LG Wuppertal – Az.: 6 S 1/11 – Urteil vom 13.05.2011
Auf die Berufung des Klägers wird das am 6. Dezember 2010 verkündete Urteil des Amtsgerichts Remscheid – 8 C 157/10 – abgeändert:
Die Vollstreckungsbescheide des Amtsgerichts Euskirchen vom 14. Juli 2010 – Geschäftsnummern 10-4508586-1-4 (Beklagter zu 1) und 10-4508586-2-2 (Beklagte zu 2) – bleiben aufrechterhalten.
Die Beklagten als Gesamtschuldner haben die weiteren Kosten des Rechtsstreits der ersten Instanz und die Kosten des Berufungsrechtszuges zu tragen.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Gründe
I.
Von der Darstellung des Sachverhalts wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 ZPO abgesehen.
II.
Die zulässige Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg und führt zur Abänderung des angefochtenen Urteils in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang. Der Beklagte zu 1 als Fahrer und die Beklagte zu 2 als Halterin des an dem Verkehrsunfall vom 3. Februar 2010 beteiligten Lastkraftwagens – Zugmaschine mit Auflieger mit den amtlichen Kennzeichen xxx und … – sind dem Kläger zur Leistung vollen Ersatzes der erlittenen Schäden aus dem Verkehrsunfall vom 3. Februar 2010 verpflichtet.
Da der Verkehrsunfall für keinen der beiden Unfallbeteiligten unvermeidbar war, bestimmt sich die Haftungsquote nach der Betriebsgefahr der beteiligten Fahrzeuge sowie nach den jeweiligen Verursachungsanteilen der Unfallbeteiligten.
Die Betriebsgefahr des Fahrzeugs der Beklagten zu 2 ist gegenüber der des klägerischen Fahrzeugs erhöht. Bei diesem handelt es sich um einen Pkw Opel Omega, bei dem Fahrzeug der Beklagten um einen Lkw. Das Fahrzeug des Klägers stand – wenn auch verbotswidrig – geparkt am Straßenrand bzw. auf dem Bürgersteig, der Lkw der Beklagten wurde auf schnee- bzw. eisglatter Straße fortbewegt bzw. rangiert. Aus diesen Gründen ergibt sich für den Lkw eine erhöhte Betriebsgefahr von 75 %.
Nicht zu folgen ist dem Amtsgericht darin, dass die den Beklagten zuzurechnenden Verursachungsanteile hinter den dem Kläger zuzurechnenden Verursachungsanteilen zurücktreten, dass also das im absoluten Halteverbot geparkte klägerische Fahrzeug eine Mithaftung des Klägers von 25 % begründet. Vielmehr haben wegen der besonderen Umstände des vorliegenden Falles die Beklagten dem Kläger den gesamten unfallbedingten Schaden zu ersetzen.
Zwar ist mit dem Amtsgericht und den Beklagten dem Grundsatz nach davon auszugehen, dass sich der Geschädigte regelmäßig eine Mithaftquote – nach der Rechtsprechung je nach Lage des Falles von ¼ bis ½ – anrechnen lassen muss, wenn er sein Fahrzeug verkehrswidrig abgestellt hat und es unter anderem wegen dieses Umstandes zu einem Verkehrsunfall gekommen ist (vgl. KG Berlin, VerkMitt 1991, Nr. 60 und VersR 1978, 140; LG Mönchengladbach, Schaden-Praxis 2010, 70; LG Mainz, Schaden-Praxis 1995, 264 sowie die von den Beklagten herangezogenen Entscheidungen BGH, VersR 1987, 259 und OLG Braunschweig, VersR 1976, 448; die im Weiteren für OLG Köln angegebene Fundstelle NJW 1984, 478 erweist sich als unzutreffend und ist auch anderweit nicht ersichtlich). Eine solche Quotierung beruht im Rahmen der gebotenen Abwägung im Ergebnis darauf, dass eine Betriebsgefahr auch von einem vorsätzlich im Parkverbot abgestellten Fahrzeug ausgeht und für den Unfall mitursächlich ist, während sich das schädigende Fahrzeug in Bewegung befindet und von diesem, zumal wenn es sich um ein großes Fahrzeug handelt, eine höhere Betriebsgefahr ausgeht, wobei dem diesen Wagen führenden Fahrer beim Abbiegen – wie hier – wegen der Beschädigung des abgestellten Fahrzeuges ein verkehrswidriges Verhalten entgegengehalten wird (vgl. KG Berlin, jeweils a. a. O.). Das muss im vorliegenden Fall umso mehr gelten, als sich der im Verhältnis zum Pkw des Klägers große Lkw der Beklagten zu 2 auf schnee- und eisglatter Fahrbahn bewegte. Dem verkehrswidrigen Verhalten eines jeden der beiden Fahrzeugführer entspricht im vorliegenden Fall, dass sowohl der Kläger als auch der Beklagte zu 1 wegen einer begangenen Verkehrsordnungswidrigkeit gebührenpflichtig verwarnt worden sind.
Jedoch kann im Einzelfall unter Berücksichtigung der Besonderheiten des Falles eine andere Schadensverteilung geboten sein und der Verursachungsbeitrag des Geschädigten, der sein Fahrzeug verkehrsordnungswidrig abgestellt hatte, gänzlich zurücktreten (vgl. KG Berlin in VerkMitt 1991, Nr. 60). In diesem Sinne liegt der Fall hier.
Es ist aufgrund des Eingeständnisses des Klägers unstreitig, dass dieser seinen Wagen im Bereich des absoluten Halteverbotes abgestellt und damit gegen § 41 Abs. 1 i. V. m. Zeichen 283 der Anlage 2 StVO verstoßen hat. Allerdings ist der Beklagte zu 1 als der Fahrer des Lkw nicht von dem verbotswidrig abgestellten Fahrzeug des Klägers überrascht worden oder hat sich ihm sonst die Situation an der Unfallstelle unübersichtlich dargestellt. Vielmehr hat der Beklagte zu 1 die durch das Fahrzeug des Klägers und die verbotswidrig abgestellten Fahrzeuge im übrigen beengte Situation erkannt und sich gedanklich damit befasst, dass es „knapp“ werden könnte, in die Grundstückseinfahrt der Firma X abzubiegen. Denn wie er selbst in der mündlichen Verhandlung vor dem Amtsgericht ausgeführt hat, wusste er, da ihm die Örtlichkeit bekannt war, dass er sehr weit nach links werde ausholen müssen, um die Kurve in die schmale Einfahrt hinein zu bewältigen. Deshalb, so der Beklagte zu 1, sei er in der Unterführung stehen geblieben, habe sich die Situation angeschaut und habe gedacht, es könnte „klappen“. Zudem sei er auch noch zur Firma hochgegangen – wobei er sich vergewissert habe, dass die Auffahrt zur Firma befahrbar war – und habe dort in Erfahrung gebracht, dass bereits die Polizei verständigt sei und dass die behindernd abgestellten Fahrzeuge abgeschleppt werden sollten. Erst danach habe er den Lkw in Bewegung gesetzt, habe stark nach links ausgeholt und sei dann quer zur Fahrbahn noch einmal stehen geblieben, um sich wieder ein Bild zu machen, und habe dann bemerkt, dass er an das klägerische Fahrzeug gestoßen war.
Aus alldem wird deutlich, dass der Beklagte zu 1 das Fahrzeug des Klägers von vornherein erkannt hat wie er auch erkannt hat, dass der Abbiegevorgang in die Einfahrt zur Firma X knapp werden könnte, dass er gleichwohl aber den Abbiegevorgang begonnen hat in der Hoffnung, es werde schon gut gehen. Im Hinblick darauf ist vorrangige Unfallursache nicht das verbotswidrig abgestellte Fahrzeug des Klägers, sondern die Fehleinschätzung des Beklagten zu 1 betreffend die vorgefundene konkrete örtliche Situation in Verbindung mit den Ausmaßen des von ihm geführten Kraftfahrzeugs und mit seinen fahrerischen Fähigkeiten. Der Beklagte zu 1 hat also die Gesamtsituation richtig erkannt, hat sich aber unvorsichtig verhalten, indem er den risikobehafteten Abbiegevorgang begonnen hat in der bloßen Hoffnung – nicht: gesicherten Erwartung -, es werde schon gut gehen. Das wiegt – neben dem unzweifelhaft vorliegenden Fehlverhalten des Klägers – umso schwerer, als dem Beklagten zu 1 seitens der Firma X mitgeteilt worden war, dass bereits die Polizei verständigt worden sei und dass die verbotswidrig abgestellten Fahrzeuge abgeschleppt werden sollten. Diese Mitteilung war auch realistisch; wie der Beklagte zu 1 vor dem Amtsgericht selbst erklärt hat, waren Polizeibeamte bereits in dem Zeitpunkt zugegen, nachdem es zur Kollision seines Lkw mit dem Fahrzeug des Klägers gekommen war. Umso mehr sowie nicht zuletzt auch im Hinblick auf die winterlichen Straßenverhältnisse stand von dem Beklagten zu 1 zu erwarten, dass er zugewartet hätte, bis ihm ein gefahrloses Einbiegen in die Einfahrt zu der Firma X möglich gewesen wäre.
Nach allem erscheint es in dem vorliegenden Fall angemessen, dass die Beklagten den dem Kläger entstandenen Schaden in voller Höhe zu tragen haben. Da die Höhe der einzelnen Schadenspositionen nicht streitig ist und dem Kläger von dem Gesamtschaden in Höhe von 4.404,25 EUR vorgerichtlich von der hinter den Beklagten stehenden Haftpflichtversicherung bereits 75 % entsprechend 3.309,19 EUR erstattet worden sind, verbleibt ein restlicher Schaden in Höhe von 1.101,06 EUR, der in den beiden Vollstreckungsbescheiden tituliert worden ist. Auch die dort titulierten Zinsansprüche sowie die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind begründet; die Beklag-ten haben sie nicht bestritten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.
Es bestand kein Anlass, die Revision zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO nicht erfüllt sind.
Streitwert für den Berufungsrechtszug: 1.101,06 EUR