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Wiederholte Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist – Voraussetzungen

OLG Dresden – Az.: 4 U 412/17 – Beschluss vom 19.06.2017

1. Der Antrag der Klägerin auf Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist wird abgelehnt.

2. Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wegen der Versäumung der Berufungsbegründungsfrist wird zurückgewiesen.

3. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Dresden vom 03.02.2017 – 6 O 1956/15 – wird verworfen.

4. Die Klägerin trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

5. Der Streitwert des Berufungsverfahrens wird auf 50.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt von den Beklagten die Zahlung von Schmerzensgeld aus der Behandlung eines Mammakarzinoms. Das Landgericht hat – sachverständig beraten – mit Urteil vom 3.2.2017 die Klage abgewiesen. Gegen das ihr am 9.2.2017 zugestellte Urteil hat die Klägerin mit am 9.3.2017 beim Oberlandesgericht eingegangenem Schriftsatz „fristwahrend Berufung“ eingelegt. Mit Verfügung vom 11.04.2017 wurde die Frist zur Berufungsbegründung antragsgemäß bis einschließlich 09.05.2017 verlängert. Mit am selben Tage eingegangenem Schriftsatz begehrt die Klägerin nunmehr die Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist um einen weiteren Monat. Die Fristverlängerung sei erforderlich, weil ein zwischenzeitlich beauftragtes Privatgutachten noch ausstehe. Zugleich hat sie Akteneinsicht in die Gerichtsakte beantragt unter Verweis darauf, die Beklagten seien vergeblich um die Übersendung der mutmaßlich bei der Gerichtsakte befindlichen Unterlagen – erforderlich für die Fertigstellung des Privatgutachtens – gebeten worden.

Der Senat hat mit Verfügung vom 10.05.2017 auf § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO sowie die fehlende Zustimmung der Beklagtenseite zu der beantragten Fristverlängerung hingewiesen und angekündigt, die Berufung nach § 522 Abs. 1 ZPO im Beschlusswege zu verwerfen. In ihrer Stellungnahme vom 26.05.2017 ist die Klägerin der Auffassung, ihre Prozessbevollmächtigte habe von einer konkludenten Zustimmung der Beklagten zu der beantragten zweiten Fristverlängerung ausgehen dürfen, weil diese verpflichtet sei, der Klägerin die vollständigen Behandlungsunterlagen zur Verfügung zu stellen, dies aber zuvor nicht getan habe. Das Fristverlängerungsgesuch vom 09.05.2017 sei zugleich als Wiedereinsetzungsantrag nach § 233 ff. ZPO auszulegen. Hilfsweise beantragt sie erneut, ihr Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist zu gewähren. An der Einhaltung der Berufungsbegründungsfrist sei sie unverschuldet gehindert gewesen, weil ihr bei Fristablauf die Prozessakte nicht zur Verfügung gestanden habe. Mit Schriftsatz vom 9.6.2017 hat sie sodann die Berufung begründet und beantragt, die Beklagten als Gesamtschuldnerinnen zu verurteilen, an die Klägerin ein angemessenes, in das Ermessen des Gerichts gestelltes und ab Rechtshängigkeit zu verzinsendes Schmerzensgeld zu zahlen.

II.

Die Berufung der Klägerin war wegen Versäumung der Berufungsbegründungsfrist als unzulässig zu verwerfen, die begehrte Wiedereinsetzung war zu versagen.

1. Die Berufungsbegründung ist erst mit Schriftsatz vom 9.6.2017 und damit einen Monat nach Ablauf der bis zum 9.5.2017 verlängerten Begründungsfrist eingegangen. Die mit Schriftsatz vom 9.5.2017 beantragte zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist konnte der Senat nicht gewähren. Die hierfür gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO erforderliche Einwilligung der Beklagten in den Verlängerungsantrag liegt nicht vor, insbesondere kann auch nicht von einer konkludenten Einwilligung ausgegangen werden. Nach der neueren Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes (BGH, Beschluss vom 12.04.2006 – XII ZB 74/05, juris Ls.) kann zwar in eng umgrenzten Ausnahmefällen eine konkludente Einwilligung für eine Verlängerung ausreichen, die sich dann aber zweifelsfrei aus dem Zusammenhang des Antrags mit den bereits zuvor gestellten Verlängerungsanträgen ergeben muss. Diese Rechtsprechung ist im Lichte älterer Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zu sehen, in denen der Bundesgerichtshof noch orientiert am Wortlaut der maßgeblichen Vorschrift eine ausdrückliche Erwähnung der Einwilligung gefordert hatte (BGH, Beschluss vom 22.03.2005 – XI ZB 36/04, und Beschluss vom 09.11.2004 – IX ZB 6/04. Dies bedeutet, dass die erforderliche Zustimmung der Gegenseite, wenn sie nicht von der die Verlängerung begehrenden Partei ausdrücklich zum Gegenstand ihres Verlängerungsantrages gemacht wird, nur ganz ausnahmsweise angenommen werden darf (vgl. auch Braunschneider, Anmerkungen zu BGH vom 12.04.2006, XII ZB 74/05, in FamRB 2006, 271-272).

Vorliegend fehlt es bereits an einem Verhalten der Beklagtenseite, aus dem die Klägerin berechtigterweise den Schluss auf eine konkludente Zustimmung zur Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist hätte ziehen können. In den Verlängerungsanträgen im Berufungsverfahren vom 10.4. und 9.5.2017 findet sich allein der Hinweis auf eine Arbeitsüberlastung, eine erforderliche weitere Rücksprache sowie die Verzögerung bei der Erstellung eines Privatgutachtens. Es ist demgegenüber nicht vorgetragen oder aus dem Gesamtzusammenhang erkennbar, dass die Gegenseite über die beabsichtigte Vorgehensweise der Klägerin in der Berufungsinstanz, zur Begründung der Berufung ein eigenes Privatgutachten erstellen zu lassen, überhaupt informiert war. Dem Verlängerungsantrag vom 9.5.2017 ist auch nicht zu entnehmen, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bei dem Vertreter der Beklagten um eine Zustimmung zur Fristverlängerung nachgesucht hätte. Das Verhalten der Beklagten bot nach dem objektiven Empfängerhorizont auch im Übrigen keinen Anhalt für eine solche Zustimmung. Nach der zunächst verweigerten Einsicht in die Behandlungsunterlagen lag es vielmehr nahe anzunehmen, dass die Beklagtenseite ihre prozessualen Rechte erschöpfend wahrnehmen und der Klägerin auch bei der Berufungsbegründungsfrist gerade nicht entgegenkommen werde. Anders als die Klägerin meint, folgt aus der materiell-rechtlichen Verpflichtung nach § 630g BGB keine prozessuale Verpflichtung, bis zum Abschluss dieser Akteneinsicht einer weiteren Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist zuzustimmen. Anhaltspunkte für eine rechtsmissbräuchliche Versagung der Zustimmung sind nicht ersichtlich.

2. Wiedereinsetzung in die versäumte Berufungsbegründungsfrist kann der Klägerin nicht bewilligt werden, die Versäumung der Berufungsbegründungsfrist durch ihre Prozessbevollmächtigte, deren Verhalten ihr zuzurechnen ist (§ 85 Abs. 2 ZPO), vermag sie nicht zu entschuldigen. Unstreitig hat ihre Prozessbevollmächtigte die für eine zweite Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist erforderliche Einwilligung des Gegners gemäß § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO nicht eingeholt. Sie durfte vorliegend weder auf eine konkludente Einwilligung der Gegenseite (s.o.), noch darauf vertrauen, der Senat werde unabhängig von der Vorlage einer solchen Einwilligungserklärung und entgegen dem ausdrücklichen Gesetzeswortlaut die begehrte Fristverlängerung aussprechen. Sie durfte auch nicht darauf vertrauen, das Gericht werde von sich aus die Klägerin auf das Erfordernis des § 520 Abs. 2 Satz 2 ZPO hinweisen und sie rechtzeitig auffordern, die Einwilligung einzuholen. Es verletzt nicht die Ansprüche eines Klägers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG und auf ein faires Verfahren gemäß Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip, wenn das Berufungsgericht den Prozessbevollmächtigten eines Klägers nicht bereits vor der Bescheidung seines Verlängerungsantrages darauf hingewiesen hat, dass in diesem Antrag die erforderliche Einwilligung des Gegners nicht erwähnt war (BGH, Beschluss vom 22.03.2005, XI ZB 36/04, juris Rz. 11 m.w.N.). Einen gerichtlichen Hinweis, welcher der Prozessbevollmächtigten der Klägerin die Vorlage der Einwilligung des Gegners noch innerhalb der am 09.02.2017 ablaufenden Frist ermöglicht hätte, konnte diese bereits deshalb nicht erwarten, weil sie den Verlängerungsantrag so spät gestellt hat, dass mit seiner Vorlage an den Vorsitzenden nicht mehr innerhalb der Frist zu rechnen war. Sie durfte auch nicht darauf vertrauen, der Vorsitzende werde selbst eine etwa vorliegende Einwilligung des Gegners ermitteln. Hierzu bestand kein Anlass, weil der Antragsschrift nicht zu entnehmen war, dass die Gegenseite bereits von dem Verlängerungsantrag unterrichtet worden war. Mit der eher fernliegenden Möglichkeit, dass die Prozessbevollmächtigte eine solche Einwilligung eingeholt, aber versehentlich in der Antragsschrift nicht erwähnt hatte, musste der Senat nicht rechnen. Der Vorsitzende durfte vielmehr die näherliegende Schlussfolgerung ziehen, die Prozessbevollmächtigte der Klägerin habe das Einwilligungserfordernis schlicht übersehen (vgl. hierzu ebenfalls BGH, aaO., juris, Rz. 11).

Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass die Prozessbevollmächtigte der Klägerin am Tage des Fristablaufs zugleich ein Akteneinsichtsgesuch gestellt hat.

Das Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) verbietet es den Gerichten, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer aus Sachgründen nicht zu rechtfertigender Weise zu erschweren (BGH, Beschluss vom 22.03.2005, XI ZB 36/04, juris, Rz. 9 m.w.N.). Allerdings hat der Prozessbevollmächtigte einer Partei durch geeignete Maßnahmen auch sicherzustellen, dass ein fristgebundener Schriftsatz rechtzeitig erstellt wird und fristgerecht beim zuständigen Gericht eingeht (BGH, Beschluss vom 17.01.2012, VIII ZB 95/11 m.w.N.). Das bedeutet zwar, dass Fristen grundsätzlich bis zum letzten Tag ausgeschöpft werden dürfen. Dennoch muss ein Akteneinsichtsgesuch so rechtzeitig gestellt werden, dass bei dessen unverzüglicher Gewährung der Schriftsatz noch fertiggestellt werden kann. Ein Akteneinsichtsgesuch, das erst am letzten Tag der bereits einmal verlängerten Frist eingebracht wird, kann vor diesem Hintergrund nur dann einen Wiedereinsetzungsgrund darstellen und das Verschulden an der Nichteinhaltung der Berufungsfrist entfallen lassen, wenn sichergestellt ist, dass hierüber im normalen Geschäftsgang entschieden und sodann die Berufungsbegründung noch vor Fristablauf vorgelegt werden kann kann. Der Prozessbevollmächtigte darf sich dabei nicht darauf verlassen, dass ein per EGVP eingegangener Schriftsatz noch am selben Tag dem Vorsitzenden des Spruchkörpers vorgelegt und hierüber entschieden wird. Bereits aus diesem Grund war der Antrag vom 9.5.2017, der keinen Hinweis auf eine Eilbedürftigkeit oder eine sofortige Vorlage an den Richter enthielt und daher auch erst nach Fristablauf am 10.5.2017 vorgelegt wurde, verspätet. Der Senat schließt es angesichts der in dem Akteneinsichtsgesuch zum Ausdruck gebrachten Notwendigkeit, zunächst noch einen medizinischen Privatgutachter mit der Verfahrensakte zu befassen, überdies aus, dass die Berufungsbegründung innerhalb der Frist hätte fertiggestellt werden können, wenn hierüber noch am 9.5.2017 entschieden worden wäre. Die Auffassung der Klägerin, bei einem am letzten Tag der Frist gestellten Akteneinsichtsgesuch habe sie einen Monat Zeit, um die Berufungsbegründung zu fertigen, ist rechtsfehlerhaft. Aus § 234 Abs. 1 S. 2 ZPO ergibt sich lediglich die Frist für die Stellung des Wiedereinsetzungsantrages nach Wegfall des Hindernisses, wohingegen für die Frage, ob eine Partei ohne ihr Verschulden an der Einhaltung einer Frist gehindert war (§ 233 ZPO) entscheidend ist, wie sich der weitere Geschehensablauf ohne das Hindernis – d.h. hier bei Akteneinsicht noch am 9.5.2017 – gestaltet hätte.

Ohne dass es darauf ankäme, ergibt sich schließlich für den Senat aus der Berufungsbegründung vom 9.6.2017 nicht, inwieweit es für die Fertigung derselben einer Akteneinsicht bedurft hätte, zumal die Prozessbevollmächtigte der Klägerin bereits erstinstanzlich mandatiert war und den bis dahin gesammelten Akteninhalt kannte.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, die Festsetzung des Streitwertes beruht auf § 3 ZPO.

 

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