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Bemessung des Streitwertes bei einem unbezifferten Schmerzensgeldantrag

OLG Nürnberg – Az.: 5 U 964/19 – Urteil vom 24.01.2020

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 28.02.2019 abgeändert und wie folgt gefasst:

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 4.000,00 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 02.12.2016 zu bezahlen.

2. Der Beklagte wird weiter verurteilt, an den Kläger vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 218,72 € zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.09.2017 zu bezahlen.

3. Es wird festgestellt, dass der Beklagte verpflichtet ist dem Kläger jedweden weiteren materiellen und immateriellen Schaden, letzteren, soweit nach der letzten mündlichen Verhandlung entstehen, zu ersetzen, der dem Kläger aus der Behandlung des Beklagten im Jahr 2013 entstanden ist oder noch entsteht, soweit nicht Schadensersatzansprüche des Klägers auf Sozialversicherungsträger oder sonstige Dritte übergegangen sind oder noch übergehen.

4. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

II. Die weitergehende Berufung des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Von den Kosten des Berufungsverfahrens tragen der Kläger 1/3 und der Beklagte 2/3. Von den Kosten des Verfahrens in erster Instanz tragen der Kläger 1/7 und der Beklagte 6/7.

IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

Beschluss

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 3.000,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Von der Darstellung des Tatbestandes wird gemäß §§ 540 Abs. 2, 313 a Abs. 1 Satz 1, 544 Abs. 2 Nr. 1 n.F. ZPO abgesehen.

II.

Die Berufung des Klägers gegen das der Klage nur teilweise stattgebende Endurteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth ist zulässig und hat überwiegend Erfolg.

1.

Nach Auffassung des Senats ist vorliegend ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 € angemessen.

a)

Allgemein ist zum Schmerzensgeld auszuführen: Für die Bestimmung der „billigen Entschädigung in Geld“ (Schmerzensgeldbemessung) sind vom Gericht im jeweiligen Einzelfall alle für die Bemessung maßgeblichen Umständen heranzuziehen. Soweit nicht im Einzelfall, insbesondere bei Verletzungen durch Vorsatztaten, die Genugtuungsfunktion besondere Bedeutung erlangt, orientiert sich die Schmerzensgeldbemessung in erster Linie an der Ausgleichsfunktion der Zahlung. Dieser sind allerdings von vorneherein allein deshalb Grenzen gesetzt, weil die Folgen einer körperlichen Verletzung mit Geld – anders als bei materiellen Schäden – regelmäßig nicht zu beseitigen sind.

Der Schmerzensgeldanspruch des § 253 Abs. 2 BGB ist daher seinem Inhalt nach nicht mit einem Schadensersatzanspruch, welcher den Ersatz von Sach- und Vermögensschäden ermöglichen soll, gleichzusetzen. Die Wiederherstellungsfunktion lässt sich hier nicht wie bei der Naturalherstellung von Vermögensschäden durchführen. Es gibt insoweit keine wirkliche Wiedergutmachung. Es soll zwar auch ein Ausgleich vorgenommen werden, dieser ist aber rechnerisch nicht streng festlegbar. Das alleinige Abstellen auf den Ausgleichsgedanken ist unmöglich, weil immaterielle Schäden sich nie und Ausgleichsmöglichkeiten nur beschränkt in Geld ausdrücken lassen (grundlegend BGHZ 18, 149-168). Der Ausgleichszweck gibt, je größer der immaterielle Schaden ist, für die Bemessung der Entschädigung nur einen recht groben Anhalt.

Da immaterielle Schäden in Geld überhaupt nicht unmittelbar messbar sind, müssen die durch Übereinkunft der Rechtsprechung bisher gewonnenen Maßstäbe in der Regel den Ausgangspunkt für die tatrichterlichen Erwägungen zur Schmerzensgeldbemessung bilden (BGH VersR 1970, 134). In Schmerzensgeldtabellen erfasste „Vergleichsfälle“ sind dabei im Rahmen des zu beachtenden Gleichheitsgrundsatzes als Orientierungsrahmen zu berücksichtigen, ohne dabei verbindliche Präjudizien zu sein (OLG München, Urteil vom 24. November 2017, Az.10 U 952/17, juris Rn. 8, m.w.N.).

b)

Unter Berücksichtigung der vorgenannten Grundsätze der Schmerzensgeldbemessung bewertet der Senat ein Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 € als für den vorliegenden Fall zutreffende billige Entschädigung in Geld im Sinne des § 253 Abs. 2 BGB.

Nach den insoweit nicht angegriffenen Feststellungen des Landgerichts war die ärztliche Behandlung durch den Beklagten medizinisch nicht nachvollziehbar, erfolgte ohne Indikation und sogar trotz Vorliegens einer Kontraindikation. Bei sämtlichen Sklerosierungsbehandlungen durch den Beklagten fehlte eine wirksame Einwilligung des Klägers, da zu keinem Zeitpunkt eine hinreichende Aufklärung des Klägers erfolgt war. Die Sklerosierungsbehandlung am 20.12.2013 führte zur Entstehung eines Abszesses, dessen Ausbildung mit starken Schmerzen verbunden war. Dies bestätigte der Kläger bei seiner informatorischen Befragung in der mündlichen Verhandlung vom 22.11.2019. Er führte aus, er habe bis zur Operation am 24.12.2013 ständig Schmerzen gehabt, die die letzten zwei Tage sehr schlimm gewesen seien. Der weitere Heilungsverlauf des Klägers war mit Schmerzen und zahlreichen Arztbesuchen verbunden. So musste die im Rahmen der Behandlung durch den Beklagten gelegte Drainage am 28.01.2014 wieder entfernt werden. Über die Feststellungen des Landgerichts hinaus ist in die Schmerzensgeldbemessung insbesondere einzubeziehen, dass der Kläger zwischenzeitlich im September 2019 erneut operiert wurde, wobei der anschließende Heilungsverlauf erneut von Beschwerden gekennzeichnet war. Der Kläger hat weiterhin Angst vor einer erneuten Operation.

c)

Die Entscheidung über die Zinsen ergibt sich aus §§ 286 Abs. 1, 2 Nr. 3, 288 Absatz 1 Satz 2, 187 BGB. Unstreitig ließ der Beklagte die Schmerzensgeldforderung des Klägers mit Schriftsatz vom 01.12.2016 zurückweisen.

2.

Ein Anspruch auf Ersatz der nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist gegeben. Dass der Kläger die Kostenrechnung vollständig bezahlt hat, ist zwischenzeitlich unstreitig. Die nicht anrechenbaren vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten sind aus einem Gegenstandswert von 4.000 € zu berechnen, da die Schmerzensgeldforderung nur in dieser Höhe begründet ist. Sie belaufen sich dementsprechend auf 218,72 €.

Die Entscheidung über die Zinsen folgt aus §§ 291, 288 Absatz 1 Satz 2, 187 Abs. 1 BGB.

3.

Hinsichtlich des Feststellungsantrags ist ein Feststellungsinteresse gegeben, da sich der Schaden noch in der Entwicklung befindet. Es besteht die Gefahr weiterer Operationen. Das Feststellungsinteresse hinsichtlich des zukünftigen immateriellen Schadens ist – entgegen der Auffassung des Landgerichts – nicht wegen des Vorrangs der Leistungsklage zu verneinen. Der Klägervertreter hat in der mündlichen Verhandlung vom 22.11.2019 klargestellt, dass der Schmerzensgeldantrag sämtliche bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetretene Schäden umfassen soll, der Feststellungsantrag dagegen alle Zukunftsschäden, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht eingetreten sind, gleich ob vorhersehbar oder nicht.

Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung zulässig.

Da die Schmerzensgeldforderung auf Zahlung einer Geldsumme gerichtet ist, ist sie grundsätzlich teilbar. Dem steht nicht entgegen, dass es sich um einen einheitlichen Anspruch handelt. Ist die Höhe des Anspruchs im Streit, kann grundsätzlich ein ziffernmäßig oder sonstwie individualisierter Teil davon Gegenstand einer Teilklage sein, sofern erkennbar ist, um welchen Teil des Gesamtanspruchs es sich handelt. Macht der Kläger nach diesen Grundsätzen nur einen Teilbetrag eines Schmerzensgeldes geltend und verlangt er bei der Bemessung der Anspruchshöhe nur die Berücksichtigung der Verletzungsfolgen, die bereits im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung eingetreten sind, ist eine hinreichende Individualisierbarkeit gewährleistet (BGH NJW 2004, 1243-1245).

Neben diesem bezifferten Leistungsantrag auf Schmerzensgeld, bei dessen Bemessung nur die bisher eingetretenen und erkennbaren Verletzungsfolgen Berücksichtigung finden sollen, ist ein Antrag auf Feststellung der Ersatzpflicht für zukünftige immaterielle Schäden zulässig, wobei dieser Antrag dann nicht auf die nicht vorhersehbaren Schadensfolgen beschränkt ist, sondern jeglichen Zukunftsschaden, sei er vorhersehbar oder nicht, umfasst (OLG Nürnberg, Beschluss vom 25.04.2018, Az. 5 W 639/18). Ein Übergang zur Leistungsklage ist nur dann erforderlich, wenn die Schadensentwicklung bereits im 1. Rechtszug vollständig abgeschlossen ist (Martis/Winkhart, Arzthaftungsrecht, 4. Auflage, Rn. F5).

III.

Die Kostenentscheidung ergeht gemäß § 92 Abs. 2 ZPO. Der Senat setzt für den Feststellungsantrag einen Streitwert von 2.000 € an, soweit er noch Gegenstand der Berufung war, einen Streitwert von 1.000 €. Entgegen der Ansicht der Berufung ist für die Bemessung des Streitwertes und damit auch für die Kostenentscheidung bei einem unbezifferten Schmerzensgeldantrag der Betrag maßgeblich, den der Kläger als Mindestbetrag angegeben hat (OLGR Köln 1994, 284; OLG Düsseldorf NJW-RR 1995, 955), hier also 5.000 €.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 711, 713 ZPO.

IV.

Die Voraussetzungen für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Die Rechtssache hat weder grundsätzliche Bedeutung noch erfordert die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Soweit Rechtsfragen von Bedeutung sind, folgt der Senat der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung.

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