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Verkehrsunfall – Überzeugungsbildung des Gerichts hinsichtlich der Fahrereigenschaft des Klägers

OLG München – Az.: 10 U 3111/11 – Urteil vom 06.07.2012

1. Die Berufung des Klägers vom 02.08.2011 gegen das Endurteil des LG Traunstein vom 01.07.2011 wird zurückgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 100.000,- € festgesetzt.

Gründe

A.

I.

Gegenstand des Rechtsstreits sind Schmerzensgeldansprüche aus einem Verkehrsunfall am 10.05.2008 um 3.00 Uhr morgens auf der Kreisstraße … auf der Höhe der Einmündung der Ortsverbindungsstraße von G. bei km 6.700 im Gemeindebereich U. Darüber hinaus begehrt der Kläger die Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten für seinen materiellen und immateriellen Zukunftsschaden. Nach dem Unfall wurde der Kläger auf dem Fahrersitz des Pkw VW Golf, der Zeuge Daniel A. eingeklemmt auf dem Beifahrersitz, vorgefunden. Beide waren schwer verletzt. Im Pkw VW Golf befand sich sonst niemand mehr. Im unfallgegnerischen Pkw Audi TT befanden sich außer der Fahrerin Daniela P. die Zeugen Rene A. und Konstantin R. Die Insassen der unfallbeteiligten Pkw gehörten zu einem Freundes- oder Bekanntenkreis, der zuvor in einer nahegelegenen Gaststätte den Geburtstag des Zeugen T. gefeiert hatte. Die Gruppe befand sich, auf zwei Fahrzeuge aufgeteilt, auf dem Heimweg, wobei die Fahrer der unfallbeteiligten Fahrzeuge bis zum Zusammentreffen unterschiedliche Routen gewählt hatten.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf den Tatbestand des Endurteils des Landgerichts Traunstein vom 01.07.2011, durch welches die Klage abgewiesen wurde (Bl. 91/103 d. A.), Bezug genommen (§ 540 I 1 Nr. 1 ZPO).

II.

Gegen dieses der Klagepartei am 04.07.2011 zugestellte Urteil legte der Kläger mit beim Oberlandesgericht am 02.08.2011 eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten vom gleichen Tage Berufung ein (Bl. 107/108 d. A.), welche mit beim Oberlandesgericht am 02.09.2011 eingegangenen Schriftsatz seiner Prozessbevollmächtigten (Bl. 111/117 d. A.) begründet wurde.

Der Kläger trägt, wie bereits in der ersten Instanz, vor, der Zeuge T. sei der Fahrer des unfallverursachenden Pkw VW Golf mit dem amtlichen Kennzeichen … 158 gewesen. Das Landgericht habe die Klage zu Unrecht abgewiesen, da es aufgrund fehlerhafter Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gekommen sei, der Kläger selbst sei Fahrer des unfallverursachenden VW Golf gewesen.

Der Kläger beantragt,

1. unter Abänderung des am 01.07.2011 verkündeten Urteils des Landgerichts Traunstein, Az.: 7 O 3884/10, wird die Beklagte verurteilt, an den Kläger ein angemessenes Schmerzensgeld, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, mindestens jedoch 80.000,- € nebst 5% Zinsen über dem Basiszinssatz seit 03.04.2009 zu zahlen,

2. es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, dem Kläger sämtlichen weiteren materiellen und immateriellen Schaden aus dem Unfallereignis vom 10.05.2008, das sich gegen 3.00 Uhr morgens an der Einmündung der untergeordneten Gemeindeverbindungsstraße in die vorfahrtsberechtigte Kreisstraße … ereignet hat, zu erstatten, soweit diese nicht auf öffentlich-rechtliche Versicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind.

Die Beklagte beantragt, die Berufung des Klägers zurückzuweisen.

Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 16.11.2011 (Bl. 127/129 d. A.) ergänzend Beweis erhoben durch Einholung eines schriftlichen medizinischen Gutachtens des Sachverständigen Prof. Dr. med. G. Hinsichtlich des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Gutachten vom 08.03.2012 (Bl. 148/162 d. A.), die ergänzende Stellungnahme vom 26.03.2012 (Bl. 164/166 d. A.) und auf die Sitzungsniederschrift vom 06.07.2012 (Bl. 175/179 d. A.) verwiesen.

Ergänzend wird auf die vorgenannte Berufungsbegründungsschrift, die Berufungserwiderung vom 06.09.2011 (Bl. 118/119 d. A.) und den weiteren im Berufungsverfahren eingereichten Schriftsatz des Klägers vom 18.05.2012 (Bl. 171/172 d. A.) und auf die Sitzungsniederschrift vom 06.07.2012 (Bl. 175/179 d. A.) Bezug genommen

B.

Die statthafte sowie form- und fristgerecht eingelegte und begründete, somit zulässige Berufung hat in der Sache keinen Erfolg.

I. Dem Kläger steht gegen die Beklagte kein Anspruch auf Schmerzensgeld sowie auf Feststellung der Ersatzpflicht zu, da der Kläger der Fahrer des unfallverursachenden Pkw VW Golf gewesen ist, § 8 Nr. 2 StVG.

Dass der Kläger der Fahrer des unfallverursachenden Pkw VW Golf gewesen ist, steht zur Überzeugung des Senats zunächst fest aufgrund der vom Erstgericht ohne Rechtsfehler vorgenommenen Beweiswürdigung, an die der Senat deshalb nach § 529 I Nr. 1 ZPO gebunden ist. Anhaltspunkte für die Unrichtigkeit der Beweiswürdigung sind ein unrichtiges Beweismaß, Verstöße gegen Denk- und Naturgesetze oder allgemeine Erfahrungssätze, Widersprüche zwischen einer protokollierten Aussage und den Urteilsgründen sowie Mängel der Darstellung des Meinungsbildungsprozesses wie Lückenhaftigkeit oder Widersprüche, vgl. etwa BGH VersR 2005, 945; Senat in stRspr., etwa Urt. v. 09.10.2009 – 10 U 2965/09 [Juris] und zuletzt Urt. v. 20.05.2011 – 10 U 3958/10). Konkreter Anhaltspunkt in diesem Sinn ist jeder objektivierbare rechtliche oder tatsächliche Einwand gegen die erstinstanzlichen Feststellungen (BGHZ 159, 254 [258]; NJW 2006, 152 [153]; Senat a.a.O. ); bloß subjektive Zweifel, lediglich abstrakte Erwägungen oder Vermutungen der Unrichtigkeit ohne greifbare Anhaltspunkte genügen nicht (BGH a.a.O. ; Senat a.a.O. ). Solche sind nicht vorgetragen worden. Das Erstgericht hat sich ausführlich mit der Aussage des Zeugen W., der nicht zur „Clique“ der unfallbeteiligten Personen gehörte, aber auch den Aussagen der Rettungssanitäter M. und S., von PHM Mü. sowie den Insassen der beiden beteiligten Fahrzeuge auseinandergesetzt. Es hat sich insbesondere mit den Widersprüchen und Übereinstimmungen intensiv beschäftigt. Die vorgenommene Beweiswürdigung überzeugt. Der Senat nimmt deshalb auf die Gründe des Ersturteils Bezug und macht sich diese zu Eigen.

Die ergänzende Beweisaufnahme durch den Senat hat Folgendes ergeben: Nach dem Gutachten des Sachverständigen Prof. Dr. med. Matthias Gr., Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin der …Universität …, vom 08.03.2012, ergänzt durch die Stellungnahme vom 26.03.2012, steht fest, dass aufgrund der Verletzungen von einer hochgradigen Einschränkung der Beweglichkeit des Klägers auszugehen ist. Die festgestellten Verletzungen des Klägers beweisen entgegen der Ansicht des Klägers nicht, dass er am 10.05.2008 zum Unfallzeitpunkt um 3.00 Uhr morgens als Beifahrer auf dem Beifahrersitz des verunfallten Pkw VW Golf saß. Die Rippenserienfraktur ist nämlich nicht nur durch den beifahrerseitigen Aufprall des Audi TT erklärbar, sondern alternativ durch Interaktion des Oberkörpers mit der Sitzlehne (an einem beliebigen Sitzplatz im Fahrzeug) oder mit einem anderen Insassen. Damit ist nach den Darlegungen des Sachverständigen eine Lokomotion auf den Beinen mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht möglich gewesen.

Der Senat, der als Spezialsenat für Straßen-, Eisenbahn- und Luftverkehrsunfälle mit solchen Fallgestaltungen schon wiederholt zu tun hatte, hat die Ausführungen des Sachverständigen auf dem Hintergrund der so begründeten eigenen Sachkunde überprüft und für zutreffend erachtet: Das Gutachten des dem Senat aus einer Reihe von Verfahren als besonders sachkundig und sorgfältig bekannten Sachverständigen, gegen dessen Richtigkeit als solche auch der Kläger keine Einwände erhoben hat (die mit Schriftsatz vom 18.05.2012 gestellte Frage hatte die allein dem Senat obliegende Beweiswürdigung zum Gegenstand und wurde deshalb vom Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht aufrecht erhalten, weshalb der vorsorglich geladene Sachverständige auch ohne weitere Anhörung entlassen werden konnte), hat die vorhandenen Anknüpfungstatsachen vollständig und zutreffend berücksichtigt, steht ausweislich des beigefügten Literaturverzeichnisses auf dem Boden der sog. herrschenden medizinischen Lehrmeinung und berücksichtigt den aktuellen Forschungsstand; die Argumentation ist widerspruchsfrei und schlüssig (plausibel). Daß eine willkürliche Änderung der Position/Lage letztlich nicht ausschließbar ist, wie der Sachverständige aus naturwissenschaftlicher Sicht korrekterweise angemerkt hat, steht einer Überzeugungsbildung des Senats unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme (§ 286 I 1 ZPO) dahin, dass der Kläger der Fahrer des unfallverursachenden Pkw gewesen ist, nicht entgegen. Diese Überzeugung des Senats erfordert keine – ohnehin nicht erreichbare (vgl. RGZ 15, 338 [339]; Senat NZV 2006, 261; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [Juris], stRspr., zuletzt Urt. v. 11.06.2010 – 10 U 2282/10 [Juris] = NJW-Spezial 2010, 489 f. mit zust. Anm. Heß/Burmann) – absolute oder unumstößliche Gewissheit und auch keine „an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit“, sondern nur einen für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet (grundlegend BGHZ 53, 245 [256] = NJW 1970, 946, stRspr., zuletzt NJW 2008, 2845 und NJW-RR 2008, 1380; OLG Frankfurt a. M. ZfS 2008, 264, 265; Senat NZV 2003, 474 [Revision vom BGH durch Beschluss vom 01.04.2003 – VI ZR 156/02 – nicht angenommen]; NZV 2006, 261; Urt. v. 28.07.2006 – 10 U 1684/06 [Juris], stRspr., zuletzt Urt. v. 11.06.2010 – 10 U 2282/10 [Juris] = NJW-Spezial 2010, 489 f. m. zust. Anm. Heß/Burmann und NJW 2011, 396, 397 = VersR 2011, 549 ff. m. zust. Anm. Hoffmann); v. 21.10.2011 – 10 U 1995/11 [Juris]). Deshalb kommt es nicht darauf an, ob etwas ausgeschlossen werden kann oder nicht (Senat NZV 2006, 261; Zimmermann, Klage, Gutachten und Urteil, 19. Auflage Heidelberg 2007, Rz. 184 bezeichnet diesen Ansatz treffend als „abwegig“).

Weshalb der Zeuge T. ein falsches Geständnis abgelegt hat, bleibt dem Senat wie schon dem Erstgericht unerfindlich. Auch dem Senat ist nicht nachvollziehbar, wie das Amtsgericht – Jugendschöffengericht – A. den Zeugen T. in Kenntnis des rekonstruierten Unfallhergangs einfach aufgrund eines mit den Fakten unvereinbaren Geständnisses verurteilen konnte. Jedenfalls ist der Senat – wie schon das Erstgericht betont hat – an das Strafurteil nicht gebunden, § 14 I, II Nr. 1 EGZPO.

II. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.

III. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

IV. Die Revision war nicht zuzulassen. Gründe, die die Zulassung der Revision gemäß § 543 II 1 ZPO rechtfertigen würden, sind nicht gegeben. Mit Rücksicht darauf, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, ohne von der höchst- oder obergerichtlichen Rechtsprechung abzuweichen, kommt der Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung zu, noch erfordern die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts.

V. Die Streitwertfestsetzung findet ihre Grundlage in §§ 63 II 1, 47 I 1, 40, 42 I, IV, 48 I 1 GKG, 3 ff. ZPO.

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