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Verkehrsunfall – Überholen bei unklarer Verkehrslage – Haftung

LG Osnabrück, Az.: 10 S 86/16, Beschluss vom 17.05.2016

Die Kammer beabsichtigt, die gegen das am 19.01.2016 verkündete Urteil des Amtsgerichts Bad Iburg – 4 C 541/15 – eingelegte Berufung des Klägers durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 ZPO zurückzuweisen.

Dem Kläger wird Gelegenheit gegeben, binnen 2 Wochen ab Zustellung dieses Beschlusses Stellung zu nehmen.

Gründe

I.

Verkehrsunfall - Überholen bei unklarer Verkehrslage - Haftung
Symbolfoto: Von Potashev Aleksandr /Shutterstock.com

Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist sie gemäß § 511 Abs. 1 ZPO das statthafte Rechtsmittel und gemäß §§ 517, 519 und 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt. Ferner ist die gemäß § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Mindestbeschwer erreicht.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet.

Nach § 513 Abs. 1 ZPO kann die Berufung nur darauf gestützt werden, dass die angefochtene Entscheidung auf einer Rechtsverletzung im Sinne des § 546 ZPO beruht oder nach § 529 ZPO zugrunde zu legende Tatsachen eine andere Entscheidung rechtfertigen. Dies ist vorliegend nicht der Fall.

Im Einzelnen:

Dem Kläger steht kein Anspruch auf Zahlung von 1.838,00 Euro gegen die Beklagten aus §§ 7, 18 StVG i.V.m. § 115 Abs. 1 VVG zu.

Die Kammer ist an die tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts gemäß § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO gebunden. Sie hat ihrer Entscheidung die vom Gericht des ersten Rechtszuges festgestellten Tatsachen zugrunde zu legen, soweit nicht konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Konkrete Anhaltspunkte können sich dabei aus Verfahrensfehlern ergeben, insbesondere wenn die erstinstanzliche Beweiswürdigung den Anforderungen des § 286 ZPO nicht genügt. (BGH NJW 2004, 1876; Zöller-Heßler, ZPO, 30. Auflage 2014, § 529, Rn. 7 f.).

Im Rahmen der freien Beweiswürdigung nach § 286 ZPO hat das Amtsgericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses der Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob es eine behauptete Tatsache für wahr oder für unwahr hält (vgl. Zöller-Greger, ZPO, 30. Auflage 2014, § 286, Rn. 13, 17 f.; BGH NJW 2013, 3634). Das Gericht hat sich insofern mit dem Prozessstoff und den Beweisergebnissen umfassend und widerspruchsfrei auseinanderzusetzen und ist lediglich an Denk- und Naturgesetze sowie an Erfahrungssätze gebunden. Sonst aber darf es die im Prozess gewonnenen Erkenntnisse nach seiner individuellen Einschätzung bewerten. Die leitenden Gründe und die wesentlichen Gesichtspunkte für seine Überzeugungsbildung hat das Gericht dabei nachvollziehbar im Urteil darzulegen (vgl. BGH NJW 2013, 3634; Zöller-Greger, ZPO, 30. Auflage 2014; § 286, Rn. 21).

Die Berufung will unter anderem eine Neubewertung des Beweisergebnisses und eine Abänderung der Haftungsquote erreichen. Eine solche ist dem Berufungsgericht jedoch nur gestattet, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der erstinstanzlichen Feststellungen begründen, § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Derartige Anhaltspunkte finden sich jedoch nicht.

Der Kläger hat gegen § 5 Abs. 3 StVO wegen des Überholens bei unklarer Verkehrslage verstoßen. Überholen ist ein Sonderfall des Vorbeifahrens, nämlich Vorbeifahren von hinten nach vorn an einem Verkehrsteilnehmer, der sich auf derselben Fahrbahn in derselben Richtung bewegt oder nur mit Rücksicht auf die Verkehrslage anhält (BGHSt 25, 293, 296; OLG Düsseldorf DAR 04, 596; VRS 59, 151; OLG Köln NZV 95, 74; OLG Schleswig VM 96, 19; KG NZV 98, 376). Zum Begriff des „Überholens“ gehört weder ein Fahrstreifenwechsel noch, dass der Überholende seine Fahrgeschwindigkeit erhöht (OLG Düsseldorf NZV 90, 319). Nicht überholt wird, wer nicht verkehrsbedingt hält (OLG Düsseldorf VRS 59, 294), insbesondere parkt oder sonst wie zum Stillstand gekommen ist (OLG Düsseldorf VRS 63, 60). Die Behauptung des Klägers, dass der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug am rechten Fahrbahnrand angehalten hat und aus dem Stand abgebogen ist, wurde von der Beklagtenseite bestritten und konnte vom Kläger nicht bewiesen werden. Die Zeugen konnten diesen Vortrag nicht bestätigen. Da der Kläger hierfür beweisbelastet ist, ist davon auszugehen, dass der Beklagte zu 1) sein Fahrzeug gerade nicht am rechten Fahrbahnrand zum Stillstand gebracht hat.

Eine unklare Verkehrslage liegt vor, wenn der Überholende nach den gegebenen Umständen mit einem ungefährlichen Überholvorgang nicht rechnen darf (Bay NZV 90, 318; OLG Düsseldorf NZV 94, 446; 96, 119; NZV 97, 491; KG VM 90, 91; OLG Köln VRS 89, 432; KG DAR 01, 467; OLG Karlsruhe NZV 99, 166). Dies ist immer der Fall, wenn nicht absehbar ist, was der Vorausfahrende machen wird. Dies ist gerade in Kreuzungsbereichen regelmäßig der Fall. Hier muss der Überholende damit rechnen, dass sich Verkehrsteilnehmer noch kurzfristig zu einem Abbiegen entscheiden. Der Kläger hätte den Unfall verhindern können, indem er den Kreuzungsbereich abwartet und erst danach zu einem Überholmanöver angesetzt hätte. Die Verkehrslage ist jedenfalls unklar, wenn ein Fahrzeug – wie hier – im Kreuzungsbereich langsamer wird. In diesem Fall ist das weitere Vorgehen des Vorausfahrenden nicht absehbar und es kann nicht mit einem ungefährlichen Überholvorgang gerechnet werden.

Bei der Abwägung der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ist demgegenüber zu Lasten des Beklagten zu 1) davon auszugehen, dass dieser sich nicht ordnungsgemäß zur Mitte eingeordnet und sich nicht durch die doppelte Rückschaupflicht vergewissert hat, dass ein gefahrloses Abbiegen möglich ist.

In Anbetracht der beiderseitigen Verursachungsbeiträge ist die vom Amtsgericht angenommene Haftungsquote nicht zu beanstanden.

II.

Aus den unter I. genannten Gründen hat die zulässige Berufung keine Aussicht auf Erfolg. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung und weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erfordern eine Entscheidung des Berufungsgerichts. Eine mündliche Verhandlung ist ebenfalls nicht geboten. Die Berufung wäre deshalb durch einstimmigen Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückzuweisen. Zuvor ist dem Kläger jedoch Gelegenheit zu geben, zu den vorstehenden Ausführungen Stellung zu nehmen und ggf. zur Vermeidung weiterer Kosten die Berufung zurückzunehmen.

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