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Verkehrsunfall im Zusammenhang mit Rechtsüberholer – Haftungsverteilung

Haftungsverteilung bei Verkehrsunfall nach Rechtsüberholmanöver

Im Urteil des LG Saarbrücken (Az.: 13 S 156/22) vom 24.04.2023 geht es um die Haftungsverteilung nach einem Verkehrsunfall im Zusammenhang mit einem Rechtsüberholvorgang. Die Berufung der Klägerin wurde ohne mündliche Verhandlung zurückgewiesen, da keine Aussicht auf Erfolg bestand. Die Entscheidung des Erstgerichts, dass beide Parteien gemäß den §§ 7, 17 StVG und § 115 VVG anteilig für den Schaden verantwortlich sind, wurde bestätigt. Besonders hervorzuheben ist der Verstoß des Beklagten gegen § 9 Abs. 5 StVO sowie der der Klägerin gegen § 5 Abs. 1 StVO, was eine Haftungsverteilung von 70% zu Lasten des Beklagten und 30% zu Lasten der Klägerin zur Folge hatte.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 13 S 156/22 >>>

✔ Das Wichtigste in Kürze

  • Die Berufung der Klägerin gegen das erstinstanzliche Urteil wurde abgewiesen.
  • Beide Parteien tragen eine anteilige Schuld am Unfallgeschehen, bedingt durch Verstöße gegen die StVO.
  • Die Haftungsquote wurde auf 70% zu Lasten des Beklagten und 30% zu Lasten der Klägerin festgesetzt.
  • Ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO (Beklagter) und gegen § 5 Abs. 1 StVO (Klägerin) wurde festgestellt.
  • Die Klägerin konnte einen notwendigen Sicherheitsabstand nicht einhalten und leitete einen unzulässigen Überholvorgang ein.
  • Die ursprüngliche Schadensersatzforderung der Klägerin wurde teilweise anerkannt.
  • Ein Klageantrag der Klägerin wurde aufgrund von Unbestimmtheit als unzulässig abgewiesen.
  • Die rechtliche Bewertung und die daraus resultierende Schadensberechnung wurden detailliert dargelegt.

Rechtsüberholen im Straßenverkehr: Haftungsverteilung bei Unfällen

Das Rechtsüberholen im Straßenverkehr stellt eine besondere Herausforderung dar, die zu komplexen rechtlichen Fragen führen kann. Insbesondere bei Verkehrsunfällen ist die Haftungsverteilung abhängig von den konkreten Umständen, da das Rechtsüberholen als Ausnahme von der Regel gilt. Verstöße gegen die rechtlichen Vorgaben können erhebliche Konsequenzen nach sich ziehen, sowohl in Form von Bußgeldern und Punkten als auch hinsichtlich der zivilrechtlichen Haftung. Die Klärung der Haftungsfragen bei Unfällen im Zusammenhang mit dem Rechtsüberholen erfordert eine sorgfältige Einzelfallprüfung, um eine gerechte Verteilung der Verantwortung zu gewährleisten.

Wenn Sie Fragen zu einem ähnlichen Fall wie der hier dargestellte haben, fordern Sie noch heute unsere unverbindliche Ersteinschätzung an.
Haftung bei Verkehrsunfällen durch Rechtsüberholen
Ein Verkehrsunfall durch Rechtsüberholen kann komplexe Haftungsfragen aufwerfen. Informieren Sie sich jetzt. (Symbolfoto: ROMAN DZIUBALO /Shutterstock.com)

Im Zentrum des vorliegenden Falls steht ein Verkehrsunfall, der durch das Rechtsüberholen eines Fahrzeugs ausgelöst wurde. Die zentrale Frage dabei war, wie die Verantwortung und damit die Haftung zwischen den Beteiligten aufzuteilen ist. Der Unfall ereignete sich unter unklaren Verkehrsbedingungen, was zu einer rechtlichen Auseinandersetzung führte. Das Landgericht Saarbrücken (Az.: 13 S 156/22) musste klären, inwieweit die Fahrmanöver der Beteiligten zu dem Unfall beigetragen haben und wie dementsprechend die Haftung zu verteilen ist.

Verkehrsregeln im Fokus: Abbiegen und Überholen

Das Gericht stellte fest, dass der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keine der beteiligten Seiten ein unabwendbares Ereignis darstellte. Vielmehr wurde ein Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO durch den Beklagten und ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO durch die Klägerin identifiziert. Der Beklagte versäumte es, beim Abbiegen in ein Grundstück die notwendige Sorgfalt walten zu lassen, während die Klägerin durch eine unzulässige Rechtsüberholung gegen die Verkehrsordnung verstieß.

Die Rolle der Geschwindigkeit und des Sicherheitsabstandes

Ein weiterer entscheidender Punkt war die Geschwindigkeit der Klägerin zum Zeitpunkt des Unfalls. Die Analyse ergab, dass sie mindestens mit einer Geschwindigkeit von 34 km/h unterwegs war, was in Kombination mit einer Vollbremsung dennoch nicht ausreichte, um den Zusammenstoß zu verhindern. Dies deutet darauf hin, dass die Klägerin den erforderlichen Sicherheitsabstand unterschritten hatte, was als Beginn des Überholmanövers gewertet wurde.

Haftungsverteilung und Schadensersatz

Aufgrund der festgestellten Verstöße wurde eine Haftungsverteilung vorgenommen, die 70% der Verantwortung dem Beklagten und 30% der Klägerin zuschreibt. Diese Entscheidung spiegelt die Beurteilung wider, dass beide Parteien durch ihr Verhalten zum Unfall beigetragen haben. Der Erstbeklagte hat die ihm obliegende gesteigerte Sorgfaltspflicht beim Abbiegen nicht erfüllt, was normalerweise eine Alleinhaftung begründen würde, wäre da nicht der Verstoß der Klägerin gegen das Überholgebot.

Rechtsmittel und Folgen der Entscheidung

Das Gericht wies darauf hin, dass die Berufung der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg hat und betonte, dass keine grundsätzliche Bedeutung für die Rechtsfortbildung oder Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung vorliegt. Diese Feststellung unterstreicht, dass der Fall primär auf den spezifischen Umständen und dem Verhalten der Beteiligten basiert.

Das Urteil verdeutlicht die Bedeutung der Einhaltung von Verkehrsregeln und der richtigen Einschätzung von Verkehrssituationen. Die Verteilung der Haftung zeigt, dass bei Verkehrsunfällen oft beide Seiten einen Beitrag zum Geschehen leisten können.

✔ FAQ: Wichtige Fragen kurz erklärt

Inwiefern beeinflusst ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung die Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall?

Ein Verstoß gegen die Straßenverkehrsordnung (StVO), wie das Rechtsüberholen, kann die Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall maßgeblich beeinflussen. Die Haftungsquote bestimmt, in welchem Umfang die beteiligten Parteien für den entstandenen Schaden aufkommen müssen.

Rechtsüberholen und Haftungsquote

Rechtsüberholen ist nach § 5 Abs. 1 StVO grundsätzlich verboten, da im deutschen Straßenverkehr das Rechtsfahrgebot gilt. Es gibt jedoch Ausnahmen, bei denen das Rechtsüberholen erlaubt ist, beispielsweise bei stehendem Verkehr auf der linken Spur oder bei mehreren markierten Fahrstreifen für eine Richtung innerhalb geschlossener Ortschaften.

Wenn ein Unfall beim Rechtsüberholen geschieht, wird in der Regel zunächst geprüft, ob der Überholende gegen Verkehrsregeln verstoßen hat. Ist dies der Fall, kann ihm eine höhere Haftungsquote zugeschrieben werden. Das bedeutet, dass er einen größeren Teil des Schadens zu tragen hat. In manchen Fällen kann sogar eine Alleinhaftung des Rechtsüberholers festgestellt werden, wenn kein Mitverschulden des anderen Unfallbeteiligten vorliegt.

Gerichtsurteile und Haftungsverteilung

Gerichtsurteile zeigen, dass bei einem Verstoß gegen die StVO, wie dem Rechtsüberholen, die Haftungsquote des Verstoßenden erhöht werden kann. So wurde in einem anderen Fall, in dem ein Fahrzeugführer beim Rechtsüberholen einen Unfall verursachte, eine Haftungsquote von 50:50 angewendet, da auch der andere Unfallbeteiligte einen Verkehrsverstoß begangen hatte. In einem anderen Fall wurde die Haftungsquote aufgrund eines Rechtsüberholens bei unklarer Verkehrslage zuungunsten des Überholenden angepasst.

Ein Verstoß gegen die StVO, wie das Rechtsüberholen, kann also die Haftungsquote bei einem Verkehrsunfall beeinflussen. Die genaue Quote hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und wird oft durch Gerichtsurteile festgelegt. Dabei spielen sowohl die Schwere des Verstoßes als auch das mögliche Mitverschulden anderer Unfallbeteiligter eine Rolle.

Was bedeutet eine gesteigerte Sorgfaltspflicht beim Abbiegen in ein Grundstück?

Eine gesteigerte Sorgfaltspflicht beim Abbiegen in ein Grundstück bedeutet, dass der Fahrer besondere Vorsicht walten lassen muss, um andere Verkehrsteilnehmer nicht zu gefährden. Diese erhöhte Sorgfaltspflicht ist in § 9 Abs. 5 der Straßenverkehrsordnung (StVO) verankert und beruht darauf, dass es für nachfolgende Verkehrsteilnehmer oft schwieriger ist zu erkennen, wenn jemand in ein Grundstück abbiegen möchte, im Vergleich zum Abbiegen in eine Straße oder auf einen öffentlichen Parkplatz.

Beim Abbiegen in ein Grundstück muss der Fahrzeugführer sicherstellen, dass keine Gefährdung für andere Verkehrsteilnehmer besteht. Dies beinhaltet unter anderem, dass der Fahrer ausreichend blinken, den Verkehr beobachten und gegebenenfalls anhalten muss, um Fußgängern oder anderen Fahrzeugen Vorrang zu gewähren. Die gesteigerte Sorgfaltspflicht gilt auch beim Herausfahren aus einem Grundstück, einer Fußgängerzone oder einem verkehrsberuhigten Bereich auf die Straße. Hierbei muss der Fahrer so vorsichtig agieren, dass eine Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer ausgeschlossen ist. Erforderlichenfalls muss man sich einweisen lassen.

Bei einem Verstoß gegen diese Sorgfaltspflichten und einem daraus resultierenden Unfall kann der abbiegende Fahrer haftbar gemacht werden. Gerichtsurteile zeigen, dass bei Kollisionen, die beim Abbiegen in ein Grundstück geschehen, oft eine gesteigerte Haftung des Abbiegenden angenommen wird. Dies liegt daran, dass der Abbiegende in der Regel die bessere Möglichkeit hat, den Unfall durch erhöhte Aufmerksamkeit und vorsichtiges Verhalten zu vermeiden.

Zusammengefasst erfordert das Abbiegen in ein Grundstück eine gesteigerte Sorgfaltspflicht des Fahrers, um die Sicherheit aller Verkehrsteilnehmer zu gewährleisten. Verstöße gegen diese Pflicht können zu einer Haftung bei Unfällen führen.

§ Wichtige Gesetze und Paragraphen in diesem Urteil

  • § 522 Abs. 2 ZPO: Erlaubt die Zurückweisung einer Berufung ohne mündliche Verhandlung, wenn diese offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg hat. Im Urteil wird darauf hingewiesen, dass die Berufung der Klägerin voraussichtlich aus diesem Grund zurückgewiesen wird.
  • § 7 StVG: Regelt die Haftung für Schäden, die durch den Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstehen. Im Urteil wird festgestellt, dass beide Parteien gemäß dieser Vorschrift für die Folgen des Unfalls haften.
  • § 17 Abs. 1 und 2 StVG: Bestimmt die Verteilung der Haftung beim Betrieb von Kraftfahrzeugen und berücksichtigt dabei das jeweilige Verschulden der Beteiligten. Das Gericht wendet diese Vorschriften an, um die Haftungsquote zwischen den Parteien festzulegen.
  • § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG: Regelt die Direktansprüche gegen den Versicherer im Falle eines Verkehrsunfalls. Dieser Paragraph untermauert die Haftungsansprüche im vorliegenden Fall.
  • § 9 Abs. 5 StVO: Betrifft das Abbiegen in Grundstücke und die dabei zu beachtenden Sorgfaltspflichten. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift wurde bei einem der Unfallbeteiligten festgestellt und in die Haftungsabwägung einbezogen.
  • § 5 Abs. 1 StVO: Regelt das Überholen auf Straßen und verbietet insbesondere das Rechtsüberholen unter normalen Bedingungen. Im Urteil wurde ein Verstoß gegen diese Regelung als Teil der Unfallursache identifiziert.
  • § 249 ff. BGB: Enthalten die Grundlagen für Schadensersatzansprüche, einschließlich der Reparaturkosten und der Wertminderung des Fahrzeugs. Diese Vorschriften wurden herangezogen, um den Umfang des Schadensersatzes zu bestimmen.

Diese Paragraphen bilden die rechtliche Grundlage für die Entscheidungen des Gerichts bezüglich der Haftungsverteilung und des Schadensersatzes nach dem Verkehrsunfall.


Das vorliegende Urteil

LG Saarbrücken – Az.: 13 S 156/22 – Beschluss vom 24.04.2023

Die Klägerin und Berufungsklägerin wird darauf hingewiesen, dass die Kammer beabsichtigt, die Berufung ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Die Klägerin und Berufungsklägerin erhält Gelegenheit zur Stellungnahme innerhalb von zwei Wochen ab Zustellung des Beschlusses.

Gründe

Die Berufung hat aus den Gründen der erstinstanzlichen Entscheidung, auf die im Einzelnen Bezug genommen wird, keine Aussicht auf Erfolg. Die angegriffene Entscheidung beruht weder auf einer Rechtsverletzung, noch rechtfertigen die nach § 529 ZPO zugrunde zu legenden Tatsachen eine andere Entscheidung (§ 513 Abs. 1 ZPO).

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1. Zu Recht ist das Erstgericht davon ausgegangen, dass die Parteien jeweils für die Folgen des streitgegenständlichen Unfallgeschehens gemäß § 7, § 17 Abs. 1 und 2 StVG in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VVG einzustehen haben, weil die Unfallschäden bei dem Betrieb eines Kraftfahrzeugs entstanden sind, der Unfall nicht auf höhere Gewalt zurückzuführen ist und für keine Seite ein unabwendbares Ereignis im Sinne des § 17 Abs. 3 StVG darstellte. Denn eine Idealfahrerin auf Klägerseite hätte bei der streitgegenständlichen unklaren Verkehrslage auf das Fahrmanöver des Erstbeklagten dergestalt reagiert, dass sie ihre Geschwindigkeit verringert und gesteigerte Bremsbereitschaft gezeigt hätte.

2. Ferner ist die Erstrichterin zutreffend davon ausgegangen, dass im Verhältnis der Fahrzeughalter untereinander die Ersatzverpflichtung davon abhängt, inwieweit der Schaden von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist (§ 17 Abs. 1 und 2 StVG).

3. Auf Seiten der Beklagten hat das Amtsgericht zu Recht einen Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO in die Abwägung eingestellt. Dies wird durch die Berufung auch nicht angegriffen.

a) § 9 Abs. 5 StVO verlangt – in der hier maßgeblichen Variante – das Abbiegen in ein Grundstück. Unter einem solchen Grundstück i.S.d. Norm versteht man solche „privaten“ Grundflächen, die nicht für jedermann zugelassen sind bzw. von jedermann tatsächlich genutzt werden (vgl. BGH, Urteil vom 2. April 1957 – VI ZR 44/56 –, juris, Orientierungssatz; OLG Hamm, Urteil vom 8. November 2013 – I-9 U 88/13 –, juris, Rn. 11; Kammer, Urteil vom 21. November 2014 – 13 S 138/14 –, juris, Rn. 15 ff.; a.A. OLG Düsseldorf, Urteil vom 21. Juni 2016 – I-1 U 158/15 –, juris, Rn. 91; Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 2. Aufl., § 9 StVO Rn. 58 ff.; differenzierend im Hinblick auf den nachfolgenden Verkehr: OLG Düsseldorf, Urteil vom 2. April 2019 – I-1 U 108/18 –, juris, Rn. 56; Saarländisches Oberlandesgericht Saarbrücken, Urteil vom 16. Oktober 2014 – 4 U 145/13 –, juris, Rn. 65). Die streitgegenständliche Hauseinfahrt, in die der Erstbeklagte abbiegen wollte, wird von diesem Grundstücksbegriff erfasst.

b) Für einen Sorgfaltsverstoß des Abbiegenden spricht ein Anscheinsbeweis, wenn es – wie hier durch das Erstgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt wurde – in unmittelbarem räumlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbiegevorgang zu einem Zusammenstoß mit dem Gegenverkehr oder dem nachfolgenden Verkehr kommt (Kammer, Urteil vom 5. Juni 2020 – 13 S 20/20 –; Scholten in: Freymann/Wellner, jurisPK-StrVerkR, 2. Aufl., § 9 StVO Rn. 65).

4. Zulasten der Klägerseite hat die Erstrichterin zurecht einen Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO angenommen.

a) Überholen ist der tatsächliche, absichtslose Vorgang des Vorbeifahrens auf demselben Straßenteil an einem anderen Verkehrsteilnehmer, der sich in derselben Richtung bewegt oder – was hier nicht einschlägig ist – verkehrsbedingt hält (statt aller BGH, Beschluss vom 28. März 1974 – 4 StR 3/74 –, juris, Rn. 11 m.w.N.). Ein Überholmanöver beginnt durch ein Ausscheren auf eine andere Fahrspur oder – wie hier – durch eine deutliche Verkürzung des nach § 4 StVO vorgeschriebenen Sicherheitsabstandes (vgl. OLG Karlsruhe, Urteil vom 16. Dezember 1971 – 1 Ss 262/71 –, NJW 1972, 962 ff.; Heß in: Burmann/Heß/Hühnermann/Jahnke, Straßenverkehrsrecht, 27. Auflage 2022, § 5 StVO, Rn. 8 m.w.N.).

b) Letzteres ist hier der Fall. Ausweislich des gerichtlichen Sachverständigengutachten ist die Fahrerin des klägerischen Fahrzeugs mindestens mit einer Geschwindigkeit von 34 km/h gefahren, sofern sie zeitgerecht reagiert hat (vgl. Bl. 114 d.A. und Bl. 118 d.A. sowie Bl. 158 d.A.). Im Falle einer verzögerten Reaktion erhöht sich demzufolge ihre Fahrgeschwindigkeit (vgl. Bl. 158 d.A.). Des Weiteren hat sie nach ihrer eigenen Aussage in der mündlichen Verhandlung vom 06.12.2021 direkt eine Vollbremsung vollzogen, nachdem der Erstbeklagte wieder auf ihre Fahrspur eingeschwenkt ist (vgl. Bl. 61 d.A.). Da die Fahrerin demnach trotz Vollbremsung den Zusammenstoß nicht verhindern konnte, hatte sie den nach § 4 StVO vorgeschriebenen Sicherheitsabstand unterschritten und damit den Überholvorgang eingeleitet.

c) Das hier streitgegenständliche Fahrmanöver der Klägerseite war schon deshalb unzulässig, weil die Fahrerin unzulässigerweise rechts überholen wollte. Gemäß § 5 Abs. 1 StVO darf nämlich grundsätzlich nur links überholt werden, es sei denn, das Rechtsüberholen ist ausnahmsweise erlaubt. Ein solcher Ausnahmetatbestand ist indes nicht dargetan. Gemäß § 5 Abs. 7 Satz 1 StVO ist ein Linksabbieger nur dann zulässigerweise rechts zu überholen, wenn er seine Abbiegeabsicht (durch Fahrtrichtungsanzeiger) angekündigt und sich entsprechend einordnet oder in anderer Weise seine Abbiegeabsicht eindeutig zutage tritt. Daran mangelt es – unabhängig davon, dass der Erstbeklagte auch gar nicht links abbiegen wollte – im vorliegenden Fall schon deshalb, weil der Erstbeklagte unstreitig den linken Fahrtrichtungsanzeiger nicht gesetzt hatte. Die weiteren Ausnahmetatbestände des § 7 Abs. 3 StVO bzw. der § 7 Abs. 2 und Abs. 2a StVO sind ebenfalls – wie schon das Amtsgericht korrekterweise ausgeführt hat – nicht gegeben. War demnach ein Überholen schon nach § 5 Abs. 1 StVO untersagt, bedarf es unter den gegebenen Umständen keiner abschließenden Entscheidung, ob auch eine unklare Verkehrslage vorlag, die zu einem Überholverbot gemäß § 5 Abs. 3 Nr. 1 StVO führen würde.

d) Anders als die Klägerseite meint, war der Unfall für die Fahrerin auch nicht unvermeidbar. Wie der Gerichtssachverständige in seinem Gutachten nachvollziehbar dargelegt hat, ergibt sich eine Unvermeidbarkeit lediglich dann, wenn die Reaktionsaufforderung der Fahrerin erst in dem Abbiegevorgang des Beklagtenfahrzeugs in die Grundstückseinfahrt zu sehen ist und diese in diesem Moment eine Geschwindigkeit von mehr als 32 km/h gefahren ist (vgl. Bl. 118 d.A.). In seinem Ergänzungsgutachten stellte er klar, dass das Unfallgeschehen für die Klägerseite dann vermeidbar war, wenn die Fahrerin auf einen geplanten Vorbeifahrvorgang rechts am Beklagtenfahrzeug verzichtet und ihre Fahrgeschwindigkeit direkt gedrosselt hätte (vgl. Bl. 158 d.A.). Demnach hat sich der oben genannte Verkehrsverstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO vorliegend konkret ausgewirkt. Denn die Fahrerin hätte – wie das Erstgericht in nicht zu beanstandender Weise festgestellt hat – direkt nach dem Wechsel des Beklagtenfahrzeugs auf die Gegenfahrbahn reagieren müssen, da die Voraussetzungen für ein Rechtsüberholen nicht erfüllt waren und sie bei unveränderter Fahrweise das Beklagtenfahrzeug rechts passiert hätte. Die Reaktionsaufforderung der Fahrerin war demnach schon deutlich vor dem Abbiegevorgang des Beklagtenfahrzeugs in die Grundstückseinfahrt zu sehen, sodass nach den durch den Gerichtssachverständigen festgestellten Tatsachen keine Unvermeidbarkeit für die Klägerseite gegeben ist.

5. Vor diesem Hintergrund begegnet die seitens des Amtsgerichts angenommene Haftungsverteilung von 70% zulasten der Beklagtenseite und 30% zulasten der Klägerseite keinen Bedenken. Vorliegend hat der Erstbeklagte der ihm nach § 9 Abs. 5 StVO obliegenden, gesteigerten Sorgfaltspflicht des in ein Grundstück Abbiegenden nicht genügt. Ein Verstoß gegen diese höchstmögliche Sorgfalt begründet regelmäßig die Alleinhaftung des Abbiegenden, wenn er dem anderen einen Fahrfehler nicht nachweisen kann (vgl. nur OLG München, Urteil vom 29. Oktober 2010 – 10 U 2996/10 –, juris, Rn. 39; Kammer, st. Rspr., Urteile vom 5. April 2012 – 13 S 17/12 – und vom 18. Januar 2013 – 13 S 158/12 –). Hier ist der Klägerseite jedoch ein Verstoß gegen § 5 Abs. 1 StVO zur Last zu legen, woraus die moderate Anhebung der Betriebsgefahr folgt.

6. Der Umfang des geltend gemachten Schadensersatzanspruchs richtet sich nach den §§ 249 ff. BGB.

a) Ausweislich der Berufungsbegründung vom 25.01.2023 (Bl. 217 ff. d.A.) macht die Klägerin nunmehr keinen Nutzungsausfallschaden mehr geltend und hat gegen die durch das Amtsgericht festgestellten Reparaturkosten in Höhe von 4.887,96 Euro sowie die ausgeurteilte Unkostenpauschale in Höhe von 30,00 Euro keine Einwände.

b) Gegen die erstinstanzlich angenommene Wertminderung in Höhe von 650,00 Euro bestehen keine Bedenken, nachdem die Erstrichterin unter Zuhilfenahme des Gerichtssachverständigen einen Mittelwert aus den Ergebnissen der drei grundsätzlich anerkannten Berechnungsmethoden zur Wertminderung gebildet hat. Diese Schadensschätzung i.S.d. § 287 Abs. 1 ZPO (vgl. Freymann/Rüßmann in: Freymann/Wellner, jurisPK-Straßenverkehrsrecht, 2. Aufl., § 249 BGB, Stand: 22.02.2023, Rn. 169) ist nicht zu beanstanden und zweitinstanzlich deshalb nicht zu überprüfen. Denn nach § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht an die Feststellungen des erstinstanzlichen Spruchkörpers grundsätzlich gebunden und kann lediglich überprüfen, ob die Voraussetzungen und Grenzen des § 286 Abs. 1 ZPO gewahrt und eingehalten wurden. Da die Schätzung i.S.d. § 287 ZPO nach richterlichem Ermessen erfolgt, kann das Rechtsmittelgericht lediglich überprüfen, ob die angefochtene Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen wurde; hierbei gelten dieselben Maßstäbe wie bei einer Beweiswürdigung i.S.d. § 286 ZPO (BGH, Urteil vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15 –, juris, Rn. 21). Es dürfen hiernach keine konkreten Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachen begründen. Die Ermessensausübung bzw. Schätzung des erstinstanzlichen Gerichts darf nicht in sich widersprüchlich sein, keinen Denkgesetzen oder allgemeinen Erfahrungssätzen zuwiderlaufen und muss insbesondere Kriterien der Schätzgrundlage erkennen lassen (vgl. zu den Grundsätzen der Beweiswürdigung BGH, Urteil vom 13. September 2016 – VI ZR 654/15 –, juris, Rn. 21 m.w.N.). Zweifel im oben genannten Sinne liegen jedoch erst dann vor, wenn aus Sicht des Berufungsgerichts eine gewisse – nicht notwendig überwiegende – Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass die erstinstanzlichen Feststellungen keinen Bestand haben, sich also ihre Unrichtigkeit herausstellen wird (BGH, Urteil vom 8. Juni 2004 – VI ZR 230/03 –, juris, Rn. 19). Solche Zweifel sind weder ersichtlich noch seitens der Klägerin dargetan.

c) Ferner kann dahinstehen, ob das Erstgericht die geltend gemachten Gutachterkosten zu Unrecht als unbegründet angesehen hat. Denn selbst wenn man die begehrte Summe in Höhe von 1.109,32 Euro ansetzen würde, stünde der Klägerin unter Beachtung der oben genannten Haftungsquote hieraus nur ein Betrag in Höhe von 776,52 Euro zu. Nachdem die Beklagtenseite jedoch vorgerichtlich auf die Gutachterkosten bereits einen Betrag in Höhe von 944,86 Euro gezahlt hat (vgl. Bl. 220 d.A.), wurde die Klägerin schon überobligatorisch befriedigt.

d) Danach ergibt sich unter Beachtung der oben genannten Haftungsquote folgende Schadensberechnung im Übrigen:

Reparaturkosten netto: 4.887,96 Euro

Wertminderung: 650,00 Euro

Unkostenpauschale: 30,00 Euro

Gesamt: 5.567,96 Euro

hiervon 70%: 3.897,57 Euro

Nachdem die Beklagtenseite an die Klägerin hinsichtlich dieser Schadensposten vorgerichtlich bereits 2.584,87 Euro geleistet (vgl. Bl. 21 d.A.) und das Erstgericht weitere 1.312,70 Euro zugesprochen hat, steht dieser demnach kein weiterer Schadensersatzanspruch mehr zu.

7. Zuletzt hat die Erstrichterin zu Recht den Klageantrag zu 2) als unzulässig abgewiesen. Denn dieser Klageantrag war zu unbestimmt, nachdem die Klägerin sich einerseits durch Herrn Rechtsanwalt … hat vertreten lassen (siehe Bl. 20 d.A.) und andererseits auf den Einwand der Beklagtenseite, dass nicht erkennbar sei, von wessen Forderung die Klägerin freigestellt werden solle, eine – auch für die außergerichtliche Vertretung – auf die Rechtsanwälte … ausgestellte Vollmacht vom 16.04.2021 (Bl. 43 d.A.) vorgelegt hat. Nach § 139 Abs. 2 ZPO musste das Amtsgericht auf die Unbestimmtheit des Klageantrags zu 2) auch nicht hinweisen.

8. Ob der nunmehr in der Berufungsinstanz umgestellte Klageantrag zu 2) eine zulässige Klageänderung gemäß § 533 ZPO i.V.m. § 531 Abs. 2 ZPO darstellt, nachdem zwischen den Parteien unstreitig sein dürfte, dass außergerichtlich nur Herr Rechtsanwalt … tätig geworden ist, kann dahinstehen. Denn der Klägerin stünde gemäß § 249 Abs. 1 BGB allenfalls Freistellung hinsichtlich der ihr entstandenen vorgerichtlichen Anwaltskosten aus dem berechtigten Teil ihres Schadensersatzanspruchs (hier: 3.897,57 Euro) zu. Dieser Anspruch umfasst gemäß §§ 2, 13 RVG, Nrn. 2300, 7002, 7008 RVG VV eine 1,3-Geschäftsgebühr (vgl. BGH, Urteil vom 27. Mai 2014 – VI ZR 279/13 –, juris, Rn. 20) in Höhe von 361,40 Euro + 20,00 Euro (Pauschale) + 72,47 Euro (USt) = 453,87 Euro. Dieser Betrag wurde jedoch schon vorgerichtlich an die Klägerin geleistet (vgl. Bl. 6 d.A.), sodass kein weiterer Anspruch besteht.

Die Berufung hat damit offensichtlich keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat im Übrigen keine grundsätzliche Bedeutung. Eine Entscheidung des Berufungsgerichts ist auch nicht zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich. Da weder der Rechtsstreit für die Berufungsklägerseite existenziell wichtig noch das erstinstanzliche Urteil unrichtig begründet ist und auch im Übrigen keine Anhaltspunkte vorliegen, wonach eine mündliche Verhandlung geboten ist, soll die Berufung durch Beschluss zurückgewiesen werden.

 

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