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Verkehrsunfall Ungarn – Klage gegen ungarischen Garantiefond

AG Pfaffenhofen – Az.: 1 C 536/20 – Urteil vom 12.02.2021

1. Die Klage wird als unzulässig abgewiesen.

2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Beschluss

Der Streitwert wird auf 4.601,51 € festgesetzt.

Tatbestand

Die Klägerin macht Schadensersatzansprüche aus Verkehrsunfallgeschehen vom 07.07.2019 in Ungarn geltend.

Bei der Klägerin handelt es sich um die vorsteuerabzugsberechtigte Eigentümerin des Fahrzeugs mit dem amtl. Kennzeichen XYZ. Bei der Beklagten handelt es sich um einen ungarischen Garantiefonds.

Der Unfallhergang sowie die voll umfängliche Haftung sind unstreitig. Im Streit stehen lediglich die Höhe der Wiederbeschaffungskosten sowie die Frage der Erstattung von Sachverständigenkosten.

Nach dem streitgegenständlichen Unfall wurde das Fahrzeug der Klägerin zunächst zum nächsten Mercedes-Händler … verbracht.

In der Folge nahm der Zeuge Kremer der Klägerin mit dem Sachbearbeiter der Beklagten OS Kontakt auf.

Nachdem das Fahrzeug nach Deutschland verbracht wurde, wurde es vom Sachverständigenbüro R begutachtet.

Darüber hinaus wurde das Fahrzeug am 06.08.2019 von einem von der Beklagten beauftragten Sachverständigen besichtigt.

Gem. Abrechnungsschreiben der Beklagten vom 29.08.2019 zahlte die Beklagte 10.726,00 € sowie Transportkosten i.H.v. 665,00 €.

Weitere Zahlungen erfolgten durch die Beklagte nicht.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass ein Totalschaden vorliege und der Wiederbeschaffungswert lt. Gutachten 20.252,10 € betrage, der Restwert netto 7.777,00 €, so dass Wiederbeschaffungskosten von 13.716,81 €, Gutachterkosten i.H.v. 1.775,70 € und Abschleppkosten i.H.v. 500,00 € gegeben wären. Die Klägerin ist der Auffassung, dass ihr noch weitere restliche Schadensersatzansprüche i.H.v. 4.601,51 € zustünden. Darüber hinaus meint die Klägerin, dass das Amtsgericht Pfaffenhofen international zuständig sei. Die Beklagte sei wie die Verkehrsopferhilfe e.V. in Deutschland organisiert und eine vergleichbare Institution und damit ein Annex der ungarischen Kfz-Haftpflichtversicherer. Sie sei als Garantiefonds bei Unfällen zuständig und auch ein gesetzlicher Entschädigungsfonds für Schäden aus Kraftfahrzeugunfällen, so dass es sich dabei um ein gesetzlich vorgegebenes, von der Versicherungswirtschaft gegründetes und gespeistes Unternehmen handle, welches auch für die Beklagte die Regulierung übernommen habe, so dass diesbezüglich nach dem EuGVVO eine internationale Zuständigkeit des Amtsgerichts Pfaffenhofen bestünde. Danach sei für den Inländer die Möglichkeit geschaffen worden, für den Fall eines Auslandsunfalls den Versicherer und dementsprechend auch die Beklagte als Garantiefonds an seinem Wohn- bzw. Geschäftssitz im Inland zu verklagen. Ferner ergäbe sich auch die Zuständigkeit der Beklagten aus ihrem vorgerichtlichen Verhalten. Die Klägerin würde auch über eine Kaskoversicherung verfügen, die jedoch vorrangig nicht zur Schadensregulierung herangezogen werden könne, da die Klägerin über eine Flottenversicherung von ca. 250 Fahrzeugen bei der XY-Versicherung verfüge, weshalb jede Schadensmeldung dazu führe, dass sich je nach Überschreitung/Unterschreitung eines Schadensvolumens entweder Rückerstattungen oder Prämiensteigerungen ergäben. Aus diesem Grund sei keine Schadensmeldung bei der Kaskoversicherung erfolgt. Bei einer Geltendmachung würden sich insoweit höhere Regressansprüche ergeben wie gegenständlich geltend gemacht.

Die Klägerin beantragt zuletzt: Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 4.601,51 € nebst 5-%-Punkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 19.05.2020 sowie vorgerichtlich entstandene Rechtsanwaltskosten i.H.v. 413,90 € zu zahlen.

Die Beklagte beantragt: Klageabweisung.

Verkehrsunfall Ungarn – Klage gegen ungarischen Garantiefond
(Symbolfoto: Von Jose HERNANDEZ Camera 51/Shutterstock.com)

Die Beklagte ist der Auffassung, dass das Amtsgericht Pfaffenhofen international nicht zuständig sei. Darüber hinaus sei die Beklagte auch nicht passivlegitimiert. Bei der Beklagten würde es sich um einen Garantie- bzw. Entschädigungsfonds handeln, welcher nach dem nationalen Recht von den Mitgliedsversicherern gegründet worden sei, um den Verkehrsopfern eine Entschädigung zu zahlen, insbesondere wenn der Schaden durch einen Verkehrsunfall von einem nicht haftpflichtversicherten oder unbekannten Fahrzeug verursacht worden sei. Die Stellung der Beklagten sei mit dem Verein der Verkehrsopferhilfe in Deutschland zwar vergleichbar. Bei der Beklagten handle es sich jedoch nicht um einen Versicherer, so dass die Vorschrift des EuGVVO nicht anzuwenden sei. Eine analoge Anwendung dieser Vorschrift scheide jedenfalls aus. Des Weiteren sei die Leistung des Garantiefonds immer sekundär. Es bestünde auch keine Vergleichbarkeit der Beklagten mit einer Haftpflichtversicherung. Die Beklagte könne nicht in Deutschland verklagt werden. Darüber hinaus sei die Beklagte auch nicht passivlegitimiert. Des Weiteren müsse die Klägerin zunächst ihre eigene Kaskoversicherung in Anspruch nehmen.

Im Übrigen wird auf die gewechselten Schriftsätze der Parteien und auf deren dortige Vorträge sowie auf die mit den Schriftsätzen übersandten Anlagen als auch auf den Beschluss des Gerichts vom 12.01.2021 (Blatt 32/34 der Akten) vollinhaltlich Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist unzulässig.

Das angerufene Amtsgericht Pfaffenhofen a.d.Ilm ist international nicht zuständig.

Die Zuständigkeit folgt dabei schon nicht aus den nationalen Vorschriften. Weder nach §§12, 17 ZPO noch nach 32 ZPO oder § 20 StVG ist eine solche Zuständigkeit gegeben. Die Beklagte hat ihren Sitz in Ungarn, der gegenständliche Verkehrsunfall ereignete sich ebenfalls in Ungarn.

 

Eine Zuständigkeit ergibt sich darüber hinaus auch nicht aus übergeordnetem Europarecht nach Art. 10, 11, 13 EuGVVO.

„Versicherer im Sinne der EuGVVO sind grds. alle Versicherungsunternehmen, die privatrechtliche Versicherungsverträge abschließen, gleichgültig welcher Rechtsform bzw. Rechtsordnung sie entstammen. Auch eine öffentlich-rechtliche Organisationsform schadet dabei nicht, solange nur die angebotene (Erst-)Versicherung privatrechtlicher Natur ist. Daher kann im Einzelfall auch eine staatliche Exportkreditversicherung, etwa die im Auftrag des Bundes übernommenen sog „Hermesdeckungen“, ein Versicherungsvertrag im Sinne von Art. 10 sein.“ (Geimer/Schütze Int. Rechtsverkehr/Paulus, 60. EL August 2020, VO (EG) 1215/2012 Art. 10 Rn. 34)

Insoweit ist auf die Ausführungen des LG Darmstadt, Urteil vom 13.10.2016, Az. 3 O 349/14 vollinhaltlich zu verweisen. Dort wird ausgeführt: „Die internationale Zuständigkeit folgt ebenfalls nicht aus Art. 9, 11 der Verordnung Nr. 44/2001 des Rates vom 22.12.20 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (EuGVVO a.F.). Diese ist nach Neufassung am 10.01.2015 für den hiesigen Rechtsstreit weiterhin anzuwenden, da dieser vor Inkrafttreten der Neufassung eingeleitet geworden ist, Art. 66 EuGVVO n.F.

Die Art. 9, 11 EuGVVO a.F. beinhalten zwar die Möglichkeit einen ausländischen Versicherer vor dem Wohnsitzgerichtsstand des Klägers zu verklagen; jedoch handelt es sich bei der Beklagten zu 1) nicht um einen Versicherer im Sinne der EuGVVO. Ein Versicherer ist über eine vertragliche Beziehung zum Schädiger selbst zur Eintrittspflicht gehalten und wird dafür vom Versicherungsnehmer durch eine Versicherungsprämie vergütet. Keine dieser beiden Merkmale treffen auf die Beklagte zu 1) zu. Die beklagte Entschädigungsstelle ist dagegen nur gehalten, im Rahmen völkerrechtlicher Übereinkommen die Haftungsregulierung für Verkehrsunfälle im EU-Ausland zu vereinfachen. Sie steht weder mit dem Fahrer des unfallverursachenden Wagens noch dem Kläger in einer individualvertraglichen Beziehung und wird von diesen auch nicht vergütet. Es handelt sich bei der Beklagten zu 1) lediglich um eine Garantiestelle, die Anspruchspartner im Land des Unfallortes ist und die Regulierung zulasten des Haftpflichtversicherers des Schädigers vermittelt.

Eine erweiternde oder analoge Auslegung, die auch einen sog. „Scheinversicherer“ in den Anwendungsbereich der Art. 9, 11 EuGVVO a.F. einbeziehen würde, ist bereits wegen der durch den EuGH vertretenen grundsätzlich strikten Auslegung der Gerichtsstandsregelungen abzulehnen. Denn nach ständiger Rechtsprechung des EuGH müssen aufgrund des Gebots der Rechtsklarheit die Zuständigkeitsvorschriften der EuGVVO in hohem Maße vorhersehbar sein. Dies gebietet, die besonderen Zuständigkeitsregeln eng auszulegen. Eine Auslegung über die ausdrücklich in der Verordnung vorgesehenen Fälle ist unzulässig (vgl. EuGH, Urteil v. 13.07.2006 – C-103/05; vgl. auch BGH, Urt. v. 04.02.2015 – VI ZR 279/14). Vor diesem Hintergrund bleibt für eine Einbeziehung der Beklagten zu 1) offensichtlich kein Raum …“  (LG Darmstadt, 13.10.2016 – 3 O 349/14)

Vom EuGVVO erfasst werden somit nur Direkt-(Primär-) Ansprüche des Geschädigten gegen eine Versicherung. Nicht dagegen werden Sekundäransprüche hiervon erfasst.

„Steht dem Geschädigten eine Direktklage nach Art. 18 Rom II-VO offen, ergibt sich die gerichtliche Zuständigkeit des Verfahrens im Regelungsbereich der Brüssel Ia-VO aus deren Art. 13 Abs. 2 iVm Art. 10, 11 und 12. … Es ist vor dem Hintergrund der 4. Kraftfahrzeughaftpflicht-Richtlinie allerdings davon auszugehen, dass der Direktanspruch gegen den gegnerischen Haftpflichtversicherer mittlerweile binnenmarktweit Eingang in die Gesetzbücher gefunden hat. Der Sekundärrechtsakt zwingt hingegen nicht zur Regelung einer Direktklagemöglichkeit des Geschädigten gegen den Schadensregulierungsbeauftragten. Der EuGH legte jüngst Art. 4 der Richtlinie dahingehend aus, dass dieser die Mitgliedsstaaten in der Hinsicht eben nicht verpflichte.“ (MüKoStVR, II. Internationales Zivilverfahrens- und Privatrecht Rn. 149, beck-online)

Ebenso werden nicht erfasst Entschädigungsstellen, die lediglich als Auszahlungsstelle fungieren und europarechtlich nur zum Opferschutz zur Abfederung von Verkehrsopferansprüchen geschaffen wurden.

„Werden etwa Personen- oder Sachschäden durch ein unversichertes oder nicht ermitteltes Fahrzeug verursacht, kann der Geschädigte aus deutschem Blickwinkel seine Ersatzansprüche gemäß § 12 Abs. 1 PflVG direkt gegen den Entschädigungsfonds Verein Verkehrsopferhilfe e.V. geltend machen. Der EuGH konstatierte jedoch in der Rs. Csonka, dass die Richtlinie nicht binnenmarktweit zur Einrichtung von Entschädigungsstellen wie in Deutschland zwingt. Nicht unter den Abschnitt fallen indes solche Einrichtungen, welche die Ansprüche der Geschädigtenseite als auszahlende Stellen des gegnerischen Haftpflichtversicherers regulieren.“ (MüKo StVR, II. Internationales Zivilverfahrens- und Privatrecht Rn. 36, beck-online)

Die Klagepartei irrt, wenn sie der Meinung ist, dass allein aufgrund der Tatsache, dass eine nationale „Einrichtung der sozialen Sicherheit“ durch die Mitgliedsstaaten nach der Richtlinie zu erschaffen war, dass diese Einrichtung dann automatisch auch einem Versicherer gleichgestellt ist. Das Gegenteil ist der Fall mit der Folge, dass eine ausländische Entschädigungsstelle wie vorliegend die Beklagte daher nicht am Wohnsitz des Geschädigten und damit nicht am Sitz der Klägerin verklagt werden kann. Ungarn hat einen entsprechenden Entschädigungsfonds richtlinienkonform errichtet, dieser kann aber nicht vor hiesigem Gericht verklagte werden.

Die Zuständigkeitsregelungen sind bzgl. der Beklagten gerade nicht anwendbar.

Eine internationale Zuständigkeit des angerufenen Gerichts besteht damit nicht.

Die Klage war daher als unzulässig abzuweisen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 ZPO, die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit auf §§ 708 Nr. 11, 711 ZPO.

 

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