LG Aachen – Az.: 10 O 105/17 – Urteil vom 03.05.2018
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
Die Parteien streiten über Schadenersatzansprüche aus einem behaupteten Verkehrsunfall vom 07.11.2016, durch den der PKW der Klägerin, ein BMW 650i LPG, mit dem amtl. Kennzeichen XX-YY 82, von dem Beklagten zu 1) mit dessen PKW Audi, amtl. Kennzeichen XX-ZZ 528, welches bei der Beklagten zu 2) versichert ist, beschädigt worden sein soll. Hergang und Folgen dieses Ereignisses stehen zwischen den Parteien im Streit.
Nach dem streitgegenständlichen Vorfall holte die Klägerin ein Gutachten bei dem Sachverständigen Peter S ein, welcher an ihrem PKW einen Reparaturaufwand von 11.204,93 Euro feststellte. Die Klägerin ließ den PKW reparieren und diese Reparatur von dem Sachverständigen bestätigen. Für die Erstbegutachtung und die Reparaturbestätigung stellte der Sachverständige insgesamt 1.494,64 Euro in Rechnung. Hierauf leistete die Beklagte zu 2) einen Betrag in Höhe von 1.219,75 Euro. Die Klägerin veräußerte den PKW am 09.12.2016 an einen Käufer aus den Niederlanden.
Die Klägerin behauptet, ihr PKW habe am Unfalltag auf der T-Straße F-Weg in Aachen am rechten Fahrbahnrand geparkt gestanden. Gegen 19:19 Uhr habe der Beklagte zu 1) mit seinem PKW das geparkte Fahrzeug der Klägerin an der linken Seite gerammt, sodass über die gesamte linke Wagenseite hinweg Blech- und Lackschäden entstanden seien. Die Klägerin selbst habe den Unfall nicht wahrgenommen, sondern erst am nächsten Tag durch die an ihrem Fahrzeug zurückgelassene Unfallmitteilung der Polizei davon erfahren. Sie meint, der Beklagte zu 1) habe den Unfall schuldhaft alleine verursacht.
Die Klägerin beantragt,
1. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, an sie einen Betrag von 12.789,93 Euro nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.02.2017 zu zahlen;
2. die Beklagten als Gesamtschuldner zu verurteilen, sie von der Forderung des Sachverständigen Peter S in Höhe von 274,89 Euro freizustellen;
3. die Beklagten zu verurteilen, die Klägerin von der Gebührenforderung ihrer Prozessbevollmächtigten für deren vorgerichtliche Tätigkeit in Höhe von 1.029,35 Euro freizustellen;
Die Beklagten beantragen, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte zu 2) bestreitet die Aktivlegitimation der Klägerin und behauptet, der Verkehrsunfall sei fingiert worden. Sie bestreitet, dass die Kollision unfreiwillig erfolgt sei. Sie meint, es lägen hinreichende Belastungsindizien für ein manipuliertes Ereignis vor. Es liege ein in jeder Hinsicht für fingierte Verkehrsunfälle typisches Unfallgeschehen sowie Schadensbild vor. Sie bestreitet auch, dass unfallbedingt Schäden in der behaupteten Höhe entstanden seien. Es seien am Fahrzeug der Klägerin vielmehr unreparierte Vorschäden vorhanden gewesen.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die von den Prozessbevollmächtigten der Parteien zur Gerichtsakte gereichten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.
Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen C2, T, B und H. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsprotokolle vom 23.11.2017 und 05.04.2018 Bezug genommen.
Das Gericht hat zudem Beweis erhoben durch Einholung eines mündlichen Sachverständigengutachtens durch den Sachverständigen Dr. N. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 05.04.2018 Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
I.
Die zulässige Klage ist unbegründet.
Ob die Klägerin aktivlegitimiert ist, kann offenbleiben, da ihr jedenfalls unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Ansprüche auf Zahlung von Schadenersatz gegen die Beklagten zustehen. Insbesondere bestehen keine Ansprüche aus §§ 7 Abs. 1, 17, 18 StVG – gegen die Beklagte zu 2) iVm § 115 VVG.
Das Gericht ist nach § 286 ZPO davon überzeugt, dass der Unfall für die Klägerin nicht unfreiwillig war, sondern sie vielmehr in diesen eingewilligt hat. Eine Einwilligung in die Beschädigung des eigenen Fahrzeugs lässt die Rechtswidrigkeit der Eigentumsbeschädigung entfallen (vgl. BGH, Urteil vom 13.12.1977, Az. VI ZR 206/75, juris, Rn. 10). Die Beklagte zu 2) hat den ihr obliegenden Beweis für eine dementsprechende Einwilligung im Wege des Indizienbeweises erbracht.
Der Beweis des ersten Anscheins spricht hier für einen fingierten Verkehrsunfall. Bei einer Häufung von Anzeichen, die auf eine Manipulation des Unfallgeschehens hindeuten, ist der Anscheinsbeweis geführt. Unerheblich ist dabei, ob diese Indizien bei isolierter Betrachtung jeweils auch als unverdächtig erklärt werden können. Ausschlaggebend ist vielmehr eine Gesamtwürdigung aller Tatsachen und Beweise, bei der aus einer Indizienkette auf eine planmäßige Vorbereitung und Herbeiführung des vermeintlichen Unfalls geschlossen werden kann (vgl. OLG Köln, Urteil vom 12.04.2013, Az. 19 U 96/12, juris, Rn. 30).
Dabei bedarf es zum Nachweis einer Kollisionsabsprache allerdings keiner lückenlosen Gewissheit im Sinne einer mathematischen Beweisführung. Es reicht vielmehr die Feststellung von Indizien aus, die in lebensnaher Zusammenschau und praktisch vernünftiger Gewichtung den Schluss auf ein kollusives Zusammenwirken zulassen, das die Rechtswidrigkeit der angeblichen Rechtsverletzung ausschließt (OLG Köln, aaO, juris, Rn. 31).
Hier liegen so viele gewichtige Indizien vor, die auf einen fingierten Verkehrsunfall schließen lassen, dass das Gericht bei lebensnaher Betrachtung von dem Vorliegen eines solchen überzeugt ist.
Ein Indiz ist zunächst, dass der Unfall sich nach 19 Uhr an einem Novemberabend ereignete, also zu einer Zeit, zu der es bereits dunkel war. Weiterhin fand der behauptete Unfall in der T-Straße eines Gewerbegebiets statt. Durch die Wahl dieses Unfallzeitpunktes und -ortes soll regelmäßig durch die Beteiligten sichergestellt werden, dass vor Ort keine unabhängigen Zeugen den Unfall sehen können (vgl. OLG Köln, Urteil vom 08.05.2015, Az. 19 U 47/13, juris, Rn. 21). Die Wahl der T-Straße soll dabei dafür sorgen, dass schon per se mit der Anwesenheit von Zeugen seltener zu rechnen ist. Die Wahl der Uhrzeit sorgt dann dafür, dass selbst ein doch zufällig anwesender Dritter aufgrund der Lichtverhältnisse keine genauen Wahrnehmungen machen kann. Das Fehlen neutraler Zeugen stellt vorliegend ein umso stärkeres Indiz dar, als nach dem Vortrag des Beklagten zu 1) ein Dritter an dem Vorgang involviert war. Der vermeintlich entgegenkommende Lastwagenfahrer sei aber nach dem Unfall einfach weitergefahren. Dass ein Unfallbeteiligter Unfallflucht begeht ist zwar nicht gänzlich ausgeschlossen. Dass ein angeblich aber sogar vorhandener potentieller Zeuge nicht greifbar ist, stellt ein weiteres Indiz für einen gestellten Verkehrsunfall dar.
Dass die Klägerin selbst nicht zum Unfallgeschehen vortragen kann, da sie angeblich erst am nächsten Tag gesehen habe, dass ihr Wagen beschädigt worden sei, spricht ebenfalls als weiteres Indiz für einen manipulierten Verkehrsunfall (vgl. OLG Köln, Urteil vom 12.04.2013, Az. 19 U 96/12, juris, Rn. 35).
Überdies sprechen auch die behaupteten Umstände des Verkehrsunfalls für eine Manipulation. Die Beschädigung eines am Straßenrand geparkten PKW durch einen vermeintlich unachtsamen Verkehrsteilnehmer im Zuge einer Vorbeifahrt ist ein bei gestellten Kollisionsereignissen häufig anzutreffendes Schadensmuster.
Der Beklagte zu 1) hat zudem in seiner informatorischen Anhörung bekundet, er sei von dem entgegenkommenden LKW mit Fernlicht geblendet worden. Dass ein Autofahrer sich hierdurch zum Ausweichen genötigt fühlt und dabei gegen ein am Fahrbahnrand geparktes Fahrzeug stößt, ist ein sehr ungewöhnlicher Vorgang. Auch ein – wie hier vorliegender – kaum zu erklärender Fahrfehler stellt ein Indiz für eine Unfallmanipulation dar (vgl. OLG Hamm, Urteil vom 03.03.2004, Az. 13 U 183/03, juris, Rn. 10). Dass eine irgendwie geartete „Notwendigkeit“ eines Ausweichens seitens des Schädigers behauptet wird, ist ebenfalls typisch für einen gestellten Verkehrsunfall.
Der Beklagte zu 1) räumte seine Schuld gegenüber der hinzugezogenen Polizei außerdem ein. Auch das soll den äußeren Anschein eines authentischen Schadensfalles unterstützen und ist dementsprechend ein Beweisanzeichen für einen gestellten Verkehrsunfall (vgl. OLG Köln, Urteil vom 02.03.2010, Az. I-9 U 122/09, juris, Rn. 28; OLG Düsseldorf, Urteil vom 05.06.2012, Az. 1 U 141/11, juris, Rn. 26).
Die geringe Verletzungsgefahr für alle Beteiligten ist ein weiteres Indiz (vgl. OLG Celle, Urteil vom 08.10.2015, Az. 5 U 175/14, juris, Rn. 22). Vorliegend handelt es sich um eine Unfallkonstellation, bei der für niemanden eine ernsthafte Verletzungsgefahr bestand. Der Beklagte zu 1) ist mit der rechten Seite seines Wagens mit der linken Seite des Wagens der Klägerin kollidiert. Insofern bestand für den Beklagten zu 1) als auf der linken Seite sitzender Fahrer keine Gefahr einer Verletzung. Dies gilt insbesondere bei einem „Entlangstreifen“, wie es hier passiert sein soll. Der Wagen der Klägerin war sogar gar nicht besetzt, sodass darin niemand verletzt werden konnte.
Ein weiteres Indiz ist, dass der Schaden fiktiv auf Basis des eingeholten Privatgutachtens abgerechnet wurde (vgl. OLG Köln, Urteil vom 08.05.2015, Az. 19 U 47/13, juris, Rn. 23, LG Aachen, Urteil vom 17.02.2017, Az. 8 O 438/14, juris, Rn. 24).
Weiterhin handelt es sich bei dem beschädigten Fahrzeug um ein typischerweise bei fingierten Verkehrsunfällen „eingesetztes“ Fahrzeug, nämlich ein älteres Fahrzeug der gehobenen Klasse mit einer bereits hohen Kilometerleistung (vgl. OLG Celle, Urteil vom 08.10.2015, Az. 5 U 175/14, juris, Rn. 22). Dessen ordnungsgemäße Instandsetzung in einer markengebundenen Fachwerkstatt ist naturgemäß mit erheblichen Kosten verbunden. Ausweislich der als Tischvorlage durch den Sachverständigen in der mündlichen Verhandlung zur Akte gelangten Lichtbilder beschränken sich die Fahrzeugschäden auf Blech- und Lackschäden, die der Unfallmanipulant erfahrungsgemäß deutlich preisgünstiger als gutachterlich ausgewiesen beseitigen lassen kann.
Bei dem schädigenden Fahrzeug handelte es sich insofern um ein typischerweise bei solchen Unfallmanipulationen eingesetztes Fahrzeug, als es vollkaskoversichert war und insofern für den Beklagten zu 2) kein hohes Haftungsrisiko bestand (vgl. OLG Schleswig, Urteil vom 14.11.2012, Az. 7 U 42/12, juris, Rn. 21).
Auch die fehlende Kompatibilität ist ein für einen fingierten Verkehrsunfall sprechendes Indiz (vgl. OLG Köln, Urteil vom 02.03.2010, Az. I-9 U 122/09, juris, Rn. 26). Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die Unfallschilderung des Beklagten zu 1) nicht mit dem am Fahrzeug der Klägerin entstandenen Schadensbild kompatibel ist. Der Sachverständige hat in seinem mündlich erstatteten Gutachten ausgeführt, dass der wesentliche Teil der auf den Lichtbildaufnahmen des klägerischen Fahrzeugs festgestellten Beschädigungen unvereinbar mit dem vorgetragenen Unfallgeschehen sei. Die festgestellten Vertikalspuren im vorderen Bereich der Fahrertüre seien nicht mit einer durchgängigen Fahrbewegung zu vereinen. Bezüglich der an der linken Fahrertür vorhandenen horizontalen Schrammen sei eine Richtungsumkehrspur gegeben, was aus einer tiefer werdenden Eintragstiefe und der Ansammlung von Material am Ende der Schrammen zu schließen sei. Insofern seien die Kratzer eher von der Front des Fahrzeugs in Richtung Heck erfolgt als – wie vorgetragen – andersherum. Die horizontalen Schrammen an der linken Frontstoßfänger-Ecke seien mit einem Längsstreifen überdies nicht zu vereinen. Die riefige Schadensstruktur lasse sich mit einem PKW-PKW-Kontakt überdies allenfalls dann erklären, wenn einer der Wagen grob mit Sand verschmutzt gewesen ist. Die Delle an der linken Seitenwand sei mit einem Vorbeistreifen ebenfalls nicht zu erklären; hierzu fehle es an einer Reibspur. Diejenigen Spuren, die nach diesen Feststellungen überhaupt noch zuordbar seien, seien nur zu erklären, soweit die beiden Wagen in einem 0-Winkel zueinander kollidiert seien, was sich wiederum mit dem Vortrag im Rahmen der informatorischen Anhörung des Beklagten zu 1), dass dieser ruckartig vor dem herannahenden LKW ausgewichen sei, nicht vereinen lasse.
Es ist kein Grund ersichtlich, diesbezüglich an den ausführlichen und nachvollziehbar begründeten Feststellungen des Sachverständigen zu zweifeln. Insbesondere ist es unschädlich, dass dem Sachverständigen Detailfotografien des Fahrzeugs des Beklagten zu 1) nicht zur Begutachtung zur Verfügung standen. Schon aus dem Schadensbild des Fahrzeugs der Klägerin konnte er die oben aufgezeigten Schlüsse ziehen, nämlich, dass die Schäden teilweise schon gar nicht aus dem Zusammenstoß der Fahrzeuge resultieren können oder jedenfalls nicht in der dargestellten Art und Weise.
Hinzu kommt, dass die Art des Schadens, ein „lukrativer“ Streifschaden, ein Indiz für eine Unfallmanipulation begründet (vgl. LG Essen, Urteil vom 22. Juni 2015, 17 O 182/12, juris, Rn. 38). Bei dem Schaden an dem auf Klägerseite beteiligten Fahrzeug, welcher durch den Unfall entstanden sein soll, handelt es sich um einen Streifschaden über fast die gesamte Länge des Fahrzeuges.
Für einen fingierten Unfall spricht zudem, dass das Fahrzeug der Klägerin bereits knapp einen Monat nach dem Unfallereignis schon wieder repariert war und weiterveräußert wurde, obwohl die Klägerin wissen musste, dass eine Begutachtung des Fahrzeugs für die Schadensabwicklung noch von Bedeutung hätte sein können (vgl. LG Duisburg, Urteil vom 07.11.2011, Az. 8 O 494/09, juris, Rn. 45). Insofern hat sie durch ihr schnelles Vorgehen dafür gesorgt, dass eine Begutachtung letztlich nur durch die vorhandenen Lichtbilder möglich war.
II.
Die prozessualen Nebenentscheidungen folgen aus §§ 91 Abs. 1 S. 1, 709 S. 1 u. 2 ZPO.
Der Streitwert wird auf 13.064,82 EUR festgesetzt.