Hessisches Landesarbeitsgericht
Az: 7 Sa 649/11
Urteil vom 21.11.2011
Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 09. März 2011, Az. 7 Ca 8153/10, abgeändert.
Der Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 3.631,28 EUR (in Worten: Dreitausendsechshunderteinunddreißig und 28/100 Euro) nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Oktober 2010 zu zahlen.
Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Rückzahlung einer gezahlten Prämie, für die von den Parteien die Begriffe Start-, Sprinter- und Turboprämie synonym gebraucht werden.
Der Beklagte war als Arbeitnehmer bei der A beschäftigt, über deren Vermögen am 01. September 2009 das Insolvenzverfahren eröffnet wurde. Am 20. April 2010 schlossen die Betriebsparteien einen Transfersozialplan mit dem Ziel der Beschäftigung der Arbeitnehmer bei der Klägerin als Transfergesellschaft. § 3 Nr. 3 dieses Sozialplans sieht die Zahlung einer „Turboprämie“ in Form der eingesparten Remanenzkosten bei Aufnahme eines anderweitigen Arbeitsverhältnisses vor, das jedoch nicht mit einem Erwerber von Anteilen der A geschlossen sein durfte. Wegen der Regelungen im Einzelnen wird auf Bl. 7 – 12 d.A. Bezug genommen.
Auf dieser Basis unterzeichneten am 16. und 26. April 2010 der Beklagte, der Insolvenzverwalter und die Klägerin einen „Aufhebungs- und Anstellungsvertrag (Dreiseitiger Vertrag)“ (Bl. 13 – 18) mit Wirkung zum 01. Juli 2010. Auch in dieser Urkunde wurde unter Abschnitt III. Nr. 6 darauf hingewiesen, dass die Turboprämie „für diejenigen, die ein Arbeitsplatzangebot eines Erwerbers erhalten haben und/oder erhalten werden und zu diesem übertreten werden“ entfällt.
Der Beklagte kündigte sodann das Arbeitsverhältnis zum 31. Juli 2010, und zwar zunächst per E-Mail vom 28. Juli 2010, deren Ausdruck der Klägerin am 29. Juli 2010 per Post zuging. Im Kündigungsschreiben wies der Beklagte darauf hin, dass er „heute einen neuen Vertrag“ unterschreibt.
Mit Schreiben vom 28. Juli 2010 (Bl. 20 d.A.) bestätigte die Klägerin den Zugang der Kündigung und forderte den Beklagten auf, ihr eine Kopie des neuen Arbeitsvertrags weiterzuleiten, um „Anspruch auf Sprinterprämie“ prüfen zu können. Auf den Zahlungsausschluss bei Abschluss eines Arbeitsverhältnisses mit einem Erwerber wurde erneut hingewiesen.
Mit weiterem Schreiben vom 30. Juli 2010, wegen dessen Inhalt auf Bl. 53 d.A. verwiesen wird, übersandte die Klägerin dem Beklagten einen bereits unterschriebenen Aufhebungsvertrag und bat um Übersendung einer Kopie des neuen Arbeitsvertrags.
Darin wurde Folgendes vereinbart:
1. Das Beschäftigungsverhältnis […] endet im gegenseitigen Einvernehmen am 31.07.2010 […]. Herr B tritt ab dem 01.08.2010 eine neue Arbeitsstelle an. Bis zum Beendigungszeitpunkt wird das Arbeitsverhältnis ordnungsgemäß abgerechnet.
2. Gemäß § 3 des Sozialplans der Firma A erhalten Mitarbeiter, die in der Transfergesellschaft vorzeitig neues Beschäftigungsverhältnis aufnehmen, 30% der eingesparten Remanenzkosten als Startprämie. Die Startprämie wird mit dem nächsten Lohnlauf im Monat August 2010 durch die Consult gezahlt.
3. Sämtlicher Urlaub wurde in natura gefüllt.
4. Mit Erfüllung dieses Vergleichs sind sämtliche wechselseitigen Ansprüche aus dem Arbeitsverhältnis, gleich aus welchem Rechtsgrund und seien sie bekannt oder unbekannt, erledigt.
Am 01. August nahm der Beklagte die Arbeit im Rahmen seines neuen Arbeitsverhältnisses bei der C in D auf. Dabei handelt es sich unstreitig um einen Erwerber der A i.S.v. Abschnitt III. Nr. 6 des dreiseitigen Vertrags.
Am 09. August 2010 übersandte der Beklagte der Klägerin den gegengezeichneten Aufhebungsvertrag sowie eine Kopie des neuen Arbeitsvertrags, aus der ersichtlich war, mit welchem Unternehmen der Vertrag zustande gekommen war.
Dennoch zahlte die Klägerin mit der Schlussabrechnung 07/2010 Ende August 2010 die Prämie in Höhe von 3.631,28 € an den Beklagten.
Mit Schreiben vom 28. September 2010 fordert die Klägerin vom Beklagten die Rückzahlung der „Startprämie“ bis spätestens 12. Oktober 2010; mit der am 26. November 2010 eingegangenen, dem Beklagten am 13. Dezember 2010 zugestellten Klage verfolgt sie ihren Anspruch nunmehr gerichtlich weiter.
Die Klägerin hat die Auffassung geäußert, der Beklagte sei zur Rückzahlung der Prämie verpflichtet, da er diese ohne Rechtsgrund erlangt habe. Dem stünde § 4 des Aufhebungsvertrags nicht entgegen, da der „Vergleich“ – gemeint sei damit der Aufhebungsvertrag selbst – erst ordnungsgemäß erfüllt sei, wenn vom Beklagten die Rückzahlung geleistet worden ist.
Die Klägerin hat beantragt, den Beklagten zu verurteilen, an sie 3.631,28 € brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 12. Oktober 2010 zu zahlen.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Der Beklagte hat die Auffassung geäußert, er sei mit der Übersendung einer Kopie seines neuen Arbeitsvertrags allen ihn treffenden Obliegenheiten nachgekommen. Im Übrigen stünde dem Anspruch der Klägerin bereits die Abgeltungsklausel in § 4 des Aufhebungsvertrags entgegen.
Wegen des zu Grunde liegenden Sachverhalts im Übrigen, des Vorbringens der Parteien und ihrer Anträge erster Instanz wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils (Bl. 58 – 62 d.A.) verwiesen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und dies damit begründet, dass der Beklagte durch die Zahlung der Prämie zwar ungerechtfertigt bereichert worden sei, dass der Anspruch der Klägerin auf Rückzahlung aber durch die Abgeltungs- und Erledigungsklausel (§ 4 des Aufhebungsvertrags) untergegangen sei. Etwaige Unklarheiten der Klausel gingen zu Lasten der Klägerin als Verwenderin der formularmäßigen Formulierung.
Gegen dieses Urteil vom 09. März 2011, auf dessen Inhalt zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, richtet sich die Berufung der Klägerin.
Die Klägerin äußert die Meinung, die irrtümlich erfolgte fehlerhafte Zahlung an den Beklagten könne nicht dazu führen, dass der Rückzahlungsanspruch verloren ginge. Denn die endgültige Abgeltung aller gegenseitigen Ansprüche setze nach dem Wortlaut der Abgeltungsklausel die ordnungsgemäße Erfüllung der Vereinbarung voraus. Dazu gehöre nach Sinn und Zweck der Regelung auch die Rückzahlung der zu viel erlangten Prämie.
Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Frankfurt am Main vom 09. März 2011, Az. 8153/10, abzuändern und den Beklagten zu verurteilen, an die Klägerin 3.631,28 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit dem 12. Oktober 2010 zu zahlen.
Der Beklagte bittet um Zurückweisung der Berufung und verteidigt das angegriffene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Vortrags.
Wegen des weiteren Vortrags der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründung vom 14. Juni 2011 (Bl. 86 – 92 d.A.) und die Berufungsbeantwortung vom 18. August 2011 (Bl. 100 – 103 d.A.) verwiesen.
Entscheidungsgründe
I. Die nach dem Wert des Beschwerdegegenstandes statthafte, form- und fristgerecht eingelegte und begründete Berufung der Klägerin ist zulässig.
II. Die Berufung ist auch in der Sache begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen.
Die ohne weiteres zulässige Klage ist begründet. Daher war das Urteil des Arbeitsgerichts abzuändern und der Beklagte antragsgemäß zu verurteilen.
1. Dem Arbeitsgericht ist allerdings insoweit zu folgen, als es einen ursprünglich bestehenden Zahlungsanspruch der Klägerin gegenüber dem Beklagten aus dem Gesichtspunkt der ungerechtfertigten Bereicherung i.S.d. § 812 BGB angenommen hat.
Da der Beklagte die Voraussetzungen für den Erhalt der hier umstrittenen Prämie unstreitig nicht erfüllte, weil er ein neues Arbeitsverhältnis mit einem Erwerber der insolventen A begründete, hat er die dennoch gezahlte Prämie ohne Rechtsgrund erlangt und ist zur Rückzahlung gem. § 812 BGB verpflichtet.
2. Dieser Anspruch der Klägerin ist durch die Abgeltungsklausel in § 4 des Aufhebungsvertrags nicht erloschen.
Nach ihrem Sinn und Zweck ist diese Klausel so auszulegen, dass von ihr jedenfalls zukünftige Bereicherungsansprüche wegen einer etwaigen Überzahlung nicht ausgeschlossen sind. Vielmehr haben sich die Parteien mit der Regelung darauf geeinigt, dass weitere arbeitsvertragliche Ansprüche der Parteien, die nicht im Aufhebungsvertrag aufgeführt wurden, nach dessen Erfüllung nicht mehr bestehen. Würde man darunter auch – wie es offenbar das Arbeitsgericht meint – etwaige später erst entstehende Bereicherungsansprüche einbeziehen, so wären sämtliche Ausgleichsansprüche im Falle irrtümlich fehlerhafter Berechnung oder Zahlung von nicht vereinbarten Leistungen ausgeschlossen. Eine solche Auslegung der Klausel liegt aber so fern, dass für eine Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB kein Raum ist. Zu Recht weist die Klägerin im Rahmen der Berufungsbegründung darauf hin, dass sich ähnliche oder sogar gleich lautende Klauseln häufig in gerichtlichen Vergleichen wiederfinden. Auch dort kann ihnen keinesfalls der Inhalt beigemessen werden, dass spätere Fehler bei der Berechnung und/oder Auszahlung noch offener oder eben nicht geschuldeter Leistungen – gleich von welcher Prozesspartei – nicht mehr ausgeglichen werden müssen. Vielmehr dient gerade das Kondiktionsrecht der §§ 812ff BGB dem Ausgleich solcher rechtsgrundlos erhaltener Leistungen. Eine Auslegung der Abgeltungsklausel in dem Sinne, dass dies von vornherein ausgeschlossen sein soll, kommt daher nicht in Frage.
3. Der Rückzahlungsanspruch der Klägerin ist schließlich auch nicht durch § 814 BGB ausgeschlossen. Diese Vorschrift setzt voraus, dass der Leistende bei der Zahlung selbst positiv wusste, dass er hierzu nicht verpflichtet ist. Weder die Kenntnis der Tatsachen, die eine Zahlungspflicht ausschließen, noch die Tatsache, dass die Person, die die Zahlung veranlasste, eigentlich hätte wissen müssen, dass der Beklagte auf sie keinen Anspruch hatte, reicht aus, um den Rückzahlungsanspruch zu beseitigen (vgl. Wendehorst in BeckOK BGB § 814, RNr. 8f m.w.N.).
Anhaltspunkte dafür, dass die für die Klägerin handelnden Personen bei der Überweisung der Prämie definitiv wussten, dass ein entsprechender Anspruch des Beklagten nicht bestand, sind nicht erkennbar. Vielmehr spricht tatsächlich alles dafür, dass dies irrtümlich geschah, weil die Erkenntnis, dass der Kläger ein Arbeitsverhältnis mit einem Erwerber aufgenommen hatte, noch nicht bei den für die Überweisung verantwortlichen Personen angekommen war. Auf die Frage, ob diese Erkenntnis bei sofortigem und sorgfältigem Studium des vom Kläger pflichtgemäß übersandten neuen Arbeitsvertrags eher erzielt und die Überweisung vermieden worden wäre, kann es angesichts der dargestellten engen Voraussetzungen des § 814 BGB nicht ankommen.
4. Die geltend gemachten Zinsen kann die Klägerin aus dem Gesichtspunkt des Verzugs gem. §§ 286 Abs. 1, 288 BGB beanspruchen.
III. Die Kosten des Rechtsstreits hat der Beklagte zu tragen, da er unterliegt, § 91 ZPO.
Für die Zulassung des Rechtsmittels der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG bestand keine gesetzlich begründbare Veranlassung.