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Anerkenntnis im Prozess immer möglich

Dieselaffäre: OLG München trifft Entscheidung im Abgasskandal

Der Diesel- bzw. Abgasskandal hat in den letzten Jahren für erhebliche rechtliche Auseinandersetzungen gesorgt. Ein jüngstes Urteil des OLG München befasst sich mit den deliktischen Schadenersatzansprüchen eines Klägers gegen eine namhafte Automobilherstellerin. Der Kläger verfolgte das Ziel, den Kauf eines gebrauchten Pkw, genauer gesagt eines VW Caddy, rückgängig zu machen. Dieses Fahrzeug, welches mit einem Motor des Typs EA 189 (Euro 5) ausgestattet war, wurde im Jahr 2014 zu einem Bruttokaufpreis von 20.890 € erworben.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 19 U 1370/23   >>>

Das Wichtigste in Kürze


  • Das OLG München hat über eine Berufung im Zusammenhang mit dem Diesel- bzw. Abgasskandal entschieden.
  • Der Kläger verlangte von der beklagten Automobilherstellerin deliktische Schadenersatzansprüche und die Rückabwicklung des Kaufes eines VW Caddy.
  • Das Landgericht Traunstein hatte zuvor ein Urteil gefällt, welches auf Berufung der Beklagten teilweise abgeändert wurde.
  • Es wurde festgestellt, dass sich die Beklagte im Annahmeverzug bezüglich der Annahme des Fahrzeugs befand.
  • Das Landgericht legte den Vorteilsausgleich nicht auf den Kilometerstand zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung fest, sondern wählte einen früheren Zeitpunkt.
  • Die Beklagte kritisierte die Rechtsauffassung des Landgerichts zur Bemessung des Nutzungsersatzes und verwies auf die Rechtsprechung des BGH.
  • Das OLG München ließ eine Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof zu.

Hintergrund des Rechtsstreits

Abgasskandal Anerkenntnis im Prozess
OLG München entscheidet über Schadenersatzansprüche im Diesel-Abgasskandal (Symbolfoto: Marian Weyo /Shutterstock.com)

Der Kläger beauftragte seine Prozessbevollmächtigten, die Beklagte im Januar 2022 schriftlich aufzufordern. Die Forderungen umfassten den Verzicht auf die Einrede der Verjährung, die Zahlung eines Betrags von 14.666,83 € zuzüglich Zinsen und die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.077 €. Als Gegenleistung bot der Kläger die Übergabe und Übereignung des besagten Pkw an. Des Weiteren wurde der Beklagten vorgeschlagen, das Fahrzeug inklusive der dazugehörigen Schlüssel und Papiere direkt beim Kläger abzuholen.

Urteil des Landgerichts Traunstein

Das Landgericht Traunstein, welches den Fall zuerst verhandelte, traf eine Entscheidung, die für den Kläger günstig ausfiel. Es verurteilte die Beklagte dazu, an den Kläger einen Betrag von 13.692,79 € nebst Zinsen zu zahlen. Dieser Betrag lag sogar über dem ursprünglich vom Kläger geforderten Betrag von 13.386,78 €. Zusätzlich wurde die Beklagte dazu verpflichtet, Aufwendungen in Höhe von 3.229,07 € nebst Zinsen zu begleichen. Das Gericht stellte zudem fest, dass sich die Beklagte seit Anfang Februar 2022 im Annahmeverzug bezüglich des Pkw befand.

Ein interessanter Aspekt dieses Urteils war die Entscheidung des Landgerichts bezüglich des Vorteilsausgleichs. Anstatt den Kilometerstand des Fahrzeugs zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung im Februar 2023 als Grundlage zu nehmen, entschied das Gericht „unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit“, den Stand vom 18. Januar 2022 als maßgeblich zu betrachten.

Entscheidung des OLG München

Das OLG München, welches über die Berufung der Beklagten entschied, änderte das Urteil des Landgerichts Traunstein ab. Die Beklagte wurde letztlich dazu verurteilt, an den Kläger lediglich einen Betrag von 11.580,93 € nebst Zinsen zu zahlen. Alle weitergehenden Forderungen des Klägers wurden abgewiesen. Zudem wurde festgelegt, dass der Kläger die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen hat. Das Urteil des OLG München sowie das zuvor ergangene Urteil des Landgerichts Traunstein wurden als vorläufig vollstreckbar erklärt. Interessanterweise wurde die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof zugelassen, was weitere rechtliche Entwicklungen in diesem Fall erwarten lässt.

Bedeutung und Tragweite

Das Urteil des OLG München im Kontext des Diesel- bzw. Abgasskandals zeigt die fortwährende rechtliche Auseinandersetzung zwischen Fahrzeugeigentümern und Automobilherstellern. Während das Landgericht Traunstein dem Kläger in vielen Punkten Recht gab, nahm das OLG München eine differenziertere Betrachtung vor und reduzierte die zu zahlende Summe erheblich. Es bleibt abzuwarten, ob und wie der Bundesgerichtshof in dieser Angelegenheit entscheiden wird, sollte es zu einer Revision kommen.

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Anerkenntnis im Prozess – kurz erklärt


Das Anerkenntnis im Zivilprozess ist eine Prozesshandlung, durch die eine der Parteien einseitig zugesteht, dass die vom Prozessgegner vorgetragenen Behauptungen der Wahrheit entsprechen. Gemäß § 288 der Zivilprozessordnung (ZPO) bedürfen die vom Anerkenntnis erfassten behaupteten Tatsachen dann insoweit keines weiteren Beweises mehr. Es ist wichtig zu betonen, dass das Anerkenntnis eine reine Prozesshandlung ist und kein materiell-rechtliches Schuldanerkenntnis darstellt. Wenn der Beklagte den Anspruch des Klägers anerkennt, ergeht ein Anerkenntnisurteil durch das Gericht. Dieses Anerkenntnisurteil stellt ein Endurteil dar und kann unter bestimmten Voraussetzungen, wie in § 511 Abs. 2 ZPO beschrieben, mit der Berufung angegriffen werden.

Wichtige in diesem Urteil betroffenen Rechtsbereiche:

  • Deliktsrecht: Der Kläger macht gegen die beklagte Automobilherstellerin deliktische Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem Diesel- bzw. Abgasskandal geltend. Hierbei geht es um die Haftung für unerlaubte Handlungen und die daraus resultierenden Schadenersatzansprüche.
  • Zivilprozessrecht: Es werden verschiedene prozessuale Aspekte angesprochen, wie das Anerkenntnis im Prozess, die vorläufige Vollstreckbarkeit von Urteilen und die Revision zum Bundesgerichtshof. Insbesondere werden Normen wie § 307 ZPO (Anerkenntnisurteil) und § 93 ZPO (Kostenentscheidung) erwähnt.
  • Schadensrecht: Es wird diskutiert, wie der Schaden, insbesondere der Nutzungsersatz, zu bemessen ist. Dabei geht es um die Anrechnung von Vorteilen, die der Kläger durch die Nutzung des Fahrzeugs hatte, auf den Schadenersatzanspruch. Hierbei werden Grundsätze des Schadensrechts und der Vorteilsausgleichung berührt


Das vorliegende Urteil

OLG München – Az.: 19 U 1370/23 – Urteil vom 14.07.2023

I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Endurteil des Landgerichts Traunstein vom 03.03.2023, Az. 6 O 2511/22, infolge des Anerkenntnisses des Klägers nach § 307 S. 1 ZPO in Ziffer 3 des Tenors dahingehend abgeändert, dass die Beklagte verurteilt wird, an den Kläger nur 11.580,93 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 02.02.2022, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Kraftfahrzeugs, Marke VW, Typ Caddy mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …278, zu zahlen. Die insoweit darüber hinausgehende Klage wird abgewiesen.

II. Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens. Gerichtskosten für das Berufungsverfahren werden nicht erhoben.

III. Dieses Urteil sowie das in Ziffer I bezeichnete Urteil des Landgerichts Traunstein sind ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.

IV. Die Revision gegen dieses Urteil zum Bundesgerichtshof wird zugelassen.

Entscheidungsgründe

Der Kläger macht gegen die beklagte Automobilherstellerin deliktische Schadenersatzansprüche im Zusammenhang mit dem sog. Diesel- bzw. Abgasskandal geltend.

Er begehrt die Rückabwicklung des Kaufes eines gebraucht erworbenen Pkw, Marke VW, Typ Caddy, Fahrzeug-Identizierungsnummer …278 (im Folgenden: Pkw), ausgestattet mit einem Motor des Typs EA 189 (Euro 5), vom 05.04.2014 bei der Autohaus H.KG in M. zu einem Bruttokaufpreis von 20.890 € (s. Anlage K 1).

Mit Schreiben vom 18.01.2022 (Anlage K 3) forderten die Prozessbevollmächtigten des Klägers die Beklagte mit Fristsetzung bis zum 01.02.2022 auf, den Verzicht auf die Einrede der Verjährung zu erklären, an den Kläger 14.666,83 € zuzüglich Zinsen zu zahlen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw, sowie sich ferner zu verpflichten, den Kläger von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.077 € zuzüglich Zinsen freizustellen. Außerdem wurde der Beklagten angeboten, den Pkw nebst Schlüsseln und Papieren beim Kläger abzuholen.

Zum Schluss der mündlichen Verhandlung vor dem Landgericht am 21.02.2023 betrug der Kilometerstand 130.809 km (s. Anlage K 50).

Das Landgericht hat mit dem angefochtenen Urteil, auf dessen tatsächliche Feststellungen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO) und Entscheidungsgründe Bezug genommen wird, die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen auf Grundlage von § 826, § 31 BGB verurteilt, an den Kläger 13.692,79 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw zu zahlen – was über den klägerischen Sachantrag hinausgeht, der nur Zahlung von 13.386,78 € beantragt hatte -, sowie Aufwendungen in Höhe von 3.229,07 € nebst Zinsen. Außerdem stellte es fest, dass sich die Beklagte mit der Annahme des Pkw in Annahmeverzug seit 03.02.2022 be?nde.

Für die im Rahmen des Vorteilsausgleichs anzurechnenden, durch die Klageseite gezogenen Nutzungen stellt das Landgericht nicht auf den Kilometerstand des Pkw zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung am 22.02.2023 ab, sondern „unter dem Gesichtspunkt der Billigkeit“ auf den 18.01.2022. Nachdem der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 18.01.2022 in Annahmeverzug gesetzt habe, sei für die Nutzungsentschädigung „unter Wertungsgesichtspunkten“ dieser Zeitpunkt maßgeblich. Das Landgericht geht im Wege der Schätzung davon aus, dass zu diesem Zeitpunkt die Fahrleistung rund 100.000 km betragen habe. Unter Berücksichtigung des Kaufpreises, der gefahrenen Kilometer und einer bei Dieselfahrzeugen zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitgegenständlichen Vertrags zu erwartenden Gesamtlaufleistung von 250.000 km ergebe sich eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.287,21 €, welche von der Schadenersatzforderung in Höhe des Kaufpreises von 20.890 € abzuziehen sei.

Der Kläger hatte sich erstinstanzlich aber selbst bereits einen darüber hinausgehenden Nutzungsersatz von 7.503,22 € abgezogen.

Gegen das Urteil des Landgerichts richtet sich die mit Schriftsatz vom 23.03.2023 (Bl. 1 f. d. OLGeAkte) eingelegte und mit Schriftsatz vom 03.05.2023 (Bl. 5 ff. d. OLGeAkte) begründete Berufung der Beklagten.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Landgerichts in Ziffer 3 des Tenors abzuändern und zu erkennen wie folgt:

„Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerschaft 11.580,93 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.02.2022, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des VW Caddy mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer …278, zu zahlen.“

Die Beklagte beanstandet, dass die Rechtsauffassung des Landgerichts zur Bemessung des Nutzungsersatzes im Rahmen des durchzuführenden Vorteilsausgleichs nicht der Rechtsprechung des BGH entspreche und gegen das schadensrechtliche Bereicherungsverbot verstoße. Demnach sei die Vorteilsanrechnung nicht auf den Zeitraum bis zu einem etwaigen Eintritt des Schuldner- oder Annahmeverzugs der Beklagten beschränkt. Richtigerweise sei für die Bemessung des Nutzungsvorteils im Urteil erster Instanz jedenfalls die Fahrzeugnutzung bis zur mündlichen Verhandlung maßgeblich. Bei rechtsfehlerfreier Anwendung der vom BGH aufgestellten Grundsätze hätte das Landgericht den unstreitigen Kilometerstand von 130.809 km zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung heranziehen müssen. Daher hätte das Landgericht in Ziffer 3 des Urteilstenors lediglich einen Betrag in Höhe von 11.580,93 € zusprechen dürfen.

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Mit Schriftsatz vom 31.05.2023 (Bl. 9 d. OLGeAkte) erkannte der Kläger die Berufungsforderung in voller Höhe an. Darüber hinaus beantragte er gemäß § 21 GKG, die Kosten des Berufungsverfahrens nicht zu erheben.

Auf Nachfrage des Senats vom 01.06.2023 (Bl. 10 d. OLGeAkte) erklärte der Kläger mit Schriftsatz vom 15.06.2023 (Bl. 11 d. d. OLGeAkte), dass der Schriftsatz vom 31.05.2023 nicht als Klagerücknahme oder Verzichtserklärung zu verstehen sei.

Zu den Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die Berufungsbegründung vom 03.05.2023 (Bl. 5 ff. d. OLGeAkte) sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen Bezug genommen.

II.

Das verfahrensrechtlich bedenkenfreie und somit zulässige Rechtsmittel der Beklagten hat auch in der Sache Erfolg.

1. Die das Urteil des Landgerichts abändernde Entscheidung des Senats erfolgt bereits aufgrund des entsprechenden Anerkenntnisses des Klägers gemäß § 307 S. 1 ZPO. Das Anerkenntnis hat zur Folge, dass der Senat nicht mehr prüft, ob der Berufungsantrag der Beklagten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht begründet ist.

Eine mündliche Verhandlung ist nicht erforderlich, § 307 S. 2 ZPO.

2. Ob der in der Vorinstanz erfolgreiche Kläger und jetzige Berufungsbeklagte den Rechtsmittelantrag der Beklagten anerkennen kann, ist in Rechtsprechung und Literatur umstritten.

a) Nach einer Auffassung sei dies nicht möglich (OLG Braunschweig, Urteil v. 18.05.1961, Az. 2 U 161/60; LAG Sachsen, Urteil v. 07.08.2000, Az. 10 Sa 509/99; Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 307 Rz. 12; Elzer in: BeckOK ZPO, 48. Ed., Stand: 01.03.2023, § 307 Rz. 14; Hunke in: Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 307 Rz. 17; Kurpat in: Schneider/Kurpat, Streitwert-Kommentar, 15. Aufl., Klageverzicht und Verzichtsurteil, Rz. 2.2592; Rensen in: Wieczorek/Schütze, ZPO, 5. Aufl., § 307 Rz. 8).

Nur der Beklagte könne den Anspruch des Klägers anerkennen, nicht aber der Kläger den (Rechtsmittel-)Antrag des Beklagten und Rechtsmittelklägers, so dass dessen Anerkenntnis regelmäßig als Verzichtserklärung im Sinne von § 306 ZPO zu verstehen sei. Soweit überhaupt, wird diese Auffassung damit begründet, dass der in § 307 S. 1 ZPO verwendete Terminus „Anspruch“ begriffs- und somit inhaltsgleich sei mit dem gleichlautenden Begriff in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO, der zweifelsfrei nur den (materiellen) Anspruch des Klägers meine.

Nicht erklärt wird indessen, warum das Gesetz in der dem § 307 ZPO benachbarten und inhaltlich verwandten Bestimmung des § 306 ZPO den verzichtenden „Kläger“ beim Namen nennt, aber in § 307 S. 1 ZPO den Anerkennenden neutral als „Partei“ bezeichnet. Könnte die „Partei“ i.S.v. § 307 S. 1 ZPO zwingend nur der Beklagte sein, wäre die unterschiedliche Wortwahl durch den Gesetzgeber nicht plausibel.

Gegebenenfalls könnte die Erklärung nach dieser Auffassung aber auch als Klagerücknahme verstanden werden; was vorliege, sei vom Kläger zu erfragen und nicht bloß auszulegen (Elzer in: BeckOK ZPO, 48. Ed., Stand: 01.03.2023, § 307 Rz. 14). Vorliegend hat der Kläger mit Schriftsatz vom 15.06.2023 jedoch ausdrücklich erklärt, der Schriftsatz vom 31.05.2023 sei weder als Klagerücknahme noch als Verzichtserklärung zu verstehen.

b) Nach der – aus Sicht des Senats vorzugswürdigen – Gegenansicht (OLG Hamm, Anerkenntnisurteil v. 06.11.2018, Az. 21 U 112/18; OLG Frankfurt a.M., Urteil v. 08.08.2017, Az. 16 U 47/17; OLG Stuttgart, Urteil v. 24.01.2002, Az. 16 UF 512/2001; Musielak in: Musielak/Voit, ZPO, 20. Aufl., § 307 Rz. 9) spricht gegen diese Auffassung schon der Wortlaut des § 307 ZPO, wonach jede Partei – nicht nur der Kläger – anerkennen kann. Auch die Interessenlage der Parteien spricht gegen die Notwendigkeit einer Umdeutung in einen Verzicht oder eine Klagerücknahme.

Ferner sprechen der Sinn und Zweck des § 307 ZPO dafür, in einem solchen Fall durch Anerkenntnisurteil zu entscheiden. Denn aus der Dispositionsmaxime folgt, dass in jeder Lage des Verfahrens die Möglichkeit bestehen muss, dieses durch Anerkenntnisurteil unmittelbar zu beenden (BGH, Beschluss v. 18.07.2013, Az. IX ZB 41/12, Rz. 8). Dies entspricht auch der Intention des Gesetzgebers, der zur Verfahrensbeschleunigung und -erleichterung die Voraussetzungen zum Erlass eines Anerkenntnisurteils durch Abschaffung des Antragserfordernisses (vgl. BT-Drucks. 14/3750, S. 58 f) und den generellen Verzicht auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung (vgl. BR-Drucks. 378/03, S. 8 f; BT-Drucks. 15/3482, S. 17) zunehmend erleichtert hat (BGH, Urteil v. 04.03.2010, Az. XI ZR 228/09, Rz. 2).

Gegenstand des Anerkenntnisses ist dabei der prozessuale Anspruch, wobei es sich nicht unbedingt um ein Leistungsbegehren im Sinne des § 241 Abs. 1 BGB handeln muss; vielmehr kann prinzipiell jede begehrte Rechtsfolge anerkannt werden (OLG Hamm, Anerkenntnisurteil v. 06.11.2018, Az. 21 U 112/18; Urteil v. 03.11.1994, Az. 4 U 6/91; Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., Vorbem. z. §§ 306, 307 Rz. 1).

Eine Umdeutung in eine Verzichtserklärung würde die Anwendbarkeit von § 93 ZPO bereits grundsätzlich ausschließen.

Dazu würde ein – nach § 306 ZPO nur in der mündlichen Verhandlung wirksam erklärbarer – Verzicht unnötigerweise die Durchführung einer solchen erforderlich machen, während durch § 307 S. 2 ZPO eine sofortige Entscheidung im schriftlichen Verfahren ermöglicht wird.

Der anwaltlich vertretene Kläger hat ausdrücklich erklärt, den Berufungsantrag der Beklagten anzuerkennen und seine Erklärung sei weder als Klagerücknahme noch als Verzicht zu verstehen. Sein prozessuales Begehren ist insoweit unmissverständlich.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 1, 10 S. 1, 2 ZPO.

1. Eine Kostenentscheidung gemäß § 93 ZPO ist vorliegend nicht geboten, denn das mit der Berufung angefochtene landgerichtliche Urteil beruht auf dem über den nun anerkannten Betrag deutlich hinausgehenden – allerdings gegenüber dem vom Landgericht zugesprochenen Betrag um 306,10 € niedrigeren – Sachantrag des Klägers in erster Instanz.

Damit hat der Kläger zur entsprechenden Entscheidung des Landgerichts und damit zur Berufungseinlegung grundsätzlich Anlass gegeben.

Nach einer Ansicht ist die Anwendung des § 93 ZPO sowieso schon generell deswegen ausgeschlossen, weil die klagende Partei stets für eine Berufung Anlass gegeben hat (Elzer in: BeckOK ZPO, 48. Ed., Stand: 01.03.2023, § 307 Rz. 14 a.E.; Schulz in: Münchener Kommentar zur ZPO, 6. Aufl., § 93 Rz. 23).

2. Allerdings sind die Voraussetzungen für die Nichterhebung von Gerichtskosten für das Berufungsverfahren gemäß § 21 Abs. 1 S. 1 GKG erfüllt, denn die Entscheidung des Landgerichts beruht auf einer unrichtigen Sachbehandlung.

a) Es führt aber nicht jedwede unrichtige Sachbehandlung oder irgendein Verfahrensfehler zur Nichterhebung entstandener Kosten.

Ein solche kommt nur in Betracht, wenn ein offensichtlicher und schwerer Verfahrensfehler festgestellt wird, der offen zutage tritt (BGH, Beschluss v. 04.05.2005, Az. XII ZR 217/04; Beschluss v. 10.03.2003, Az. IV ZR 306/00; BFH, Beschluss v. 31.01.2014, Az. X E 8/13), oder in offensichtlich eindeutiger Weise materielles Recht verkannt wurde (BayObLG, Beschluss v. 30. 04.1999, Az. 3Z BR 57/99; OLG München, Beschluss v. 24.08.1998, Az. 11 WF 998/98; VGH München, Beschluss v. 20.10.2003, Az. 8 C 03.1701; Dörndorfer in: BeckOK Kostenrecht, 41. Ed., Stand: 01.04.2023, § 21 Rz. 3 m.w.N).

Die Beurteilung, ob ein Fehler im genannten Sinne vorliegt, ist dabei grundsätzlich unabhängig von einem Verschulden (OLG München, Beschluss v. 10.08.2022, Az. 11 W 755/22).

b) Beides liegt hier vor.

aa) So verstößt das Landgericht bereits eklatant gegen den prozessualen Grundsatz des § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO, wonach das Gericht nicht befugt ist, einer Partei etwas zuzusprechen, was nicht beantragt ist.

Der Kläger begehrte aber erstinstanzlich mit seinem Klageantrag Ziffer 1, die Beklagte zur Zahlung von 20.890 € abzüglich eines Nutzungsersatzes von 7.503,22 € – mithin 13.386,78 € – Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Pkw zu verurteilen. Trotzdem sprach das Landgericht ihm mit Ziffer 3 des Tenors des angegriffenen Urteils eine – diesen Antrag um 306,10 € übersteigende – Summe von 13.692,79 € zu.

Der Verstoß gegen § 308 Abs. 1 S. 1 ZPO durch das Erstgericht führt auf Antrag grundsätzlich zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Zurückverweisung nach § 538 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO durch das Berufungsgericht (OLG Koblenz, Urteil v. 04.10.2001, Az. 5 U 615/01; OLG Köln, Urteil v. 02.11.2001, Az. 19 U 77/01; Feskorn in: Zöller, ZPO, 34. Aufl., § 308 Rz. 6; Hunke in: Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 308 Rz. 27). Ein derartiges Vorgehen kam hier wegen des Anerkenntnisses des Klägers nicht in Betracht.

Gleichwohl liegt eine unrichtige Sachbehandlung i.S.v. § 21 Abs. 1 S. 1 GKG vor, da der Senat wegen eines schweren Verfahrensfehlers die Sache ohne das klägerische Anerkenntnis hätte zurückverweisen müssen (Dörndorfer in: BeckOK Kostenrecht, 41. Ed., Stand: 01.04.2023, Rz. 3 a.E.). Der Senat hat daher die Gerichtskosten nach § 21 Abs. 1 S. 1 GKG niederzuschlagen (Hunke in: Anders/Gehle, ZPO, 81. Aufl., § 308 Rz. 27).

bb) Dazu missachtet das Landgericht die materiell-rechtlichen Vorgaben des BGH zur Bemessung der im Wege der Vorteilsausgleichung vom klägerischen Anspruch abzuziehenden Nutzungsvorteile.

Dabei folgt das Landgericht einer Entscheidung des OLG Hamburg (Beschluss v. 13.01.2020, Az. 15 U 190/19), wonach es unbillig wäre, falls die Beklagte bei entsprechend langer Prozessdauer, auf welche sie durchaus Einfluss habe, weitgehend oder gar vollständig der Pflicht zur Erstattung des Kaufpreises enthoben sei, wenn man durchgängig bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung einen Abzug der Gebrauchsvorteile vornehmen würde.

Dies widerspricht evident der höchstrichterlichen Rechtsprechung (z.B. BGH, Urteil v. 30.07.2020, Az. VI ZR 354/19, Rz. 15), wonach es nicht zu beanstanden ist, dass der etwaige Kaufpreiserstattungsanspruch des Klägers durch die Vorteilsanrechnung vollständig aufgezehrt wird und somit entfällt. Die Vorteilsanrechnung ist dem Geschädigten auch mit dieser Konsequenz zumutbar und entlastet die Schädigerin nicht unangemessen, entspricht also auch mit dieser Konsequenz dem Zweck des Ersatzanspruchs. Sie verhindert damit zwar eine Loslösung vom ungewollten Kaufvertrag im Wege des Schadensersatzes (BGH, Urteil v. 25.05.2020, Az. VI ZR 252/19, Rz. 47). Maßgeblich ist aber, dass der mit dem Kaufpreiserstattungsanspruch geltend gemachte finanzielle Schaden durch die geldwerte Fahrzeugnutzung bereits vollständig ausgeglichen wurde. Eine Begrenzung der Vorteilsanrechnung ist nicht angezeigt (vgl. für den Nutzungsersatz nach Rücktritt auch BGH, Urteil v. 09.04.2014, Az. VIII ZR 215/13, Rz. 11 f., 17). Soweit der Kaufpreiserstattungsanspruch von den Nutzungsvorteilen erst nach Eintritt der Rechtshängigkeit aufgezehrt wird, verbleibt dem Geschädigten die Möglichkeit, den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt zu erklären.

IV.

1. a) Die Revision gegen dieses Urteil nach § 543 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist zuzulassen, da die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat, § 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO.

Grundsätzliche Bedeutung im Sinne dieser Norm kommt einer Rechtssache zu, falls eine klärungsbedürftige Frage zu entscheiden ist, deren Auftreten in einer unbestimmten Vielzahl von Fällen zu erwarten und deshalb das abstrakte Interesse der Allgemeinheit an einer einheitlichen Entwicklung und Handhabung des Rechts berührt ist (BGH, Beschluss v. 04.07.2002, Az. V ZR 75/02; Beschluss v. 04.07.2002, Az. V ZR 75/02; Beschluss v. 19.12.2002 Az. VII ZR 101/02).

Klärungsbedürftig ist insbesondere eine Rechtsfrage, falls zu ihr unterschiedliche Auffassungen bestehen und noch keine höchstrichterliche Entscheidung vorliegt (BVerfG, Kammerbeschluss v. 08.12.2010, Az. 1 BvR 381/10, Rz. 12).

Diese Voraussetzungen liegen hier vor. Die oben ausführlich erörterte Rechtsfrage der Wirksamkeit des Anerkenntnisses des Rechtsmittelantrags eines Beklagten durch den in der Vorinstanz erfolgreichen Kläger und jetzigen Berufungsbeklagten als solches ist für die Hauptsache und im Kostenpunkt entscheidungserheblich und über den zu entscheidenden Einzelfall hinaus von allgemeiner Bedeutung.

Hierzu gibt es – soweit ersichtlich – bisher keine revisionsgerichtliche Entscheidung. Die zitierten Urteile des OLG Braunschweig und LAG Sachsen weichen von der Auffassung des Senats ab, welcher der gegenteiligen Ansicht des OLG Hamm, OLG Frankfurt a.M. und OLG Stuttgart folgt. Damit wird diese Rechtsfrage in der Rechtsprechung der Obergerichte nicht einhellig beantwortet (BGH, Beschluss v. 24.05.2022, Az. XI ZR 390/21, Rz. 6; Beschluss v. 20.03.2019, Az. XII ZB 544/18, Rz. 4; Beschluss v. 08.02.2010, Az. II ZR 54/09, Rz. 3). Mithin ist eine klärende revisionsgerichtliche Entscheidung hierzu veranlasst.

b) Die Revisionszulassung ist nicht deshalb entbehrlich, weil eine Revision schon mangels Beschwer nicht in Betracht käme.

Materiell beschwert ist der Kläger, weil die Entscheidung des Senats für ihn ungünstiger ist als die des Landgerichts; eine formelle Beschwer wäre jedenfalls gegeben, wenn sein Anerkenntnis als unwirksam anzusehen wäre (OLG Stuttgart, Urteil v. 24.01.2002, Az. 16 UF 512/2001). Allein die Tatsache, dass der Kläger den Berufungsantrag der Beklagten anerkannt hat und daher ein Anerkenntnisurteil ergangen ist, führt nicht zum Entfallen der Beschwer (vgl. auch BGH, Beschluss v. 15.01.1992, Az. XII ZB 135/91; OLG Hamm, Beschluss v. 09.01.2017, Az. II-4 UF 181/16; Thole in: Prütting/Gehrlein, ZPO, 14. Aufl., § 307 Rz. 14; Saenger, ZPO, 9. Aufl., § 307 Rz. 15).

2. Die Revision war zum BGH zuzulassen.

In Verfahren, in denen ein bayerisches Berufungsgericht die Revision zulässt, hat dieses nach § 7 Abs. 1 Satz 1 EGZPO gleichzeitig über die Zuständigkeit entweder des BayObLG oder des BGH für die Verhandlung und Entscheidung über das Rechtsmittel zu befinden; die Entscheidung ist für das gesamte weitere Verfahren gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 EGZPO bindend (BGH, Beschluss v. 18.02.2021, Az. III ZR 79/20, Rz. 5).

Vorliegend ist der BGH und nicht das BayObLG für die Verhandlung und Entscheidung über die Revision der Klägerin zuständig, § 7 Abs. 1 EGZPO i.V.m § 8 Abs. 2 EGGVG und Art. 11 Abs. 1 BayAGGVG.

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