechnen und können billigerweise nicht auf den Schädiger abgewälzt werden, AG Münster, Urt. v. 11.09.2020 (Az. 28 C 1823/20) zit. n. juris.

Es entspricht im Übrigen — abgesehen von dem streitgegenständlichen Fall ähnlich gelagerten Fallgestaltungen im Bereich der Regulierung versicherter Schadensereignisse — auch nicht der überwiegenden unternehmerischen Praxis etwa im Bereich des Einzelhandels, dort praktizierte und unter Umstände gesetzlich oder untergesetzliche vorgeschriebene Schutzmaßnahmen anlässlich der Covid-19-Pandemie dem jeweiligen Kunden gesondert in Rechnung zu stellen. Soweit im Bereich der Abrechnung ärztlicher Leistungen bei der Behandlung von Privatpatienten aufgrund einer Einigung der Bundesärztekammer, des PKV-Verbandes und der Träger der Kosten in Krankheits-, Pflege- und Geburtsfällen nach den beamtenrechtlichen Vorschriften des Bundes und der Länder ein Rechnungsaufschlag für besondere Hygienemaßnahmen im Rahmen der Covid-19-Pandemie analog Nr. 245 GOÄ von in der Regel 14,75 € erhoben wird, ist dies nicht verallgemeinerungsfähig, da es insoweit nicht um eine freie Preisbildung am Markt geht, sondern eine vereinbarte Ergänzung einer ohnehin durch Spezialvorschriften und damit vom freien Spiel von Angebot und Nachfrage entkoppelten Vergütung in Rede steht.

Aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes zum sog. Werkstattrisiko ergibt sich nichts anderes. Danach muss der Schädiger — wie ausgeführt — auch für die Kosten solcher unsachgemäßen oder unwirtschaftlichen Maßnahmen aufkommen, die die Werkstatt ohne eigenes Verschulden des Geschädigten vornimmt oder in Rechnung stellt, obwohl sie nicht oder nicht so erbracht wurden. Hier geht es indes nicht um die Frage, ob die Schutzmaßnahmen sachgemäß oder wirtschaftlich waren, sondern darum, ob sie aus Rechtsgründen stets von der Werkstatt zutragen sind. Letzteres ist hier nach dem soeben Ausgeführten der Fall, vgl. dazu AG Pforzheim, ebd. mit dem anschaulichen Beispiel der — unzulässigen — Umlegung der Kosten für die Anschaffung einer Kaffeemaschine nach den Grundsätzen des Werkstattrisikos auf den Schädiger.

II.

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO.

III.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 1, Nr. 11, 709 S. 2, 711 ZPO.

IV.

Die Zulassung der Berufung entspricht § 511 Abs. 4 S. 1 ZPO, angesichts zahlreicher abweichender Entscheidungen, auf welche der Kläger sich stützt.

V.

Der Streitwert wird auf bis zu 500,00 € festgesetzt.

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