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Autobahnunfall – Aufprall bei Abbremsmanöver zur Vermeidung Kollision mit Fahrspurwechsler

LG München I – Az.: 17 O 5549/17 – Urteil vom 31.10.2018

I. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger weitere 2.436,62 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.08.2016 sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 334,75 Euro zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.08.2016 zu bezahlen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Von den Kosten des Rechtsstreits zahlen der Kläger 71,4 % und die Beklagten samtverbindlich 28,6 %.

III. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagten können die Vollstreckung abwenden durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aus dem Urteil für den Kläger vollstreckbaren Betrags, wenn nicht der Kläger zuvor Sicherheit leistet in Höhe von 110 % des jeweils durch ihn zu vollstreckenden Betrags.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 8.501,81 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten über weitere Schadensersatzansprüche aus einem Unfallereignis am 16.01.2016 auf der A99 auf Höhe der Ausfahrt Neuherberg bei München.

Unfallbeteiligt waren der Kläger mit seinem Fahrzeug VW Passat V6, amtliches Kennzeichen FFB-…, und der Beklagte 2) mit dem bei der Beklagten 1) haftpflichtversicherten Fahrzeug VW Golf VII, amtliches Kennzeichen A-….

Der Kläger befuhr mit einer Geschwindigkeit von ca. 180 km/h die äußerst linke von drei Fahrspuren, der Beklagte 2) befuhr die mittlere Fahrspur. Zu zwischen den Parteien im Einzelnen streitigen Umständen wechselte der Beklagte 2) vor dem klägerischen Fahrzeug von der mittleren auf die linke Fahrspur. Zu ebenfalls zwischen den Parteien streitigen Umständen bremste der Kläger stark ab. Das Fahrzeug kam ins Schleudern, prallte zunächst an die Leitplanke, verließ sodann über die drei Fahrspuren hinwegschleudernd die Fahrbahn und stieß anschließend in den Grünstreifen zwischen der Autobahn und dem Parkplatz gegen die Bäume. Zu einer Berührung zwischen dem klägerischen Fahrzeug und dem Beklagtenfahrzeug kam es nicht.

Der Kläger begehrt mit der Klage Ersatz seiner Schäden wie folgt:

………………

Der Kläger behauptet: Der Beklagte 2) habe, ohne den rückwärtigen Verkehr zu beachten und ohne den Spurwechsel rechtzeitig anzuzeigen, auf die Fahrspur des Klägers gewechselt. Um den Zusammenstoß zu vermeiden, habe der Kläger entsprechend abbremsen müssen, wodurch es zu dem beschriebenen Fahrmanöver gekommen sei. Der Unfall sei aufgrund des Spurwechsels des Beklagtenfahrzeuges verursacht worden.

Der Kläger beantragt:

I. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 8.501,81 Euro nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16.08.2016 zu bezahlen.

II. Die Beklagten werden samtverbindlich verurteilt, an den Kläger 958,19 Euro Kosten der außergerichtlichen Vertretung nebst Zinsen in Höhe von 5 % Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 16. August 2016 zu bezahlen.

Die Beklagten beantragen: Die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagten behaupten: Der Kläger habe das Beklagtenfahrzeug, an welchem der linke Blinker gesetzt gewesen sei und welches mindestens 300 Meter vor ihm die Spur gewechselt habe, offensichtlich aus Unachtsamkeit nicht bemerkt und viel zu spät abgebremst. Ein Fahrspurwechsel des Beklagtenfahrzeuges läge nicht vor. Der Unfall habe in keinem Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel des Beklagtenfahrzeuges gestanden.

Dem Kläger stünde kein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung zu. Es seien allenfalls Vorhaltekosten für 14 Tage ersatzfähig, welche die Beklagten auch beglichen hätten. Ein Nutzungswille werde bestritten. Der Kläger sei unfallbedingt verletzt gewesen und habe gar kein Fahrzeug führen können. Die Beklagten hätten den Schaden am 31.03.2016 reguliert. Es habe sodann einen weiteren Monat gedauert, bis der Kläger sein Ersatzfahrzeug auf sich zugelassen habe, was ebenfalls zeige, dass ein Nutzungswille nicht vorhanden gewesen sei. Vorsorglich werde bestritten, dass der Kläger nicht in der Lage gewesen sei, zuvor ein Fahrzeug zu erwerben.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch informatorische Anhörung des Klägers und des Beklagten 2). Es hat ferner die Zeugen Andrea und Stefan K. und S. uneidlich vernommen. Ferner wurde ein unfallanalytisches Sachverständigengutachten erholt.

Mit Zustimmung der Parteien wurde die Akte der Staatsanwaltschaft München I, Az. 435 Js 149541/16, zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Zur Ergänzung des Tatbestands wird gemäß § 313 Abs. 2 ZPO auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Verhandlungsprotokoll der Sitzung vom 03.07.2018 verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die zulässige Klage ist teilweise begründet.

Der Kläger hat gegen die Beklagten einen Anspruch auf Zahlung weiterer 2.436,62 Euro zuzüglich Nebenforderungen.

1.

Dem Grunde nach haften die Beklagten zu 60 % für die unfallbedingten Schäden des Klägers. Der Verkehrsunfall wurde zur Überzeugung des Gerichts überwiegend durch den Beklagten 2) verursacht, welcher unter Verstoß gegen die Sorgfaltsvorschriften des § 7 Abs. 5 StVO von der mittleren auf die linke, vom Kläger befahrene Fahrspur wechselte. Um eine Kollision mit dem spurwechselnden Beklagtenfahrzeug zu vermeiden, musste der Kläger stark abbremsen. Er prallte gegen die Mittelleitplanke und wurde mit dem Fahrzeug in den Grünstreifen neben der Autobahn geschleudert. Hierdurch kam es zum Schaden an dem klägerischen Fahrzeug.

Jedoch geht das Gericht auch von einer Mithaftung des Klägers aus, der bei widrigen Witterungsverhältnissen die Richtgeschwindigkeit deutlich überschritten hatte und den Unfall andernfalls – bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit – ohne weiteres hätte vermeiden können.

Im Einzelnen:

a)

Autobahnunfall - Aufprall bei Abbremsmanöver zur Vermeidung Kollision mit Fahrspurwechsler
(Symbolfoto: Von ambrozinio/Shutterstock.com)

Der Kläger gab an, mit einer Geschwindigkeit von ca. 180 km/h auf der linken Fahrspur gefahren zu sein. Das Beklagtenfahrzeug habe in einem Abstand von 20 bis 30 Metern von der mittleren auf seine Fahrspur gewechselt. Es habe erst den Blinker gesetzt, als es auf seine (des Klägers) Fahrspur gekommen sei. Um eine Kollision zu vermeiden, habe er stark abbremsen müssen; hierdurch sei es zum Unfall gekommen. Als das Beklagtenfahrzeug rübergezogen sei, habe er nur noch gebremst. Er habe keine Zeit mehr zum Überlegen gehabt.

b)

Der Beklagte 2) berichtete, mit einer Geschwindigkeit von etwa 120 bis 125 km/h auf der mittleren Fahrspur gefahren zu sein. Er habe auf die linke Fahrspur gewechselt und er habe das klägerische Fahrzeug, das sich in einem ausreichenden Abstand befunden habe, gesehen. Die genaue Distanz könne er nicht angeben, aber es seien nicht nur 20 Meter, wie vom Kläger angegeben, gewesen. Er habe den Fahrtrichtungsanzeiger betätigt und sei auf die linke Fahrspur gefahren. Als er schon drüben gewesen sei, ca. eine oder zwei Sekunden, sicherlich nicht 10 Sekunden, habe er gesehen, dass das klägerische Fahrzeug immer näher herangekommen sei. Er habe sich noch gedacht: „Jetzt wird es aber knapp!“.

c)

Der Zeuge K. führte aus, von der linken auf die mittlere Fahrspur gewechselt zu sein, wobei er ca. 130 oder 140 km/h gefahren sei. Er habe gesehen, wie das klägerische Fahrzeug zügig links an ihm vorbeigefahren sei. Er habe noch zu seiner Frau gesagt: „Der ist aber schnell unterwegs!“. Der Kläger sei auf jeden Fall deutlich schneller als er gefahren, wobei er nicht sagen könne, ob dieser 160 km/h, 180 km/h oder 200 km/h gefahren sei.

Etwa in einem Abstand von 200 bis 300 Metern vor ihm habe sich das Beklagtenfahrzeug befunden. Dieses habe den linken Blinker gesetzt und habe auf die linke Fahrspur wechseln wollen. Es habe dann offensichtlich bemerkt, dass sich das klägerische Fahrzeug angenähert habe und sei wieder auf die mittlere Fahrspur zurückgefahren. Er, der Zeuge, habe sich noch gedacht, dass es jetzt aber knapp werde. Im selben Moment habe der Kläger ziemlich stark abgebremst, sei an die Leitplanke gekommen und auf den Grünstreifen geschleudert. Zu einer Kollision der Fahrzeuge sei es nicht gekommen.

d)

Die Zeugin K. gab an, auf der mittleren Fahrspur gefahren zu sein, mit welcher Geschwindigkeit, könne sie nicht sagen. Plötzlich habe sie ein Fahrzeug links überholt, es sei quasi „vorbei geschossen“. Ihr Mann habe noch gesagt: „Ui, das ist aber schnell!“. Daraufhin habe sie von ihrem Handy hoch geschaut und das klägerische Fahrzeug sei mit der Leitplanke kollidiert. Was dazwischen gewesen sei, könne sie nicht sagen; auch zu dem Beklagtenfahrzeug und dessen Fahrverhalten könne sie keine Angaben machen.

e)

Der Zeuge S. führte aus, Beifahrer im klägerischen Fahrzeug gewesen zu sein. Den Kläger kenne er seit Kindertagen. Dieser sei mit einer Geschwindigkeit von etwa 160 bis 170 km/h auf der linken Fahrspur gefahren. Er habe in einer Entfernung von etwa 500 bis 700 Metern das Beklagtenfahrzeug auf der mittleren Fahrspur vor dem klägerischen Fahrzeug gesehen. Als man auf Höhe des Beklagtenfahrzeuges gewesen sei, in einem Abstand von etwa 20 oder 30 Metern, sei dieses plötzlich ohne Blinker auf ihre Fahrspur gefahren. Der Kläger habe sodann abbremsen müssen und sei aufgrunddessen mit der Leitplanke kollidiert.

f)

Bei Würdigung aller dargestellten Aussagen der Parteien wie der Zeugen hat das Gericht keinerlei Zweifel daran, dass der Fahrspurwechsel des Beklagtenfahrzeugs im unmittelbaren örtlichen und zeitlichen Zusammenhang mit dem Abbrems- und Ausweichmanöver des klägerischen Fahrzeugs stand. In Einklang mit der Aussage des Klägers schilderte auch der völlig unbeteiligte Zeuge K. glaubhaft, dass das Beklagtenfahrzeug auf die linke Fahrspur habe wechseln wollen und der Kläger sodann stark abgebremst habe.

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Den schriftsätzlichen Beklagtenvortrag, wonach der Unfall in keinem Zusammenhang mit einem Fahrspurwechsel des Beklagtenfahrzeugs gestanden sei bzw. ein Fahrspurwechsel des Beklagtenfahrzeuges gar bestritten wurde, vermochte auch der Beklagte 2) selbst nicht zu bestätigen. Dieser gab, wie dargestellt, vielmehr an, dass er sich lediglich ein bis zwei Sekunden auf der linken Fahrspur befunden habe, als sich das klägerische Fahrzeug genähert habe und er sich gedacht habe, dass es jetzt aber knapp werde. Mithin gab auch der Beklagte 2) an, dass das Unfallgeschehen des klägerischen Fahrzeuges im unmittelbaren Zusammenhang mit dem Fahrspurwechsel des Beklagtenfahrzeuges erfolgt sei.

g)

Der Sachverständige Dipl.-Ing. M. führte aus, dass aus dem Protokoll der Wechselverkehrszeichen hervorgehe, dass zum Unfallzeitpunkt an den drei Schilderbrücken vor der Unfallstelle jeweils das Warnschild „Vorsicht Glätte“ angezeigt gewesen sei. Ein Geschwindigkeitslimit sei zum Unfallzeitpunkt nicht angeordnet gewesen.

Anhand der vorgenommenen Modellrechnungen lasse sich feststellen, dass sich der Vortrag der Klagepartei hinsichtlich einer Notbremsung aufgrund des Spurwechsels des Beklagtenfahrzeuges technisch nachvollziehen lasse. Ein Spurwechsel sei ein plausibler Auslöser für eine Vollbremsung und damit auch für einen Stabilitätsverlust des klägerischen Fahrzeuges und das nachfolgende Abkommen von der Fahrbahn.

Der Beklagte 2) hätte den Unfall vermeiden können, wenn er auf den Spurwechsel nach links verzichtet hätte. Für den Kläger wäre der Unfall vermeidbar gewesen, wenn er mit der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h gefahren wäre. In diesem Fall wäre allenfalls eine geringe Betriebsbremsung erforderlich gewesen. Zu einem Ausbrechen des Fahrzeuges mit der Folge des Unfalls wäre es sodann nicht gekommen.

Diesen Feststellungen des Sachverständigen schließt sich das Gericht vollumfänglich an und macht sie sich zu Eigen. Der Sachverständige M. ist dem Gericht aus zahlreichen Verfahren als äußerst sorgfältiger und fachkundiger Gutachter bekannt. Auch die Parteien haben keine Einwände gegen die Feststellungen des Sachverständigen erhoben.

h)

Unter Berücksichtigung der beiderseitigen Mitverursachungs- und Mitverschuldensbeiträge gemäß § 17 Abs. 1, Abs. 2 StVG ergibt sich somit eine überwiegende Haftung der Beklagtenpartei für das Unfallgeschehen.

Entscheidend ist für das Gericht die Tatsache, dass sich auf der linken Fahrspur das klägerische Fahrzeug befand und der Kläger aufgrund des Spurwechselmanövers des Beklagtenfahrzeugs seinerseits abbremsen musste, um eine Kollision zwischen den Parteifahrzeugen zu vermeiden. Das Fahrmanöver des klägerischen Fahrzeugs mit der anschließenden Schadensverursachung am selbigen Fahrzeug ist daher adäquat kausal und zurechenbar durch das Spurwechselmanöver des Beklagtenfahrzeugs verursacht worden. Da der Kläger durch den Spurwechsel des Beklagten 2) zu einem Ausweichmanöver gezwungen wurde, steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass der Beklagte 2) mit dem Spurwechsel gegen § 7 Abs. 5 StVO verstoßen hat. Wenn der Beklagte 2) meinte, er sei davon ausgegangen, dass sich das klägerische Fahrzeug noch in einer ausreichenden Entfernung befunden habe, ist dies nur durch eine objektiv nicht nachvollziehbare Fehleinschätzung der Situation zu erklären. Da er das sich nähernde klägerische Fahrzeug gesehen hatte, hätte er in jedem Fall von einem Fahrspurwechsel Abstand nehmen können und müssen.

Jedoch trifft nach Überzeugung des Gerichts auch den Kläger eine Mithaftung:

Unstreitig ist zunächst, dass der Kläger die Richtgeschwindigkeit von 130 km/h mit den von ihm gefahrenen circa 180 km/h deutlich überschritten hatte.

Das Gericht verkennt dabei nicht, dass die Überschreitung der Richtgeschwindigkeit nicht automatisch zu einer Mithaftung führt. Denn wie sich aus § 1 der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung ergibt, handelt es sich bei der Autobahn-Richtgeschwindigkeit lediglich um eine Empfehlung. Jedoch rechtfertigt eine Überschreitung der Richtgeschwindigkeit die Annahme eines Mitverschuldens, wenn nicht nachweisbar ist, dass der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit nicht zu verhindern gewesen wäre (siehe nur BGH NJW 1992, 1684; Burmann in B/H/H/J-Straßenverkehrsrecht, 25. Auflage, § 3 StVO Rn. 59).

Insoweit sind stets die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen.

Vorliegend gilt Folgendes: Zum Unfallzeitpunkt waren – wie der Sachverständige ausführte – an bzw. vor der Unfallörtlichkeit Warnschilder „Vorsicht Glätte“ angezeigt. Auch auf den Lichtbildern in der beigezogenen Ermittlungsakte ist zu erkennen, dass der Grünstreifen neben der Fahrbahn schneebedeckt und die Fahrbahn selbst nass war.

§ 1 der Autobahn-Richtgeschwindigkeits-Verordnung normiert: „Den Führern von Personenkraftwagen (…) wird empfohlen, auch bei günstigen Straßen-, Verkehrs-, Sicht und Wetterverhältnissen 1. auf Autobahnen (…) nicht schneller als 130 km/h zu fahren.“

Dies bedeutet, dass sich der Empfehlungscharakter der Verordnung explizit auf günstige Straßen-, Wetterverhältnisse etc. bezieht. Hiervon kann jedoch keine Rede sein, wenn – wie vorliegend – Schnee liegt bzw. die Fahrbahn nass ist und Warnschilder vor Glätte warnen. Dies steht auch im Einklang mit § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO, wonach die Geschwindigkeit insbesondere den Straßen-, Verkehrs-, Sicht- und Wetterverhältnissen anzupassen ist. Dafür, dass sich Kläger diesem Gebot widersetzte, sprechen nach Auffassung des Gerichts auch die Aussagen der Zeugen K., die glaubhaft schilderten, selbst deutlich langsamer gefahren und über den rasanten Fahrstil des Klägers erstaunt gewesen zu sein.

Daneben ist wie dargestellt zu berücksichtigen, dass der Kläger – wie der Sachverständige glaubhaft betonte – ein Ausbrechen des Fahrzeuges mit der Folge eines Unfalls bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit durch geringe Betriebsbremsung hätte vermeiden können.

Damit hat der Kläger die Richtgeschwindigkeit nicht nur deutlich überschritten. Er hat auch nicht zu beweisen vermocht, dass der Unfall auch bei Einhaltung der Richtgeschwindigkeit von 130 km/h nicht hätte vermieden werden können.

Bei Berücksichtigung all dieser Umstände hält das Gericht daher vorliegend eine Mithaftung der Klageseite von 40 % für angemessen und geboten.

Denn es liegt hier gerade kein Fall vor, in dem lediglich die Betriebsgefahr des klägerischen Fahrzeuges den Ersatzanspruch des Klägers mindert (so etwa OLG Hamm NZV 2000, 42; OLG Nürnberg NJW 2011, 1154). Über die deutliche Überschreitung der Richtgeschwindigkeit hinaus ist hier in besonderem Maße auch die den Witterungsverhältnissen völlig unangepasste, rücksichtslose und damit einen Verstoß gegen § 3 Abs. 1 Satz 1 StVO begründende Fahrweise des Klägers zu berücksichtigen. Auch massives Verschulden eines Unfallgegners führt nicht zu einem Freibrief, bei widrigen Witterungsverhältnissen (“Vorsicht Glätte!“) mit einem erheblich über der Richtgeschwindigkeit liegenden Tempo auf der Autobahn zu fahren und bei einem dann erfolgten Unfall jede Haftung von sich zu weisen (ebenso OLG Stuttgart NJW-RR 2010, 604 im Falle eines bei Nachtzeit deutlich über der Richtgeschwindigkeit fahrenden Fahrzeuges).

2.

Unter Berücksichtigung der Haftungsverteilung 40:60 zu Lasten der Beklagten hat der Kläger einen Anspruch auf Zahlung weiterer 2.436,62 Euro zuzüglich Nebenforderungen.

a)

Bezogen auf den Wiederbeschaffungswert kann der Kläger von den Beklagten weitere 347,50 Euro verlangen (60 % von 3.476,00 Euro abzgl. 1.737,50 Euro).

Bezüglich der Abmeldekosten stehen dem Kläger weitere 0,74 Euro zu (60 % von 7,40 Euro abzgl. 3,70 Euro).

Hinsichtlich der Schadensposition „Rechnung Firma X“ stehen dem Kläger noch 122,99 Euro zu (60 % von 1.229,92 Euro abzgl. 614,96 Euro).

Von den geltend gemachten Sachverständigenkosten kann der Kläger noch 60,44 Euro verlangen (60 % von 604,40 Euro abzgl. 302,20 Euro).

Bezogen auf die Unkostenpauschale kann der Kläger keine weitere Zahlung verlangen. Diese beträgt nach der ständigen Rechtsprechung Münchner Verkehrsgerichte 25,00 Euro, sodass bei Berücksichtigung der Haftungsquote und der bereits erfolgten Zahlung kein weiterer Anspruch verbleibt (60 % von 25,00 Euro abzgl. 15,00 Euro).

b)

Ausgehend von der genannten Haftungsquote steht dem Kläger eine Nutzungsausfallentschädigung vom 28.01.2016 bis 14.04.2016 (78 Tage zu je 43,00 Euro) in Höhe von 1.904,95 Euro zu.

aa)

Der Geschädigte hat grundsätzlich für die Dauer, in der er sein Fahrzeug unfallbedingt nicht nutzen kann, einen Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung. Das Fahrzeug war nicht fahrbereit, sodass es tatsächlich nicht nutzbar war.

Ein Anspruch auf Nutzungsausfallentschädigung setzt zudem einen Nutzungswillen und eine Nutzungsmöglichkeit voraus. In der Regel ist bei dem Besitzer eines Kraftfahrzeugs von einem Nutzungswillen auszugehen.

Der Kläger hat angegeben, er sei infolge des Unfalls verletzt gewesen und ins Krankenhaus gebracht worden. Insgesamt sei er vier Wochen lang krankgeschrieben, d.h. er habe in dieser Zeit nicht arbeiten können. Er benötige auch privat ein Fahrzeug, etwa um damit zum Sport zu gelangen. Nach dem Unfall habe er erst langsam wieder mit dem Sport begonnen. Etwa 1,5 bis 2 Wochen nach dem Unfall habe er wieder mit dem Auto fahren können. Er habe einen Dienstwagen gehabt, den er aber nur dienstlich habe nutzen können. Einige Zeit nach dem Unfall habe er sich für 1.300,00 Euro ein neues Fahrzeug angeschafft. Bis dahin habe er kein Geld für ein neues Fahrzeug gehabt; er habe daher zunächst auf die erste Zahlung der Versicherung gewartet. Er habe das Neufahrzeug am 25.04.2016 auf sich zugelassen. Er habe erst einige Zeit nach einem Neufahrzeug suchen müssen, daher habe sich das Ganze ein wenig gezogen.

Seitens des Klägervertreters wurde in der öffentlichen Sitzung ausgeführt, dass die Zahlung der Versicherung erst am 05.04.2016 bei ihm eingegangen sei.

Das Gericht hält die Angaben des Klägers für glaubhaft. Es hat keinen Anhaltspunkt, am Wahrheitsgehalt seiner Aussage, deren Richtigkeit die Beklagten sodann auch nicht mehr bestritten haben, zu zweifeln.

Ausgehend von seiner Angabe, er habe aufgrund seiner Verletzung etwa 1,5 bis 2 Wochen nach dem Unfall wieder Autofahren können, geht das Gericht von einer fehlenden Nutzungsmöglichkeit des Klägers von 12 Tagen, mithin bis einschließlich 27.01.2016 aus.

Ab dem 28.01.2016 bestand damit eine Nutzungsmöglichkeit, ebenso ein Nutzungswillen des Klägers.

bb)

Soweit die Beklagten vortragen, gegen den Nutzungswillen des Klägers spreche, dass dieser nach Teilregulierung des Schadens am 31.03.2016 einen Monat zugewartet habe, bis er das Ersatzfahrzeug auf sich zugelassen habe, ist Folgendes zu berücksichtigen:

Zunächst ist zu sehen, dass die Einlassung des Klägers, er sei finanziell nicht in der Lage gewesen, ein Fahrzeug zu erwerben, zur Überzeugung des Gerichts glaubhaft ist. Hierfür spricht insbesondere der Umstand, dass dem Kläger in diesem Verfahren Prozesskostenhilfe bewilligt wurde. Die Beklagte 1) wurde mit Schreiben vom 29.01.2016 (Anlage K10) ferner darauf hingewiesen, dass der Kläger nicht in der Lage sei, die Kosten für ein Ersatzfahrzeug vorzufinanzieren. Ein diesbezüglicher Verstoß gegen seine Schadensminderungspflicht ist dem Kläger demnach nicht anzulasten; ein solcher wird beklagtenseits auch nicht behauptet.

Soweit der Kläger vortrug, er habe das Neufahrzeug erst am 25.04.2016 auf sich zugelassen, da er noch „einige Zeit“ nach einem Neufahrzeug habe suchen müssen, erachtet das Gericht diesen Vortrag für unsubstantiiert und sieht hierin einen Verstoß gegen die Schadensminderungspflicht des Klägers. Denn bereits mit Erhalt bzw. Eingang des Schreibens der Beklagten 1) vom 31.03.2016 am 04.04.2016 (Anlage K13) – und nicht erst mit tatsächlichem Zahlungseingang – war dem Kläger bekannt, welchen Zahlungsbetrag er erhalten würde. Das Gericht billigt dem Kläger vor diesem Hintergrund für die Dauer der Ersatzbeschaffung einen Zeitraum von 10 Tagen, d.h. einen Nutzungsausfall bis zum 14.04.2016 zu, wobei es insoweit auch berücksichtigt, dass der Kläger letztlich ein im Vergleich zum geltend gemachten Wiederbeschaffungswert deutlich günstigeres Fahrzeug erworben hat, sodass die im Sachverständigengutachten angesetzte Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen nicht anzusetzen ist. Ebenfalls vertritt das Gericht die Auffassung, dass dem Kläger – bei bestehendem Nutzungswillen – auch schon im Vorfeld der Zahlung zuzumuten war, entsprechende Erkundigungsmöglichkeiten hinsichtlich etwaiger Ersatzfahrzeuge anzustellen, sodass auch vor diesem Hintergrund die angenommene Dauer für die Ersatzbeschaffung angemessen erscheint.

cc)

Der Höhe nach kann der Kläger pro Tag Nutzungsausfall in Höhe von 43,00 Euro verlangen.

Dabei kann zunächst von der Eingruppierung des Fahrzeugs des Klägers als Neufahrzeug in die gruppe G der Tabelle nach Sanden/Danner/Küppersbusch, die insofern als geeignete Schätzgrundlage anerkannt ist, mit einem Tagessatz von 59,00 Euro ausgegangen werden. Da das klägerische Fahrzeug, ein VW Passat Syncro, nicht mehr produziert wird, hat das Gericht dessen Nachfolgemodell, VW Passat 4Motion, mit identischer Motorleistung (142 kW), als Vergleichsfahrzeug herangezogen. Das Fahrzeug des Klägers war zum Unfallzeitpunkt aber über 10 Jahre, sodass entsprechend der obergerichtlichen Rechtsprechung eine Herabstufung um zwei Fahrzeuggruppen vorzunehmen war. Das klägerische Fahrzeug ist somit der Gruppe E zuzuordnen; diese entspricht einem Tagessatz von 43,00 Euro.

Das Gericht sieht entgegen der Auffassung der Beklagten keine Veranlassung, generell bei älteren Fahrzeugen, d.h. bei über 10 Jahre alten Fahrzeugen, nur nach Vorhaltekosten zu rechnen. Denn das Alter eines Kraftfahrzeuges allein beeinflusst nicht den Gebrauchsvorteil, welchen der Geschädigte aus der Nutzung des Fahrzeugs hätte ziehen können. Vorliegend haben die Beklagten nicht vorgetragen, dass das klägerische Fahrzeug mit zahlreichen erheblichen Mängeln behaftet gewesen sei, welche den Nutzungswert wesentlich beeinträchtigen (mit der Folge, dass nur die Vorhaltekosten zu Grunde zu legen wären). Vielmehr ergibt sich gerade aus dem Sachverständigengutachten, dass sich das Fahrzeug vor dem Schadenereignis in sehr gut gepflegtem Zustand befunden habe. Es verbleibt demnach bei der bloßen Herabstufung um zwei Fahrzeugklassen (siehe zu allem nur BGH NJW 2005, 277).

dd)

Die Nutzungsausfallentschädigung für 78 Tage beträgt 3.354,00 Euro. Dies ergibt nach Anwendung der Haftungsquote einen Betrag von 2.012,40 Euro. Nach Abzug der bereits geleisteten 107,45 Euro verbleibt ein Betrag von noch 1.904,95 Euro, den der Kläger verlangen kann.

3.

Die zugesprochenen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von 334,75 Euro wurden auf Basis einer 1,3-Gebühr zuzüglich Auslagenpauschale und Mehrwertsteuer einem dem zugesprochenen Betrag entsprechenden Gegenstandswert entnommen.

4.

Der Zinsanspruch seit dem 16.08.2016 folgt aus §§ 286 Abs. 2 Nr. 3, 288 BGB

II.

Die Festsetzung des Streitwerts ergibt sich aus § 3 ZPO.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Satz 1, 2. Alt. ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 ZPO.

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