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Beschädigung eines Polizeifahrzeugs während Verfolgungsfahrt

Polizeifahrzeug-Beschädigung während Verfolgung: Eine Klärung der Verantwortlichkeiten

In der juristischen Welt sind Fragen der Verantwortlichkeit oft komplex und verworren. Ein Fall, der kürzlich vom Amtsgericht Altötting (AG Altötting – Az.: 2 C 114/20 – Urteil vom 18.06.2020) behandelt wurde, betraf genau solch eine Fragestellung. Es ging um die Beschädigung eines Polizeifahrzeugs während einer Verfolgungsfahrt und wer dafür die Verantwortung zu tragen hatte. Das Kernproblem des Falls lag darin, ob die Beamten ein Mitverschulden an dem Schaden hatten oder nicht.

Weiter zum vorliegenden Urteil Az.: 2 C 114/20 >>>

Haftungsfragen und das Konzept des Mitverschuldens

Es wurde argumentiert, dass die Beklagten keine unmittelbare Gefahr darstellten, was wiederum die Notwendigkeit einer solchen Verfolgungsfahrt infrage stellte. Das Gericht berücksichtigte hierbei insbesondere das durch die Verfolgung entstehende erhebliche Risiko und die mögliche Gefährdung unbeteiligter Dritter. Es wurde festgestellt, dass das Polizeifahrzeug unter Umständen mit anderen Gegenständen hätte kollidieren können, und dies war auch absehbar. Die Beamten hätten dieses Risiko in Betracht ziehen müssen.

Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes als Leitlinie

Die Anhörung des Beklagten und die rechtliche Beurteilung des Falles führten zur Anwendung von § 823 Abs. 1 BGB und dem Rückgriff auf frühere Urteile des Bundesgerichtshofs (BGH). Demnach kann jemand, der andere durch sein Verhalten zu riskanten Aktionen herausfordert, für daraus resultierende Schäden haftbar gemacht werden. Das gilt vor allem, wenn der Betroffene sich einer vorläufigen Festnahme oder der Feststellung seiner Personalien zu entziehen versucht und andere dadurch zu einer Verfolgung veranlasst. Die Risiken, die dabei entstehen, können zu Schäden führen, für die der Flüchtende verantwortlich gemacht werden kann.

Schadensrisiko und Mittel-Zweck-Relation

Der Fall brachte die Frage der angemessenen Mittel-Zweck-Relation ins Spiel, nach der die Risiken der Verfolgung und das Beenden der Flucht in einem angemessenen Verhältnis zum Ziel der Ergreifung des Flüchtenden stehen müssen. Wenn dieses Verhältnis nicht gegeben ist, fällt die entstandene Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm. In diesem Fall wurde das Fahrzeug von einem Stein getroffen, der sich in der Ausfahrt befand und in der Dunkelheit nicht als Hindernis erkennbar war.

Beweisaufnahme und abschließende Beurteilung

Die Zeugenvernehmungen und der Augenschein des Ortes ergaben, dass der Fahrer nicht in selbstgefährdender Weise gefahren war. Somit schien das Mitverschulden der Polizei evident. Dennoch bleibt es eine offene Frage, inwiefern die Beamten vorab die Risiken einer Verfolgungsfahrt in Betracht ziehen müssen und in welchem Maß das Schadensrisiko den Einsatz rechtfertigt. Dieser Fall bietet ein anschauliches Beispiel dafür, wie komplex die Verantwortlichkeitsfragen im Rechtssystem sein können.


Das vorliegende Urteil

AG Altötting – Az.: 2 C 114/20 – Urteil vom 18.06.2020

1. Der Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 3.463,23 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 23.02.2019 sowie Vordruckskosten in Höhe von 1,70 €, Schreibkosten in Höhe von 1,85 € und Mahnkosten in Höhe von 5,00 € zu zahlen.

2. Der Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist für den Kläger gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.

4. Der Streitwert wird auf 3.463,23 € festgesetzt.

Tatbestand

Verfolgungsjagd mit Polizeifahrzeug führt zu Beschädigung: Spannungsfeld zwischen Haftung, Mitverschulden und Risikoabwägung
Verfolgungsjagd mit Polizeifahrzeug führt zu Beschädigung: Spannungsfeld zwischen Haftung, Mitverschulden und Risikoabwägung(Symbolfoto: Kittyfly/Shutterstock.com)

Der Kläger macht gegen den Beklagten eine Schadensersatzforderung aus einem Sachschaden an einem Dienst-Pkw anlässlich einer im Ergebnis zur Festnahme des Beklagten führenden Verfolgungsfahrt vom 05.12.2017 gegen 0.20 Uhr in Altötting geltend.

Am 05.12.2017 war eine Polizeistreife mit einem Streifenwagen der PI Altötting, besetzt mit den Polizeibeamten POM L. F. und POM D. v. Z. in Altötting unterwegs mit dem Ziel, die dortige Tiefgarage „Am Forum“ zu kontrollieren.

Der Zeuge F. war Beifahrer, der Zeuge v. Z. fuhr den Dienst-Pkw. Bei dem Dienst-Pkw handelt es sich um einen BMW 318 d Touring mit dem amtlichen Kennzeichen RO – XXX.

Bei Einfahrt in die Tiefgarage sahen die beiden Polizeibeamten von Weitem, dass sich beim Glasdurchgang vor der Tiefgarage zum Aufgang zwei Personen befanden. Bei beschleunigter Anfahrt mit dem Dienstfahrzeug ergriffen diese Personen die Flucht, so dass die Polizeibeamten vereinbarten, dass der Zeuge F. aussteigen und die Nachstellung zu Fuß aufnehmen sollte, während der Zeuge v. Z. mit dem Dienst-Pkw den flüchtenden Personen den Weg abschneiden sollte.

In Umsetzung dieses Plans fuhr POM v. Z., nachdem POM F. ausgestiegen war, mit dem Dienst-Pkw die Tiefgaragenauffahrt wieder hinauf und anschließend über einen Fußgängerweg, den einzigen befahrbaren Weg in Richtung Zuccalliplatz, in Richtung des Fußgängeraufgangs der Tiefgarage. Er sah dabei eine flüchtende Person mit Rucksack, wie sich später herausstellte den Beklagten, der von POM F. zu Fuß verfolgt wurde. POM v. Z. beschleunigte den Dienst-Pkw, um den Abstand zu der verfolgten Person zu verkürzen, wobei er seinen Kollegen F. überholte. Der Polizeibeamte v. Z. erkannte, dass eine Durchfahrt vom Zuccalliplatz in Richtung Kapellplatz durch den dort befindlichen Durchgang möglich war. Nach Durchfahrt durch den Durchgang krachte es auf Höhe des Gasthauses Scharnagl plötzlich am Dienst-Pkw so, dass POM v. Z. den Eindruck gewann, dass er an einen Randstein gefahren wäre. Er bremste sodann den Dienst-Pkw im Kiesbett vor dem Gasthaus ab und nahm die weitere Verfolgung des Beklagten zu Fuß auf. Aufgrund des eingeholten Vorsprungs konnte der Polizeibeamte den weiteren Fluchtweg des Beklagten beobachten und diesen in einer Seitengasse zwischen der Neuöttinger Straße und dem Eisengreinplatz stellen. Zuvor sah der Beamte noch, wie der Beklagte seinen mitgeführten Rücksack über die dortige Mauer warf. Nach Ergreifung des Beklagten führte der Polizeibeamte diesen zurück zum Dienst-Pkw, bei welchem POM F. bereits wartete, da dieser nicht wusste, welche Fluchtrichtung der Beklagte hinter dem Durchgang eingeschlagen hatte. Bei Ankunft am Dienst-Pkw stellten die beiden Polizeibeamten fest, dass der vordere rechte Reifen platt war. Die Polizeibeamten v. Z. und F. konnten durch die Verfolgung des Beklagten diesen auf frischer Tat mit ca. 420 Gramm Marihuana ergreifen, die der Beklagte in dem weggeworfenen Rucksack mit sich führte. Der Beklagte wurde am 26.07.2001 geboren, war also zum Zeitpunkt der Tat im Dezember 2017 16 Jahre alt.

Erst bei Tageslicht und genauerer Begutachtung der Unfallörtlichkeit durch den Waffen- und Gerätewart der PI Altötting, Herrn POK R., konnte erkannt werden, dass der Schaden an dem Dienst-Pkw dadurch entstanden war, dass der Dienst-Pkw mit dem rechten Vorderrad gegen einen großen Findling gestoßen war, welcher ursächlich für die Beschädigung des Fahrzeugs war.

Bei genauerer Untersuchung des beschädigten Fahrzeugs wurde festgestellt, dass am Fahrzeug Beschädigungen an der Radaufhängung, der Felge und des Reifens vorne rechts sowie des Lenkgetriebes entstanden waren. Zur Reparatur des Schadens war der Einbau eines neuen Rades mit Reifen sowie eines neuen Lenkgetriebes erforderlich. Die Reparaturkosten des Fahrzeugs beliefen sich auf 3.463,23 EUR. Auf die Rechnung des Autohauses Wagner vom 16.12.2017 (Anlage K 1) wird verwiesen.

Zur Unfallörtlichkeit wird verwiesen auf die Lichtbildtafel, die im Termin vom 26.05.2020 übergeben wurde. Bild 1 zeigt den Durchgang, durch welchen der Polizeibeamte v. Z. bei der Verfolgung gefahren ist aus Richtung Zuccalliplatz . Bild 2 zeigt den Findling, der den Schaden verursachte.

Der Beklagte wurde am 13.11.2018 in dem Strafverfahren 8 Ls 140 Js 10942/18 wegen vorsätzlichen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in 13 Fällen in Tatmehrheit mit unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmittel in nicht geringer Menge in Tateinheit mit unerlaubtem Besitz von Betäubungsmitteln zu einer Einheits-Jugendstrafe von 1 Jahr und 10 Monaten verurteilt, deren Vollstreckung zur Bewährung ausgesetzt wurde. Gegenstand der Verurteilung war u.a. die Tat vom 04.12./05.12.2017. Verwiesen wird auf das Urteil des Amtsgerichts Altötting – Jugendschöffengericht – vom 13.11.2018 in den beigezogenen Strafakten.

Mit Schreiben vom 13.02.2018 teilte das Polizeipräsidium Oberbayern Süd dem Beklagten mit, dass es Schadensersatzansprüche wegen des Schadensereignisses vom 05.12.2017 gegen den Beklagten prüfe. Daraufhin zeigte der Beklagtenvertreter die Vertretung gegenüber dem Polizeipräsidium Oberbayern Süd an. Diesem wurde mit Schreiben des PP Oberbayern Süd vom 05.03.2018 unter Überreichung der Reparaturrechnung und der in der Werkstatt gefertigten Lichtbilder der Schaden erläutert.

Nachdem eine Stellungnahme seitens des Beklagten bzw. dessen Vertreters in der Folge nicht einging, wurde der Beklagte mit Schreiben des PP Oberbayern Süd vom 11.06.2018 zur Begleichung des Schadens aufgefordert (Anlage K 6).

Mit Schreiben vom 30.10.2018 teilte das PP Oberbayern Süd dem Beklagtenvertreter mit, dass einer Stellungnahme bis zum 19.11.2018 entgegensehen werde, andernfalls der Vorgang zur Beitreibung an das Landesamt für Finanzen abgegeben werde (Anlage K 7).

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Nachdem der Vertreter des Beklagten mit Schreiben vom 20.11.2018 dem PP Oberbayern Süd mitteilte, dass er seinem Mandanten nicht empfehlen könnte, den geltend gemachten Schadensersatz zu bezahlen, hat das PP Oberbayern Süd erneut zur Zahlung bis 22.02.2019 aufgefordert (Anlage K 8).

Zahlungen erfolgten nicht.

Der Kläger hat vorgetragen, bei dem Ort der Kontrolle an der Tiefgarage „Am Forum“ in Altötting handele es sich um einen Ort, an dem sich bekanntermaßen Personen aufhalten würden, welche vermehrt Straftaten verüben. Der Beklagte habe bei einer Identitätsfeststellung gem. Artikel 13 PAG unterzogen werden sollen, da er sich im Bereich dieser Tiefgarage aufgehalten habe. Da der Beklagte zu flüchten versucht habe, habe er von den Polizeibeamten verfolgt werden müssen. Dies sei unter Zuhilfenahme des später beschädigten Dienstfahrzeugs geschehen. Die Nutzung des Dienstfahrzeuges zur Verfolgung sei vorliegend geboten gewesen, da durch die Verfolgung mittels eines Streifenwagens eine hohe Wahrscheinlichkeit bestanden habe, den Fliehenden auch zu stellen. Die Nutzung des Fahrzeugs sei daher in einer angemessenen Mittel-Zweck-Relation gestanden, die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht des Beklagten seien nicht außer Verhältnis zum Ziel der Verfolgung, der Ergreifung des Beklagten gestanden. Ein Mitverschulden der Polizeibeamten scheide vorliegend aus. Auch eine Mithaftung aus Betriebsgefahr scheide aus, da die Betriebsgefahr des Fahrzeuges hier hinter das Verschulden des Beklagten vollständig zurücktrete. Im Ergebnis habe durch die Verfolgung des Beklagten mit dem während der Verfolgungsfahrt beschädigten Dienstfahrzeug der Beklagte gestellt und im Rahmen der anschließenden Kontrolle des Beklagten in dessen Rucksack ca. 420 Gramm Marihuana aufgefunden werden können, was dann zur Einleitung des Strafverfahrens gegen den Beklagten geführt habe.

Der Kläger hat die im Tenor zuerkannten Anträge gestellt.

Der Beklagte hat Klageabweisung beantragt.

Er hat bestritten, dass eine Verfolgung des Beklagten mit dem Dienstfahrzeug überhaupt erforderlich gewesen sei. Soweit hier in den Nachtstunden eine Fahrt mit offenbar erhöhter Geschwindigkeit erfolgt sei, sei damit zu rechnen gewesen, dass dies zu einer ganz erheblichen Gefahr für die Beteiligten und das Dienstfahrzeug führe. Es sei nicht ersichtlich, dass ein solch gefährliches Verhalten in der vorliegenden Situation erforderlich gewesen sein soll. Hierbei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass es sich um eine bloße Verfolgung auf Verdacht hin gehandelt habe. Es sei weder von dem Beklagten noch seinem Begleiter eine Gefahr im polizeirechtlichen Sinne ausgegangen. Auch sei nicht ausreichend sicher gewesen, dass hier zum Zwecke der Strafverfolgung das Ergreifen des Beklagten erforderlich gewesen sei, jedenfalls nicht unter Berücksichtigung der durch die Verfolgung entstehenden ganz erheblichen Gefährdung. Es liege nicht zuletzt ja auch eine erhebliche Gefährdung anderer unbeteiligter Dritter vor. Insoweit müsse dem Kläger ein ganz erhebliches Mitverschulden des handelnden Polizeibeamten angerechnet werden. Weiter sei die Betriebsgefahr des Fahrzeugs zu berücksichtigen.

Der Beklagte hat weiterhin bestritten, dass er sich ungreifbar entfernt hätte, wenn der Beamte das Fahrzeug nicht beschleunigt und damit die Verfolgung aufgenommen hätte. Das Fahrzeug sei unverhältnismäßig eingesetzt worden und habe eine unverhältnismäßige Gefahr für alle Beteiligten geschaffen. Der Polizeibeamte habe offenbar die Situation völlig falsch eingesetzt und gemeint, er könne von dem Platz vor dem Forum hinüber zum Kapellplatz fahren. Die Örtlichkeit sei dort völlig unbeleuchtet. Es sei auf der Hand gelegen, dass das Fahrzeug hier mit Gegenständen kollidieren könne und voraussichtlich werde.

Hinsichtlich des weiteren Parteivortrages wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst den überreichten Anlagen Bezug genommen.

Das Gericht hat mündlich verhandelt am 26.05.2020.

In dem Termin wurde der Beklagte persönlich angehört. Des Weiteren wurden die Zeugen v. Z. und F. uneidlich einvernommen. Am Ende der Sitzung wurde auch noch ein Ortsaugenschein eingenommen, bei dem der ganze Weg zwischen der Tiefgarage und dem Unfallort abgegangen wurde. Auch der Beklagte und die beiden Zeugen nahmen an diesem Ortstermin teil und gaben vor Ort noch Erläuterungen.

Auf das Sitzungsprotokoll vom 26.05.2020 (Bl. 30 ff) wird verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage erwies sich als vollumfänglich begründet.

I. Haftung des Beklagten dem Grunde nach

Der Beklagte haftet dem Kläger für die am Dienstfahrzeug entstandenen Schäden nach § 823 Abs. 1 BGB.

Nach der Rechtsprechung des BGH kann jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann, wenn dessen Willensentschluss auf einer mindestens in Ansatz billigenswerten Motivation beruht, aus unerlaubter Handlung zum Ersatz des Schadens verpflichtet sein, der infolge des durch die Herausforderung gesteigerten Risikos entstanden ist. Eine auf solcher Grundlage beruhende deliktische Haftung ist insbesondere in Fällen bejaht worden, in denen sich jemand pflichtwidrig der vorläufigen Festnahme oder der Feststellung seiner Personalien durch Polizeibeamte oder andere dazu befugte Personen durch die Flucht zu entziehen versucht und diesen Personen dadurch Anlass gegeben hat, ihn zu verfolgen, wobei sie dann infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahrenlage einen Schaden erlitten haben (vgl. BGH, Urteil vom 31.01.2012, VI ZR 43/11).

Voraussetzung für eine deliktische Haftung in solchen Fällen ist stets, dass der in Anspruch genommene Fliehende seinen Verfolger in vorwerfbarer Weise zu der selbstgefährdenden Reaktion herausgefordert hat. Dabei muss sich das Verschulden insbesondere auch auf die Verletzung eines der in § 823 Abs. 1 BGB genannten Rechtsgüter erstrecken, d.h. der Fliehende muss sich bewusst gewesen sein oder zumindest fahrlässig nicht erkannt und bei der Einrichtung seines Verhaltens pflichtwidrig nicht berücksichtigt haben, dass ein Verfolger oder durch diesen ein unbeteiligter Dritter infolge der durch die Verfolgung gesteigerten Gefahr einen Schaden erleiden könnte (vgl. BGH, Urteil vom 03.07.1990, VI ZR 33/90).

Wesentlicher Gradmesser für eine Herausforderung zur Verfolgung mit der Überbürdung des gesteigerten Schadensrisikos auf den Fliehenden ist insbesondere die angemessene Mittel-Zweck-Relation, nach der die Risiken der Verfolgung und der Beendigung der Flucht nicht außer Verhältnis zu dem Ziel der Ergreifung des Fliehenden stehen dürfen, weil ansonsten die Schädigung nicht mehr in den Schutzbereich der Haftungsnorm fällt (vgl. BGH, Urteil vom 31.01.2012).

Vorliegend sollte der Beklagte einer Identitätsfeststellung gem. Artikel 13 PAG unterzogen werden, da er sich mit seinem Begleiter nach Mitternacht im Bereich der Tiefgarage aufhielt. Es war für die Beamten sofort offensichtlich, dass sich der Beklagte der Identitätsfeststellung durch Flucht entziehen wollte, nachdem er und sein Begleiter in Richtung Treppenaufgang liefen, sobald sie das Polizeifahrzeug wahrgenommen hatten.

Dass die Nutzung des Dienstfahrzeuges zur Verfolgung vorliegend geboten war, beweist der Umstand, dass es nicht der aus dem Fahrzeug ausgestiegene Polizeibeamte Fellner war, der den Beklagten letztlich stellen konnte, sondern eben POM von……., der die Verfolgung mit dem Dienstfahrzeug aufgenommen hat und im Zuge der Verfolgung auch den dem Beklagten zu Fuß folgenden Kollegen Fellner überholt hat. Vorliegend bestand auch eine angemessene Mittel-Zweck-Relation für den Einsatz des Dienstfahrzeuges. Zwar stand zum Zeitpunkt der Verfolgung nicht fest, warum sich der Beklagte der Identitätsfeststellung durch Flucht entziehen wollte, allerdings machte er sich durch die Flucht bei Erblicken des Polizeifahrzeugs in hohem Maße dahingehend verdächtig, dass er möglicherweise beabsichtigte, durch die Flucht zu verhindern, einer strafbaren Handlung überführt zu werden.

Die Beweisaufnahme hat ergeben, dass der Beklagte im Ergebnis tatsächlich nur durch den Einsatz des Polizeifahrzeuges durch den Zeugen POM von …..gestellt werden konnte, der den zu Fuß den Beklagten folgenden POM Fellner mit dem Einsatzfahrzeug überholte, den Abstand zum Beklagten verkürzte und diesen dadurch nicht aus den Augen verlor. Der Erfolg der anschließenden Ergreifung des fliehenden Beklagten, der unerlaubt Betäubungsmittel in erheblicher Menge mit sich führte, ist letztlich hauptsächlich auf den Einsatz des Dienstfahrzeuges im Rahmen der Verfolgung zurückzuführen. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme hat der Polizeibeamte bei der Verfolgung des Beklagten mit dem Dienstfahrzeug auch durchaus eine angemessene Mittel-Zweck-Relation gewahrt. Bei der Fahrt über den Fußgängerweg auf den Z wurden weder Personen noch das Einsatzfahrzeug selbst einer erhöhten Gefährdung ausgesetzt. Genauso wenig war dies bei der Fahrt über den Z und bei der Einfahrt in den Durchgang in Richtung Gasthaus S der Fall. Das Gericht sieht auch nicht, dass der Polizeibeamte bei der Ausfahrt aus dem Durchgang andere Personen oder das Fahrzeug in unverhältnismäßiger Weise gefährdet hätte. So ist der Polizeibeamte mit dem Fahrzeug auch nicht etwa gegen einen Begrenzungspfosten oder einen Begrenzungsstein gefahren, sondern gegen einen im Bereich der Durchfahrt liegenden Stein, der in der Nacht auch mit dem Scheinwerferlicht nicht gleich offensichtlich als Hindernis zu erkennen war.

Die Beweisaufnahme mit der Vernehmung der Zeugen und der Einnahme des Ortsaugenscheins hat nicht ergeben, dass der Zeuge von Z in selbstgefährdender Weise aus dem Durchgang Richtung Hotel Post gefahren wäre. Hiergegen spricht auch, dass er das Fahrzeug unmittelbar nach dem Anstoß an den Stein auch gleich im Kiesbett vor dem Gasthaus S zum Stehen brachte.

Auch im Hinblick auf die subjektive Seite der Haftung ist dem Beklagten als Fliehenden der entstandene Schaden am Dienstfahrzeug zuzurechnen, da ihm bei seiner Flucht nach seinem eigenen Bekunden bewusst war, dass ihn das Polizeifahrzeug verfolgte. Er hätte durchaus auch in seinem Alter von 16 Jahren voraussehen können, dass der Dienst-Pkw bei der Verfolgung zu der nächtlichen Stunde in oder in der Nähe des Durchgangsbereichs in Richtung Hotel Post Schaden nehmen konnte. Dies hat ihn nicht davon abgehalten, seine Flucht fortzusetzen, weil er vor dem Hintergrund, dass er eine erhebliche Drogenmenge mit sich führte, eine Festnahme zur Identitätsfeststellung unbedingt vermeiden wollte.

Der Beklagte haftet deshalb nach § 823 Abs. 1 BGB für die am Dienstfahrzeug entstandenen Schäden. Ein Mitverschulden auf Seiten des Polizeibeamten, der das Fahrzeug bei der Verfolgung geführt hat, war nicht gegeben. Auch eine Betriebsgefahr des Dienstfahrzeugs ist vorliegend nicht zu berücksichtigen, da die Betriebsgefahr hier vollumfänglich hinter dem schuldhaften Verhalten des Beklagten zurücktritt.

II. Haftung der Höhe nach

Der Beklagte hat im Termin vom 26.05.2020 unstreitig gestellt, dass der geltend gemachte Schaden in Höhe der Reparaturkostenrechnung entstanden ist. Diesen Schaden hat er gem. § 249 BGB zu ersetzen.

Verzugszinsen waren dem Kläger antragsgemäß zuzusprechen ab 23.02.2019, §§ 286 Abs. 1, 288 Abs. 1 BGB.

Die geltend gemachten Vordruckkosten in Höhe von 1,70 EUR, die Schreibkosten in Höhe von 1,85 EUR und die Mahnkosten in Höhe von 5,00 EUR hat der Beklagte als Verzugsschaden gemäß den §§ 286 Abs. 1, 280 Abs. 1 und Abs. 2 BGB zu ersetzen.

III. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus den §§ 708 Ziff. 11 und 711 ZPO.


Die folgenden rechtlichen Bereiche sind u.a. in diesem Urteil relevant

  1. Strafrecht: Das Strafrecht kommt hier besonders zum Tragen, da der Vorfall eine strafrechtliche Verfolgungsjagd beschreibt, bei der der Beklagte versucht, sich einer vorläufigen Festnahme und Identitätsfeststellung zu entziehen. Dies wird als Ordnungswidrigkeit gesehen und kann strafrechtliche Konsequenzen nach sich ziehen. Zudem wird erwähnt, dass der Beklagte unerlaubte Betäubungsmittel bei sich hatte, was ebenfalls strafrechtlich relevant ist.
  2. Deliktsrecht (§ 823 Abs. 1 BGB): Das Deliktsrecht ist relevant, da die Beschädigung des Polizeifahrzeugs während der Verfolgungsfahrt eine unerlaubte Handlung im Sinne des § 823 Abs. 1 BGB darstellen kann. Der BGH hat klargestellt, dass jemand, der durch vorwerfbares Tun einen anderen zu selbstgefährdendem Verhalten herausfordert, diesem anderen dann zum Ersatz des Schadensverpflichtet sein kann. Hier geht es um die Frage der Haftung für Schäden, die im Zuge einer solchen Herausforderung entstehen.
  3. Polizei- und Ordnungsrecht: Das Polizei- und Ordnungsrecht ist ebenfalls von Bedeutung, da es die Befugnisse und Pflichten der Polizei in solchen Situationen regelt. In diesem Fall betrifft es die Frage, ob die Verwendung des Dienstfahrzeugs zur Verfolgung angemessen und notwendig war.
  4. Betäubungsmittelrecht (Betäubungsmittelgesetz – BtMG): Das Betäubungsmittelrecht spielt ebenfalls eine Rolle, da der Beklagte unerlaubte Betäubungsmittel bei sich hatte. Im BtMG ist geregelt, welche Substanzen als Betäubungsmittel gelten und welche Handlungen (z.B. Besitz, Handel, Herstellung, Einfuhr) in Bezug auf diese Substanzen strafbar sind.
  5. Verkehrsrecht: Das Verkehrsrecht kann hier relevant sein, insbesondere im Hinblick auf die potenzielle Gefährdung von Verkehrsteilnehmern und Sachbeschädigung im Rahmen der Verfolgungsfahrt. Es geht unter anderem um die Frage, ob der Polizeibeamte andere Personen oder das Fahrzeug in unverhältnismäßiger Weise gefährdet hätte.

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