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Verzögerte Schadenregulierung durch gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung – Schmerzensgelderhöhung

OLG Naumburg, Az.: 9 U 121/00, Urteil vom 25.09.2001

Auf die Berufungen der Klägerin und der Beklagten wird das am 19.5.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal (23 O 292/99) unter Zurückweisung der weitergehenden Rechtsmittel abgeändert:

Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin über die bereits erfolgten Zahlungen von insgesamt 50.000,– DM weitere 175.000,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20.10.1999 sowie 5 % über dem Basissatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 9.6.1998 (BGBl. I, S.1242) seit dem 1.6.2000 zu zahlen.

Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin sämtliche materiellen und immateriellen Schäden, die ihr in Zukunft aus dem Verkehrsunfall vom 5.7.1993 gegen 0.20 Uhr auf der Landstraße 15 K. in Höhe des Abzweigs Sch. bei Kilometerstein 15,2 entstehen, zu 80 % zu ersetzen, jedoch begrenzt auf einen Betrag von 1.000.000,– DM, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen zu 20 % die Klägerin und zu 80 % die Beklagte.

Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung der Klägerin gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 200.000,– DM abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet. Die Klägerin kann die Vollstreckung der Beklagten gegen Sicherheitsleistung i. H. v. 4.000,– DM abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Beide Parteien können die Sicherheitsleistung auch durch eine unbedingte, unwiderrufliche, unbefristete und selbstschuldnerischen Bürgschaft einer deutschen Groß- oder Genossenschaftsbank oder einer öffentlichen Sparkasse erbringen.

Die Beschwer der Parteien übersteigt 60.000,– DM.

Tatbestand

Verzögerte Schadenregulierung durch gegnerische Kfz-Haftpflichtversicherung - Schmerzensgelderhöhung
Symbolfoto: GalinaVdovenko/ Bigstock

Wegen des erstinstanzlichen Vortrages der Parteien und der in erster Instanz gestellten Anträge nimmt der Senat gemäß § 543 Abs. 2 ZPO Bezug auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 118 – 123 I).

Das Landgericht hat die Beklagte unter Berücksichtigung einer Mitverschuldensquote der Klägerin zur Zahlung von Schmerzensgeld verurteilt und festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin die künftigen materiellen und immateriellen Schäden zu 70 % zu ersetzen hat. Ausgehend von den – unstreitigen – Verletzungen und Verletzungsfolgen sei grundsätzlich ein Schmerzensgeld i. H. v. 250.000,– DM angemessen. Soweit die Beklagte die Kausalität zwischen einigen Verletzungen und dem Unfallgeschehen bestreite, sei ihr Vorbringen unsubstantiiert. Die Klägerin müsse sich aber ein Mitverschulden i. H. v. 30 % zurechnen lassen, weil sie davon Kenntnis gehabt habe, dass der Fahrer des Unfallfahrzeuges während der Fahrt Alkohol zu sich genommen habe. Der Verursachungsbeitrag des Fahrers überwiege schon im Hinblick darauf, dass die Klägerin im Unfallzeitpunkt erst 15 Jahre alt gewesen sei und somit nicht über die Lebenserfahrung eines Erwachsenen verfügt habe. Da sich die Beklagte mit dem Fahrer (und einem weiteren Beifahrer ) zudem mehrere Kilometer von ihrem Wohnort entfernt aufgehalten habe, sei es nicht ratsam gewesen, zu Fuß allein nach Hause zu gehen. Die Anmahnung einer vorsichtigen Fahrweise sei gegenüber dem alkoholisierten Fahrer nicht durchzusetzen gewesen. Dass die Klägerin nicht angeschnallt gewesen sei, könne unberücksichtigt bleiben. Angesichts der Beschädigungen am Fahrzeug könne nicht davon ausgegangen werden, dass die Klägerin geringfügigere Verletzungen erlitten habe, wenn sie angeschnallt gewesen wäre. Ebenfalls nicht anspruchsmindernd wirke sich aus, dass die Bremsen des Fahrzeuges möglicherweise nicht funktioniert hätten. Es sei nicht ersichtlich, dass die Klägerin hiervon rechtzeitig Kenntnis gehabt habe. Der Vortrag der Beklagten, der Fahrer habe dies laut während der Fahrt geäußert, sei unter Berücksichtigung des Inhalts der Aussage des Fahrers in dem gegen ihn geführten Ermittlungsverfahren unsubstantiiert. Unter Anrechnung der bereits erbrachten Zahlung der Beklagten i. H. v. 50.000,– DM rechtfertige sich noch ein restlicher Schmerzensgeldanspruch i. H. v. 125.000,– DM.

Gegen das am 19.5.2000 verkündete und jeweils am 25.5.2000 zugestellte Urteil des Landgerichts Stendal (23 O 292/99) wenden sich beide Parteien mit der jeweils am 26.6.2000 beim Oberlandesgericht eingegangenen Berufung, die die Klägerin mit einem am 24.7.2000 und die Beklagte mit einem am 26.7.2000 beim Oberlandesgericht eingegangenen Schriftsatz begründet haben.

Die Klägerin wendet sich gegen die Berücksichtigung eines Mitverschuldens, weil ihr die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit des Fahrers entgegen der Ansicht des Landgerichts weder bekannt war noch sich hätte ihr aufdrängen müssen. Allein aus der Blutalkoholkonzentration beim Fahrer von 1,03 o/oo (noch dazu gemessen im Zeitpunkt der Blutentnahme) ergäbe sich nicht, dass ihr die Beeinträchtigung der Fahrtüchtigkeit habe bekannt sein müssen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 20.7.2000 (Bl. 12 – 14 II) sowie die Schriftsätze vom 10.8.2000 (Bl. 31/32 II) und 4.7.2001 (Bl. 90 II).

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Landgerichts Stendal vom 19.5.2000 (23 O 292/99) abzuändern und die Beklagte zu verurteilen,

an die Klägerin weitere 75.000,– DM nebst 4 % Zinsen seit dem 20.10.1999 sowie 5 % über dem Basissatz nach § 1 des Diskontsatz-Überleitungsgesetzes vom 9. Juni 1998 (BGBl. I S.1242) seit dem 1.6.2000 zu zahlen;

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, der Klägerin den gesamten ihr zukünftig aus dem Verkehrsunfall vom 5.7.1992 gegen 0.20 Uhr auf der Landstraße 15 K. in Höhe des Abzweigs Sch. bei Kilometerstein 15,2 entstehenden materiellen und immateriellen Schaden zu ersetzen, soweit die Ansprüche nicht auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergehen.

Die Beklagte beantragt, das am 19.5.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal (23 O 292/99) abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen; die Berufung der Klägerin gegen das am 19.5.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal (23 O 292/99) zurückzuweisen.

Die Beklagte trägt vor, dass das Landgericht das Mitverschulden der Klägerin nicht ausreichend gewürdigt habe. Zum einen sei von Bedeutung, dass die Fahrt ganz bewußt darauf angelegt gewesen sei, eine große Menge Bierbüchsen zu leeren, ohne in der Öffentlichkeit zu sein. Darüberhinaus habe das Landgericht nicht ausreichend berücksichtigt, dass die Verletzungen der Klägerin darauf zurückzuführen sein dürften, dass sie nicht angeschnallt gewesen und deshalb aus dem Auto herausgeschleudert worden sei. Die Klägerin habe zudem in der Mitte der Rücksitzbank Platz genommen und sich nach vorn gebeugt, ohne angeschnallt gewesen zu sein. Der Klägerin sei auch bekannt gewesen, dass die Bremsen des Fahrzeuges defekt gewesen seien, da der Fahrer des Fahrzeuges kurz nach Antritt der Fahrt mit der Klägerin offensichtlich auf diesen Umstand laut hingewiesen habe. Sie hafte zudem allenfalls gemäß § 158 c Abs. 3 VVG begrenzt auf einen Höchstbetrag von 1 Million DM. Insoweit sei eine Haftung im Urteil zu begrenzen.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird Bezug genommen auf den Inhalt der Berufungsbegründung vom 26.7.2000 (Bl. 21 – 24 II) sowie die Berufungserwiderung vom 8.8.2000 (Bl. 29/30 II).

Die Klägerin beantragt weiter, die Berufung der Beklagten gegen das am 19.5.2000 verkündete Urteil des Landgerichts Stendal (23 O 292/99) zurückzuweisen.

Sie bestreitet, dass die Fahrt den Zweck gehabt habe, eine möglichst große Menge Bierbüchsen zu leeren. Es treffe nicht zu, dass sie in der Mitte der Rücksitzbank gesessen und sich nach vorn gebeugt habe. Ein Defekt an den Bremsen sei ihr nicht bekannt gewesen sei.

Die Akten des Strafverfahrens 23 Ds 252/93 (AG Stendal [31 Js 17866/93; 11087/93; 10963/93 jeweils StA Stendal]) waren Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Der Senat hat die Klägerin persönlich angehört und den Fahrer sowie den Beifahrer des Unfallfahrzeuges als Zeugen zu den Fragen gemäß der Verfügung vom 22.11.2000 (Bl. 37 II) vernommen. Insoweit wird Bezug genommen auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften vom 5.12.2000 (Bl. 48 f. II) und 27.3.2001 (Bl. 63 ff. II). Der Senat hat gemäß Beweisbeschluss vom 27.3.2001 (Bl. 67 f. II) ein schriftliches gerichtsmedizinisches Gutachten eingeholt. Es wird Bezug genommen auf den Inhalt des schriftlichen Gutachtens des Prof. Dr. med. K. vom 25.6.2001 (Bl. 81 – 86 II).

Entscheidungsgründe

Beide Berufungen sind zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Beide Rechtsmittel haben teilweise Erfolg. Die Berufung der Klägerin hat insoweit Erfolg, als ihr als Schmerzensgeld ein weiterer Betrag i. H. v. 50.000, — DM zusteht und lediglich von einer Mitverschuldensquote von 20 % auszugehen ist. Auf die Berufung der Beklagten ist der Feststellungsantrag der Klägerin auf einen Betrag von 1.000.000,– DM zu begrenzen.

Die Haftung der Beklagten ist dem Grunde nach unstreitig. Unstreitig ist dabei der äußere Ablauf des Unfallgeschehens und die alleinige Verursachung durch den Zeugen G. R.. Weiter ist unstreitig, dass eine Anzeige über das Erlöschen des Versicherungsschutzes von der Beklagten nicht innerhalb der Frist gemäß § 3 Nr. 5 PflVG gegenüber der zuständigen Behörde angezeigt wurde. In der Berufungsinstanz streiten die Parteien im Wesentlichen darüber, ob bzw. in welchem Umfang auf Seiten der Klägerin ein Mitverschulden zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin muß sich unter Berücksichtigung aller maßgeblichen Umstände des vorliegenden Falles ein Mitverschulden i. H. v. 20 % zurechnen lassen. Der Einwand des Mitverschuldens folgt daraus, dass die Klägerin vor Beginn der Fahrt hätte erkennen müssen, dass sowohl der Fahrer G. R. als auch der Beifahrer D. B. alkoholische Getränke (Bier) zu sich nehmen wollten und der Fahrer erkennbar gleichwohl am Straßenverkehr teilnehmen wollte. In der konkreten Situation hätte die Klägerin, nachdem an der Tankstelle in größerer Menge Bier gekauft wurde (nach Aussage des Fahrers – Bl. 64 II – 10 bis 12 0,5-l-Dosen) nicht wieder in das Fahrzeug einsteigen dürfen. Bei der Frage, ob einem Beifahrer unter dem Gesichtspunkt der Alkoholisierung des Fahrers ein Mitverschulden zuzurechnen ist, ist von folgenden Voraussetzungen auszugehen: Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (NJW 1989, 2365) kommt es für die Frage, ob der Geschädigte die Einschränkung der Fahrtüchtigkeit kannte oder erkennen mußte, darauf an, ob und in welchem Umfang der Fahrer in Gegenwart des Geschädigten alkoholische Getränke zu sich genommen hat oder welche Ausfälle in seinem Beisein der Fahrer gezeigt hat, die auf eine alkoholbedingte Fahruntüchtigkeit schließen lassen. Die Obergerichte haben sich diesem Ansatz dem Grunde nach angeschlossen (z. B. OLG Hamm OLGR 1998, 145; OLG München OLGR 1998, 107; OLG Hamm OLGR 1997, 243; OLG Köln VRS 90, 92; OLG Oldenburg 1998, 277). Hierbei wird davon ausgegangen, dass aus dem Grad der Blutalkoholkonzentration – jedenfalls im Bereich der relativen Fahruntüchtigkeit – keine zwingenden Rückschlüsse auf erkennbare alkoholbedingte Ausfallerscheinungen gezogen werden können. Aufgrund der Aussagen der Zeugen R. und B. ist nicht bewiesen, dass die Klägerin vor Antritt der Fahrt (nach dem Halt an der Tankstelle) gesehen hat, dass der Fahrer alkoholische Getränke zu sich genommen hat noch, dass er alkoholbedingte Ausfallerscheinungen hatte. Der Zeuge R. hat zwar bekundet, dass er bereits am frühen Nachmittag in dem Kinder- und Jugendheim, in dem die Klägerin untergebracht war, mehrere Flaschen Bier getrunken habe. Er hat auch ausgesagt, die Klägerin dort gesehen zu haben. Der Zeuge konnte aber nicht bestätigen, dass die Klägerin beobachtet habe, dass er getrunken habe. Die Aussage des Zeugen B. ist zu der Frage einer Alkoholisierung des Fahrers vor Beginn der Fahrt von der Tankstelle unergiebig. Er hat insoweit nur bekundet, dass nach Antritt der Fahrt im Auto Bier getrunken wurde. Ein Mitverschulden des Beifahrers kommt unter Berücksichtigung der oben genannten Rechtsprechung aber nicht nur dann in Betracht, wenn er sich zur Mitfahrt in der Kenntnis entschließt, dass der Fahrer alkoholisiert ist, oder er dies zumindest annehmen muß. Ein Mitverschulden ist vielmehr auch dann anzunehmen, wenn der Beifahrer weiß oder damit rechnen muß, dass der – bei Fahrtbeginn ggf. noch nüchterne – Fahrer während der Fahrt alkoholische Getränke in einer Menge zu sich nehmen will, die seine Fahrtüchtigkeit beeinträchtigen kann. Der Ausgangspunkt für das Mitverschulden ist die Eigengefährdung, die dadurch eintritt, sich als Beifahrer einem Fahrer anzuvertrauen, der alkoholbedingt in seiner Verkehrstauglichkeit eingeschränkt ist. Dafür spielt es aber keine Rolle, ob der Alkoholkonsum vor Beginn der Fahrt erfolgte (was den Regelfall darstellen wird) oder für den Beifahrer erkennbar während der Fahrt erfolgen soll. Von Letzterem ist im vorliegenden Fall auszugehen. An der Tankstelle wurden mindestens (nach der Aussage des Zeugen R.) 10 – 12 0,5-l-Dosen Bier gekauft. Auch für die damals erst 15-jährige Klägerin mußte erkennbar sein, dass Fahrer und Beifahrer das Bier entweder während der Fahrt ( „Es kam das Gespräch auf, mit dem Auto noch ein bisschen umherzufahren“ – Bl. 64 II -) trinken wollten oder während eines Stopps, vom dem aus wieder das Fahrzeug wieder genutzt werden mußte. Mit dem Landgericht (LGU S. 9 – Bl. 136 I -) ist davon auszugehen, dass der Klägerin nicht zugemutet werden konnte, mitten in der Nacht allein von dem Haltepunkt zurückzugehen. Es muß aber im Rahmen des Mitverschuldens (auch unter Berücksichtigung von § 828 Abs. 2 S. 1 BGB) auch von einem 15-jährigen Mädchen erwartet werden, dass sie die Gefahr erkennt, wenn sie sich in ein Fahrzeug setzt, in dem sich ein Fahrer und ein Beifahrer befinden, die ersichtlich gewillt sind, in erheblichem Maße Alkohol zu trinken. Insoweit ist auch davon auszugehen, dass die Klägerin bei einer Menge von 10 – 12 0,5-l-Dosen Bier erkennen konnte, dass es sich dabei um eine Alkoholmenge handelte, die die Fahrtüchtigkeit des Fahrers selbst dann beeinträchtigen würde, wenn er davon nur einen Teil trinken würde. Da es von der Tankstelle aus möglich gewesen wäre, sicher zum Heim zurückzugelangen, mußte von der Klägerin in der konkreten Situation erwartet werden, dass sie nicht in das Fahrzeug einstieg und mitfuhr.

Weitere Gesichtspunkte, aus denen sich ein Mitverschulden der Klägerin ergeben könnte, greifen nicht durch. Ob der Vortrag der Beklagten, der Klägerin sei bekannt gewesen, dass die Bremsen des Fahrzeuges defekt gewesen seien, grundsätzlich ein Mitverschulden begründen könnte, kann dahinstehen. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten (BB S. 2 – Bl. 16 II -) soll der Fahrer dies erst nach Antritt der Fahrt geäußert haben, also zu einem Zeitpunkt, als die Klägerin das Fahrgeschehen nicht mehr beeinflussen konnte. Jedenfalls hat sich der Vortrag der Beklagten nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht bestätigt. Der Zeuge R. konnte nicht bestätigen, dass die Bremsen des Fahrzeuges defekt waren. Er hat vielmehr bekundet, dass die Bremswirkung des Fahrzeuges normal gewesen sei.

Ein Mitverschulden der Klägerin folgt auch nicht daraus, dass sie nicht angeschnallt war. Zwar trifft einen Kfz-Insassen, der den Sicherheitsgurt nicht anlegt, grundsätzlich ein Mitverschulden an seinen infolge der Nichtanlegung des Gurts erlittenen Unfallverletzungen (BGHZ 119, 268, 270). Selbst wenn man insoweit von einem Anscheinsbeweis zugunsten der Beklagten ausgeht, konnte die Klägerin gegenüber dem typischen Unfallverlauf den Gegenbeweis führen (BGH NJW 1980, 2125, 2126). Dabei dürfen an den Gegenbeweis keine überzogenen Anforderungen gestellt werden, weil der Geschädigte einen hypothetischen Geschehensablauf beweisen muß (OLG Karlsruhe DAR 1990, 342). Den Gegenbeweis hat die Klägerin nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme geführt. Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Dr. med. K., denen sich der Senat nach eigener Prüfung anschließt und gegen die von den Parteien keine Einwände erhoben worden sind, wäre bei der Klägerin auch bei ordnungsgemäßer Anlegung eines üblichen Sicherheitsgurtes, nicht mit einem deutlich anderen Verletzungsbild zu rechnen gewesen. Der Sicherheitsgurt konnte im Hinblick auf die seitliche Kollision des Fahrzeuges mit dem Baum keine Schutzwirkung entfalten, weil sich der Körper, auch wenn er angeschnallt gewesen wäre, aus dem Gurt gelöst hätte und es mit dem anzunehmenden Grad an Sicherheit (OLG Karlsruhe a. a. O. S. 343) auch dann zu den Wirbelkörperkompressionsfrakturen der Halswirbel 6 und 7 gekommen wäre. Dass die Klägerin nicht angeschnallt war, ist somit bei der Bemessung der Mitverschuldensquote nicht mit zu berücksichtigen.

Hinsichtlich der Abwägung der beiderseitigen Mitverursachungsanteile und Verschuldensbeiträge nimmt der Senat insbesondere zu den zu berücksichtigenden Umständen Bezug auf das angefochtene Urteil (LGU S. 9 – Bl. 136 I -). Der Senat bewertet die Umstände indes so, dass nur von einer Mitverschuldensquote von 20 % auszugehen ist. Zwar muß der Klägerin entgegengehalten werden, dass sie in der konkreten Situation in das Fahrzeug eingestiegen ist. Nicht außer Acht gelassen werden darf aber der – insbesondere vom Zeugen R. geschilderte – Ablauf des Tages mit „Partystimmung“ bereits am Nachmittag am Kinder- und Jugendheim und der Entscheidung, mit „dem Auto noch ein bißchen umherzufahren“. Hinzugekommen wäre bei der „richtigen“ Entscheidung (an der Tankstelle nicht in das Fahrzeug einzusteigen) die Notwendigkeit, für den Rücktransport zum Heim zu sorgen. In der konkreten Situation wäre der 15-jährigen Klägerin die richtige Entscheidung möglich gewesen, aber sie wäre ihr – nachvollziehbar – schwer gefallen. Dies rechtfertigt es, bei einer Gesamtbetrachtung lediglich von einer Mitverschuldensquote von 20 % auszugehen.

Die Klägerin hat unter Berücksichtigung der von der Beklagten erfolgten Zahlungen (50.000,– DM) einen Schmerzensgeldanspruch i. H. v. 225.000,– DM. Im Vordergrund der Bemessung des Schmerzensgeldes steht das Ausmaß der durch den Unfall hervorgerufenen Verletzungen und ihrer heute noch bestehenden physischen und psychischen Auswirkungen auf die Klägerin und auf ihr berufliches und soziales Leben (BGHZ 18, 149, 154). Weiter zu berücksichtigen ist das Regulierungsverhalten des Schädigers (bzw. der hinter ihm stehenden Versicherung) und sein Verhalten in einem Schadensersatzprozeß, weil die Notwendigkeit zur Führung eines solchen Prozesses eine weitere seelische Beeinträchtigung der Geschädigten beinhaltet. Der auf Zahlung eines Schmerzensgeldes in Anspruch genommene Kfz-Haftpflichtversicherer trägt das Risiko seines Regulierungsverhaltens, wenn sich seine verfahrensverzögernden Einwände gegen die Schmerzensgeldhöhe als unzutreffend erweisen (OLG Nürnberg VersR 1998, 731, 732). Vor diesem Hintergrund nimmt der Senat in vollem Umfang Bezug auf die Ausführungen des Landgerichts zu den erlittenen Verletzungen, den bei der Klägerin fortbestehenden Unfallfolgen und ihrem dauerhaften Charakter (LGU S.8 – Bl. 135 I -). Dem Landgericht kann aber nicht darin gefolgt werden, wenn es von dem von ihm für angemessen erachteten Schmerzensgeld die Mitverschuldensquote absetzt. Ein „an sich angemessenes“ Schmerzensgeld gibt es nicht (MK-Stein BGB, 3. Aufl., § 847, Rn. 38). Es hat vielmehr eine Gesamtbetrachtung zu erfolgen, wobei ein Mitverschulden bei der Bemessung des Schmerzensgeldes nur einen Bewertungsfaktor darstellt, der nicht quotenmäßig zu berücksichtigen ist (OLG Karlsruhe VersR 1988, 59, 60). Das Ausmaß der Verletzungsfolgen und die damit auch aktuell verbundenen psychischen Belastungen rechtfertigen es, ein Schmerzensgeld festzusetzen, das höher liegt, als es sich bei einer rechnerischen Berücksichtigung der Mitverschuldensquote ergeben würde (dazu: BGH NZV 1991, 305). Zu berücksichtigen ist weiter, dass die Beklagte vorprozessual nur bereit war, ein Schmerzensgeld zu zahlen, das ersichtlich den Leiden der Klägerin nicht gerecht werden konnte. Sie hat zudem den Mitverschuldenseinwand auch mit dem Nichtanlegen des Gurtes begründet und in der Berufungsbegründung ausgeführt, „dass die bisherige Schmerzensgeldzahlung der Beklagten mehr als ausreichend ist.“ Angesichts der Lichtbilder vom Unfallort war es eine naheliegende Bewertung (wie sie das Landgericht vorgenommen hat – LGU S. 9 a. E./10 – Bl. 136 f I -), dass die Verletzungsfolgen auch bei angelegtem Gurt nicht weniger schwerwiegend gewesen wären. Dies wurde sodann durch das Sachverständigengutachten eindeutig bestätigt. Auch dieses wenig kooperative Verhalten der Beklagten ist bei der Bemessung des Schmerzensgeldes zu berücksichtigen, das bei Bewertung aller Einsatzfaktoren mit 225.000,– DM zu bemessen ist, so dass die Beklagte nach Abzug der erfolgten Zahlungen noch zur Zahlung von 175.000,– DM zu verurteilen ist.

Die Berufung der Beklagten ist begründet, soweit sie mit ihr begehrt, dass der Feststellungsanspruch gemäß § 158 c Abs. 3 VVG auf einen – unstreitigen – Betrag von 1.000.000,– DM begrenzt ist. Dieses war auf den Antrag der Beklagten in den Tenor aufzunehmen (BGH NJW 1979, 1046, 1047).

Die Kostentscheidung folgt aus den §§ 91 Abs. 1, 92 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit beruht auf den §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Die Beschwer der Parteien hat der Senat gemäß § 546 Abs. 2 ZPO festgesetzt.

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