Verkehrsunfall-Wertminderung: Gericht entscheidet für volle Erstattung ohne Umsatzsteuerabzug
Das vorliegende Urteil des Amtsgerichts Augsburg (Az.: 15 C 104/23) entscheidet, dass eine merkantile Wertminderung nach einem Verkehrsunfall in vollem Umfang ohne Abzug der Vorsteuer zu erstatten ist, wobei es sich um einen Entschädigungsanspruch gemäß § 251 BGB handelt und nicht um eine Schadensersatzposition nach § 249 Abs. 2 BGB. Das Gericht weist der Klägerin einen Schadensersatz in Höhe von 39,92 € zu und betont, dass die Wertminderung unabhängig vom Steuerstatus des Geschädigten zu schätzen ist.
Übersicht:
- Verkehrsunfall-Wertminderung: Gericht entscheidet für volle Erstattung ohne Umsatzsteuerabzug
- ✔ Das Wichtigste in Kürze
- ➜ Der Fall im Detail
- ✔ Häufige Fragen – FAQ
- Was ist unter merkantiler Wertminderung zu verstehen?
- Warum wird die Umsatzsteuer bei der Erstattung der merkantilen Wertminderung nicht berücksichtigt?
- Wie wird die Höhe der merkantilen Wertminderung bestimmt?
- Inwiefern unterscheidet sich ein Entschädigungsanspruch von einem Schadensersatzanspruch?
- Warum spielt der Steuerstatus des Geschädigten bei der merkantilen Wertminderung keine Rolle?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- Das vorliegende Urteil
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✔ Das Wichtigste in Kürze
- Eine merkantile Wertminderung nach einem Verkehrsunfall ist vollständig zu erstatten, unabhängig von der Vorsteuerabzugsberechtigung des Geschädigten.
- Der Entschädigungsanspruch basiert auf § 251 BGB und zielt darauf ab, den immateriellen Verlust zu kompensieren, der trotz Reparatur durch die Unfallvorgeschichte entsteht.
- Die Klägerin erhält eine Entschädigung von 39,92 €.
- Das Urteil stützt sich auf die Rechtsauffassung, dass die merkantile Wertminderung nicht als direkter Schadensersatz nach § 249 Abs. 2 BGB, sondern als Entschädigung für einen immateriellen Wertverlust anzusehen ist.
- Die Berechnung der Wertminderung erfolgt unabhängig vom Steuerstatus des Geschädigten, da sie nicht auf realen Auswirkungen basiert, sondern auf der potenziellen Reaktion des Marktes auf ein unfallbeschädigtes Fahrzeug.
- Das Gericht lehnt den Abzug der Mehrwertsteuer ab und folgt damit der Rechtsprechung anderer Gerichte.
- Die Entscheidung unterliegt der richterlichen Schätzung und berücksichtigt die Tatsache, dass sich die merkantile Wertminderung möglicherweise nie realisiert.
- Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar, und die Berufung ist zugelassen.
Unfallfahrzeuge und der Wertverlust auf dem Gebrauchtwagenmarkt
Nach der Reparatur eines Unfallfahrzeugs ist dieses technisch zwar wieder in einem einwandfreien Zustand. Dennoch bleibt oftmals ein sogenannter merkantiler Minderwert bestehen. Dieser beschreibt die Wertminderung, die beim Wiederverkauf eines Gebrauchtfahrzeugs mit Unfallvorgeschichte häufig zu erwarten ist.
Potenzielle Käufer sind beim Erwerb solcher Fahrzeuge aufgrund möglicher Vorbehalte und Restzweifel meist nur zu einem geringeren Preis bereit. Diesen immateriellen Wertverlust müssen Geschädigte bei Unfallschäden häufig als zusätzliche Entschädigungsposition geltend machen. Strittig ist dabei insbesondere die Frage, ob ein Vorsteuerabzugsberechtigter die Umsatzsteuer auf den Minderwert erstattet bekommt.
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➜ Der Fall im Detail
Merkantile Wertminderung vollständig erstattungsfähig
Im Kern des vorliegenden Falls steht die Frage, ob und inwieweit eine merkantile Wertminderung eines Fahrzeugs nach einem Verkehrsunfall erstattet werden muss, insbesondere in Bezug auf die Umsatzsteueranteile.
Die juristische Auseinandersetzung entbrannte zwischen zwei Parteien, nachdem bei einem Verkehrsunfall ein Fahrzeug beschädigt wurde und repariert werden musste. Dabei ging es nicht nur um die Kosten für die Reparatur selbst, sondern auch um die Wertminderung, die das Fahrzeug durch den Unfall erlitten hatte. Die Klägerin forderte die Erstattung dieser Wertminderung in vollem Umfang, also ohne die Herausrechnung der Umsatzsteuer, was die Beklagte jedoch ablehnte.
Die Entscheidung des Amtsgerichts Augsburg
Das Amtsgericht Augsburg (Az.: 15 C 104/23) gab der Klägerin Recht und entschied, dass die merkantile Wertminderung ohne Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberechtigung zu erstatten ist. Das Gericht begründete seine Entscheidung damit, dass es sich bei der merkantilen Wertminderung um einen Entschädigungsanspruch im Sinne des § 251 BGB handelt und nicht um eine Schadensersatzposition nach § 249 Abs. 2 BGB. Diese Unterscheidung ist entscheidend, da die merkantile Wertminderung den Verlust darstellt, den das Fahrzeug trotz Reparatur auf dem Gebrauchtwagenmarkt erleidet, allein aufgrund der Tatsache, dass es einmal in einen Unfall verwickelt war.
Begründung der Wertminderung
Das Gericht führte weiter aus, dass die merkantile Wertminderung den immateriellen Verlust abbildet, den ein Fahrzeug durch seine Unfallgeschichte erleidet – unabhängig davon, ob es technisch einwandfrei repariert wurde. Der Bundesgerichtshof hatte zuvor in ähnlichen Fällen klargestellt, dass diese Wertdifferenz einen unmittelbaren Sachschaden darstellt. Das Argument, dass der Schädiger den Zustand des Fahrzeugs so wiederherstellen soll, wie er ohne den Unfall wäre, lässt sich bei der merkantilen Wertminderung nicht anwenden. Denn der Schädiger kann nicht beeinflussen, wie potenzielle Käufer das einmal unfallbeschädigte Fahrzeug wahrnehmen.
Kein Abzug der Mehrwertsteuer
Entscheidend für die Argumentation des Gerichts war, dass die merkantile Wertminderung einen Schaden darstellt, der nicht direkt quantifizierbar und somit der richterlichen Schätzung unterworfen ist. Dabei spielt der Steuerstatus des Geschädigten keine Rolle. Die Praxis, die Mehrwertsteuer herauszurechnen, wenn der Geschädigte zum Vorsteuerabzug berechtigt ist, fand hier keine Anwendung. Das Gericht folgte der Logik, dass der merkantile Minderwert auch dann besteht, wenn sich der finanzielle Nachteil nie realisiert – etwa wenn das Fahrzeug nicht verkauft wird.
Das Urteil im rechtlichen Kontext
Mit dieser Entscheidung unterstrich das Amtsgericht Augsburg die Bedeutung des Entschädigungsanspruchs bei merkantilen Wertminderungen. Die Argumentation, dass der Entschädigungsanspruch unabhängig von der realen Wertminderung oder dem Steuerstatus des Geschädigten besteht, betont die Eigenständigkeit dieses Rechtsanspruchs. Der Geschädigte erhält somit eine Kompensation für einen Verlust, der in den Augen potenzieller Käufer besteht, unabhängig davon, ob dieser Verlust sich finanziell manifestiert.
✔ Häufige Fragen – FAQ
Was ist unter merkantiler Wertminderung zu verstehen?
Die merkantile Wertminderung bezeichnet den Wertverlust eines Fahrzeugs nach einem Unfall, der trotz fachgerechter Reparatur bestehen bleibt. Selbst wenn das Auto nach der Instandsetzung keine sichtbaren Mängel mehr aufweist, wird es als Unfallwagen einen geringeren Verkaufspreis erzielen als ein vergleichbares, unfallfreies Fahrzeug.
Dieser Minderwert entsteht, weil potenzielle Käufer befürchten, dass trotz Reparatur versteckte Mängel vorhanden sein könnten, die erst später zu Problemen führen. Zudem besteht bei Unfallfahrzeugen eine Offenbarungspflicht gegenüber dem Käufer, was den erzielbaren Preis zusätzlich mindert.
Die Höhe der merkantilen Wertminderung hängt von verschiedenen Faktoren ab, wie dem Fahrzeugalter, der Laufleistung, dem Umfang der Reparatur und dem Wiederbeschaffungswert. Je neuer das Fahrzeug und je höher die Reparaturkosten, desto größer fällt die Wertminderung in der Regel aus. Bei Neufahrzeugen kann sie bis zu 25% der Reparaturkosten betragen.
Nach deutschem Recht hat der Geschädigte bei einem unverschuldeten Unfall Anspruch auf Erstattung der merkantilen Wertminderung durch die gegnerische Haftpflichtversicherung. Dies gilt auch bei fiktiver Abrechnung, also wenn der Schaden nicht tatsächlich repariert wird. Bei Bagatellschäden oder Fahrzeugen, die älter als 5 Jahre sind bzw. über 100.000 km Laufleistung haben, wird die Wertminderung von Versicherungen aber häufig nicht anerkannt.
Warum wird die Umsatzsteuer bei der Erstattung der merkantilen Wertminderung nicht berücksichtigt?
Die Umsatzsteuer wird bei der Erstattung der merkantilen Wertminderung nach einem Verkehrsunfall nicht berücksichtigt, weil es sich bei der Wertminderung um einen echten Schadensersatz handelt, der mangels Leistungsaustausch nicht der Umsatzsteuer unterliegt.
Im Gegensatz zu einem unechten Schadensersatz, bei dem eine Gegenleistung für eine erbrachte Leistung vorliegt und somit Umsatzsteuer anfällt, dient der echte Schadensersatz ausschließlich dazu, einen entstandenen Schaden auszugleichen. Es fehlt die für die Umsatzsteuerpflicht notwendige Verknüpfung zwischen Leistung und Gegenleistung.
Die merkantile Wertminderung stellt einen Wertverlust dar, den ein Fahrzeug trotz fachgerechter Reparatur nach einem Unfall auf dem Gebrauchtwagenmarkt erleidet. Sie ist Resultat eines „Kräfteaustausches“ zwischen Schädiger und Geschädigtem und nicht eines umsatzsteuerbaren Leistungsaustauschs.
Gemäß § 249 BGB hat der Schädiger zwar den Zustand herzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestünde. Die Umsatzsteuer ist dabei aber nur zu ersetzen, wenn sie tatsächlich angefallen ist. Da der Geschädigte die Wertminderung jedoch nicht versteuern muss, wäre deren Erstattung inklusive Umsatzsteuer eine ungerechtfertigte Bereicherung.
Entscheidend ist die Vermögensbilanz: Muss der Geschädigte sein Fahrzeug unfallbedingt günstiger verkaufen, mindert sich sein Vermögen nur um den Nettobetrag der Wertminderung. Nur dieser ist daher als echter, steuerneutraler Schadensersatz zu erstatten.
Wie wird die Höhe der merkantilen Wertminderung bestimmt?
Die Höhe der merkantilen Wertminderung wird im Rahmen der Schadensregulierung nach einem Unfall von einem Kfz-Sachverständigen in seinem Gutachten festgelegt. Dabei gibt es keine einheitliche Berechnungsmethode, sondern der Gutachter wendet je nach Einzelfall unterschiedliche Modelle an und bezieht seine Expertise und Erfahrung mit ein.
Zu den wichtigsten Kriterien, die in die Berechnung einfließen, zählen:
- Fahrzeugalter und Laufleistung: Je neuer das Fahrzeug, desto höher fällt die Wertminderung aus. Bei Autos, die älter als 5 Jahre sind oder mehr als 100.000 km gelaufen haben, wird oft gar kein merkantiler Minderwert mehr anerkannt.
- Zustand vor dem Unfall, Anzahl der Vorbesitzer und Marktgängigkeit des Modells
- Höhe der Reparaturkosten im Verhältnis zum Wiederbeschaffungswert: Hohe Reparaturkosten führen zu einer stärkeren Wertminderung.
- Art und Umfang der Reparatur, z.B. Austausch sicherheitsrelevanter Teile
Gängige Berechnungsmodelle sind u.a. die Ruhkopf-Sahm-Formel, das Hamburger Modell oder die Marktrelevanz- und Faktorenmethode (MFM). Als grobe Faustformel gilt: Im ersten Jahr beträgt die Wertminderung 25% der Reparaturkosten, im zweiten 20%, im dritten 15% und im vierten Jahr 10%.
Letztlich handelt es sich aber immer um eine Schätzung, die im Streitfall auch richterlich überprüft werden kann. Weicht das Gericht begründet vom Gutachten ab, ist dies möglich. Meist bildet das Sachverständigengutachten aber die Grundlage für die Festsetzung der Wertminderung.
Inwiefern unterscheidet sich ein Entschädigungsanspruch von einem Schadensersatzanspruch?
Ein Entschädigungsanspruch unterscheidet sich in mehreren Aspekten von einem Schadensersatzanspruch:
Zielsetzung
- Ein Schadensersatzanspruch zielt darauf ab, den Zustand wiederherzustellen, der ohne das schädigende Ereignis bestanden hätte. Es soll eine vollständige Kompensation des erlittenen Schadens erfolgen.
- Ein Entschädigungsanspruch dient hingegen lediglich als Ausgleich für einen Nachteil oder Entzug, ohne den vorherigen Zustand exakt wiederherzustellen. Die Entschädigung orientiert sich typischerweise am Verkehrswert der entzogenen Sache.
Umfang
- Beim Schadensersatz sind sämtliche unmittelbaren und mittelbaren Schäden zu ersetzen, inklusive entgangenen Gewinns.
- Eine Entschädigung beschränkt sich auf den durch den Entzug entstandenen Vermögensverlust. Folgeschäden wie entgangener Gewinn sind nicht entschädigungsfähig.
Anspruchsgrundlage
- Schadensersatzansprüche ergeben sich aus Verträgen, unerlaubten Handlungen oder gesetzlichen Anspruchsgrundlagen.
- Entschädigungsansprüche basieren meist auf speziellen gesetzlichen Regelungen, z.B. für Enteignungen oder Tätigkeitsverbote.
Zusammengefasst dient der Schadensersatz der vollumfänglichen Kompensation eines Schadens, während eine Entschädigung lediglich einen angemessenen Ausgleich für einen Nachteil oder Entzug schafft. Der Entschädigungsanspruch ist daher im Umfang enger gefasst als der Schadensersatzanspruch.
Warum spielt der Steuerstatus des Geschädigten bei der merkantilen Wertminderung keine Rolle?
Der Steuerstatus des Geschädigten spielt bei der merkantilen Wertminderung keine Rolle, da es sich dabei um einen steuerneutralen Betrag handelt, der keinen Leistungsaustausch im umsatzsteuerrechtlichen Sinne darstellt.
Die merkantile Wertminderung ist Resultat eines „Kräfteaustauschs“ zwischen Schädiger und Geschädigtem und nicht eines Leistungsaustauschs. Sie beziffert lediglich den Wertverlust des Fahrzeugs aufgrund seiner Unfallhistorie, unabhängig davon, ob der Geschädigte das Fahrzeug tatsächlich verkauft oder nicht.
Die Umsatzsteuerpflicht gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG knüpft an einen entgeltlichen Leistungsaustausch an. Da bei der Wertminderung kein solcher Leistungsaustausch vorliegt, fällt auch keine Umsatzsteuer an. Sie ist daher ein steuerneutraler Posten, der unabhängig vom Steuerstatus des Geschädigten zu erstatten ist.
Selbst wenn der Geschädigte vorsteuerabzugsberechtigt ist und das Fahrzeug später tatsächlich verkauft, muss er aus dem Minderwertbetrag keine Umsatzsteuer abführen. Umgekehrt hätte er ohne den Unfall bei einem höheren Verkaufspreis mehr Umsatzsteuer abführen müssen. In der Vermögensbilanz gleichen sich diese Effekte aus.
Die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung ist daher für die Bemessung der Wertminderung irrelevant. Entscheidend ist allein der Wertverlust des Fahrzeugs aufgrund des Unfallschadens, unabhängig von steuerlichen Aspekten.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 251 BGB – Schadensersatz in Geld wegen Nichtvermögensschaden: Dieser Paragraph regelt den Anspruch auf Geldentschädigung, wenn eine Sache nicht in Natur ersetzt werden kann. Im Kontext des vorgegebenen Themas betrifft dies die Entschädigung für die merkantile Wertminderung eines Fahrzeugs nach einem Verkehrsunfall, die unabhängig von der tatsächlichen Instandsetzung und unabhängig vom Steuerstatus des Geschädigten zu leisten ist.
- § 249 Abs. 2 BGB – Art und Umfang des Schadensersatzes: Erklärt, wie Schadensersatz zu leisten ist, insbesondere im Hinblick auf die Reparaturkosten nach einem Verkehrsunfall. Der Paragraph ist relevant, da das Urteil klarstellt, dass die merkantile Wertminderung nicht unter diese Regelung fällt, sondern unter § 251 BGB zu betrachten ist.
- § 287 ZPO – Schadensermittlung und Höhe der Entschädigung: Dieser Paragraph gibt dem Gericht die Befugnis, die Höhe des Schadens nach freiem Ermessen zu schätzen, was insbesondere bei der Bewertung der merkantilen Wertminderung eine Rolle spielt, da diese nicht immer exakt quantifizierbar ist.
- § 280 Abs. 2 BGB – Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis: Bietet die Grundlage für Schadensersatzansprüche wegen Pflichtverletzungen, was im Rahmen des vorgegebenen Themas für die Begründung von Ansprüchen gegen die Versicherung oder den Verursacher des Unfalls relevant sein kann.
- § 286 BGB – Verzugsschaden: Dieser Paragraph ist relevant für die Zinsforderungen auf den zu erstattenden Betrag, die ab dem Zeitpunkt der Verzögerung der Zahlung anfallen, wie im vorliegenden Fall seit dem 10.12.2022.
- § 288 BGB – Verzugszinsen: Ergänzt § 286 BGB, indem es die Höhe der Zinsen regelt, die bei Verzug zu zahlen sind. Im Text wird explizit die Forderung nach Zinszahlung genannt, was diesen Paragraphen direkt anwendbar macht.
Das vorliegende Urteil
AG Augsburg – Az.: 15 C 104/23 – Endurteil vom 02.02.2023
Leitsatz:
Eine merkantile Wertminderung ist in vollem Umfang ohne Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberechtigung zu erstatten. Maßgeblich ist, dass es sich bei der merkantilen Wertminderung nicht um eine Schadensersatzposition im Sinn des § 249 Abs. 2 BGB handelt, sondern um einen Entschädigungsanspruch im Sinn des § 251 BGB.
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 39,92 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.12.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Berufung wird zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 39,92 € festgesetzt.
Tatbestand
Von einer Darstellung des Tatbestandes wird gemäß § 495a ZPO in Verbindung mit § 313a Abs. 1 ZPO abgesehen.
Entscheidungsgründe
Gemäß § 495a ZPO bestimmt das Gericht das Verfahren nach billigem Ermessen. Innerhalb dieses Entscheidungsrahmens berücksichtigt das Gericht grundsätzlich den gesamten Akteninhalt.
Die Klage ist zulässig und begründet.
Das Amtsgericht Augsburg ist sachlich gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 GVG und örtlich gemäß § 20 StVG, § 32 ZPO zuständig, da der Streitwert unter 5000 € liegt und sich der Verkehrsunfall im hiesigen Gerichtsbezirk ereignet hat.
Die Klage auch begründet. Der Klägerin steht ein weiterer Schadensersatzanspruch in Höhe von 39,92 € zu.
In diesem Zusammenhang geht das Gericht beim klägerischen Antrag aus dem Schriftsatz vom 05.01.2023 von einem Schreibversehen aus und legt den Antrag dahingehend aus, dass die Klägerin eine Verurteilung der Beklagten in Höhe von 39,92 € begehrt. Dies ergibt sich zum einen aus der Angabe des vorläufigen Streitwertes sowie zum anderen aus der Klagebegründung.
Die Parteien streiten in diesem Zusammenhang einzig und allein um die Frage, ob aus dem unstreitigen Wertminderungsbetrag von 250 € die Mehrwertsteuer in Höhe von 19 % herauszurechnen ist oder nicht.
Das Gericht schließt sich insofern vollumfänglich der Auffassung des Amtsgerichts München in dessen Endurteil vom 26.09.2022, 336 C 1975/22 an und nimmt keine Herausrechnung des Mehrwertsteuersatzes vor. Vgl.:
„Entgegen der Ansicht der Beklagten ist die Wertminderung in vollem Umfang ohne Berücksichtigung der Vorsteuerabzugsberechtigung zu erstatten. Maßgeblich ist, dass es sich bei der merkantilen Wertminderung nicht um eine Schadensersatzposition im Sinn des § 249 II BGB handelt, sondern um einen Entschädigungsanspruch im Sinn des § 251 BGB. Der merkantilen Wertminderung liegt zu Grunde, dass das Unfallfahrzeug im reparierten Zustand in technischer Hinsicht im gleichen Zustand ist wie ohne den Unfall, aber aufgrund der Unfallvorgeschichte auf dem Gebrauchtwagenmarkt einen niedrigeren Preis erzielen würde. Hierzu hat der BGH ausgeführt, dass es sich beim merkantilen Minderwert um eine Minderung des Verkaufswerts handelt, die trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines bei einem Unfall erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs allein deshalb verbleibt, weil bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen des Verdachts verborgen gebliebener Schäden, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb unfallbeschädigter Kraftfahrzeuge besteht. Diese Wertdifferenz stellt einen unmittelbaren Sachschaden dar, BGH, Urteil vom 23.11.2004 – VI ZR 357/03. Bei einem Schadensersatzanspruch nach § 249 BGB geht es darum, den Zustand herzustellen, der ohne den Unfall bestünde. Die Zahlung der Reparaturkosten dient der Befriedigung von diesem Anspruch. Dagegen hat die Wertminderung einen anderen Zweck. In technischer Hinsicht ist der Zustand des Fahrzeugs nach der Reparatur so, wie er ohne den Unfall wäre. Die Wertminderung dient als Kompensation dafür, dass trotz des technisch gleichwertigen Zustands auf dem Gebrauchtwagenmarkt ein niedrigerer Kaufpreis zu besorgen ist. Die Wertminderung soll dafür entschädigen, was in den Köpfen potentieller Gebrauchtfahrzeugkäufer vorgeht, die trotz technischer Gleichwertigkeit für ein Fahrzeug mit Unfallvorgeschichte weniger zu zahlen bereit sind. Da es dem Schädiger nicht möglich ist, darauf Einfluss zu nehmen, was in den Köpfen potentieller Käufer vor sich geht, kann der Schädiger nicht den Zustand herstellen, der bestünde, wenn das Fahrzeug ohne Unfallvorgeschichte auf dem Gebrauchtwagenmarkt verkauft werden würde. Deshalb liegt ein Fall des § 251 BGB vor. Die Herstellung des Zustands, der ohne das schädigende Ereignis besehen würde, ist nicht möglich und deshalb hat der Schädiger den Geschädigten in Geld zu entschädigen. Daneben ist zu berücksichtigen, dass der Wertminderungsanspruch § 287 ZPO unterliegt und der Tatrichter unter Würdigung aller Umstände nach freier Überzeugung die Höhe schätzen kann, Jaeger, NZV 2017, 297. Es gibt drei Argumente gegen den Abzug der Mehrwertsteuer bei einem Vorsteuerabzugsberechtigten: Das erste Argument ist der Wortlaut des Gesetzes: Der für die Wertminderung einschlägige § 251 BGB enthält anders als § 249 II 2 BGB keine Regelung, dass die Mehrwertsteuer nur zu ersetzen ist, wenn diese tatsächlich anfällt. Daraus kann der Umkehrschluss gezogen werden, dass beim Wertersatz nach § 251 BGB die Mehrwertsteuer auch dann in dem zu erstattenden Betrag enthalten ist, wenn diese bei einem vorsteuerabzugsberechtigten Geschädigten konkret nicht anfällt. Das zweite Argument ist ein logischer Vergleich. Ob und inwieweit die Wertminderung sich tatsächlich realisiert, hat keinen Einfluss auf deren Erstattungsfähigkeit, wie der Vergleich mit anderen Fällen zeigt. Die Argumentation, die Mehrwertsteuer sei bei einem Vorsteuerabzugsberechtigen abzuziehen, weil sie bei diesem nicht anfällt, ist nicht logisch, da zu bedenken ist, dass sogar der Umstand, dass die Wertminderung in vielen Fällen im Ganzen nicht anfällt, nicht dazu führt, dass kein Anspruch auf Wertminderung bestehen würde. Nur wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur als Gebrauchtwagen zu dem angenommenen Minderwert verkauft, wirkt sich die Wertminderung überhaupt aus. Es ist aber Sache des Geschädigten, ob er das Fahrzeug verkauft oder nicht. Wenn der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur behält und schlichtweg bis zum Zeitpunkt der Entsorgung weiter behält, realisiert sich die Wertminderung zu keinem Zeitpunkt. In diesem Fall enthält der Geschädigte die Wertminderung als Kompensation für einen merkantilen Minderwert, obwohl sich dieser in keiner Weise auswirkt. Die Frage der Vorsteuerabzugsberechtigung wirkt sich in diesem Fall nicht aus, sondern unabhängig von der Vorsteuerabzugsberechtigung hat der Geschädigte einen Vorteil, den man für ungerechtfertigt halten kann, der aber dennoch allgemein akzeptiert wird. Ein nicht zum Vorsteuerabzug berechtiger Geschädigter erhält den Gesamtbetrag (einschließlich dem nach Ansicht der Beklagten herausrechenbaren Mehrwertsteueranteil) und darf, selbst wenn er das Fahrzeug nicht verkauft, sondern behält, den Gesamtbetrag (einschließlich dem nach Ansicht der Beklagten herausrechenbaren Mehrwertsteueranteil) behalten. Ein anderer Vergleich ist ein Geschädigter, der das reparierte Fahrzeug nicht sofort, sondern beispielsweise nach mehreren Jahren verkauft. Bei diesem wirkt sich die merkantile Wertminderung möglicherweise noch aus, aber in einem anteiligen geringeren Verhältnis zum Fahrzeugpreis. Wenn das Fahrzeug zum Zeitpunkt des Unfalls einen Wiederbeschaffungswert von 10.000 Euro hatte und eine merkantile Wertminderung von 1.000 Euro verbleibt und der Geschädigte verkauft es zehn Jahre später für 1.000 Euro, ist nicht davon auszugehen, dass er den doppelten Preis erzielen könnte, wenn dieser Unfall vor 10 Jahren nicht gewesen wäre. Auch in diesem Fall hätte der Geschädigte die Wertminderung in vollem Umfang erhalten, obwohl sich allenfalls ein kleiner Teil davon realisiert. Die Frage, ob überhaupt oder gegebenenfalls in welcher Höhe sich die Wertminderung jemals realisiert, wirkt sich nicht auf die merkantile Wertminderung aus, da es sich dabei nicht um einen Schadensersatzanspruch handelt, der zum Ziel hätte, den Geschädigten so zu stellen, wie er ohne das schädigende Ereignis stünde, sondern weil es sich um einen Entschädigungsanspruch i.S.d. § 251 BGB handelt. Da die Herstellung des Original-Zustandes im Hinblick auf das Käuferverhalten auf dem Gebrauchtwagenmarkt nicht möglich ist, steht dem Geschädigten eine angemessene Entschädigung in Geld zu. Die Höhe der Entschädigung ist unabhängig davon, ob oder unter welchen Bedingungen das Unfallfahrzeug jemals dem Gebrauchtwagenmarkt tatsächlich angeboten wird und ob und in welchem Unfall sich der Unfall auf den Verkaufspreis auswirkt. Es gilt der Grundsatz, dass sich der Geschädigte an dem Unfall nicht bereichern darf. Auf dieser Grundlage könnte man argumentieren, dass die Wertminderung wegen des Bereicherungsverbots bei Vorsteuerabzugsberechtigung nur netto zu zahlen ist. Wenn man bedenkt, dass die Wertminderung einen Entschädigungsanspruch darstellt, auf den ein Anspruch besteht selbst wenn sich keinerlei finanzieller Nachteil realisiert hat, könnte man sich in den Fällen, in denen sich der Minderwert nicht ausgewirkt hat, generell fragen, ob dies gegen das Bereicherungsverbot verstößt. Wenn man aber akzeptiert, dass der Geschädigte eine merkantile Wertminderung auch dann erhält, wenn er das Fahrzeug nicht verkauft, muss man auch akzeptieren, dass dies unabhängig davon ist, ob bei dem Verkauf eine Umsatzsteuer angefallen wäre, da der Verkauf nicht Voraussetzung für die Gewährung der Wertminderung ist und deshalb keine Relevanz für deren Höhe hat. Der dritte Grund liegt darin, dass die Prämisse, ein Vorsteuerabzugsberechtiger würde das Fahrzeug ohne die für Nicht-Vorsteuerberechtigte geltende Mehrwertsteuer in Höhe von 19 % verkaufen, nur auf einen Teil der Fälle zutrifft. Es ist weder bekannt, ob der Vorsteuerberechtigte das Fahrzeug verkaufen wird noch wann und wo er es verkaufen wird und welches Steuerrecht dann und dort gelten wird. Die Mehrwertsteuer ist auch bei vorsteuerabzugsberechtigen Geschädigten kein durchlaufender Posten. Die gegenteilige Aussage beruht auf der Annahme, dass der Geschädigte das Fahrzeug nach der Reparatur zu dem angenommenen Minderwert verkauft und hierbei vorsteuerabzugsberechtigt ist. Zu bedenken ist, dass das deutsche Steuerrecht nicht internationaler Standard ist. Es ist gerichtsbekannt, dass Gebrauchtwägen mit zunehmendem Alter, mit zunehmenden Gebrauchsspuren und Unfallvorgeschichte für den deutschen Gebrauchtwagenmarkt unattraktiv werden, aber noch gut in andere Länder exportiert werden können und dort noch viele Jahre fahren. Das deutsche System mit der Vorsteuerabzugsberechtigung gilt nicht in jedem Land und auch die Höhe der Mehrwertsteuer ist nicht in jedem Land gleich. Deshalb ist die Aussage, die Mehrwertsteuer sei bei einem Vorsteuerabzugsberechtigten nur ein durchlaufender Posten, nur dann richtig, wenn der Vorsteuerabzugsberechtigte das Unfallfahrzeug tatsächlich unmittelbar nach der Reparatur in Deutschland verkauft und sich der Mehrwertsteuersatz nicht verändert. Insgesamt ist das Gericht der Ansicht, dass die Wertminderung keine betragsmäßig feststehende Schadensposition ist, sondern ein der richterlichen Schätzung unterliegender Entschädigungsbetrag dessen Höhe unabhängig vom Steuerstatus des Geschädigten zu schätzen ist.“
Im vorliegenden Fall ist der Wertminderungsbetrag von 250 € unstreitig. Das Gericht hält die Wertminderung dieser unstreitigen Höfe für angemessen und nimmt keine Herausrechnung der Mehrwertsteuer vor. Damit besteht noch der restliche Anspruch auf Erstattung in Höhe der 39,92 €.
Die Verurteilung zur Zahlung der Nebenforderung gründet sich auf §§ 280 Abs. 2, 286, 288 BGB.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO.
Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit hat ihre Rechtsgrundlage in den §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.
Die Zulassung der Berufung erfolgte gemäß § 511 Abs. 4 Nr. 1 ZPO.