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Verkehrsunfall: Schmerzensgeld bei Schädel-Hirn-Trauma

OLG Nürnberg, Az.: 6 U 4215/96, Urteil vom 25.04.1997

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Endurteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 26.11.1996 in Ziff. 1 dahingehend abgeändert, daß die Beklagte verurteilt wird, an die Klägerin ein weiteres Schmerzensgeld in Höhe von 158.000,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 31.01.1996 zu bezahlen.

II. Die Berufung der Beklagten gegen das Endurteil des Landgerichts Weiden i.d.OPf. vom 26.11.1996 wird zurückgewiesen.

III. Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits -beider Instanzen- zu tragen.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 80.000,00 DM abwenden, falls nicht die Klägerin in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

V. Der Wert der Beschwer für die Beklagte beträgt 120.000,00 DM.

Beschluß: Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 120.000,00 DM festgesetzt.

Tatbestand

Verkehrsunfall: Schmerzensgeld bei Schädel-Hirn-Trauma
Symbolfoto: Kasia Bialasiewicz/ Bigstock

Die Klägerin, geb. am 20. Juni 1963, wurde am 09. Juli 1991 bei einem Unfall als Beifahrerin in einem bei der Beklagten versicherten Pkw verletzt. Die Einstandspflicht der Beklagten ist mit 100 % unstreitig.

Nachdem die Beklagte den Verdienstentgang der Klägerin für den Zeitraum vom 21.08.1991 bis 30.06.1993 ersetzt und weitere 92.000,00 DM, die auf den immateriellen Schaden der Klägerin verrechnet wurden, bezahlt hatte, stritten die Parteien in erster Instanz um ein weiteres Schmerzensgeld von mindestens 158.000,00 DM, weiteren Verdienstentgang in Höhe von 37.321,18 DM und um die Einstandspflicht der Beklagten für einen eventuellen Zukunftsschaden.

Bezüglich des unstreitigen Sachverhalts, des Parteivortrags in erster Instanz und der dort gestellten Anträge, wird auf die Seiten 4 mit 7 des angefochtenen Urteils Bezug genommen (§ 543 Abs. 2 ZPO).

Das Landgericht Weiden hat mit Urteil vom 26. November 1996 die Beklagte zur Zahlung eines weiteren Schmerzensgeldes von 108.000,00 DM verurteilt. Im übrigen hat es der Klage stattgegeben. Auf die Entscheidungsgründe dieses Urteils wird verwiesen.

Gegen die Höhe des Schmerzensgeldes haben beide Parteien Berufung eingelegt. Die weitergehende Verurteilung der Beklagten wurde nicht angegriffen.

Die Klägerin verfolgt im Berufungsverfahren ihren ursprünglichen Antrag weiter mit der Begründung, die Beklagte habe sehr schleppend bezahlt, so daß sie aufgrund ihrer unfallbedingten Erwerbsunfähigkeit gezwungen gewesen sei, Bankkredite in Anspruch zu nehmen und Sozialhilfe zu beantragen. Im übrigen wird auf die Berufungsbegründung mit Nachtrag verwiesen.

Die Klägerin stellt den Antrag:

1. Das Urteil des Landgerichts Weiden vom 18.12.1996, Az. …, wird, soweit die Klage in Ziffer 1 in Höhe eines Teilbetrages von 50.000,00 DM abgewiesen wurde, aufgehoben. 2. Die Beklagte wird verurteilt, über die mit Ziffer 1 des vorgenannten Endurteils zugesprochenen 108.000,00 DM weiteres Schmerzensgeld hinaus noch weitere 50.000,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit 31.01.1996, insgesamt also 158.000,00 DM nebst 4 % Zinsen hieraus seit dem 31.01.1996 zu bezahlen. 3. Die Beklagte trägt die Kosten beider Instanzen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin kostenpflichtig zurückzuweisen und stellt im übrigen den Antrag:

1. Das Endurteil des Landgerichtes Weiden, Az. …, vom 26.11.96 wird in Ziffer 1 teilweise aufgehoben und die Klage abgewiesen, soweit die Beklagte verurteilt wurde, ein höheres Schmerzensgeld als DM 38.000,00 zu bezahlen. 2. Die Klägerin und Berufungsbeklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

Sie ist der Auffassung, daß ihr eine verzögerte Regulierung nicht vorgeworfen werden könne, da sie erst die Erholung der ärztlichen Gutachten habe abwarten müssen.

Ein Gesamtschmerzensgeld in Höhe von 130.000,00 DM sei im vorliegenden Fall angemessen und ausreichend. Dieser Betrag entspreche den in vergleichbaren Fällen ausgeurteilten Schmerzensgeld. Die Genugtuungsfunktion müsse im vorliegenden Fall zurücktreten, da es sich um eine Gefälligkeitsfahrt gehandelt habe. Schließlich könne ein noch so hohes Schmerzensgeld die vorhandene gesundheitliche Beeinträchtigung nicht vermindern.

Auf die Berufungsbegründung mit Nachtrag wird Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt: die Berufung der Beklagten kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Senat hat nicht Beweis erhoben. Auf die vorliegenden Urkunden und die Sitzungsniederschrift vom 25. April 1997 wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.

Die Berufungen beider Parteien sind statthaft und zulässig (§§ 511 ff ZPO). In der Sache hat nur die Berufung der Klägerin Erfolg.

II.

Im Vordergrund der Bemessung des Schmerzensgeldes steht das Ausmaß der durch den Unfall hervorgerufenen Verletzungen und ihrer heute noch bestehenden physischen und psychischen Auswirkungen auf die Klägerin und auf ihr berufliches und soziales Leben (BGHZ 18, 149 (154) = VersR 1955, 615 (616)). Ferner ist im vorliegenden Fall zu berücksichtigen, daß die Fahrerin des Fahrzeugs bei dem Unfall mit überdurchschnittlicher Fahrlässigkeit gehandelt hat (BGHZ 18, 149 (157) = VersR 1955, 615 (617)), daß die Führung des Schadensersatzprozesses durch die Beklagte eine weitere seelische Beeinträchtigung der Klägerin beinhaltete (BGH VersR 1970, 134 f) und daß sich das Schmerzensgeld im Rahmen vergleichbarer Fälle hält (BGH VersR 1986, 173 (174)).

1. Im Krankenhaus in W., in das die Klägerin vom Unfallort aus kam, wurden folgende unfallbedingte Verletzungen festgestellt:

Schädel-Hirn-Trauma mit traumatischer Subarachnoidal-Blutung, distale Unterarmtrümmerfraktur rechts, multiple Haut- und Weichteilverletzungen mit Verschmutzungen und Einsprengungen von Glassplittern und eine persistierende Stimmbandlähmung. Am 18. Juli 1991 wurde ein Luftröhrenschnitt erforderlich, weil sich pneumonische Infiltrate beider Lungen ausgebildet hatten und eine Langzeitbeatmung notwendig wurde. Bei der Entlassung zum Zweck einer Rehabilitationsbehandlung war ein vollständiger Stillstand beider Stimmbänder gegeben. Die Trachealkanüle konnte aufgrund akut eintretender Atemnot nicht entfernt werden.

2. Wegen dieser Verletzungen mußte die Klägerin in der Folgezeit, zuletzt im September 1995 (nicht 1994, wie vom Erstgericht angenommen), vielfache operative Behandlungen durchführen lassen, die vom Landgericht auf Seite 8 und 9 des Urteils im einzelnen beschrieben sind. Darauf wird Bezug genommen.

3. Derzeit, d.h. knapp 6 Jahre nach dem Unfall, leidet die Klägerin an einer Atembehinderung und Störung der Stimmfunktion bei Stimmbandlähmung nach Langzeitintubation, Verlust des Geruchsinns, Störungen des Gleichgewichtsorgans, Gebrauchsminderung der rechten Hand nach Unterarmfraktur, Restbeschwerde nach Gehörsturz (Tinnitus), leichtgradig ausgeprägtem hirnorganischem Psycho-Syndrom und Kopfschmerzen nach einem Schädel-Hirn-Trauma.

Mit einer weiteren Besserung dieser Beschwerden ist nicht zu rechnen.

Die Klägerin ist -obgleich erst 34 Jahre alt- dauerhaft erwerbsunfähig. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit beträgt 90 %. In ihrem erlernten Beruf als Kellnerin kann sie nicht mehr arbeiten. Die Landesversorgungsanstalt N. -O. hat dauernde Erwerbsunfähigkeit ab 09.07.1991 anerkannt. Ab diesem Zeitpunkt wird Erwerbsunfähigkeitsrente gezahlt.

4. Die Beklagte hat durch ihr Regulierungsverhalten und die Art und Weise ihrer Prozeßführung eine weitere seelische Beeinträchtigung der Klägerin, die sich auf die Höhe des Schmerzensgeldes auszuwirken hat, erzeugt.

Die Beklagte hat außergerichtlich ein Schmerzensgeld von lediglich 92.000,00 DM bezahlt. Sie begründet dies damit, daß sich erst im Rahmen des Rechtsstreits Art und Ausmaß eines unfallbedingt verbleibenden Dauerschadens herausgestellt habe. Es kann zunächst dahinstehen, ob für die Beklagte eine Erfolgsaussicht im Hinblick auf ihre Weigerung, das begehrte Schmerzensgeld zu bezahlen, bestand. Wenn die Beklagte letztlich unterliegt, so trägt sie und nicht die Klägerin das Risiko der durch die Zahlungsverweigerung entstandenen Verzögerungen und weiteren Beeinträchtigungen. Das außergerichtlich bezahlte Schmerzensgeld von 92.000,00 DM war erkennbar unzureichend wie die Beklagte durch ihre Berufungsanträge zu erkennen gibt.

Ihre Einwände, die Klägerin habe den Heilungsverlauf aufgrund Nikotinabusus und durch die Verschiebung der Behandlung in der Universitätsklinik B. verzögert, haben sich als unzutreffend herausgestellt. Das Erstgericht hat auf Seite 9 des Urteils das Gutachten des Sachverständigen Dr. W. vom 12. August 1996, Seite 10 und 11 (Bl. 56 und 57 d.A.) zutreffend gewürdigt. Darauf wird verwiesen.

Die Beklagte kann ein angemessenes Schmerzensgeld auch nicht mit der Begründung versagen, daß ein solches die bestehenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen ohnehin nicht vermindern könne. Gerade durch einen hohen Geldbetrag soll es dem Geschädigten ermöglicht werden, sich Erleichterungen und andere Annehmlichkeiten anstelle derer zu verschaffen, deren Genuß ihm durch die Verletzungen unmöglich gemacht wurde (OLG Nürnberg, VersR 1986, 173 (174)).

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Zur Begründung des von der Beklagten im Berufungsverfahren für angemessen erachteten Schmerzensgeldes verweist sie auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 15. Dezember 1989, wonach in einem vergleichbaren Fall angeblich ein Schmerzensgeld von 120.000,00 DM ausgeurteilt worden sei. Dieser Hinweis ist fragwürdig. Der Beklagten, die in diesem Rechtsstreit selbst beklagte Partei war, ist bekannt, daß das Oberlandesgericht Nürnberg seinerzeit lediglich die Berufung der Beklagten zurückgewiesen und damit ein vom Landgericht festgesetztes Schmerzensgeld von 120.000,00 DM bestätigt hat. Eine eigene Entscheidung des Oberlandesgerichts Nürnberg zu einem über 120.000,00 DM hinausgehenden Betrag beinhaltet dieses Urteil nicht.

5. Die weiteren von der Beklagten genannten angeblichen Vergleichsfälle sind nicht geeignet, eine andere Beurteilung zur Höhe des Schmerzensgeldes zu gewinnen. Zum einen ist nicht erkennbar, aus welchem Jahr diese Verurteilungen stammen, zum anderen sind keine Fundstellen insoweit angegeben, so daß es dem Senat verwehrt ist, die Behauptungen der Beklagten zu überprüfen.

Vergleichbar hält der Senat vielmehr die Entscheidungen des Oberlandesgerichts Nürnberg (VersR 1986, 173) und des Oberlandesgerichts München (VersR 1993, 987).

6. Schließlich geht der Senat von einem überdurchschnittlichen Verschulden der Fahrerin aus. Nach den polizeilichen Feststellungen am Unfallort ist die Fahrerin außerhalb einer geschlossenen Ortschaft bei übersichtlichen und geraden Fahrbahnverlauf, trockener Fahrbahn und Sonnenschein ohne Einwirkung eines anderen Verkehrsteilnehmers von der Fahrbahn abgekommen.

7. Bei Abwägung aller dieser Umstände hält der Senat das von der Klägerin begehrte Schmerzensgeld in Höhe von 250.000,00 DM, wovon unstreitig 92.000,00 DM bereits bezahlt sind, für angemessen.

III.

Nebenentscheidungen:

Kosten: §§ 91 Abs. 1, 97 Abs. 1 ZPO.

Vorläufige Vollstreckbarkeit: §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Beschwer: § 546 Abs. 2 ZPO.

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