LG Köln – Az.: 14 O 305/20 – Urteil vom 25.01.2022
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 2.169,78 EUR nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 08.08.2019 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Beklagte zu 33% und die Klägerin zu 67%.
Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Für die Klägerin jedoch nur gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags. Die Klägerin kann die Zwangsvollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des zu vollstreckenden Betrags leistet.
Tatbestand
Die Parteien streiten um Ansprüche nach einem Verkehrsunfall zwischen einem Pkw und einem Bagger in einer Baustelle in Leverkusen am 25. Juli 2019 gegen 6:45 Uhr.
Die Klägerin ist – was der Beklagte bestreitet – die Vollkaskoversicherung des Fahrzeugs Skoda Citigo, Kz. ##-## 000, das zum Unfallzeitpunkt von Herrn I geführt worden ist. Der Beklagte war der Führer eines Radladers bzw. Baggers, der sich im Bereich der Baustelle bewegte und der nicht schneller als 20 km/h fahren kann.
Auf der Straße Cweg fanden im Juli 2019 Bauarbeiten statt. Vor der Baustelle befand sich eine Absperrung mit dem Verkehrsschild „Durchfahrt verboten“ sowie dem Hinweisschild „Anlieger frei bis zur Baustelle“. Der Zeuge I fuhr an dieser Absperrung und den Schildern vorbei in den Baustellenbereich ein. Nachdem er merkte, dass er nicht auf einen von ihm angesteuerten Parkplatz gelangen konnte, versuchte er rückwärts aus der Baustelle wieder herauszufahren. Der Beklagte fuhr mit dem Bagger rückwärts in den linken hinteren Bereich des Pkw rein. Der Beklagte ließ sich nicht einweisen.
Der oben genannte Pkw wurde beschädigt und musste repariert werden. Als Reparaturkosten sind 6.875,09 EUR brutto angefallen, die die Klägerin an die Versicherungsnehmerin abzüglich einer Selbstbeteiligung von 300 EUR gezahlt hat.
Die Haftpflichtversicherung des Arbeitgebers des Beklagten lehnte eine Schadensregulierung am 08.08.2019 im Namen des Arbeitgebers des Beklagten und des Beklagten ab.
Der Kläger behauptet, dass er in den vorangegangenen Tagen vor dem Unfall durch die Baustelle auf dem Parkplatz seiner Arbeitgeberin gefahren sei. Am Schadentag sei die Baustelle allerdings verändert worden. Er sei zum Stehen gekommen, weil er einen kreuzenden Radfahrer passieren ließ.
Der Kläger ist der Ansicht, dass der Beklagte in der Baustelle mit Verkehr von Pkws rechnen musste. Ein Rückwärtsfahren ohne ausreichende Beachtung von Rückschaupflichten sei unzulässig. Ein Verschulden des Pkw Fahrers bestehe nicht, da er darauf habe vertrauen dürfen, dass er wie in den vorherigen Tagen auf den Parkplatz seines Arbeitgebers durch die Baustelle einfahren könne. Auch im Übrigen treffe ihn bei der konkreten Situation am Schadenstag kein Verschulden.
Der Kläger beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 6.575,09 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5% Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz hieraus seit dem 8. August 2019 zu bezahlen.
Der Beklagte beantragt, Klageabweisung.
Der Beklagte behauptet, der Fahrer des klägerischen Fahrzeuges habe sich an dem Bagger rechts vorbei gezwängt und habe im Baustellenbereich im absoluten Halteverbot parken wollen.
Der Beklagte ist der Ansicht, dass er angesichts der geltenden Verkehrsregeln, insbesondere des durch Verkehrsschilder angeordneten Durchfahrverbots auf der Baustelle, nicht damit habe rechnen müssen, dass sich andere Verkehrsteilnehmer in seinem Arbeitsbereich befinden. Der Schaden sei ausschließlich durch den Fahrer des klägerischen Fahrzeugs verschuldet worden.
Das Gericht hat Beweis erhoben in der mündlichen Verhandlung am 21.12.2021 auf Grundlage des Beweisbeschlusses vom 28.09.2021 durch Vernehmung des Zeugen I . Für den Inhalt der Zeugenvernehmung wird auf das Sitzungsprotokoll verwiesen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist teilweise begründet.
Das Landgericht Köln ist nach §§ 23, 72 GVG und nach §§ 12, 13 sowie § 32 ZPO zuständig.
Die Klägerin hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Zahlung von 2.169,78 EUR aus § 823 Abs. 1 BGB i.V.m. § 86 Abs. 1 VVG. Der Beklagte ist unstreitig ohne Rückschau und ohne Einweisung mit einem Bagger in einer Baustelle rückwärts gefahren und hat dadurch das bei der Klägerin versicherte Fahrzeug beschädigt. Durch diese Handlung ist eine Eigentumsverletzung bei der Versicherungsnehmerin der Klägerin eingetreten. Diese war auch kausal, weil die Gefahr der Beschädigung fremder Sache adäquate Folge der Fahrbewegung des Beklagten war. Die Rechtswidrigkeit ist indiziert. Sie wird zudem durch den Verstoß gegen § 9 Abs. 5 StVO bestätigt, der auch für den Verkehr auf Baustellen an öffentlichen Straßen gilt. Der Beklagte hat zumindest leicht fahrlässig gehandelt, indem er keine Rückschau vornahm. Zwar ist es nachvollziehbar, dass der Beklagte darauf vertraute, dass keine anderen Verkehrsteilnehmer in der Baustelle zugegen waren. Dieses Vertrauen allein schließt jedoch kein Verschulden aus. Denn die Sorgfaltsanforderungen im Straßenverkehr, auch in Baustellen, erfordern vor jedem Rückwärtsfahren eine Umschau, damit andere Verkehrsteilnehmer nicht gefährdet werden.
Soweit der Beklagte die Aktivlegitimation der Klägerin mit Nichtwissen bestritten hat, war jedoch keine Beweiserhebung notwendig. Denn es steht aufgrund § 286 ZPO unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Klägerin als Kaskoversicherung gezahlt hat und demnach nach § 86 Abs. 1 VVG aktivlegitimiert ist. Anders erklärt es sich nicht, dass die Klägerin bereits mit der Klage umfangreiche Unterlagen zu einem Verkehrsunfall und den Unfallschäden vorlegen konnte. Dagegen bleibt das zulässige Bestreiten mit Nichtwissen des Beklagten pauschal und vermag keine Zweifel an der Rechtsposition der Klägerin zu wecken. Insbesondere ist nicht ersichtlich, dass ein anderer Versicherer Ansprüche geltend macht oder aber die Versicherungsnehmerin selbst ihren Anspruch durchsetzt.
Die Haftung des Beklagten wird aber durch ein Mitverschulden des Zeugen I als Fahrer des bei der Klägerin versicherten Fahrzeugs begrenzt. Nach § 254 BGB gilt, wenn bei der Entstehung des Schadens ein Verschulden des Beschädigten mitgewirkt hat, dass die Verpflichtung zum Ersatz sowie der Umfang des zu leistenden Ersatzes von den Umständen abhängt, insbesondere davon, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder dem anderen Teil verursacht worden ist. Das Verhalten des Zeugen I als Fahrer ist der Versicherungsnehmerin der Klägerin nach den Grundsätzen der sog. Haftungseinheit auch im Anwendungsbereich von § 254 BGB zurechenbar (BeckOK BGB/Lorenz, 60. Ed. 1.11.2021, BGB § 254 Rn. 47; BGH NJW 1966, 1262).
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme ist dabei das Mitverschulden des Zeugen I an der Schadensentstehung auf 2/3 zu bemessen, was im Rahmen des Tenors mit dem gerundeten Prozentbetrag von 67% ausgedrückt wird.
Trifft den Geschädigten eine Mitverantwortung, hängt der Umfang der Ersatzpflicht im gesamten Anwendungsbereich des § 254 von einer umfassenden Abwägung und Würdigung aller Umstände des Einzelfalles ab. In die Abwägung fließen nur die Umstände ein, die unstreitig oder bewiesen worden sind oder sonst feststehen (zB auf Grund eines Anscheinsbeweises); insoweit gilt § 286 ZPO und nicht § 287 ZPO. Bei der Abwägung selbst hat das Gericht dagegen einen Beurteilungsspielraum; es greift § 287 ZPO ein (BeckOK BGB/Lorenz, a.a.O., Rn. 53 m.w.N. aus der Rspr. des BGH).
Insoweit steht aufgrund der Zeugenvernehmung sowie des übrigen Sach- und Streitstandes fest, dass der Zeuge I am Schadenstag erstmals in die Baustelle eingefahren ist, als dort Betrieb herrschte. An Tagen zuvor war der Zeuge I zwar in die Baustelle eingefahren und konnte so auf den Parkplatz seiner Arbeitsstätte ein- bzw. abfahren, jedoch geschah dies zu Zeiten, an denen keine Arbeiten an der Baustelle durchgeführt worden sind. Dies hat der Zeuge in seiner Vernehmung ausdrücklich bekundet. Auch hat er ausgesagt, dass er vor Einfahrt in die größtenteils abgesperrte Baustelle erkannt hat, dass sich der vom Beklagten geführte Bagger bewegte. An der Richtigkeit dieser Aussage hat das Gericht nach dem persönlichen Eindruck des Zeugen sowie der auch angesichts der langen Dauer seit dem Umfall detailreichen und weitestgehend widerspruchsfreien Ausführungen keine Zweifel. Die beiden dargestellten Umstände bestätigen den vom Beklagten vorgetragenen Mitverschuldenseinwand. Denn es ist bereits unabhängig von der Zeugenvernehmung in der Regel fahrlässig mit einem Pkw in eine Baustelle, auf der Betrieb herrscht, einzufahren. Hierin ist die Außerachtlassung derjenigen Sorgfalt zu erkennen, die ein ordentlicher und verständiger Mensch zur Vermeidung eigenen Schadens anzuwenden pflegt (vgl. BeckOK BGB/Lorenz, a.a.O., Rn. 9 f.). Nach der Zeugenaussage ist der Zeuge I sogar sehenden Auges in die Baustelle eingefahren, sodass sein Verschulden auch nicht zu gering zu bemessen ist. Es hätte nahe gelegen und war nach §§ 254, 276 BGB geboten vor Einfahrt in die Baustelle, auf der nach seiner Aussage für ihn erkennbar erstmals Betrieb herrschte, als er durchfahren wollte, sich einen Überblick zu verschaffen. Hierzu hätte er das Fahrzeug etwa zunächst vor der Baustelle abstellen können und zu Fuß einsehen können, ob er mit seinem Fahrzeug auf den Parkplatz gelangen konnte. Dass er aber zunächst vorbei an Absperrungen, die nach seiner eigenen Schilderung wohl auch umpositioniert worden sind, in die Baustelle eingefahren ist, erscheint nicht als Verhalten, das ein aufmerksamer Verkehrsteilnehmer zur Vermeidung von Schaden anzuwenden pflegt.
Hinzu kommt, dass auch die Betriebsgefahr des Pkw nach § 7 Abs. 1 StVG im Rahmen der Quotierung nach § 254 BGB Beachtung zu finden hat (BeckOK BGB/Lorenz, a.a.O., Rn. 12 f.). Diese tritt hier auch nicht vollkommen zurück. Der Unfall wurde insbesondere nicht durch höhere Gewalt nach § 7 Abs. 2 StVG verursacht. Die Anwendung von § 17 StVG verbietet sich, weil der vom Beklagten geführte Bagger nach § 8 Nr. 1 StVG nicht einer Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG unterliegt.
Die konkrete Quotierung hat das Gericht nach § 287 ZPO vorgenommen. Dabei erscheint das oben beschriebene Verschulden des Beklagten als geringer als dasjenige des Zeugen I . Jedoch tritt es nicht vollkommen zurück. Dabei ist zu beachten, dass dem Betrieb eines Baggers – auch wenn dafür eine Haftung nach § 7 Abs. 1 StVG ausgeschlossen ist – ein erhebliches Gefährdungspotential innewohnt, weil es sich um ein großes und viele Tonnen schweres Arbeitsgerät handelt. Dagegen erscheint die Betriebsgefahr eines Pkw, zumal es sich hier um einen Kleinwagen handelt, als erheblich geringer. Auch durfte der Zeuge I grundsätzlich darauf vertrauen, dass der Beklagte seinen Rückschaupflichten nachkommt oder aber zumindest einen Helfer zur Einweisung bzw. zur Warnung bei Gefahren im rückwärtigen, schwer einsehbaren Bereich nutzt. Er war auch nicht gehalten, den Bereich hinter dem Bagger, der trotz Absperrungen faktisch erreichbar war und zudem durch das vorhandene Verkehrsschild mit dem Hinweis „Anlieger frei“, wobei es offenbleiben kann ob es zudem hieß „bis zur Baustelle“, absolut zu meiden (vgl. etwa auch KG Urt. v. 12.2.2004 – 12 U 258/02, BeckRS 2004, 5252). Die damit verbundene Gefahr hat er jedoch zu vertreten. Da der Verschuldensvorwurf an den Zeugen I bei wertender Betrachtung etwas gravierender ist, erscheint die Aufteilung in einer Quote von einem 1/3 zu Lasten des Beklagten und 2/3 zu Lasten des Zeugen I , mithin auch der Klägerin, als angemessen.
Da die Schadenshöhe unbestritten ist, ergibt sich bei Quotierung der tenorierte Zahlungsbetrag,
Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 92 Abs. 1, 708 Nr. 11, 709 Nr. 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf 6.575,09 EUR festgesetzt.