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Verkehrsunfall – Verweis auf günstigere Reparaturmöglichkeit bei fiktiver Schadensabrechnung

LG Magdeburg – Az.: 1 S 213/20 (108) – Urteil vom 19.03.2021

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Amtsgerichts M. vom 05.08.2020, Geschäftsnummer: 150 C 1791/19, abgeändert.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Rechtsstreits.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gem. §§ 540 Abs. 2, 313a ZPO, 26 Nr. 8 EGZPO abgesehen.

II.

Die Berufung der Beklagten ist gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO statthaft und auch im Übrigen nach §§ 517, 519, 520 ZPO zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

Die Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Die Klage ist unbegründet.

Der Klägerin steht der mit der Klage geltend gemachte weitere Schadensersatzanspruch aus dem Verkehrsunfall vom 01.03.2019 nicht gem. §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 VVG zu.

Die Beklagten haben den unfallbedingten Fahrzeugschaden der Klägerin mit der Zahlung von 11.961,06 € bereits vollständig erstattet.

Die Klägerin rechnet ihren Kraftfahrzeugschaden auf Grundlage des von ihr eingeholten Sachverständigengutachtens vom 04.03.2019 und somit fiktiv ab.

Ist wegen Beschädigung einer Sache Schadensersatz zu leisten, so kann der Geschädigte gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB statt der Herstellung den dazu erforderlichen Geldbetrag verlangen. Was insoweit erforderlich ist, richtet sich nach der ständigen Rechtsprechung des BGH danach, wie sich ein verständiger, wirtschaftlich denkender Eigentümer in der Lage des Geschädigten verhalten hätte. Der Geschädigte ist nach diesem in § 249 Abs. 2 S. 1 BGB verankerten Wirtschaftlichkeitsgebot gehalten, im Rahmen des ihm zumutbaren den wirtschaftlicheren Weg der Schadensbehebung zu wählen, sofern er die Höhe der für die Schadensbeseitigung aufzuwendenden Kosten beeinflussen kann. Verursacht also von mehreren zum Schadensausgleich führenden Möglichkeiten eine den geringeren Aufwand, so ist der Geschädigte grundsätzlich auf diese beschränkt; denn nur der für diese Art der Schadensbehebung nötige Geldbetrag ist i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich (BGH NJW 2020, 144). Darüber hinaus gilt für die Ersetzungsbefugnis des § 249 Abs. 2 S. 1 BGB das Verbot, sich durch Schadensersatz zu bereichern. Der Geschädigte soll zwar volle Herstellung verlangen können (Totalreparation), aber an dem Schadensfall nicht verdienen (BGH a.a.O.).

Diese Grundsätze gelten sowohl für die konkrete, als auch für die fiktive Schadensabrechnung. Der Geschädigte ist zwar sowohl in der Wahl der Mittel zur Schadensbehebung als auch in der Verwendung des vom Schädiger zu leistenden Schadensersatzes frei. Wird sein Fahrzeug beschädigt, hat er grundsätzlich einen Anspruch auf Ersatz der in einer markengebundenen Fachwerkstatt anfallenden Reparaturkosten unabhängig davon, ob er das Fahrzeug voll, minderwertig oder überhaupt nicht reparieren lässt (BGH a.a.O.). Auch wenn er sich für eine Abrechnung der fiktiven Reparaturkosten entscheidet, kann er aber nicht mehr als den für die Herstellung erforderlichen Geldbetrag verlangen.

Der die Reparaturkosten fiktiv abrechnende Geschädigte leistet dem Gebot der Wirtschaftlichkeit nach § 249 Abs. 2 S. 1 BGB im Allgemeinen genüge, wenn er der Schadensabrechnung die üblichen Stundenverrechnungssätze einer markengebundenen Fachwerkstatt zugrunde legt, die ein von ihm eingeschalteter Sachverständiger auf dem allgemeinen regionalen Markt ermittelt hat. Das Gutachten legt den zu beanspruchenden Schadensersatz für die Reparatur des beschädigten Kraftfahrzeugs aber keineswegs bindend fest. Insbesondere ist es dem Schädiger unbenommen, durch substantiierte Einwände die Annahmen des Sachverständigen im Einzelnen in Zweifel zu ziehen (BGH a.a.O.). Dazu gehört auch die Möglichkeit, den Geschädigten – auch noch im Rechtsstreit – auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit in einer mühelos und ohne Weiteres zugänglichen anderen markengebundenen oder „freien“ Fachwerkstatt zu verweisen, wenn der Schädiger darlegt und ggfls. beweist, dass eine Reparatur in dieser Werkstatt vom Qualitätsstandard her der Reparatur in einer markengebundenen Fachwerkstatt entspricht. Die Verweisung des Schädigers auf eine günstigere Reparaturmöglichkeit lässt der BGH zu, weil die Angaben des Sachverständigen in seinem Gutachten zur Höhe der voraussichtlich anfallenden Reparaturkosten keinesfalls stets verbindlich den Geldbetrag bestimmen, der i.S.d. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB zur Herstellung erforderlich ist (BGH NJW 2014, 535 Rn. 10). Bei fiktiver Abrechnung ist der objektiv zur Herstellung erforderliche Betrag ohne Bezug zu tatsächlich getätigten Aufwendungen zu ermitteln. Der Geschädigte, der nicht verpflichtet ist, zu den von ihm tatsächlich veranlassten oder auch nicht veranlassten Herstellungsmaßnahmen konkret vorzutragen, disponiert hier dahin, dass er sich mit einer Abrechnung auf einer objektiven Grundlage zufriedengibt. Hinweise der Schädigerseite auf Referenzwerkstätten dienen dazu, der Behauptung des Geschädigten entgegenzutreten, der vom Sachverständigen ermittelte Betrag gebe den zur Herstellung erforderlichen Betrag zutreffend wieder (BGH a.a.O.). Kann die Schädigerseite die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer preiswerteren Werkstatt ausreichend darlegen und notfalls beweisen, ist auf der Grundlage der preiswerteren Reparaturmöglichkeit abzurechnen (BGH a.a.O.).

Die Beklagten haben die Klägerin bereits vorgerichtlich darauf verwiesen, dass die Firma R. Autoh. GmbH die Reparatur zu einem Preis von 11.961,06 € ausführt. Diesen Vortrag haben die Beklagten im Prozess wiederholt. Sie haben dargelegt, dass es sich bei der Firma R. Autoh. GmbH um eine Volkswagen-Vertragswerkstatt handelt. Weiterhin haben sie vorgetragen, dass bei der Reparatur in dem dortigen Betrieb alle Qualitätsstandards und Herstellergarantien von Volkswagen gewährleistet sind genauso wie in jeder anderen Volkswagenwerkstatt. Die technische Gleichwertigkeit mit einem dem klägerischen Gutachten zugrunde gelegten Volkswagenvertragshändler ist gegeben. Die Beklagte zu 1 hat ihrer Schadensabrechnung die konkreten Lohnkosten und Stundenverrechnungssätze der VW-Vertragswerkstatt R. Autoh. GmbH zugrunde gelegt. Diesen Vortrag hat die Klägerin nicht bestritten. Somit ist unstreitig geblieben, dass eine gleichwertige Reparatur in einer VW-Vertragswerkstatt in der Nähe des Wohnorts der Klägerin zu einem Nettopreis von 11.961,06 € hätte erfolgen können. Die erforderlichen Reparaturkosten i.S.d. 249 Abs. 2 S. 1 BGB belaufen sich auf Grundlage des unstreitig gebliebenen Vortrags der Beklagten demnach auf 11.961,06 €. Einen weitergehenden Schadensanspruch hat die Klägerin gem. § 249 Abs. 2 S. 1 BGB nicht.

Ohne Erfolg macht die Klägerin geltend, es liege kein konkretes annahmefähiges Angebot der Beklagten vor. Die Beklagte muss kein konkretes Vertragsangebot einer Reparaturwerkstatt vorliegen, um die in dem Sachverständigengutachten vom 04.03.2019 aufgeführten Wiederherstellungskosten substantiiert zu bestreiten. Die Beklagten greifen die Feststellungen in dem Privatgutachten vom 04.03.2019 an. Dafür durften sie sich nicht auf ein einfaches Bestreiten der Angaben des Privatgutachters beschränken. Dies haben die Beklagten jedoch auch nicht getan. Vielmehr haben die Beklagten unter Vorlage des Prüfberichts der Firma C. E. und Benennung einer konkreten Fachwerkstatt die zumutbare Möglichkeit der Inanspruchnahme einer preiswerteren Werkstatt dargelegt. Für diese substantiierten Angriffe des von der Klägerin eingeholten Sachverständigengutachtens ist kein konkretes und verbindliches Angebot einer Fachwerkstatt erforderlich, denn es geht um die erforderlichen Wiederherstellungskosten im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung.

Eine andere Frage wäre möglicherweise, ob bei einer konkreten Schadensabrechnung der Schädiger den Geschädigten im Rahmen des Mitverschuldenseinwandes darauf verweisen kann, dass eine andere Werkstatt die gleichwertige Reparatur günstiger ausgeführt hätte, wenn dem Geschädigten vor der Reparaturbeauftragung lediglich ein Prüfbericht zugesendet wurde. Eine derartige Konstellation liegt hier jedoch nicht vor. Die Beklagte tritt im Rahmen der fiktiven Schadensabrechnung mit dem Prüfbericht dem Vortrag der Klägerin entgegen, das von ihr eingeholte Sachverständigengutachten gebe den erforderlichen Herstellungsaufwand zutreffend wieder. Dieser Prüfbericht genügt den Anforderungen an die Darlegungslast des Schädigers.

Es ist letztlich auch davon auszugehen, dass der Klägerin tatsächlich keine höheren Reparaturkosten als die bereits vorgerichtlich erstatteten, entstanden sind, da sie anderenfalls von der fiktiven Abrechnung auf die konkrete Abrechnung übergegangen wäre. Dass es ihr nicht möglich ist, die Reparaturrechnung vorzulegen, erscheint wenig überzeugend. Es ist nicht nachvollziehbar, aus welchen Gründen die beauftragte Werkstatt der Klägerin keine weitere Ausfertigung der Rechnung ausgehändigt hätte. Wie bereits ausgeführt, soll der Geschädigte am Schadensfall aber auch nicht verdienen (BGH NJW 2020, 144).

Auf die Berufung der Beklagten ist die Klage somit abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO i.V.m. § 26 Nr. 8 EGZPO.

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